Zwölf

Die Progressiven waren auf dem Vormarsch, eifrig darum bemüht, die Partei unabhängig zu machen von der Wall Street und den außenpolitischen Falken — und von Biden. Senatorin Harris’ Sprung in die Führungsgruppe hielt nicht lange an,1 und als es Herbst wurde, waren Senator Bernie Sanders und Senatorin Elizabeth Warren die beiden führenden Persönlichkeiten an der Spitze des linken Flügels im parteiinternen Rennen.2

Zwar hatte Sanders aus seinem Wahlkampf 2016 — in dem er anscheinend kurz davor gewesen war, Hillary Clinton aus dem Feld zu schlagen — immer noch eine leidenschaftliche Anhängerschaft, doch inzwischen sahen ihn seine progressiven Rivalen als angreifbar. Sein Herzanfall bei einem Wahlkampfauftritt in Las Vegas am 1. Oktober führte nur zu noch mehr Fragen, ob der 78-Jährige sich im Rennen würde halten können.3

Aber Sanders erholte sich schnell — und konzentrierte sich wieder auf Biden.4 Sanders, früher ein bekannter Mittelstrecken- und Crossläufer, kandidierte ständig für das eine oder oder andere politische Amt, angefangen bei seinen wenig aussichtsreichen und letztlich erfolglosen Wahlkämpfen auf Bundesstaatsebene in den 1970er-Jahren bis hin zu seinem völlig unerwarteten Sieg bei der Wahl zum Bürgermeister von Burlington, Vermont im Jahr 1981.5

Falls es ihm gelingen sollte, den Wahlkampf im Herbst durchzustehen, fassten Sanders und sein Team ein Kopf-an-Kopf-Rennen gegen Biden ins Auge, unter Umständen bis weit ins Jahr 2020 hinein.

»Auf lange Sicht ist er der perfekte Gegenpol für Sie, Senator«, sagte ihm Faiz Shakir, Sanders’ altbewährter Wahlkampfmanager. Sie konnten Sanders als einen Progressiven auf der richtigen Seite der Geschichte positionieren, Biden dagegen als einen Mann der Vergangenheit.

Sanders gab ihm recht. Buttigieg und andere waren krampfhaft bemüht, sich als die zentristische Alternative zu Biden darzustellen, ebenso wie der Milliardär Michael Bloomberg, ehemaliger Bürgermeister von New York, dessen Kandidatur immer wahrscheinlicher wurde. Aber Sanders hätte nie gedacht, dass sie länger durchhalten würden als sein ehemaliger Kollege im Senat.

»Joe Biden ist der Mann, den wir schlagen müssen«, sagte Sanders.

Später erzählte Shakir anderen, Sanders habe »das immer geglaubt, immer gefühlt«.

»In jeder Debatte. In jeder Art von Gespräch, das wir über das Rennen führten, ging es immer nur um Biden, Biden, Biden. Nie um Bloomberg oder Warren oder sonst jemanden«, sagte Shakir. »Wissen Sie, er fragte immer: ›Wie läuft’s für Joe Biden? Wie schlägt sich sein Wahlkampfteam?‹ Das war es, was er immer wieder wissen wollte.«

Donilon verweigerte sich standhaft den anhaltenden Forderungen, die Botschaft völlig umzukrempeln. Er organisierte eine Serie von Fokusgruppen in South Carolina, dem Bundesstaat, der für Bidens Firewall gehalten wurde.

Donilon zeigte ihnen Videos. Die Videos von Bidens Ankündigung seiner Kandidatur und ein anderes Video, in dem es um die »Seele der Nation« ging.

Die meisten Teilnehmer waren schon etwas ältere schwarze Frauen — die Wählergruppe, die laut Clyburn die Wahl entscheiden würde. Als ihnen die Videos vorgeführt wurden, fingen die Frauen an zu weinen. Sie sagten, das ist das Amerika, in dem wir leben. Das ist es, wovor wir Angst haben. Das ist es, warum wir uns Sorgen machen. Das ist unser Leben. Das ist es, warum wir wollen, dass Biden gewinnt.

Donilon war ermutigt, als er mit Kollegen über die Ergebnisse sprach, und sagte später: »Ich werde mich immer an diesen einzelnen Fakt erinnern, daran, wie beeindruckend diese Botschaft war, wie klar und deutlich sie bei dieser Wählergruppe ankam, vor allem bei afroamerikanischen Wählern und bei älteren afroamerikanischen Frauen in South Carolina.«

Außerhalb der intensiven Echokammer auf Twitter, sagte Donilon, gebe »es eine fundamentale Angst« im Kern dieses Rennens um die Präsidentschaft.

Donilon erzählte Biden davon und berichtete ihm: »Sie haben geweint.«

Biden schien durchaus offen für Ratschläge zu sein — ihm war klar, dass er mehrere Generationen ansprechen musste.

»Seien Sie einfach Sie selbst«, sagte ihm Sprecherin Pelosi im Oktober bei der Trauerfeier für Elijah Cummings, den Kongressabgeordneten aus Maryland. »Und zwar auf eine Art und Weise, die Ihre Authentizität zeigt. Letzten Endes ist es das, was die Menschen sehen wollen. Die Aufrichtigkeit. Die Echtheit.«

Sie hatte seinen Wahlkampf beobachtet und gesehen, wie er schon früh ins Stolpern geraten war. Sie würde bei den Vorwahlen neutral bleiben, machte aber keinen Hehl aus ihren Sympathien für ihn, sowohl persönlich als auch politisch.

»Wissen Sie«, so Pelosi weiter, »die jungen Leute heutzutage haben eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne. Also müssen wir uns alle etwas kürzer fassen in unseren öffentlichen Äußerungen.«

Bis Ende des Jahres, noch bevor irgendwelche Stimmen abgegeben worden waren, hatten Senatorin Harris und der ehemalige texanische Kongressabgeordnete Beto O’Rourke aufgegeben, trotz der enthusiastischen Anfänge ihrer Wahlkämpfe.

Biden hatte durchgehalten, aber seine Kampagne steckte nach wie vor in einer Sackgasse. Sanders, Warren und Buttigieg gewannen in den Bundesstaaten, wo früh gewählt wurde, rapide an Boden.

Um die Lage noch komplizierter zu machen, gab Bloomberg, der erst im November ins Rennen gegangen war, Millionenbeträge für Anzeigenwerbung und Veranstaltungen an der Basis aus.6 Nach seinem späten Start setzte er auf eine unorthodoxe Taktik und verzichtete darauf, in den Staaten, wo früh gewählt wurde, Wahlkampf zu machen.

Biden-Unterstützer wie der Kongressabgeordnete Tim Ryan, ein Demokrat aus Ohio, wurden nervös. Biden schien völlig aus den Nachrichten verschwunden zu sein.

»Vertrauen Sie auf den Plan«, sagte Biden zu Ryan, als sie sich auf einem Flughafen in Pittsburgh über den Weg liefen.

Bei einem Interview im Oval Office am 5. Dezember 2019 für Woodwards Buch Wut bat Trump Woodward, vorherzusagen, wer denn wohl sein Gegenkandidat von der Demokratischen Partei werden würde.7 Woodward zog es vor, keine Prognose abzugeben.

»Ich will Ihnen ganz ehrlich etwas sagen: Ich finde, es ist eine furchtbar schlechte Gruppe von Kandidaten«, sagte Trump ihm daraufhin. »Es ist peinlich. Ich finde die Kandidaten der Demokratischen Partei peinlich. Ich werde vielleicht gegen einen von ihnen antreten müssen, und wer weiß? Es ist ja eine Wahl. Aber im Moment stehe ich ganz gut da.«