Vierzehn

Am 23. Februar, einem Sonntag, versammelte sich der Congressional Black Caucus auf der USS Yorktown, einem riesigen, außer Dienst gestellten Flugzeugträger, der in Charleston, South Carolina aufgedockt ist.1 Es blieben noch sechs Tage bis zur Vorwahl in South Carolina.

Für Biden war es notwendig, dass Clyburn sich endlich entschied, sofort, und sich hinter ihn stellte. Biden traf am späten Abend auf dem Schiff ein. Clyburn wartete in einem Nebenraum.

Er kam direkt zur Sache. In diesem Meeting ging es um konkrete Politik. Wenn Clyburn den Retter spielen sollte, dann verlangte er im Gegenzug eine politische Garantie: dass Biden schwarze Wählerinnen und Wähler zu seiner Priorität machen würde, sowohl im Wahlkampf als auch im Weißen Haus.

Außerdem meinte Clyburn, Biden sei ein bisschen eingerostet und bräuchte einen Tritt in den Hintern.

»Es gibt drei Dinge, die Sie meiner Meinung nach tun sollten und die dazu führen würden, dass meine Unterstützung tatsächlich funktioniert«, sagte Clyburn zu Biden.

»Ich höre«, sagte Biden.

»Erstens sollten Sie Ihre Reden kürzer machen und direkter zur Sache kommen.«

Biden schwieg.

»Mein Rat ist der gleiche Rat, den mein Vater mir gab«, sagte Clyburn und erinnerte sich an seinen Vater, einen Pfarrer: Sag es einfach, sag es kurz.

»Er pflegte mir zu sagen: ›Denk immer daran, wenn du etwas sagst: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Gehe nicht über diese drei Punkte hinaus‹«, erzählte Clyburn.

»Zweitens geht es mir um 102030«, sagte Clyburn.2 Biden wusste, worauf er sich bezog. Es war der mit Clyburns Namen verbundene Plan zur Bekämpfung der Armut mit Geldern aus dem Bundeshaushalt: »Mindestens 10 Prozent des Etats von jedem Programm des Bundes für Distrikte, wo mindestens 20 Prozent der Bevölkerung seit mindestens 30 Jahren unterhalb der Armutsgrenze leben.«

»Sie müssen 102030 einführen«, sagte Clyburn zu Biden. »Es steht zwar schon in Ihrem Wahlprogramm, aber Sie müssen es in Ihrem Wahlkampf in den Vordergrund stellen.«

»Und schließlich drittens: Ich habe drei Töchter. Ich bin sehr stolz auf meine drei Töchter, und es ist ein bisschen irritierend für uns, in diesem besonderen Moment unserer Geschichte festzustellen, dass es noch nie eine afroamerikanische Frau unter den Richtern des Supreme Court gegeben hat. Dort sitzen vier Frauen, aber kein einziger Afroamerikaner. Da stimmt doch was nicht.«

»Ich habe eine Rolle dabei gespielt, die erste Latina als Richterin in den Supreme Court zu holen, und ich freue mich darauf, das auch für eine afroamerikanische Frau zu tun«, sagte Biden.

Die beiden Männer gaben sich die Hand.

Die übrigen Demokraten kamen am 25. Februar in Charleston zusammen, für die letzte Debatte vor der Vorwahl.

Biden stand im Rampenlicht. Aber auch Sanders, der am 22. Februar auf den Parteiversammlungen in Nevada die Vorwahl für sich entschieden und Biden auf den zweiten Platz verwiesen hatte. Mit zwei klaren Siegen in New Hampshire und Nevada und einem sehr knappen zweiten Platz in Iowa schien eine Nominierung von Sanders, die vor fünf Jahren eine bloße Fantasie gewesen war, in greifbare Nähe gerückt zu sein.3

Bei der Debatte saß Clyburn in der ersten Reihe. Seine Unterstützung für Biden war an bestimmte Bedingungen geknüpft und stand noch keineswegs fest. Doch bislang war nichts durchgesickert. Wenn Biden durchfiel oder sich nicht an ihre Abmachungen hielt, konnte Clyburn einen Rückzieher machen.

Clyburn krümmte sich, während er zusah. Biden ließ mehrere Gelegenheiten verstreichen, sein Versprechen zur Besetzung des Supreme Court abzugeben.

In einer Pause sagte Clyburn einem Freund, er wolle auf die Toilette gehen. Stattdessen ging er in den Backstage-Bereich und nahm Biden beiseite.

»Mann, es gab heute Abend mehrere Gelegenheiten da oben, bei denen Sie hätten erwähnen können, dass Sie eine schwarze Frau im Supreme Court haben wollen«, sagte Clyburn. »Sie können die Bühne nicht verlassen, solange Sie das nicht gesagt haben. Sie müssen das einfach machen.«

Natürlich, sagte Biden, das werde ich.

In seiner letzten Antwort hielt Biden sein Versprechen.

»Jede Bürgerin und jeder Bürger sollte repräsentiert sein. Jeder«, sagte er.4 »Was wir tatsächlich tun sollten — also, wir haben über den Supreme Court gesprochen. Ich freue mich darauf, dafür zu sorgen, dass wir eine schwarze Richterin am Supreme Court haben werden. Dann können wir sicher sein, dass tatsächlich jede Bevölkerungsgruppe repräsentiert sein wird.«

Das Publikum tobte begeistert. Clyburn nickte zufrieden.

Am nächsten Tag hielt Clyburn eine Rede in North Charleston.5

Im dunklen Anzug und mit einer goldfarben leuchtenden Krawatte schaute er in den Saal und sah zwei seiner Töchter, Jennifer und Angela, im Publikum. Sie saßen zusammen, doch der Sitz zwischen ihnen war frei geblieben. Clyburn dachte an seine Frau Emily, die im September gestorben war.

»Ich kenne Joe«, sagte Clyburn. »Wir kennen Joe. Am wichtigsten ist aber«, sagte er mit heiserer Stimme und erhob den rechten Zeigefinger, »dass Joe uns kennt. Ich weiß, dass er ein gutes Herz hat. Ich weiß, wer er ist. Ich weiß, wer er ist!«, so Clyburn weiter. »Ich weiß, wo dieses Land steht.«

Biden stand rechts neben Clyburn, die Hände zusammengelegt. Bidens Augen wurden feucht, als er ergriffen zuhörte, wie Clyburn ihm seine leidenschaftliche Unterstützung zusagte. Es war genau das, was er in jenem Moment brauchte. Und es war nichts weniger als eine politische Explosion.

Seit Monaten war Bidens Kampagne ständig schlechtgemacht worden.6 Er sei zu alt, zu langsam, habe nicht genug Energie. Zu zentristisch, ein Mann der Vergangenheit. Viele Parteifunktionäre, die Presse — sie alle hatten diesen Refrain gesungen. Aber das war jetzt vorbei. Jetzt war Biden der Kandidat, der sich in Stellung gebracht hatte, um Sanders zu verhindern. Der Mann, der die Black Democrats begeistern konnte. Der Mann, der Trump schlagen konnte.

Bei einem Interview mit CNN an jenem Freitag, dem Abend vor der Vorwahl, machte Clyburn eine provozierende Aussage: Biden müsse mit mindestens 15 oder 16 Prozentpunkten Abstand gewinnen.7 An jenem Abend las Cedric Richmond ihm bei einem Drink die Leviten.

»Versuchen Sie nicht, uns einen Gefallen zu tun«, so Richmond. »Bis jetzt haben wir uns noch keinen verdient. Und plötzlich wollen Sie, dass wir das Bewerberfeld mit 15 oder 16 Punkten schlagen? Sie haben gerade den Einsatz erhöht.«

Clyburn war sicher, dass Biden sogar noch deutlich besser abschneiden würde. »Ich kenne South Carolina«, sagte er. Er wusste auch, dass Sanders, obwohl er bei den schwarzen Wählern an Boden gewonnen hatte, seit er 2016 ins Stolpern geraten war, noch keinen Weg gefunden hatte, um sie ebenso sehr zu begeistern, wie er weiße Progressive mitreißen konnte.

Einen Tag später, am 29. Februar, gewann Biden 48,7 Prozent der Stimmen in South Carolina. Es war ein kolossaler Sieg. Sanders, der vorher fast in Führung lag, stürzte ab auf 19,8 Prozent der Stimmen, einen glanzlosen zweiten Platz. Buttigieg und Klobuchar landeten im einstelligen Bereich.

Bei Bidens Auftritt am Abend der Vorwahl umarmte eine strahlende Jill Biden Clyburn, als sie und Joe Biden auf die Bühne kamen. Über die Lautsprecher tönte Curtis Mayfields Song Move on Up, und seine Unterstützer hielten ihre blauen Biden-Poster hoch.

»Mein Kumpel Jim Clyburn! Sie haben mich wieder nach vorne gebracht!«, rief Biden in die Menge. »Und wir sind sehr lebendig.«

Buttigieg und Klobuchar reisten in aller Eile nach Dallas, um Biden dort zu treffen und ihm ihre Unterstützung auszusprechen. Beto O’Rourke, der junge Texaner, der gern auf Tische sprang, um Reden zu halten, machte es genauso.

Am 2. März, einen Tag vor dem Showdown am Super Tuesday, war es eine Demonstration der Einheit.

Sanders’ Befürchtung war plötzlich zur Realität geworden. Viele Demokraten beeilten sich, um Biden zu unterstützen und das Rennen zu entscheiden — und ein Comeback von Sanders zu verhindern. Sanders, so glaubten sie, würde in einer allgemeinen Wahl gegen Trump verlieren.

Biden war gerührt, als seine Rivalen eintrafen.8

»Ich glaube, ich habe das noch nie gesagt, aber er erinnert mich an meinen Sohn Beau«, sagte Biden auf einem Event vor der Parteiversammlung über Buttigieg, der wie aus dem Ei gepellt neben ihm stand, im gestärkten weißen Hemd und mit dunkelblauer Krawatte. Er hatte als Soldat der Navy Reserve in Afghanistan gedient.

»Ich weiß, das wird den meisten Leuten nicht viel bedeuten. Aber für mich ist es das größte Kompliment, das ich jemandem machen kann«, sagte Biden.

Im Backstage-Bereich begegneten Amy Klobuchar und ihr Mann John Bessler Joe und Jill Biden. Sie tauschten Höflichkeiten aus. Dann bemerkte Klobuchar, dass Cameron Smith, die junge Fotografin ihres Wahlkampfteams, weinte.

»Cam, es ist okay«, sagte Klobuchar. »Es ist gut so.«

Biden ging zu Smith und legte ihr auf väterliche Weise den Arm um die Schultern. »Cam, wir werden alle zusammenarbeiten. Sie werden zufrieden sein.«

Auch Jill Biden weinte hinter der Bühne. Es war eine Katharsis. Alles war zusammengekommen.

Klobuchar erzählte Jill Biden, dass sie häufig bei Debatten auf sie, Jill, achtete, weil sie ein »gutes Gesicht« habe, warmherzig und gut gelaunt sei. Und, das merkte sie mit einem Lächeln an, weil Jill bei Klobuchars Äußerungen hin und wieder zustimmend nickte.

Nach dem Auftritt schlossen sich O’Rourke und seine Frau Amy den Bidens an, für einen späten Imbiss bei Whataburger, einer Fastfoodkette. Biden war in Hochstimmung, drückte den Angestellten hinter der Theke die Hand und gab Autogramme.

Als sie bei Burgern und Milchshakes zusammensaßen, unterhielten sie sich über ihre Kinder. O’Rourkes Sprösslinge wuchsen schnell heran, und Biden merkte an, dass sie bald aufs College gehen würden. Er erinnerte sich, wie er vor Jahrzehnten diverse Hochschulen besucht hatte, um zu entscheiden, wo er studieren wollte.

Seinem Vater habe das elitäre Amherst College in Massachusetts nicht gefallen, eine der »Little Ivies«, obwohl Biden interessiert war, dort zu studieren.

»Er sagte mir: ›Du müsstest in der Mensa arbeiten und die Kinder reicher Eltern bedienen‹«, erzählte Biden.

Er fuhr fort, dass sein Vater, der seinen Highschool-Abschluss an der St. Thomas Academy in Scranton gemacht hatte, an einem Besuch in Amherst einfach nicht interessiert war. Er hätte sich dort nicht wohlgefühlt, fehl am Platz.

»Das hat mich wirklich umgehauen«, sagte O’Rourke, der einen Abschluss von der Columbia University hatte, später über diese Unterhaltung. »Weil das offenbar Biden umgehauen hatte.« Das Ressentiment seines Vaters nachzuempfinden, 50 Jahre später.

O’Rourke notierte an jenem Abend in seinem Tagebuch, dass »Bidens Fähigkeit, das Gefühl zu verstehen, welches sein Vater damals empfunden hat, ein Element seiner Genialität ist«.