Nachdem er 15 Monate lang das Justizministerium geleitet hatte, befürchtete im April 2020 auch Justizminister William Barr, dass Trump seine Chancen auf eine Wiederwahl sabotierte. Trump brauchte ein Erweckungserlebnis.
Barr fragte seine Frau Christine um Rat, was er Trump sagen sollte, eine Bibliothekarin, mit der er seit 47 Jahren verheiratet war. Sie pflegte eine enge Freundschaft zu Robert Muellers Frau Ann.1
»Du kannst niemanden vor sich selbst schützen«, sagte Christine ihrem Mann. »Dieser Typ ist völlig festgelegt in seinem Verhalten — er ist, was er ist, und das wirst du nicht ändern.«
»Das weiß ich«, antwortete Barr. »Aber ich werde es versuchen.« Er wolle weiterhin das Justizministerium so führen, wie es seiner Ansicht nach im Interesse von Trump und der Regierung lag, und dann »wird er hoffentlich eine Chance haben, wiedergewählt zu werden«.
Barr gestand jedoch ein, dass er ein bisschen verbittert war. »Ich bin lange genug in der Politik, um nicht nachtragend zu sein, aber ich finde, dass ich und viele andere diesem Burschen zu Hilfe kamen, um ihn sozusagen an das politische System in Washington zu akklimatisieren.« Um Trump seine Grenzen aufzuzeigen. Das Problem, so Barr, seien Trumps »eigene Sturheit und seine Blindheit«.
Barr erinnerte sich, wie er 28 Jahre früher ähnliche Anstrengungen unternommen hatte, als er unter Präsident George H. W. Bush zum ersten Mal Justizminister war.
Nach einer Kabinettssitzung im März 1992, als Bush während seiner Wiederwahlkampagne in den Umfragen führte, hatten Jack Kemp, der damalige Wohnungsbauminister, und Barr den Präsidenten aufgesucht.2
»Mr. President, wir glauben, dass Sie die Wahl verlieren werden, wenn der aktuelle Trend sich fortsetzt«, sagte Barr, und Kemp stimmte ihm zu. Bush war schockiert. Ihre Botschaft war, dass er den innenpolitischen Angelegenheiten und der Wirtschaft wesentlich mehr Aufmerksamkeit schenken müsse. Das erwies sich als ein guter Rat. Bush verlor unter anderem, weil er keine koordinierte Botschaft zur wirtschaftlichen Entwicklung hatte.
Barr sprach mit Jared Kushner, der ihm sagte, es stehe ihm frei, allein mit Trump zu sprechen. Kushner sagte, Trump müsse die Botschaft hören, und es würden andere aus seinem Stab dazukommen. Aber Barr solle die »sanfte Intervention« anführen, weil er vielleicht Erfolg haben könnte.
Barr ging in das kleine, dem Oval Office angeschlossene Esszimmer und setzte sich. Er nahm seine ganze Entschlossenheit zusammen, um sich auf das Gespräch mit dem Präsidenten vorzubereiten. Wenn Trump spürte, dass jemand mit einer unwillkommenen Empfehlung oder etwas, das er nicht hören wollte, zu ihm kam, war seine übliche Taktik, einfach endlos zu reden, das, was man einen Filibuster nennt.
»Bitte kein Filibustern, Mr. President«, sagte Barr. »Ich hoffe sehr, dass Sie sich zu Herzen nehmen, was ich zu sagen habe, weil es mir wichtig ist, dass Sie zuhören.«
Trump nickte und signalisierte, dass er zuhören werde.
»Mr. President, ich glaube, dass Sie die Wahl verlieren werden, wenn Sie auf dem jetzigen Kurs bleiben. Ich reise wahrscheinlich mehr als jeder andere Minister im Land herum. Und ich rede mit einfachen Menschen, Joe-Sixpack-Typen, Polizisten und so weiter. Ich habe noch keinen Ihrer Unterstützer getroffen, der nicht zu mir kommen und sagen würde: ›Wissen Sie, wir mögen den Präsidenten, wir mögen Sie. Wir wollen ein Selfie haben. Wissen Sie, Gott sei es gedankt. Gott segne Sie.‹«
Aber dann fuhr Barr fort: »Und dann flüstern diese Leute mir zu: ›Würden Sie bitte dem Präsidenten sagen, er möge sich ein bisschen zurückhalten? Würden Sie bitte dem Präsidenten sagen, er soll nicht so viel twittern? Er ist sich selbst sein schlimmster Feind.‹«
»Diese Wahl wird in den Vorstädten entschieden«, sagte Barr weiter. »Sie wissen, dass Sie Ihre Basis sicher haben. Sie gewinnen nichts dadurch, dass Sie sich immer weiter von Tag zu Tag noch ein bisschen empörender verhalten. Und ich glaube, Sie müssen ein bisschen was reparieren bei den Republikanern und unabhängigen Wählern, die Ihre Politik im Großen und Ganzen eigentlich gut finden.«
Barr machte eine Pause und lieferte dann seine Zusammenfassung: »Sie glauben, dass Sie einfach ein verdammtes Arschloch sind.«
Trump schien weder erstaunt noch beleidigt zu sein.
»Meiner Meinung nach«, sagte Barr, »wird diese Wahl nicht an der Basis entschieden. Ihre Basis ist wichtig, und Sie werden sie an die Wahlurnen bringen. Und es gibt eine Menge Leute da draußen, Unabhängige und Republikaner in den Vorstädten der wahlentscheidenden Bundesstaaten, die Sie für ein Arschloch halten. Sie glauben, dass Sie sich wie ein Arschloch verhalten, und Sie müssen — Sie müssen anfangen, das zu berücksichtigen. Sie sind stolz darauf, ein Kämpfer zu sein, und das hat 2016 funktioniert, als die Wähler jemanden wollten, der Washington aufmischt. Und sie wollen immer noch jemanden, der die politische Landschaft aufmischt, aber sie wollen kein komplettes Arschloch. Und deswegen müssen Sie das andere machen, was Sie sehr gut können, nämlich, Menschen zu umwerben. Und ich glaube, darum geht es bei dieser Wahl. Wissen Sie, ich befürchte, dass Sie in mancherlei Hinsicht zu sehr vom dem politischen Establishment in Washington vereinnahmt wurden, da Sie jetzt all diese selbst ernannten Sprecher für Ihre Basis haben, die zu Ihnen kommen und Ihnen sagen, was sie wollen. Sie schütten Sie zu mit ihren Forderungen.«
Barr dachte an einige dieser Interessengruppen, denen die Tür zum West Wing offen stand — die Waffenlobby, der Vorsitzende von Judicial Watch, einer konservativen Aktivistengruppe, die innerhalb der Bundesbehörden Liberale ausfindig macht, TV-Persönlichkeiten des konservativen Nachrichtensenders Fox News.
»Das andere wichtige Thema«, sagte Barr, »und ich weiß, dass dies nicht ganz uneigennützig ist, weil mir klar ist, wie ungeduldig Sie auf die Ergebnisse unserer Arbeit warten, die wir drüben im Justizministerium machen. Aber ich glaube, dass es den Menschen — den Moms und Pops drüben in Wisconsin und Pennsylvania und Michigan — scheißegal ist.« Es ist ihnen egal, ob der ehemalige FBI-Chef James Comey und andere dafür belangt werden, wie sie die Russland-Untersuchung durchgezogen haben.
»Ihrer Basis ist es wichtig, dass Comey und die anderen dafür zur Rechenschaft gezogen werden, aber diesen anderen Leuten ist es egal. Ihr verdammtes Gezeter ist ihnen egal. Sie machen sich Sorgen um ihre Zukunft. Sie machen sich Sorgen um die Wirtschaft, gerade jetzt mit Covid und dem ganzen Zeug. Sie sollten darüber reden, was Sie vor Covid gemacht haben, warum Sie der Mann sind, der das Land nach Covid wiederbeleben kann, dass Sie eine nachweisbare Erfolgsbilanz haben. Dann sollten Sie den Menschen eine Vision dessen zeigen, wohin Sie dieses Land führen werden. Und nur darüber sollten Sie reden, nicht über diesen ganzen anderen Scheiß, nicht über jede kleine Kränkung, die Ihnen im Magen liegt.«
»Bill«, erwiderte Trump, »diese Leute sind bösartig. Ich muss kämpfen. Ich brauche meine Basis. Meine Basis will mich als starken Mann sehen. Es sind meine Leute.«
»Ich sehe das so, Mr. President«, sagte Barr. »Ich glaube, Sie haben es bei der letzten Wahl geschafft, das Ruder in letzter Minute rumzureißen, nach Ihrem Spruch ›grab them by the pussy‹, weil Sie dadurch zur Vernunft gekommen sind und erkannt haben, dass Sie nicht alles wissen. Dann haben Sie angefangen, Leuten wie Kellyanne Conway und anderen tatsächlich zuzuhören, und sich ungefähr einen Monat lang einigermaßen benommen. Und das war gerade lang genug, da die Wähler nicht festgelegt waren. Ich fürchte, dass dieses Mal zwei Faktoren anders sind, und das ist der Grund, warum ich jetzt mit Ihnen rede. Dieses Mal sind die Wähler nicht so unentschlossen. Letztes Mal kannten die Leute Sie nicht als öffentliche Figur, und sie waren bereit, Ihnen eine Chance zu geben. Inzwischen haben sich viele Leute eine Meinung über Sie gebildet. Sie glauben, dass sie wissen, wer Sie sind. Also sind sie nicht mehr so unsicher in ihrer Entscheidung. Und der zweite Faktor, der anders ist — und ich glaube, das ist das Hauptproblem —, ist, dass Sie glauben, Sie wären ein politisches Genie. Sie glauben, dass Sie ein Genie sind, und deswegen werden Sie auf niemanden mehr hören. Sie glauben, dass Sie wissen, was die Menschen wollen. Und ich glaube, dass Sie falschliegen. Ich habe noch keinen Trump-Unterstützer getroffen, der mir das nicht gesagt hätte. Und das sind Leute, die Sie tatsächlich mögen und Ihren Blödsinn tolerieren. Aber sie dulden es nur. Sie unterstützen Sie nicht deswegen, weil Sie sich so verhalten. Und ich glaube, dass Sie, wenn Sie nicht eine, also sagen wir mal, eine Charmeoffensive starten und versuchen, einen Teil des Schadens zu flicken, der in manchen Vorstädten entstanden ist, dass Sie dann verlieren werden.«
»Ich muss kämpfen«, erwiderte Trump. »Ich habe es so weit gebracht, weil ich bereit bin zu kämpfen. Es gefällt den Leuten, dass ich bereit bin zu kämpfen. Ich muss kämpfen.« Dann erzählte er, seine Berater hätten ihm gesagt, wenn er 65 Millionen Stimmen bekäme, würde er gewinnen.
Barr glaubte, das würde bedeuten, dass die Berater dächten, Trump könne die Wahl gewinnen, indem er seine Basis aktiviere und in ländlichen Regionen neue Wähler mobilisiere. »Es ist kein statisches Spielfeld«, warnte ihn Barr. »Die andere Seite arbeitet auch für den Sieg.«