Trump hatte schon seit Wochen geschäumt vor Wut wegen der Berichterstattung in den Medien, in der davon die Rede war, er hätte sich in den Bunker begeben. Seine Wut flammte am 10. August erneut auf, als er im Briefing Room des Weißen Hauses Fragen beantwortete.
Ein Agent des Secret Service unterbrach Trump und brachte ihn aus dem Raum in einen Wartebereich für das Pressebüro des Weißen Hauses.1 »Draußen sind Schüsse gefallen«, informierte der Agent den Präsidenten.
Trump zog ein mürrisches Gesicht.
»Ich gehe nicht in diesen Scheißbunker«, sagte er.
Tags darauf, kurz nach Bidens Ankündigung seiner Auswahl der Vizepräsidentin, twitterte Trump.2 »Kamala Harris startete stark in den Vorwahlen der Demokraten und endete schwach, sie stieg am Ende aus dem Rennen aus, mit fast null Unterstützung. Von so einer Konkurrentin träumt jeder Kandidat!«
Die Trump-Kampagne schickte gleich ein Video hinterher — »Der lahme Joe und die verlogene Kamala«, verkündete eine Sprecherstimme.3 »Perfekt füreinander, falsch für Amerika.«
Später schickte Trump-Berater Dick Morris eine E-Mail an die Demoskopen und Wahlkampfstrategen des Präsidenten. Er fragte sich, ob man aus der Entscheidung für Harris Kapital schlagen könnte.
»Ist Biden leicht zu manipulieren? Wir wissen, dass er alt und schwach ist, aber folgt daraus auch, dass er übermäßig von Mitarbeitern, Beratern und Spendern beeinflusst werden kann? Können wir sagen, er entschied sich für Harris, weil die schwarzen Anführer in der Partei ihn dazu gedrängt haben? Können wir sein Einschwenken auf die radikale Agenda als erfolgreiche Manipulation durch Bernies Leute verkaufen?«
Innerhalb des Trump-Kampagnenteams, das nach der Degradierung Brad Parscales inzwischen vom altgedienten Politikberater Bill Stepien aus New Jersey geleitet wurde, griff der Frust immer mehr um sich.4 Trumps Umfragewerte waren im Keller. Außenseiter wie Dick Morris und Sean Hannity hatten zu viel Einfluss und fütterten ihn mit Ideen und Ratschlägen, die der eigenen, in Umfragen bewährten Strategie zuwiderliefen.
Am Mittwoch, dem 23. September um 8:20 Uhr morgens schickte Trump-Berater Jason Miller eine Mail an Stepien und die Demoskopie-Experten des Wahlkampfteams, John McLaughlin und Tony Fabrizio. Die Betreffzeile lautete: »Wurde diese neue Umfrage mit Dick Morris geteilt???«
Fabrizio antwortete um 11:23 Uhr und schrieb, »der Präsident hatte mir gesagt, ich sollte Zahlen mit ihm teilen«.
Miller antwortete drei Minuten später.
Nun ja, das war großer Mist.
Jetzt »droht« er, dem Präsidenten zu sagen, unsere Zahlen wären »verhunzt«.
Ich will nicht, dass irgendjemand jemals wieder Dick Morris in irgendetwas einweiht — nie mehr.
Ende September legte die FDA dem Weißen Haus Richtlinien für den internen Ablauf zur Notfallgenehmigung der Corona-Impfstoffe vor.5 Über zwei Wochen warteten sie auf eine Freigabe. Der Grund für die Verzögerung war Mark Meadows. Er fürchtete, der Genehmigungsprozess durch die FDA umfasse zu viele unnötige Schritte. Ihm dauerte das alles zu lange.
Aus der Sicht Hahns war es eine weitere Intervention durch Meadows, den forschen Ex-Geschäftsmann aus North Carolina, der sich als angeblicher Experte in den FDA-Prozess einmischte, wenngleich er gar kein Mediziner war.
Die Richtlinien verlangten, dass Studien der Phase 3 eine zweimonatige Folgeperiode enthalten mussten, in der festgestellt werden konnte, ob die Teilnehmer an der Studie von irgendwelchen ersten Nebenwirkungen berichteten.
Peter Marks, Direktor des Center for Biologics Evaluation and Research an der FDA, hatte einen Doktortitel in Zell- und Molekularbiologie und arbeitete beim Genehmigungsprozess eng mit Hahn zusammen.
»Ich war sehr erstaunt, dass Mark Meadows meinte, er wüsste mehr als Peter Marks, was die Evaluierung der Sicherheit und Wirksamkeit eines Impfstoffs betrifft«, ließ Hahn andere wissen. »Er glaubt, Dinge zu wissen, die er eben nicht weiß, und hält sich für einen Experten, wo er kein Experte ist.«
Sieben ehemalige FDA-Kommissare veröffentlichten am 29. September einen Gastkommentar in der Washington Post und baten das Weiße Haus darum, man möge die FDA ihre Arbeit machen lassen: »Das Weiße Haus sagte, es könnte versuchen, Einfluss auf die von der FDA erarbeiteten wissenschaftlichen Normen für die Zulassung von Impfstoffen zu nehmen. Diese Erklärung kam, kurz nachdem wichtige Entscheidungsträger bei der FDA, den Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und den National Institutes of Health (NIH) allesamt öffentlich ihre Unterstützung für die Richtlinie bekundet hatten«, schrieben sie. »Die Arzneimittelhersteller haben ebenfalls zugesichert, sich an die Standards der FDA zu halten.«6
Später am gleichen Abend sagte Trump bei der ersten Fernsehdebatte der Präsidentschaftskandidaten in Cleveland: »Ich habe mit Pfizer gesprochen, ich habe mit all den Leuten gesprochen, auf die es ankommt, Moderna, Johnson & Johnson und andere.«7
»Uns trennen nur noch Wochen von einem Impfstoff«, behauptete Trump und beharrte darauf, die Unternehmen »können einen Zahn zulegen«. Trotz all der Rhetorik, mit der er das Virus verharmloste, war Trump klar, dass ein Impfstoff, wenn er vor der Wahl verfügbar wurde, ihm politisch helfen konnte.
Albert Bourla, der Vorstand von Pfizer, reihte sich in den Chor der Stimmen aus der wissenschaftlichen Gemeinde ein und versuchte, Taktik und Tonfall des Präsidenten zu ändern.8 »Ein weiteres Mal war ich enttäuscht, dass die Abwehr einer tödlichen Krankheit als Politikum diskutiert wurde und nicht auf der Basis wissenschaftlicher Fakten«, schrieb Bourla in einem offenen Brief an Kollegen.
Während einer Sitzung zur Vorbereitung der Debatten im Herbst fragte Biden Ron Klain: »Haben Sie schon darüber nachgedacht, was Sie tun möchten, wenn der Wahlkampf vorbei ist?«
»Wenn Sie gewinnen«, sagte Klain, »hätte ich Interesse, wiederzukommen und dem Land zu dienen.«
»Können Sie sich vorstellen, mein Stabschef zu werden?«
»Ich fühle mich geehrt und geschmeichelt, dass Sie dabei an mich denken«, sagte Klain. »Ich schätze, es gibt eine Menge aufzuräumen, wenn Sie gewinnen. Und ich würde sehr gerne meinen Teil dazu beitragen.«
»Schauen Sie, ich bin abergläubisch«, sagte Biden und hielt sich alle Optionen offen. »Ich biete niemandem irgendwelche Posten an, solange ich nicht gewählt bin. Aber es ist mir wichtig, im Hinterkopf zu behalten, dass Sie das übernehmen würden.«
»Ja«, sagte Klain. »Sie wissen, wenn Sie mir den Job anbieten, dann werde ich nicht Nein sagen.«
Klains Vorhersage Monate zuvor, bei jenem privaten Treffen in Delaware, bewahrheitete sich bei der ersten TV-Debatte zwischen Trump und Biden. Kein Thema blieb außen vor, auch Bidens Familie nicht.
Trump war aggressiv und wütend — er stichelte und unterbrach Biden ständig. »Halten Sie vielleicht mal die Klappe, Mann?«, bat Biden verärgert. Es war der Satz des Abends.9
Präsident Trumps Einweisung ins Krankenhaus wegen seiner Corona-Infektion am späten Freitag, dem 2. Oktober, unterbrach für kurze Zeit die Endphase seines Wahlkampfs. Trump wurde per Helikopter ins Walter Reed National Military Medical Center in Bethesda, Maryland, geflogen.
Trump hatte sich zunächst dagegen gewehrt, ins Krankenhaus zu gehen.10 Als jedoch seine Blutsauerstoffwerte in den 80er-Bereich absackten, eine potenziell lebensbedrohliche Zone, und der Präsident unter Atemnot litt, musste ihm sein Leibarzt Sauerstoff zuführen. Mehrere Helfer warnten, er müsste mit dem Rollstuhl oder gar auf der Trage aus dem Weißen Haus gefahren werden, wenn er nicht gehen würde. Er erklärte sich bereit, in den Präsidentenhubschrauber einzusteigen und hinüber ins Bethesda zu fliegen.
Im Krankenhaus stabilisierte sich Trumps Zustand. Trump bekam einen »Antikörper-Cocktail«, wie die Ärzte das nannten, inklusive Regeneron, ein Antikörper-Medikament, das sich noch in der klinischen Versuchsphase befand.11 Laut Yasmeen Abutaleb und Damian Paletta von der Washington Post versuchten US-Gesundheitsexperten hektisch, eine FDA-Zulassung für Trumps Nutzung des Medikaments zu erwirken, und debattierten, ob die Einnahme dieses Cocktails für ihn überhaupt geeignet war, angesichts seiner Fettleibigkeit und des Alters von 74 Jahren.12
»Guten Appetit beim Krankenhausessen«, wünschte Kellyanne Conway Trump telefonisch während seines dreitägigen Klinikaufenthalts.
Monate zuvor, als Conway in häuslicher Quarantäne gewesen war, nachdem sie sich mit dem Virus angesteckt hatte, hatte Trump sie bei Laune gehalten.
»Sie haben null Prozent Körperfett, Schätzchen«, sagte Trump. »Schätzchen, mit ihren null Prozent Körperfett kann Ihnen überhaupt nichts passieren.«
Am 5. Oktober wurde er entlassen, nahm sich auf dem Balkon des Weißen Hauses theatralisch die Maske ab, dann reckte er zum Zeichen des Sieges die Daumen in die Höhe und salutierte in Richtung Marine One.
Das Weiße Haus blieb ein Hotspot, was die Infektionsgefahr betraf.13 Meadows und andere leitende Mitarbeiter wollten vom Tragen einer Maske nichts wissen, und rangniedrige Kollegen hatten den Eindruck, die Bürokultur schien das Ignorieren der öffentlichen Richtlinien zur Pandemievorsorge zu begünstigen. Sie hatten ein Meeting nach dem anderen, bei denen Trump und seine Gehilfen die Sendschreiben von Fauci und anderen als moralisierend und linkslastig abtaten. Mindestens »34 Mitarbeiter des Weißen Hauses und andere Kontakte« hatten sich mit dem Virus infiziert, notierte ein internes Memo der FEMA (Federal Emergency Management Agency) im Oktober.
Mitch McConnell, der Mehrheitsführer im Senat, behielt ein Auge auf Bidens schlichte allgemeine Wahlkampagne. Seiner Ansicht nach stellte Bidens Kampagne den Kandidaten klug als Moderaten heraus — der gelassene Großpapa aus Delaware als Gegenpol zum rabaukenhaften republikanischen Amtsinhaber. Fast jeder Demokrat war sich seines Wahlerfolgs sicher, nachdem die Wähler Zeugen von Trumps Verhalten geworden waren.
»Donald Trump zu sein«, erzählte McConnell anderen, war schon genug, damit Trump im November verlieren konnte. »Trumps Persönlichkeit war sein größtes Problem, und was die Persönlichkeit betraf, war Joe das exakte Gegenteil von Trump.«
McConnell sah darin eine republikanische Tragödie. Sie hatten die Steuerreform verabschiedet. Sie hatten Vollgas gegeben, um möglichst viele Posten von Bundesrichtern mit Konservativen zu besetzen. Die Wirtschaft brummte, bevor die Pandemie im März die Regie übernahm. Nichts davon kam zufällig, Trump hatte überall die Hand im Spiel.
»Wir hatten fantastische vier Jahre«, sagte McConnell. Aber jetzt ging es nur noch um die Persönlichkeit — nur noch um Trump.
Biden, der bei seinen bisherigen zwei Anläufen aufs Weiße Haus nie mehr als 1 Prozent der Stimmen im eigenen Lager hatte gewinnen können, hatte Glück, und er hatte den perfekten Gegner.
»Ich sage nicht, dass es einfach nur Glück war, aber Glück hatte er schon«, sagte McConnell.
Was Trump betraf, wollte McConnell keinen öffentlichen Krieg mit dem Präsidenten haben. Aber er machte keinerlei Hoffnung, dass Trump sich ändern könnte.
Fast vier Jahre lang hatte McConnell nun das gepflegt, was er selbst als »Bruderschaft« mit Kabinettsmitgliedern wie dem Ex-Verteidigungsminister James Mattis und dem ehemaligen Stabschef im Weißen Haus, John Kelly, bezeichnete, und nun mit Justizminister William Barr. Sie versuchten, Trump in Richtung eines halbwegs normalen Verhaltens zu bewegen.
Sie standen dabei routinemäßig auf verlorenem Posten. Es hatte einfach keinen Sinn. Und in dieser letzten Runde hatte die sogenannte Bruderschaft miterleben müssen, wie ein Bruder nach dem anderen von der Bühne abtrat.
In internen Kreisen der Republikaner erzählte McConnell mit Vergnügen einen Witz über Trumps ehemaligen Außenminister Rex Tillerson, ein Kabinettsmitglied, das er gemocht hatte.
2017 hatte das State Department energisch bestritten, dass Tillerson Trump als »Trottel« bezeichnet hätte.14
»Wisst ihr, wieso Tillerson behaupten konnte, dass er den Präsidenten nicht als ›Trottel‹ bezeichnet hat?« Fragte McConnell staubtrocken einige Kollegen in seinem breiten Kentucky-Akzent.
»Weil er ihn einen ›Volltrottel‹ genannt hat.«