Dreißig

Am 9. November nachmittags rief Meadows bei Esper an, um ihm zu sagen, dass Trump ihn feuern würde.

»Sie dienen von Gnaden des Präsidenten. Sie haben ihn nicht in ausreichendem Maße unterstützt«, sagte Meadows und gedachte nicht, sich für dieses harsche Gesamturteil zu rechtfertigen.

Esper hatte stets einen eigenen Kurs gefahren und erst kurz zuvor einen vertraulichen Brief verfasst, in dem er sich gegen den Rückzug der US-Truppen aus Afghanistan aussprach. Nach Meadows’ Ansicht hatte Esper das politische Spiel, das mit dem Job einherging, Trumps Verteidigungsminister zu sein, noch nicht begriffen.

»Ich habe einen Eid auf die Verfassung geschworen«, antwortete Esper. »Ich nehme zur Kenntnis, dass der Präsident die Entscheidungsbefugnis in dieser Sache hat.«

Ungefähr acht Sekunden später, um 12:54 Uhr mittags, verkündete Trump per Tweet, »[Verteidigungsminister] Mark Esper wurde entlassen. Ich möchte ihm für seinen Einsatz danken«, schrieb Trump.1

Esper war überrascht, sich überhaupt so lange im Amt gehalten zu haben. Dass sein Job eine Gratwanderung sein würde, war ihm vorher klar gewesen, und er hatte den Leuten den ganzen Sommer über erzählt, er könnte jeden Tag gefeuert werden.

In der Annahme, früher oder später entlassen zu werden, hatte er der Military Times in einem Interview erzählt: »Wer wird mein Nachfolger werden? Es wird ein lupenreiner Jasager werden. Und dann gnade uns Gott.«2

Trump ernannte Chris Miller, den Leiter des Antiterrorzentrums, zum kommissarischen Verteidigungsminister.

»Chris wird GROSSARTIGE Arbeit leisten!«, schrieb Trump.

David Urban, ein enger Freund Espers, rief bei Jared Kushner an. Er war wütend.

»Jared, was soll der Scheiß? Das ist doch kompletter Schwachsinn.«

Kushner sagte, er hätte nichts damit zu tun. »Ich sitze hier nicht am Steuer«, sagte er.

»Und wer dann, bitte schön?« Kushner gab keine Antwort.

»Das ist wirklich total beschissen, was er da mit Esper gemacht hat.« Urban erinnerte Kushner daran, dass Esper immer bereit gewesen war, seinen Rücktritt zu erklären, wenn es von ihm verlangt worden wäre. »Der Mann ist Soldat!«

Ich weiß, sagte Kushner.

Urban beendete das Gespräch. Er erzählte anderen, Miller und seine Verbündeten würden mit Sicherheit versuchen, mehr Einfluss auf die nationale Sicherheitspolitik zu bekommen. Leute, die er kannte und denen er vertraute, waren nicht mehr auf ihren Posten.

»An dem Tag war für mich der Ofen endgültig aus«, sagte er.

Espers Entlassung stand an dem Tag im Schatten eines plötzlichen Durchbruchs bei der Impfstoffentwicklung. Pfizer teilte mit, die Studien hätten einen Wirkungsgrad ihres Vakzins von 90 Prozent bei der Verhinderung einer Ansteckung mit dem Virus ergeben. Das Unternehmen nannte es »einen historischen Moment«.

Kathrin Jansen, Direktorin für Forschung und Entwicklung von Impfstoffen bei Pfizer, sagte der New York Times, sie habe am Tag davor von den Ergebnissen erfahren, am Sonntag um 13 Uhr, und lege Wert auf die Feststellung, die Wahlen hätten keinerlei Einfluss auf die Freigabe dieser Information gehabt. »Wir haben immer gesagt, dass unser Vorgehen ausschließlich auf wissenschaftlicher Grundlage basiert«, sagte sie, »nicht auf der Grundlage von Politik.«3

Trump glaubte ihr kein Wort. »Die @US_FDA und die Demokraten wollten schon vor den Wahlen nicht, dass ich mit dem Impfstoff GEWINNE«, twitterte er später, »deshalb kam der Impfstoff fünf Tage danach heraus — Wie ich schon die ganze Zeit gesagt habe!«4

Pfizer kümmerte sich um die FDA-Zulassung für den Notfalleinsatz, um das Vakzin an die Öffentlichkeit ausgeben zu können, ein strenges Prüfverfahren.

Vizepräsident Mike Pence, seit jeher ein Teamplayer, weigerte sich ebenfalls, Bidens Sieg öffentlich anzuerkennen. Er hatte seine politische Zukunft daran geknüpft, von Trumps Wählern als des Präsidenten ehrerbietiger Stellvertreter und logischer Nachfolger wahrgenommen zu werden.

»Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist«, twitterte Pence am 9. November, »und DAS HIER ist noch nicht vorbei!«5

Aber das Pence-Team wollte nicht, dass er in Trumps Kampf um die Wahl hineingezogen wurde.

»Holt ihn verdammt noch mal raus aus D. C., weg von dieser Stadt der Irren«, lautete der Ratschlag von Pence’ altgedientem politischen Berater Marty Obst an Marc Short, den neuen Stabschef des Vizepräsidenten.

Short — ein lebhafter Konservativer mit kurz geschorenem Haupthaar und tiefen Verbindungen zu Business und Kongress — begann, Tagestrips für Pence zu organisieren. Der Vizepräsident, der immer noch Vorsitzender der Corona-Taskforce des Weißen Hauses war, sollte zu Standorten der Entwicklung und Produktion von Impfstoffen aufbrechen.

Pompeo, gewichtig und gesellig und mit wenig Toleranz für Liberale ausgestattet, galt immer als einer der standhaftesten Unterstützer Trumps im Kabinett. Er traf sich mit Generalstabschef Milley in Quarters 6 am Abend des 9. November zu einer Unterhaltung unter vier Augen am Küchentisch.

»Die Verrückten übernehmen den Laden«, sagte Pompeo. Er machte sich immer mehr Sorgen, wenn er sah, wie sich Trump mit Giulianis Wanderzirkus traf.

Inzwischen hatten Sidney Powell, Michael Flynn und Mike Lindell Zugang zum Oval Office. Der Dritte im Bunde — Mike Lindell — war der freimütige ehemalige Drogenabhängige und millionenschwere CEO von »My Pillow«, einem Unternehmen, das mit Matratzen und Kissen handelte.

Als Bester seiner Altersklasse, West Point 1986, hatte Pompeo den gleichen militärischen Hintergrund wie Milley. Als ein ehemaliger Klassenkamerad von Esper war er verärgert über den Umgang mit ihm und seine Entlassung durch Trump. Es war grausam und unfair. Die Entlassung eines Verteidigungsministers hatte einen ganz anderen symbolischen Stellenwert als die jedes anderen Kabinettsmitglieds, schon aufgrund der enormen militärischen Macht und des riesigen Waffenarsenals.

Milley erinnerte sich lebhaft an eine Aussage, die Trump gegenüber Breitbart News im März 2019 gemacht hatte: »Ich kann Ihnen sagen, ich habe die Polizei hinter mir, ich habe das Militär hinter mir, ich habe die ›Bikers for Trump‹ hinter mir. Ich habe richtig toughe Leute an meiner Seite, aber sie zeigen erst dann, was sie draufhaben, wenn ein bestimmter Punkt erreicht ist, und dann wird es [für die anderen] richtig, richtig übel werden.«6

Das sah nach einer Warnung aus. Milley dachte an die Streitkräfte, die Polizei, das FBI, die CIA und die anderen Geheimdienste als untergeordnete Institutionen der Macht. Diese Machtzentren waren nur zu oft zum Werkzeug von Despoten geworden.

In der Küche von Quarters 6 vertraute Milley Pompeo an, er glaube, Trump befinde sich in einem Zustand geistigen Verfalls. Jeder, der die Präsidentschaft anstrebte, hatte natürlich ein ausgeprägtes Ego. Trumps Ego, merkte er an, wäre allerdings überdimensional. Und Trump hatte soeben die denkbar schmerzlichste Zurückweisung erfahren müssen. Das muss ihn auf eine Weise verletzt haben, wie es andere niemals vollständig werden begreifen können.

»Wissen Sie«, antwortete Pompeo, »er ist im Moment an einem sehr finsteren Ort.«

»Dazu kann ich nichts sagen«, meinte Milley vage und ergänzte, sein Fokus liege auf Stabilität. Auf dem Übergang.

Für Milley war der Rauswurf Espers inmitten des Tohuwabohus nach den Wahlen ein Wendepunkt. Die Gefahr für das Land nahm rasch zu, ein sinnloser Marsch in immer mehr Chaos und Unordnung.

Pompeo meinte, es wäre eine Wende in eine Richtung, die die Republik in Gefahr brachte.

»Wir müssen Schulter an Schulter zusammenstehen«, sagte Pompeo. »Wir sind die letzten Mohikaner«.

Am Tag darauf wurde Pompeo bei einem öffentlichen Pressetermin des Außenministeriums nach dem Übergang zum neuen Präsidenten Biden gefragt.

»Es wird einen reibungslosen Übergang zu einer zweiten Regierung Trump geben«, antwortete Pompeo. Dann lächelte er und ergänzte mit einem ironischen Grinsen: »Genau.«7

Am 10. November um 8:10 Uhr morgens rief CIA-Direktorin Gina Haspel, die erste Frau mit dauerhafter Stellung an der Spitze dieses Geheimdienstes, Milley an.

Haspel, die 35 Dienstjahre in der CIA hinter sich hatte, war ausgebildete Sachbearbeiterin, abgebrüht und kenntnisreich in der Überwachung labiler politischer Führungsfiguren im Ausland. Sie war verärgert wegen der Entlassung Espers und ging davon aus, dass auch sie selbst bei Trump auf der Abschussliste stand.

»Gestern war furchtbar«, sagte Haspel zu Milley. »Wir sind auf dem Weg zu einem Putsch von Rechtsaußen. Die ganze Sache ist vollkommener Irrsinn. Er führt sich auf wie ein Sechsjähriger, der einen Tobsuchtsanfall hat.«

»Wir werden standhaft bleiben«, wiederholte Milley sein Mantra. »Standhaft wie ein Fels. Wir halten den Blick auf den Horizont gerichtet. Wir werden sämtliche Risiken und Bedrohungen im Auge behalten. Wir werden alle Kanäle offen halten.«

Was konnten sie auch sonst tun? Trump war noch immer Präsident, und sie waren Untergebene, nach der Verfassung und nach dem Gesetz.

An jenem Dienstagnachmittag besuchte Hope Hicks Trump im Oval Office.

»Es gibt jede Menge Möglichkeiten«, sagte sie heiter und schlug vor, die politischen Waffen niederzulegen, als Signal für den Aufbruch in die Zukunft.

»Sie haben ein riesiges Wohlwollen auf Ihrer Seite, und Sie können daraus in unterschiedlichster Weise Kapital schlagen«, sagte sie. »Das dürfen wir nicht vergeuden.«

Trump wollte nichts hören, was in die Nähe eines Eingeständnisses der Niederlage kam. Er starrte sie missbilligend an, war enttäuscht, aber nicht überrascht. Offenbar hatte er ihre Zurückhaltung schon seit Tagen gespürt.

»Ich bin keiner, der aufgibt«, gab Trump zurück. »So etwas liegt mir nicht im Blut.«

Der Präsident fuhr fort: »Mein Vermächtnis ist mir egal. Mein Vermächtnis zählt nicht. Wenn ich verliere, dann wird das eben mein Vermächtnis. Meine Leute erwarten von mir, dass ich kämpfe, und wenn ich es nicht tue, dann verliere ich sie«, sagte Trump.

»Ich weiß, dass das nicht leicht ist«, sagte Hicks. »Es ist sogar richtig schwer. Ich verliere auch nicht gern. Niemand verliert gern. Aber es gibt so viel zu gewinnen, wenn man den Blick nach vorne richtet.«