Sechsunddreißig

Kevin McCarthy, hochrangigster Republikaner im Repräsentantenhaus und Minderheitsführer, hielt am Abend des 16. Dezember in seiner Suite im Kapitol vor einer Schar von Abgeordneten und Helfern Hof.

McCarthy, 55, saß in einem Sessel vor dem Kaminfeuer, riss Witze und erzählte Geschichten. Es herrschte Feierstimmung, fast schon Siegesgewissheit. Biden mag ja große Pläne haben, aber McCarthy und die Republikaner im Repräsentantenhaus hatten Pelosis Mehrheit angekratzt. 13 demokratische Sitze wechselten zu den Republikanern! Es gab eine historisch hohe Zahl republikanischer Frauen.1

»Welches Mandat?«, fragte McCarthy in die Runde und tat Bidens Ergebnis von 2020 ab.

»Er ist das Gestern, wir sind die Zukunft«, sagte McCarthy über den gewählten Präsidenten — eine Bezeichnung, die er bislang auszusprechen vermieden hatte. »Er holt alle möglichen Leute aus der Vergangenheit zurück. Er versteht diese Wahl ganz falsch.«

»Die Menschen werden gelangweilt von ihm sein«, fuhr er fort. McCarthy machte sich über Biden lustig und meinte, wenn die Wähler einen Wahlkampfauftritt Bidens beschreiben sollten, »reden sie von Kreisen. Aber nicht von Kreisen von Leuten, die zusammenstehen, sondern von Kreisen am Boden, in die sich die Leute stellen sollen«, um das Social Distancing einzuhalten. McCarthy stammte aus Bakersfield in Kalifornien, hatte einen silbergrauen Haarschopf und war der Sohn eines stellvertretenden Feuerwehrkommandanten. Er hatte sein gesamtes Erwachsenenleben in der Politik zugebracht. Besonders stolz war er auf die vier Sitze, die er in Kalifornien für die Republikaner dazugewinnen konnte, was die New York Times später einen »schmerzhaften Rückschlag« und eine »Warnung für die Demokraten« nannte.2

»Ich habe vier Sitze in Kalifornien dazugewonnen«, erzählte McCarthy den Leuten um sich herum. »Alle haben gesagt, ich würde 15 Sitze verlieren, aber wir haben keinen einzigen Sitz abgegeben.« Er ratterte eine Liste der einzelnen Sieger herunter.

Das war der kommende Inbegriff der Republikanischen Partei im Repräsentantenhaus, in privater Umgebung: trotzig und mit neuer Macht ausgestattet. McCarthy war von 2014 bis 2019 Minderheitsführer gewesen. Er glaubte an seinen Wiederaufstieg, und diesmal als Sprecher.

McCarthy legte Wert darauf, Trumps Verdienste hervorzuheben. Seine Allianz mit ihm hatte ihn ganz nah an die Mehrheit der Abgeordneten herangebracht.

McCarthys Blick richtete sich bereits auf 2022. Noch zwei Jahre durchhalten und dann Sprecher des Repräsentantenhauses werden.

»Die Mehrheit«, sagte McCarthy geradeheraus, wenn er nach seinen Prioritäten gefragt wurde.

Um das zu schaffen, schwebte McCarthy eine partielle Wiederbelebung des Ethos der inzwischen sozusagen stillgelegten Tea Party vor: Staatsausgaben kürzen, wegen der Verschuldung Alarm schlagen, Kulturkrieg und Hinwendung an Wähler, die vom politisch korrekten Washington die Nase voll haben. Er würde Wahlkampfauftritte Trumps als Unterstützung von Kandidaten fürs Repräsentantenhaus organisieren.

»Ich glaube, die Verschuldung wird ein größeres Thema werden, als die Leute glauben, weil es um den Kater danach geht — den Leuten wird ein Licht aufgehen«, meinte McCarthy. »Ich glaube, die Menschen werden aufwachen.

»Wisst ihr, wen ich einspanne? Unternehmer des Mittelstands«, ergänzte er. »Die werden Leidenschaft an den Tag legen; sie sehen, was der Missbrauch durch die Regierung für ihr eigenes Leben bedeutet.

»Wir sind die Partei des arbeitenden Volkes. Sie sind jetzt die Elitären, die uns sagen wollen, wo wir essen, was wir essen, was wir trinken sollen, was wir lesen dürfen, was richtige Nachrichten sind und was nicht«, sagte er. »Am Ende des Tages werden sie damit nicht durchkommen.«

McCarthy war pessimistisch, was das Verhältnis zu Biden anging. »Er ist ein Mann des Senats. Er wird immer nur den Senat im Auge haben.«

Biden hatte ihn noch nicht angerufen, vermerkte McCarthy, auch wenn ihm mehrere Verbündete erzählten, der Grund dafür wäre seine Weigerung, Biden als gewählten Präsidenten anzuerkennen. Nichts Persönliches.