Einundfünfzig

Im Weißen Haus suchte Keith Kellogg Ivanka Trump in ihrem Büro auf. Der Generalleutnant im Ruhestand wollte einen Bericht über die Geschehnisse vorlegen.

Er wollte auch einen Schlussstrich ziehen. Im Gegensatz zu anderen aus dem Umfeld von Pence war er nach wie vor davon überzeugt, dass Trump ein anständiger Mensch war, ein Präsident, dem eine Situation einfach ein wenig entglitten war. Er wollte nicht, dass seine Jahre an der Seite von Trump davon nun negativ geprägt sein würden.

»Ich glaube an den Präsidenten der Vereinigten Staaten. Ich bin wirklich von ihm überzeugt. Das war ich schon immer«, sagte Kellogg zu ihr. »Wenn ich Donald J. Trump loyal unterstütze, dann nehme ich ihn so, wie er ist, mit allen seinen guten und schlechten Seiten. Für mich ist die Sache entschieden.«

»Ich wünschte nur, die besonneneren Gemüter hätten sich durchgesetzt«, sagte er. »Es gab einige Stimmen, bei denen ich vorgezogen hätte, sie wären nicht im Raum gewesen.«

»Sie wissen, dass er ein sehr eigenwilliger Mensch ist«, erwiderte Ivanka.

»Das liegt in der Familie«, sagte Kellogg, der ihre Bereitschaft zu schätzen wusste, am 6. Januar der Konfrontation mit ihrem Vater nicht aus dem Weg zu gehen.

Sie war ruhig und geschäftsmäßig. Sie gab nur kurze Antworten.

Später würde Kellogg Ivanka und Jared Kushner vorschlagen, Pence die Freiheitsmedaille des Präsidenten zu verleihen, um die Beziehung zum Vizepräsidenten wieder zu verbessern.

Sie antworteten ihm: Nette Idee, aber wir müssen noch etwas Zeit verstreichen lassen. Warten wir ab, was passiert.

Der ehemalige Vizepräsident Dan Quayle rief Pence wenige Tage nach den Ausschreitungen an.

»Herzlichen Glückwunsch«, sagte Quayle. »Was Sie getan haben, war völlig richtig.«

Pence bedankte sich, war aber wortkarg.

»Wie ist Ihr Verhältnis zu Trump?«, fragte Quayle.

»Na ja, das weiß ich nicht«, sagte er.

Trump und Pence trafen sich am Montag, dem 11. Januar im Oval Office des Weißen Hauses zu ihrem ersten Gespräch seit dem 6. Januar.

Trump war den ganzen Vormittag über schlechter Laune gewesen; er schimpfte über die Professional Golfers’ Association of America, die ihr Vorhaben eines zukünftigen Major-Turniers in seinem Golfclub in New Jersey abgesagt hatte.1 Trump schien diese Nachricht härter zu treffen als die diversen Rücktritte von Kabinettsmitgliedern aufgrund der Ereignisse vom 6. Januar; er lamentierte, er habe jahrelang hart darum gekämpft, sich ein großes Golfturnier zu sichern.

Ein weiterer Tiefschlag war die Weigerung des Footballtrainers der New England Patriots, Bill Belichick, nach Washington zu kommen, um dort von Trump die Freiheitsmedaille des Präsidenten entgegenzunehmen. »Die tragischen Ereignisse der letzten Woche haben mich zu der Entscheidung veranlasst, diese Auszeichnung nicht zu akzeptieren«, sagte Belichick in einer Stellungnahme.2

Trump war verstimmt. Sein Lieblingstrainer, die Golfprofis der PGA, die Firmen — sie alle wandten sich wegen des 6. Januars von ihm ab. Er sagte, es sei eine Schande.

Bei ihrem Treffen im Oval Office entschuldigte sich Trump nicht bei Pence. Ihre Diskussion beschränkte sich auf knappe und vage Äußerungen darüber, wie sie ihre Amtszeit gemeinsam zu Ende führen würden. Pence hörte die meiste Zeit nur zu. Das Gespräch dauerte etwa eine Stunde.

»Ich möchte Sie nur wissen lassen, dass ich immer noch für Sie bete, Mr. President«, sagte Pence. »Wir haben alle eine Menge durchgemacht, es war eine schwierige Zeit für uns alle, aber ich habe damit nicht aufgehört.«

»Danke, Mike«, erwiderte Trump.

Am nächsten Tag forderte das Parlament Pence offiziell auf, sich auf den 25. Zusatzartikel zu berufen, um Trump aus dem Amt zu entfernen. Mit einem ungewöhnlich emotionalen Brief wies Pence diese Forderung zurück.3

»Letzte Woche habe ich dem Druck nicht nachgegeben, die Befugnisse zu überschreiten, die mir aufgrund meiner verfassungsmäßigen Autorität zustehen, um das Ergebnis der Wahl zu bestimmen, und ich werde auch jetzt nicht den Bemühungen des Repräsentantenhauses nachgeben, zu einem so ernsten Zeitpunkt im Leben unserer Nation politische Spielchen zu treiben«, schrieb Pence.

»In der Bibel heißt es: ›Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: […] heilen hat seine Zeit; […] bauen hat seine Zeit‹. Diese Zeit ist jetzt gekommen.«

Der zweite Antrag gegen Trump wurde am 11. Januar unter dem Aktenzeichen »H. Res. 24« eingereicht: »Einleitung eines Verfahrens zur Amtsenthebung von Donald John Trump, Präsident der Vereinigten Staaten, wegen staatsgefährdender Verbrechen und Vergehen«. Die Anklage: »Aufwiegelung zum Aufstand«.4

»Er muss abtreten«, sagte Sprecherin Pelosi am 13. Januar im Vorfeld der Abstimmung über die Amtsenthebung im Repräsentantenhaus. »Er ist eine klare und gegenwärtige Gefahr für die Nation, die wir alle lieben.«5

Die Führer der Demokraten im Parlament, deren Annäherungsversuche an Pence gescheitert waren, hofften, auf diesem Weg das Amtsenthebungsverfahren in Fahrt zu bringen.

»Es herrschte die allgemeine Auffassung, dass es schneller ginge, wenn wir einen Rücktritt erzwingen oder die Kabinettsmitglieder und Mike Pence dazu veranlassen könnten, sich auf den 25. Verfassungszusatz zu berufen«, erklärte in privatem Rahmen der Kongressabgeordnete Hakeem Jeffries aus New York, ein Mitglied der Führungsriege seiner Partei. Er stand Pelosi nahe und wurde als ihr möglicher Nachfolger gehandelt. »Aber um das tun zu können, mussten wir bereit sein, ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten.« Es ging darum, die Rahmenbedingungen für ein entsprechendes Vorgehen zu schaffen, entweder innerhalb der Trump-Regierung oder zumindest im Kongress.

Bei der Abstimmung über die Amtsenthebung im Repräsentantenhaus kamen Risse in der Grand Old Party zum Vorschein. Zehn Republikaner im Repräsentantenhaus schlossen sich den Demokraten an, darunter die Abgeordnete Liz Cheney aus Wyoming, die protokollarische Nummer drei im Parlament und Tochter des Bush-Vizepräsidenten Dick Cheney.

Das Verfahren gegen Trump wurde mit 232 zu 197 Stimmen eingeleitet, womit er zum ersten Präsidenten wurde, gegen den zweimal eine derartige Anklage erhoben wurde. Alle 222 Demokraten stimmten geschlossen dafür, unterstützt von den zehn Republikanern.

McConnell wollte sich nicht dazu äußern, ob er im Senat für eine Verurteilung Trumps stimmen würde. »Ich habe noch keine endgültige Entscheidung darüber getroffen, wie ich abstimmen werde, und ich beabsichtige, mir die rechtlichen Argumente anzuhören, wenn sie dem Senat vorgelegt werden«, schrieb er in einem Brief an die republikanischen Senatoren.6

Pence traf sich am 13. Januar in seinem Büro im Westflügel des Weißen Hauses mit Short, Obst und weiteren ehemaligen Mitarbeitern, darunter die früheren Stabschefs Nick Ayers und Josh Pitcock.

Es herrschte immer noch eine emotional angespannte Atmosphäre. Sie fanden es erschreckend, dass Meadows und Kushner die Schwere der Vorfälle und die schlechte Behandlung von Pence durch Trump zu ignorieren schienen.

Ayers, der im Dezember 2018 beinahe das Angebot angenommen hätte, Trumps Stabschef im Weißen Haus zu werden, war für das Treffen von seinem Wohnort in Georgia nach Washington geflogen. Er war wütend und unzufrieden mit Pence’ Reaktion, die er als zu nachgiebig im Sinne von »Schwamm drüber« empfand. Er sagte zu Pence, er sei nicht daran interessiert, Trump zu besuchen.

Jared Kushner tauchte bald darauf in Pence’ Büro auf und sagte, er würde gerne mit Pence darüber sprechen, wie man den Präsidenten dazu bewegen könnte, eine Erklärung abzugeben, in der er sich verpflichten würde, seine Regierungstätigkeit normal zu beenden und dann für eine geordnete Amtsübergabe zu sorgen.

»Können Sie mir helfen, den Präsidenten davon zu überzeugen, dies zu tun?«, fragte Kushner.

Na klar, antwortete Pence, lächelte und nickte. Er versprach, in Kushners Büro vorbeizuschauen.

Nachdem Kushner gegangen war, versammelte Pence seine engsten Mitarbeiter und bemerkte, es sei nett von Jared gewesen, ihn in diesen Vorgang einzubeziehen. Seine Helfer blickten ihn verständnislos an.

»Soll das ein Witz sein?«, fragte Ayers Pence. »Haben Sie uns deshalb hergebeten?«

»Sir«, sagte Ayers, »das sind Leute, die immer nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Sie haben sehr deutlich gemacht, was sie von Ihnen halten. Wie oft haben sie angerufen, als Sie im Kapitol waren?«

Obst tat Kushners Bemühungen als »Propaganda« ab, als einen Versuch Kushners, sein eigenes Image nach dem 6. Januar aufzupolieren, indem er sich als Vermittler eines Friedensschlusses mit Pence darstellte.

»Denen geht es um ihre eigenen Finanzen, nicht um das Wohl des Landes«, bemerkte Obst zu seinen Kollegen. Er fuhr fort, Kushner sei wahrscheinlich besorgt, mit dem Aufstand in Verbindung gebracht zu werden, sobald er wieder in die Privatwirtschaft zurückgekehrt sei.

Dennoch ging Pence später in Kushners Büro und machte einige Vorschläge. Am selben Abend veröffentlichte das Weiße Haus ein Video, das Trump mit verkrampften Händen am Schreibtisch zeigte. Mehrere Mitarbeiter, die bei der Herstellung dieses Clips mitgeholfen hatten, erinnerten sich, dass Trump nervös wirkte, als er über das Amtsenthebungsverfahren sprach. Er sagte, er könne den Republikanern im Senat nicht trauen. Sie könnten für seine Verurteilung stimmen.

Deshalb ist es wichtig, dass Sie dieses Video aufnehmen, sagten ihm die Berater. Sie müssen den Republikanern etwas in die Hand geben, worauf sie sich berufen können.

»Meine amerikanischen Mitbürger«, sagte Trump in dem Videoclip vom 13. Januar, »ich möchte mich sehr klar ausdrücken. Ich verurteile unmissverständlich die Gewalt, die wir letzte Woche gesehen haben. Gewalt und Vandalismus haben in unserem Land und in unserer Bewegung überhaupt nichts zu suchen.«7

Er fügte hinzu: »Wie Sie alle war auch ich schockiert und zutiefst betrübt über die Katastrophe, die sich letzte Woche im Kapitol ereignet hat. Ich möchte den Hunderten von Millionen von großartigen amerikanischen Bürgern danken, die auf diese Situation mit Ruhe, Mäßigung und Anstand reagiert haben. Wir werden auch diese Herausforderung meistern, so wie wir das immer schaffen.«

Bevor er zum Schluss kam, wetterte Trump aber noch gegen »die Bemühungen, unsere Mitbürger zu zensieren, mundtot zu machen und auf schwarze Listen zu setzen«.

Es wirkte, als wolle er seinen Anhängern ein Zeichen geben, dass er trotz dieser hölzernen präsidialen Stellungnahme im Geiste bei ihnen war.