Am 14. Januar stellte Biden dem Land seinen 1,9-Billionen-Dollar-Plan vor. Er beschrieb ihn als eine Notfallreaktion auf eine Krise, mit echtem Mitgefühl.1
»Es existiert nicht nur eine wirtschaftliche Notwendigkeit, jetzt zu handeln, sondern ich glaube, dass wir auch eine moralische Verpflichtung dazu haben«, sagte Biden. »Während dieser Amerika heimsuchenden Pandemie dürfen wir nicht zulassen, dass Menschen hungern müssen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen aus ihren Wohnungen vertrieben werden. Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wie Krankenschwestern, Erzieher und andere ihre Arbeitsplätze verlieren.«
Zu den zentralen Bestandteilen des Plans gehörte:2
1400-Dollar-Schecks für Millionen von Amerikanern
Eine zusätzliche landesweite Arbeitslosenunterstützung von 400 Dollar pro Woche, die bis September zur Verfügung stehen würde, eine Erhöhung gegenüber der Zahlung in Höhe von 300 Dollar, die im März auslaufen sollte
400 Milliarden Dollar für die Bekämpfung der Pandemie
350 Milliarden Dollar an staatlichen und lokalen Hilfen
Eine Verlängerung des erweiterten Bundesprogramms für Lebensmittelmarken bis September
30 Milliarden Dollar für die Unterstützung der Amerikaner bei Problemen mit Wohnungsmieten und Stromrechnungen
Eine enorme Ausweitung der Steuergutschrift für Kinder
Klain fand die Reaktion auf diesen Plan ermutigend — und zollte Anita Dunn Anerkennung für ihre führende Rolle bei der Vermittlung dieser Absichten und für die Gewinnung von Unterstützung aus der Wirtschaft, von Demokraten aus dem Kapitol und von Gouverneuren. Der Plan wurde ernst genommen, und die Republikaner schienen von den Folgen des 6. Januar abgelenkt zu sein; außerdem hatte sich ihre Taktik der scharfen Steuerkürzungen nach den vier Jahren der Trump-Ära erschöpft.
»Ich denke, wir haben vielleicht sogar unterschätzt, wie sehr das Land sich nach jemandem sehnte, der ihm sagen würde: Wir müssen jetzt das Folgende tun«, bemerkte Klain. »Ja, es ist ein umfangreicher und kühner Plan. Ja, das stimmt. Aber wissen Sie was? Wir haben die Nase voll von halbherzigen Maßnahmen. Wir haben es satt, dass man uns nicht die Wahrheit sagt, verstehen Sie?«
In den Gesprächsrunden des Nachrichtensenders MSNBC und in den Windungen von Twitter, wo die politisch Progressiven alle Maßnahmen Bidens kommentierten, war das Echo jedoch weit weniger enthusiastisch. Einige Mitglieder des Repräsentantenhauses kritisierten, dass die 1400-Dollar-Schecks hinter den 2000 Dollar zurückblieben, die Trump vorgeschlagen hatte.3 Andere fanden es gut, dass Biden sich ambitionierte Ziele steckte, aber würde er sich damit durchsetzen können? Oder wollte er nur ein Zeichen setzen, bevor er sich dann mit Mitch McConnell auf einen Kompromiss einigen würde?
Als McConnell Bidens Rede vom 14. Januar hörte, dachte er sich, es sei klug von diesem, sich frühzeitig an die Öffentlichkeit zu wenden, um seinen Plan zu verkünden.
»Er will so viel wie möglich so schnell wie möglich tun«, bemerkte McConnell in einem privaten Gespräch, »denn politisches Kapital ist immer vergänglich.« Wäre er an Bidens Stelle, hätte er wahrscheinlich dasselbe getan.
Aber obwohl er Bidens Vorgehensweise verstand, erinnerte McConnell seine Kollegen daran, dass seine eigenen Memoiren von 2016 den Titel The Long Game trugen (übersetzbar als Ein Spiel mit Ausdauer).4 An diesem Ansatz würde er sich auch weiterhin orientieren. Hinsetzen und abwarten.
Während der Obama-Jahre waren McConnell und Biden in der Regel nur dann zu einer Einigung gelangt, wenn sich beide Seiten »zwischen den 40-Yard-Linien« befanden, also in der Mitte des Spielfeldes, wie McConnell mit einem Ausdruck aus dem American Football den Ort der Übereinkunft nannte.
Es gab zwar viele Zeitschriftenporträts und Zeitungsberichte über die beiden, in denen sie Vereinbarungen vorbereiteten, aber McConnell wusste, dass ihre Stärke nicht die Verhandlung war. Was sie beherrschten, war, etwas zum Abschluss zu bringen. Sie waren politische Realisten.
McConnell machte es nichts aus, in einer abwartenden Haltung zu verweilen, während Biden sein großes Ausgabengesetz vorantrieb. Er war lange genug im Kongress gewesen, um beobachten zu können, wie Obama, George W. Bush, Bill Clinton und andere zum Präsidenten gewählt wurden und aggressiv auftraten, um anschließend bei den Zwischenwahlen von den Wählern dafür abgestraft zu werden.
»Joe wird nur zu seiner alten Kompromissbereitschaft zurückkehren, wenn er muss, und das wird davon abhängen, ob es ihm gelingt, seine Ziele auf einen Schlag nur mithilfe der Demokraten zu erreichen«, sagte McConnell. »Wenn er das nicht schafft, dann sind wir wieder im Spiel.«
In einer privaten Telefonkonferenz mit einigen der größten Spender seiner Partei am 14. Januar beklagte Karl Rove die mangelnde Wahlbeteiligung der Republikaner-Anhänger in bestimmten Gebieten Georgias. Es sei eine Katastrophe, aber schlimmer noch, es zeichne sich ab, dass diese Katastrophe sich wiederholen werde, wenn Trump und seine Verbündeten weiterhin Zweifel an der Integrität der Wahl säen würden.
»Im Wesentlichen gebe ich die Schuld dafür den Hardcore-Trump-Anhängern, die den Eindruck gewonnen hatten, dass es sich nicht lohnte, erneut zur Wahl zu gehen, weil die Wahl im November angeblich manipuliert worden war und es bei der Stichwahl nicht anders sein würde«, erklärte Rove. »Das zweite Problem war, dass unsere Gegner ganze Arbeit geleistet haben. Die schwarze Wahlbeteiligung hatte diesmal einen größeren Anteil an der Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen.«
Gegen Ende des Gesprächs äußerte ein Spender gegenüber Rove die dringende Bitte, ihm und allen eher »altmodischen« Republikanern seine Einschätzung der Zukunft der Partei zu verraten, die Aussichten nach dem Ende der Trump-Ära und nach den Ereignissen vom 6. Januar.5
»Wie tief ist Ihres Erachtens die Spaltung, und was werden die Auswirkungen der vergangenen Monate sein?«, fragte der Spender.
»Ich denke, es gibt tiefe Gräben in unserer Partei«, sagte Rove. Aber er mache sich vor allem Sorgen, dass an der Basis der Grand Old Party »eine große Anzahl von Amerikanern glaubt, dass die Wahl gestohlen wurde«. Diese hätten eine andere Auffassung der Realität.
»Schauen Sie, ich habe schon einige Präsidentschaftswahlen miterlebt. Aber diesmal hatte der Präsident mehr als 50 Mal die Gelegenheit dazu, seine Anklage vor Gericht vorzutragen. Und ich habe mich bemüht, Verhandlungen beizuwohnen und die Schriftsätze zu lesen. Der Inhalt dieser Schriftsätze stimmt nicht mit der Rhetorik des Präsidenten überein«, erklärte er. »Dennoch gibt es eine große Anzahl von Menschen, die glauben, dass ihm die Wahl gestohlen wurde, und das ist ihr wichtigster Bezugspunkt.«
In Zukunft, so Rove, »wird sich die Frage stellen, ob es Menschen gibt, die ihre ganze Existenz von der Spaltung und Uneinigkeit in der Partei abhängig machen, die um des Kämpfens willen kämpfen. Die sagen: ›Hör zu, du darfst mir nicht widersprechen: Wenn du nicht auf meiner Seite stehst, bist du eine Null und ich werde dich dafür bestrafen.‹ Eine derartige Einstellung halte ich für sehr problematisch.«
»Insofern habe ich keine gute Antwort auf Ihre Frage nach der Zukunft unserer Partei.«
Trump erhielt seine Behauptungen bezüglich der Wahl aufrecht und traf sich weiterhin mit Verbündeten, die glaubten, die Wahl sei ihm gestohlen worden.
Am 15. Januar machte der Fotograf der Washington Post Jabin Botsford ein Foto von Mike Lindell, dem konservativen Trump-Verbündeten und Geschäftsführer von MyPillow, während dieser auf den Westflügel des Weißen Hauses zusteuerte, um sich dort mit Trump zu treffen.6 Lindell war eine feste Größe bei Fox News und anderen Sendern, wo er ständig von Wahlbetrug in den Bundesstaaten sprach.
Auf Botsfords Aufnahme war ein Teil des Memorandums erkennbar, das Lindell in der Hand hielt; dort stand »sofort das Aufstandsgesetz« und »Kriegsrecht, wenn nötig«.
Trumps Stimmung am Vorabend von Bidens Amtseinführung war gedrückt. Seine Helfer hatten ihn am 19. Januar gegen 19 Uhr durch die offene Tür des Oval Office dabei beobachtet, wie er einen handschriftlichen Brief an Biden verfasste. Er hatte zuvor einige von ihnen um Ratschläge gebeten. Sie legten ihm nahe, eine konstruktive Haltung einzunehmen. Aber Trump verfasste den Brief dann allein und behielt den Inhalt für sich.
Gegen 22 Uhr telefonierte Trump mit Kevin McCarthy, dem Minderheitsführer des Repräsentantenhauses.
»Ich habe den Brief gerade fertiggestellt.«
McCarthy antwortete, er freue sich, dies zu hören. Er hatte Trump schon seit Wochen aufgefordert, ein derartiges Schreiben zu verfassen.
Dann wurde McCarthy emotional. Trump hatte nicht vor, an der Amtseinführung teilzunehmen. Er war in einer ganz anderen Befindlichkeit als während ihrer gemeinsam verbrachten Stunden in Mar-a-Lago und an Bord der Air Force One, wo sie politische Neuigkeiten diskutierten und Starbursts aßen, Trumps bevorzugte Süßigkeiten.
»Ich weiß nicht, was in den letzten zwei Monaten mit Ihnen passiert ist«, sagte McCarthy. »Sie sind nicht mehr derselbe, der Sie vier Jahre lang waren. Sie haben gute Sachen gemacht und Sie wollen doch, dass man sich dafür an Sie erinnert. Rufen Sie Joe Biden an.«
Trump wies das Ansinnen zurück. McCarthy erklärte ihm, es sei wichtig für das Land, dass eine Art von Gespräch stattfinde. Um den Machtwechsel sichtbar zu machen.
»Tun Sie es für mich.«
McCarthy war aufgebracht.
»Sie müssen ihn anrufen. Rufen Sie Joe Biden an.«
Nein, erwiderte Trump.
»Rufen Sie Joe Biden an.«
Nein.
»Rufen Sie Joe Biden an!«
Nein.
Dann wechselte Trump das Thema.
Es gab Gerüchte, dass Trump über einen Austritt aus der Grand Old Party nachdachte.
»Ich werde die Partei keineswegs verlassen. Ich werde Ihnen helfen«, sagte er. Dann gab er McCarthy seine neue Telefonnummer in Florida.
Trump hat Biden nie angerufen.
Später in jener Nacht war Trump im Weißen Haus damit beschäftigt zu entscheiden, wer begnadigt werden sollte. Die wichtigste Frage war jedoch, ob er selbst eine Begnadigung erhalten sollte.
Da mehrere gegen ihn laufende Ermittlungsverfahren, insbesondere in New York, sich im Januar auszuweiten schienen, äußerte Trump gegenüber Graham: »Man versucht, meine Familie zu zerstören.« Begnadigungen für alle Mitglieder seiner Familie wären eine Möglichkeit. Dann fragte Trump Graham, ob er sich selbst begnadigen solle.
»Eine Selbstbegnadigung wäre eine schlechte Idee«, erwiderte Graham, »eine schlechte Idee für die Präsidentschaft, eine schlechte Idee für Sie.«
Eine Selbstbegnadigung würde auch kein Allheilmittel für Trumps Probleme mit der Justiz sein, erklärten ihm seine Anwälte. Der Bezirksstaatsanwalt von Manhattan, Cyrus Vance, der dabei war, die Geschäftsmethoden der Trump Organization zu untersuchen, würde weiter ermitteln können. Eine Begnadigung durch den Präsidenten gilt nur für Verstöße gegen nationale Gesetze, nicht gegen bundesstaatliche.
Trump verzichtete auf die Selbstbegnadigung, unterzeichnete aber in den letzten, hektisch betriebsamen Stunden seiner Amtszeit eine große Zahl anderer Begnadigungen. Mehr als 140 Personen wurden am 19. Januar kurz vor Mitternacht mit einem Federstrich von Trump begnadigt, darunter Bannon, der Rapper Lil Wayne, der ehemalige Bürgermeister von Detroit, Kwame Kilpatrick, und zahlreiche weitere Verbündete aus Politik und Wirtschaft.7
Für Biden verlief der Vorabend seiner Amtseinführung in gedämpfterer Atmosphäre. Als er am 19. Januar vor dem nach seinem verstorbenen Sohn benannten Hauptquartier der Nationalgarde von Delaware, dem Major Joseph R. »Beau« Biden III National Guard Reserve Center in New Castle, stand, sagte der designierte Präsident, er bedauere nur eines: »Er ist nicht hier.«
»Wir würden ihn als Präsident vorstellen«, sagte Biden.
Für den Bruchteil einer Sekunde brach Bidens Stimme jäh ab und überschlug sich.8 Sein Gesicht verzog sich vor Schmerz.
Eine Sekunde später fuhr er bereits mit seiner Rede fort. Aber durch das Schimmern der Lichter in der Nähe der Bühne konnte man erkennen, dass ihm Tränen über die Wangen liefen.