Die Sicherheitsmaßnahmen erfüllten ihren Zweck in einem scheinbar verschanzten Washington. Die Planungen, Vorbereitungen und Sorgen, von der Sitzung in der Conmy Hall bis zu den Truppen und Polizisten auf den Straßen, hatten offenbar jede drohende Gewalt verhindert.
Klain und Sullivan blieben, mit verschiedenen anderen Mitarbeitern, darunter auch Bidens Heimatschutzberaterin Elizabeth Sherwood-Randall, am 20. Januar mehr als eine Stunde lang im Situation Room und überwachten alles.
Bei seiner Ankunft im Oval Office nach 16 Uhr begrüßte Biden sein Team und fragte Klain, was er ihm zur Unterzeichnung vorlegen könne. Wo war die Arbeit? Legen wir los, sagte er.
Biden unterzeichnete 15 Exekutivanordnungen und zwei behördliche Richtlinien und damit, wie Jen Psaki später schrieb, sehr viel mehr als Trumps zwei Anordnungen an seinem ersten Tag.1
Durch viele seiner Unterschriften machte er wichtige Punkte von Trumps Agenda rückgängig. So wurde eine Maskenpflicht in Bundesgebäuden eingeführt. Die Baugenehmigung für die Keystone-XL-Pipeline wurde zurückgezogen. Die politischen Verbindungen zur Weltgesundheitsorganisation und zum Pariser Klimaabkommen wurden wieder aufgenommen. Der nationale Notstand, den Trump eingeführt hatte, um sich Gelder für den Bau der Grenzmauer zu sichern, wurde beendet. Das Einreiseverbot aus einigen Ländern mit überwiegend muslimischer Bevölkerung wurde aufgehoben.
In einer Schublade des Schreibtischs hatte Trump einen Brief für Biden hinterlassen. Biden steckte ihn in die Tasche, ohne ihn mit seinen Beratern zu teilen.
Dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf das Virus.
Während Biden sich an jenem Morgen des 20. Januar auf den Weg zum Kapitol machte, bereitete die 30-jährige Sonya Bernstein, eine von Jeff Zients’ Stellvertreterinnen, den Start des Coronavirus-Reaktionsplans des Präsidenten für Punkt 12 Uhr vor.
Bernstein war zuvor Assistentin von Etatdirektorin Sylvia Burwell gewesen und hatte seit Monaten in ihrer Untergeschosswohnung in Mount Pleasant, D. C., daran gearbeitet. Sie bezeichnete die Wohnung scherzhaft als Kommandozentrum. Bei ihrem früheren Job im öffentlichen Krankenhaussystem in New York City hatte sie erlebt, wie die Fallzahlen im ersten albtraumhaften Ausbruch der Pandemie in die Höhe schossen und Krankenhäuser und medizinisches Personal überwältigten.
Jeden Tag hatte sie beim Aufwachen an die vielen Todesopfer gedacht und gehofft, dass es morgen besser werden würde, aber die Sterbezahlen waren immer weiter gestiegen. Es hatte ihr sehr zugesetzt, und sie hatte sofort die Chance ergriffen, Biden dabei zu unterstützen, eine andere Richtung einzuschlagen.
Bernstein nahm am Morgen der Amtseinführung an einer Videokonferenz teil. Es gab eine ausführliche To-do-Liste und eine Aufstellung aller Bundesbehörden und Unterbehörden. Sie besprachen die wichtigsten Fragen und Maßnahmen. Sie mussten in wenigen Tagen von null auf hundert beschleunigen.
Eine Infrastruktur für Covid-Tests musste rasch aufgebaut werden. Finanzierung, Personal und Ausrüstung für die Beschaffung der Impfstoffe, Impfärzte und geeignete Örtlichkeiten mussten gefunden werden. Normale Apotheken gaben keine Impfstoffe aus, und Zients wollte ein Apothekenprogramm aufbauen. Lehrer sollten bei der Impfung Priorität bekommen, denn Biden wollte die Schulen wieder öffnen lassen. Lieferketten mussten verbessert werden.
Vertreter aus den Ministerien für Heimatschutz, Verteidigung, Gesundheit und Soziales kamen zur Videokonferenz dazu. Sie alle waren gern bereit, einen Platz am Zoom-Tisch einzunehmen.
Bernstein konnte fast fühlen, wie die Impfstoffe in die Arme der Menschen flossen.
Am Nachmittag des 25. Januar, einem Montag, traf sich Zients mit Biden und Vizepräsidentin Harris im Oval Office, um über die Impfstoffverteilung zu sprechen.
Das Trump-Team hatte ausgedehnte Verhandlungen mit Pfizer über weitere 100 Millionen Dosen geführt, aber nicht bestellt.
»Mr. President«, sagte Zients. »Ich glaube, wir haben hier die Chance, über den Sommer mehr Dosen geliefert zu bekommen, wenn wir schnell handeln, und ich denke, wir sollten Nägel mit Köpfen machen.« Die Gesamtkosten für 100 Millionen weitere Dosen Pfizer-Impfstoff beliefen sich auf 4 Milliarden Dollar.
Wir befinden uns im Krieg, sagte Biden und griff die Empfehlung umgehend auf. »Das schlimmstmögliche Szenario ist in diesem Fall gar kein schlimmes Szenario«, fügte er hinzu. »Es bedeutet nur, dass wir überschüssige Impfdosen haben.«
Zients stimmte ihm zu. »Man läuft nie nur bis zur Spitze eines Hügels, oder? Man läuft immer darüber hinaus«, sagte er. Sie wollten das Problem überwältigen.
»Wie zuversichtlich sind Sie, dass der Hersteller liefern kann?«, fragte Biden.
»Schiefgehen kann immer etwas«, antwortete Zients. »Aber wir werden es sehr aufmerksam überwachen. Wir werden unser ganzes Gewicht in die Waagschale werfen, auch den Defense Production Act, um die Hersteller dabei zu unterstützen, dass sie rechtzeitig oder vor dem Termin liefern können. Wenn wir es beschleunigen können, werden wir das tun.«
»Das klingt für mich auf jeden Fall nach der richtigen Entscheidung«, sagte Biden. »Da muss man nicht lange nachdenken.«
Biden wollte die zusätzlichen 100 Millionen Pfizer-Dosen am nächsten Tag ankündigen.2 Er genehmigte auch den Kauf von 100 Millionen weiteren Moderna-Dosen, und die 200 Millionen zusätzlichen Dosen kamen zu den bereits georderten 400 Millionen Dosen hinzu, sodass die USA über 600 Millionen Dosen verfügten — ausreichend viele, um 300 Millionen Amerikaner mit der notwendigen Doppeldosis zu versorgen.
Doch Biden hatte noch mehr Fragen an Zients. »Können wir irgendetwas tun, um die Sache zu beschleunigen? Wie stellen wir fest, ob die Hersteller rechtzeitig liefern können? Wie geht es mit den Bestellungen für Schutzmasken voran?«
Biden hatte angeordnet, dass alle Amerikaner in seinen ersten 100 Amtstagen Masken tragen sollten.3 Das Tragen von Masken war der schnellste und einfachste Weg, um Leben zu retten, war aber nach der unklaren Berichterstattung aus Trumps Weißem Haus, ob es denn notwendig sei oder nicht, stark politisch aufgeladen worden.
»Was unternehmen wir, um Massenimpfzentren aufzubauen?«, fragte Biden Zients.
Die FEMA mache Fortschritte, antwortete Zients. Bis Ende März würden 21 große Impfzentren in Betrieb sein und bei Vollbetrieb 71.000 Impfdosen pro Tag verabreichen können.
»Sind die alle in großen Stadien?«
Nein.
»Mobile Impfteams?«
Das war ein Überbegriff für die Maßnahmen, mit denen Impfdienste in die Gemeinden gehen und dort spezielle Bevölkerungsgruppen erreichen sollten.
»Wie schicken wir die in ländliche Gegenden und schwer zu erreichende Gebiete und stellen sicher, dass die Impfstoffe gerecht verteilt werden?«, fragte Biden.
Einige Daten zeigten, dass die Impfstoffe noch nicht gleichmäßig verteilt würden, antwortete Zients.
Biden wies ihn an, sie müssten sich auf eine gerechte Verteilung konzentrieren. Er wolle, dass alle Mittel und Möglichkeiten der Bundesregierung zum Einsatz kämen.
»Tun wir, was wir können, damit die Menschen Masken tragen«, sagte er. »Tun wir, was wir können, damit wir so schnell wie möglich Impfstoffe bekommen. Tun wir, was wir können, damit die Menschen sich an mehr Orten impfen lassen können, um mehr Impfärzte und mehr Nadeln in Arme zu bekommen.«