Siebenundfünfzig

Während Biden sich im Oval Office von den Senatoren verabschiedete, trat Senator Portman auf Steve Ricchetti zu. Das sei ein gutes, konstruktives Treffen gewesen, sagte er. Ricchetti, der nur selten E-Mails nutzt und in jeder Situation übervorsichtig ist, antwortete knapp. Dann wandte sich Portman an Ron Klain.

»Das war ein gutes Treffen«, sagte er. »Vielen Dank für die Einladung.« Wenn sie so weitermachten, bewegten sie sich in die richtige Richtung.

»Aber wenn Sie ein Reconciliation-Verfahren anstreben, wird das für eine schlechte Atmosphäre sorgen.«

»Wir haben lange an diesem Paket gearbeitet, Senator Portman«, sagte Klain. »Und ich behaupte nicht, dass es bei jedem Dollar um Leben und Tod geht. Aber wir werden auf jeden Fall etwas brauchen, das unserem Vorschlag sehr nahekommt, um dieses Virus zu besiegen und die Wirtschaft zu retten.«

»Wir fordern hier nicht einfach nur viel Geld«, fuhr er fort. »Dies ist ein Plan, den wir zusammengestellt haben. Und bei 600 Milliarden, oder eigentlich nur 500 Milliarden, wenn man den eigentlichen Geldbetrag berücksichtigt, der in Ihrem Plan steckt, sind wir meilenweit voneinander entfernt.«

»Sie sind hergekommen und haben uns die Pistole auf die Brust gesetzt. Das ist kein gutes Treffen.«

»Das haben wir ganz und gar nicht getan, Ron«, widersprach Portman. »Wir haben Sie nicht unter Druck gesetzt. Wir haben uns Ihre Argumente angehört. Sie haben sich unsere angehört. Jetzt könnten wir ein erneutes Treffen vereinbaren, um das Gespräch in Gang zu halten.«

»Okay«, sagte Klain. »Okay.«

Klain hat das ganze Treffen fehlgedeutet, dachte Portman. Die Republikaner hatten bei Biden vorgefühlt, aber ihm kein Ultimatum gestellt. Diese zehn Senatoren waren gemäßigt, nicht wie McConnell oder die streng konservativen Abgeordneten des Freedom Caucus.

Klain verstand Portmans Anmerkung zum Treffen so, dass dies kein aggressiver Schachzug war, sondern die Grundlagen für spätere Verhandlungen legen sollte. Portman stand McConnell nahe und war ein altgedienter finanzpolitischer Verhandler. Als Handelsvertreter hatte er mit 30 Ländern verhandelt und war in die direkte Konfrontation mit China gegangen. Er würde keine Bereitschaft zu weiteren Verhandlungen andeuten, wenn er es nicht so meinte.

Collins war hocherfreut. »Das war ein sehr guter Meinungsaustausch«, erklärte sie Reportern, als sie am selben Abend im Wintermantel vor dem Weißen Haus stand. »Wir haben heute keine Einigung erzielt. Aber das hat auch niemand von diesem zweistündigen Treffen erwartet.«1

»Wir haben uns allerdings darauf geeinigt, dass wir das Thema bei weiteren Treffen wieder aufgreifen werden«, fügte sie hinzu.

Später sagte sie bei einem privaten Treffen: »Ich habe richtig geschwärmt und es auch so gemeint, weil der Präsident sich zwei Stunden Zeit für uns genommen hat! Er hat uns aufmerksam zugehört. Aus meiner Sicht war es ein exzellentes, produktives Gespräch.«

Später fragte The Washington Post beim Pressedienst des Weißen Hauses an, ob Bidens Socken mit den blauen Hunden etwas über seine Politik aussagen sollten. Blaue Hunde sind das Maskottchen für gemäßigte Demokraten.

»Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass er dabei eine unterschwellige Botschaft im Sinn hatte«, erklärte ein Mitarbeiter, der bezüglich der Socken-Sache anonym bleiben wollte, gegenüber der Zeitung.

»Ich bin mir fast sicher«, fügte er hinzu. »Es ist interessant, aber meiner Meinung nach rein zufällig.«2

Ohne Wissen der republikanischen Senatoren, die am 1. Februar das Weiße Haus verließen, hatte Biden Manchin, den wohl konservativsten Senator der Demokraten, am selben Abend zu einem persönlichen Gespräch eingeladen.

Manchin hatte im Erdgeschoss des Weißen Hauses gewartet, während sich das Treffen mit den Republikanern eine Stunde länger als geplant hinzog. Er versteckte sich fast, damit ihn weder Reporter noch die Republikaner sahen.

Manchin hatte von 2005 bis 2010 als Gouverneur von West Virginia gedient, bevor er in den Senat gewählt wurde. Mit 1,90 Meter Körpergröße und breiten Schultern strahlte er das Selbstbewusstsein eines ehemaligen College-Sportlers aus. Er hatte ein Football-Stipendium für die West Virginia University gewonnen und war seit der Kindheit mit Nick Saban befreundet, dem legendären Footballcoach an der Universität von Alabama, der ebenfalls aus Farmington in West Virginia stammte.

Manchin war bei den Demokraten dafür bekannt, bei Abstimmungen unberechenbar zu sein. Er war durchaus gesellig, spielte in der Politik aber gern den einsamen Wolf. Während der Sitzungsperioden des Senats wohnte er auf einem Hausboot, Almost Heaven, das im Washington Channel des Potomac festgemacht war. Seine Südstaaten-Art half ihm, in West Virginia zu überleben, wo er als einziger Demokrat ein staatsweites Amt innehatte. Trump hatte 2020 den Staat mit 39 Prozentpunkten Vorsprung gewonnen.

Machin brüstete sich damit, dass er so gute Beziehungen zur anderen Partei pflegte, dass er nie gegen einen Republikaner Wahlkampf geführt hatte.

In einem Senat mit 50:50-Verteilung verlieh Manchins Unabhängigkeit ihm enorme Macht. Wenn er nicht mitmachte, konnte jede Abstimmung scheitern. Dann müsste Biden einen Republikaner finden, der die Stimmenzahl wieder auf 50 brachte, sodass Harris die Abstimmung entscheiden konnte. Aber das war unwahrscheinlich, denn McConnell hielt die GOP im Senat im Klammergriff.

Manchin und Biden kannten sich seit Manchins Anfangsjahren im Senat, als Biden Vizepräsident gewesen war. »Das verstehe ich, Joe«, sagte Biden zu Manchins Ausführungen darüber, wie es war, ein Demokrat in einem konservativen Staat zu sein. Delaware galt als der wirtschaftsfreundlichste Staat im Land. »Sagen Sie mir, was ich tun kann. Ich kann für Sie sein oder gegen Sie, wie es Ihnen am meisten nützt.«

Biden wusste, dass Manchin schwer zu überzeugen sein würde, auch wenn West Virginia durch den Plan viel Geld erhalten würde. Man konnte ihn nicht kaufen, man musste ihn für sich gewinnen.

Manchins Mantra war: »Wenn ich es zu Hause erklären kann, dann stimme ich dafür. Wenn ich es nicht erklären kann, dann kann ich nicht dafür stimmen.« Aber er war auch starrköpfig, und wenn er am Anfang Nein sagte, dann blieb er oft dabei.

Einmal widersetzte sich Manchin der Parteilinie und sagte davor zu Harry Reid, dem Mehrheitsführer: »Harry, diesen Scheiß kann ich in West Virginia nicht einmal an meinem besten Tag verkaufen.« Sein Deal mit Reid war: »Harry, ich halte es für das Beste, wenn ich Ihnen einfach sage, wie ich abstimmen werde, damit es keine Überraschungen gibt, so wissen Sie immer, wo ich stehe.«

Biden und Manchin setzten sich spät am 1. Februar allein im Oval Office zusammen. Joe mit Joe.

Biden sagte: »Joe, ich habe diese Situationen schon erlebt, und ich versuche, eine Lösung zu finden. Ich bevorzuge einen überparteilichen Weg, aber der braucht Zeit. Leider haben wir in diesem Fall keine Zeit wegen der Pandemie und der Wirtschaft.« Es gab einen Stichtag, den 14. März, an dem das erhöhte Arbeitslosengeld auslief.

»Das ist so wichtig«, betonte Biden. Er erinnerte sich an die Arbeit am Affordable Care Act für Obama im Jahr 2009. »Ich habe über die Parteigrenzen hinweg gearbeitet, das wissen Sie.«

»Ich weiß, dass Sie das tun, Mr. President«, sagte Manchin. »Ich weiß, wie es in Ihnen drinnen aussieht.«

»Ich verstehe Ihren Standpunkt«, sprach Biden weiter. »Aber ich möchte es Ihnen erklären. Ich habe damals mit denen sieben oder acht Monate lang an einem Kompromiss für den Affordable Care Act gearbeitet. Jetzt haben wir die Covid-Pandemie, und da spielt Zeit eine wichtige Rolle. Ich kann nicht sechs oder sieben Monate lang verhandeln.«

Manchin meinte, er wolle, dass President Biden, wie alle Präsidenten, Erfolg habe, und werde nicht zulassen, dass er scheiterte.

Es war keine Verhandlung. Es wurde nur über wenige Details gesprochen. Manchin wollte ein paar Änderungen, aber er würde dazu beitragen, dass sie etwas hinbekamen.

Später am selben Abend besprachen Biden und Klain die Sitzungen mit den republikanischen Senatoren und Senator Manchin.

»Es lief ganz gut, denke ich«, sagte Biden über das GOP-Treffen. »Offensichtlich liegen unsere Positionen weit auseinander.«

»Sie sind in den ganzen zwei Stunden kein einziges Mal von ihren 618 Milliarden Dollar abgerückt«, schimpfte Klain. »Sie haben nicht einmal gesagt, vielleicht legen wir was drauf oder vielleicht geben wir Ihnen mehr Geld dafür oder vielleicht treffen wir uns bei den Schulen in der Mitte.«

Der Präsident wollte 170 Milliarden Dollar, um die Schulen wieder aufzumachen, die Republikaner boten 20 Milliarden. »Ja, es war ein freundliches Gespräch«, sagte Biden. Aber mit keinerlei Bewegung.

Klain berichtete, dass Portman ein Gegenangebot angekündigt hatte.

»Na, das klingt doch gut«, meinte Biden. Er schätzte die Chance, dass mit den Republikanern etwas zu erreichen war, auf 20 bis 25 Prozent. Keine guten Chancen, aber es war immerhin möglich.

Eins war sicher: Sie wollten nicht zu einem »Charlie Brown« gemacht werden. Sie hatten das schon früher erlebt, dass die Republikaner im Senat den Football in letzter Minute weggezogen hatten, bevor sie zutreten konnten. Sie konnten nicht ewig warten. Selbst wenn acht der zehn Republikaner vom Treffen für Bidens Antrag stimmten, wären es nicht genug — 58 Stimmen waren zwei weniger als die 60, die notwendig waren, um einen Filibuster abzuwenden.

Klain und Biden waren sich einig, dass ein Reconciliation-Verfahren nur mit Demokraten wahrscheinlich unvermeidbar war. Die zehn Republikaner waren zu weit von Bidens Zahlen entfernt. Biden brauchte nun einen ordentlichen Vorschlag von ihnen, ein Zeichen, dass sie kompromissbereit waren — eine Anerkenntnis seines politischen Kapitals und der Macht der Demokraten in diesem neuen Washington. Das hätte ein Zündfunke sein können. Aber es gab keinen.

Selbst als Biden den Sieg in Georgia und sein Versprechen bezüglich der Schecks aufs Tapet gebracht hatte, war es so, als wollten die Republikaner das nicht akzeptieren.

Kurz darauf kommunizierte Klain vertraulich mit den Fraktionssprechern im Kongress. Sie wollten die Tür für die Republikaner offen halten, damit sie zurückkommen und mit ihnen an einzelnen Punkten des 1,9-Billionen-Dollar-Antrags arbeiten konnten, aber Biden wollte die Sache vorantreiben. Keine Pause.

Sprecherin Pelosi war an Bord und sagte ihren Verbündeten im Weißen Haus und im Kapitol, sie finde es völlig in Ordnung, dass die Republikaner sich mit Biden getroffen hatten. Aber 618 Milliarden Dollar? »Das meinen die nicht ernst«, meinte sie.

»Sie haben nicht verstanden, was der Präsident gesagt hat«, vermutete Pelosi. Einen abgemilderten Plan konnte sie ihren Mitgliedern nicht verkaufen. »Wem streichen Sie das Geld? Streichen Sie das Essen für die Kinder? Die Wohnungen für ihre Familien? Die direkten Zahlungen? Die Arbeitslosenhilfe? Streichen Sie die Impfstoffe?«

Pelosi hatte ihre Gefühle bereits am Sonntag vor der Amtseinführung gegenüber Biden zum Ausdruck gebracht. Sie hatten bereits seit Jahrzehnten das Auf und Ab in Washington miterlebt. Sie hatte ihn gedrängt, schnell loszulegen und gleich in die Vollen zu gehen, für das Land und für die Demokraten, und nicht auf die Republikaner zu warten.

»Nach all den Bewerbungen für das Präsidentenamt ist das jetzt Ihre Zeit«, sagte Pelosi. »Wir haben über uns immer gesagt: ›Die Zeiten haben uns gefunden.‹ Nun, die Zeiten haben Sie gefunden.«