Senator Sanders, Bidens größter Gegner, der zum wichtigen Unterstützer wurde, und andere demokratische Senatoren, wie Debbie Stabenow aus Michigan, Jon Tester aus Montana und Brian Schatz aus Hawaii, standen am 3. Februar vor dem Oval Office. Sie blickten um sich und lachten. Trump war nicht mehr da.
»Manchmal hatte ich Panikattacken, wenn ich da herauskam«, erzählte Stabenow in Erinnerung an ihre vergangenen Besuche bei Trump. »Niemand hatte je gute Laune, wenn er da hineinging oder herauskam, und den meisten stand danach das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Nach dem Motto: ›Oh mein Gott, ich kann es nicht fassen.‹«
Als Stabenow dieses Mal das Oval Office betrat, sagte sie zu Biden: »Sie können mein strahlendes Lächeln durch die Maske nicht sehen, aber ich versichere Ihnen, dass ich darunter strahle.«
Biden und seine wichtigsten Mitarbeiter im Weißen Haus hatten ihre Aufmerksamkeit schnell von Collins, Portman und den anderen Republikanern weg und auf Pelosi, Schumer und die Demokraten im Kongress gelenkt. Sie wollten den Plan weiter vorantreiben und für Bewegung auf ihrer Seite sorgen.
Schumers Antrag auf ein Reconciliation-Verfahren für den Rettungsplan hatte die Demokraten im Senat in Hochstimmung versetzt — ein Zeichen, dass sie wichtig und dieses Mal nicht nur Nebendarsteller waren. Sie hatten es satt zuzusehen, wie die Gemäßigten und die geschäftigen »Gangs« der politischen Mitte die Deals und Schlagzeilen bestimmten.
Biden kam gleich zur Sache. Die Vereinigten Staaten befänden sich in einer historischen Krise, sagte er. Er zog seine Karte mit der Anzahl der Impfungen vom Vortag hervor — mehr als 1,5 Millionen Menschen.
Wir werden in den ersten 100 Tagen besser vorankommen, als wir ursprünglich dachten, sagte Biden. Aber das ist noch nicht alles. Wir haben diesen Rettungsplan, und ohne Sie wird er nicht klappen. Wir alle müssen ein Team bilden, als Demokraten, sagte er.
Dann fing Biden an, durch den Raum zu wandern und nach Input zu fragen, nicht nur für das Konzept an sich, sondern auch dafür, wie man es dem Land am besten verkauft. Das ist ein unglaublicher Moment für die Nation und für uns, sagte er.
Das gehörte zu Bidens Stil. Er wollte Einzelheiten. Manche hielten ihn für einen Streber. Andere sahen in ihm einen Präsidenten, der nicht unvorbereitet oder verwirrt wirken wollte, wie es gelegentlich während des Wahlkampfs gewesen war. Trump hatte Biden wiederholt aufgefordert, seine kognitive Gesundheit überprüfen zu lassen, und seine geistige Leistungsfähigkeit infrage gestellt. »Irgendwas ist da los«, hatte Trump zu seinen Mitarbeitern gesagt.
Biden verabscheute Trumps Sticheleien und stellte als Präsident sicher, dass er gegenüber Reportern aufmerksam blieb.
»Was werden sie mir zurufen?«, fragte Biden oft seine Mitarbeiter, bevor er Pressevertreter im Oval Office zu einem Fototermin empfing. »Was werden sie fragen?«
Am 3. Februar wandte sich Biden dem Raum voller Senatoren zu und wies mit dem Kopf auf das Roosevelt-Porträt. Schreckliche Zeiten bringen große Präsidenten hervor, sagte er.
»Ich wäre viel lieber ein guter Präsident geworden, aber so ist es jetzt eben.«
Er sprach über das Treffen vom 1. Februar mit den republikanischen Senatoren. Wenn wir die Republikaner zum Mitmachen bewegen könnten, wäre das toll, sagte er. Aber ich habe mich gerade erst mit ihnen getroffen und habe nicht das Gefühl, dass sie es ernsthaft wollen. Aber wir werden es versuchen. Am Ende sind wir es, die dafür sorgen müssen, dass wir es hinkriegen.
Ich weiß, dass manche von Ihnen mit den gemäßigten Republikanern reden, und das ist großartig, fuhr er fort. Wenn Sie mehr Unterstützung bekommen, können wir das gut gebrauchen. Das wäre mir lieber, Sie kennen mich. Aber entscheidend ist, dass wir etwas für die Menschen tun.
Stabenow sagte, Überparteilichkeit werde in der Biden-Ära neu definiert und bedeute jetzt nicht mehr in erster Linie, Kompromisse mit republikanischen Abgeordneten zu schließen, sondern eine Politik zu verfolgen, die sowohl demokratische als auch republikanische Wähler ansprach. Die Demokraten sollten sich auf diese Wähler konzentrieren und nicht auf die zersplitterten, wankelmütigen Parteisprecher der GOP im Kongress. Biden stimmte ihr zu. Sie sollten die Wähler direkt ansprechen.
Der 64-jährige Senator Jon Tester aus Montana, ein sanfter Riese mit Militärhaarschnitt, sagte Biden, er sei zum ersten Mal im Oval Office. Seiner Stimme hörte man die Rührung an. Er saß seit 2007 im Senat, seit 14 Jahren, durch die Amtszeiten von Obama und Trump hindurch, und heute war er zum ersten Mal hier.
»Ein ziemlich unglaublicher Raum, es war ziemlich cool«, sagte Tester später gegenüber einem lokalen Nachrichtensender. Er grinste. »Es ist wirklich ein ovales Büro. Sogar die Türen sind oval.«1
Sanders, inzwischen Vorsitzender des Senate Budget Committees, ergriff das Wort. Kürzen Sie nichts, beschwor er ihn. Dabei gehe es nicht allein darum, ein riesiges Rettungspaket zu beschließen, sondern man werde sich so die Wählerstimmen der Arbeiterklasse für eine ganze Generation sichern. Es gehe darum zu beweisen, dass die Bundesregierung funktionierte. Trump hatte diese Wählerschaft mit seinem Handelskrieg und den Strafzöllen gegen China gestohlen. Um sie zurückzugewinnen, musste man sie davon überzeugen, dass die Demokraten auf ihrer Seite waren, sich um die Arbeiterklasse kümmerten.
Die Zukunft der amerikanischen Demokratie hänge davon ab, welche Partei die Partei der Arbeiterklasse sei, fügte der 79-jährige Sanders in seinem kratzigen Brooklyner Akzent hinzu. Die Demokraten müssten die Menschen am Rande der Gesellschaft wirklich ansprechen, diejenigen, die zu kämpfen hatten. Seiner Meinung nach biedere sich die Demokratische Partei zu sehr bei den Eliten an, den Gebildeten mit Macht und Verbindungen.
Er suche den bodenständigen Einfluss, nicht den roten Faden der Eliteuniversitäten, der Bidens inneren Kreis prägte.
»Wenn wir nicht liefern können, dann können wir den Vormarsch des Autoritarismus womöglich nicht aufhalten«, meinte Sanders.
Sanders war in Flatbush, Brooklyn, als Sohn eines polnischen Immigranten aufgewachsen, der Farbe verkaufte, aber nie genug Geld verdiente, um seiner Frau den Traum von einem Leben jenseits mietpreisgebundener Wohnungen erfüllen zu können. Ein Großteil seiner Familie war in Polen während des Holocaust ausgelöscht worden.2
Nach dem 6. Januar könnten sie nichts mehr für selbstverständlich annehmen, sagte er zu Biden und seinen Kollegen. Wer konnte schon wissen, ob sich hier nicht noch mehr Schrecken ereignen würden.
»Als Jugendlicher habe ich viel über den Holocaust und Deutschland in den Dreißigerjahren gelesen«, erzählte Sanders später anderen. »Deutschland war eines der kultiviertesten Länder in Europa. Eines der fortschrittlichsten. Wie konnte das Land Beethovens und so vieler großer Dichter und Schriftsteller und Einsteins in Barbarei versinken? Wie geschieht das? Mit dieser Frage müssen wir uns beschäftigen. Und das ist nicht einfach.«
Biden rief Collins am 7. Februar an, dem Super-Bowl-Sonntag.
»Das war ein wirklich schlechter Schritt, Mr. President, dass Chuck die Reconciliation beantragt hat«, sagte Collins. Da sei eine Chance vergeben worden. »Unser Angebot war ehrlich gemeint — und es war nicht unser letztes.«
Sie sah in diesem Anruf eine unerwartete Gelegenheit für ein persönliches Gespräch von Susan mit Joe und Joe mit Susan. Sie und die anderen neun Republikaner aus ihrer Gruppe hatten ihr Angebot um 32 Milliarden Dollar erhöht, von 618 Milliarden auf 650 Milliarden.3 Das zusätzliche Geld sollte in die Hilfsschecks fließen, wobei eine ausgewählte Gruppe von Amerikanern dann Schecks über 1400 Dollar bekommen sollte. Sie und die anderen Republikaner hielten das für ein deutliches Entgegenkommen. Ein solcher Betrag war einmal etwas wert gewesen.
Biden drückte sein Interesse an einer weiteren Zusammenarbeit mit ihr und den anderen Republikanern aus, machte aber keine festen Zusagen. Es sei nur eine Erhöhung um fünf Prozent. Sie waren immer noch meilenweit voneinander entfernt.
Collins wies ihn darauf hin, dass ihre Gruppe nicht rein zufällig aus zehn Republikanern bestand. Zehn von ihnen plus 50 Demokraten ergaben 60 Stimmen, genügend, um einen Filibuster zu verhindern. Die magischen 60, nannte sie sie.
»Mr. President, ich weise Sie darauf hin, dass ich bei dem Anruf mithöre«, unterbrach eine männliche Stimme das Gespräch. Sie gehörte Brian Deese, Bidens Direktor des National Economic Council.
Biden wirkte überrascht. Collins war empört. Was ging hier vor? Wie konnte das geschehen? Sie hatte es für einen persönlichen Anruf aus dem Weißen Haus gehalten. Überwachten Bidens Mitarbeiter alle seine Telefonanrufe, hörten zu oder beteiligten sich?
Plötzlich klingelte es mehrmals hintereinander.
Kling! Kling! Kling! Kling!
Offensichtlich klinkten sich noch andere in das Gespräch ein.
Wer? Was? Wie?
Sowohl Biden als auch Collins wählten ihre Worte wegen dieser Eindringlinge sofort vorsichtiger. Jetzt war es kein persönliches Gespräch mehr von Joe mit Susan und Susan mit Joe. Collins hatte keine Ahnung, wer sonst noch zuhörte. Sie fragte allerdings nicht, was vor sich ging, und fand es auch nie heraus.
Das Gespräch war effektiv beendet. Ein kurzer Schnappschuss der politischen Situation und ihrer Leben im Jahr 2021. Der Vormarsch der Technologie, jeder war online, das Internet bestimmte das Leben aller. Deese’ Unterbrechung verunsicherte sie — ein weiterer Mitarbeiter, der alles überwachte, ein weiterer Zwischenfall in der Kategorie von Klains Kopfschütteln. Ein weiterer Schatten, der auf Joes Schulter fiel.
Collins war gegenüber Biden und Klain höflich und freundlich gewesen, hatte aber nie etwas angeboten, das sie ernst nehmen konnten. Collins erklärte stets, auf freundliche Weise, warum Biden falschlag. Sie hielten ihr ihre Beständigkeit zugute. Aber sie hielten ihr letztes Angebot, das sie in Umlauf gebracht hatte, mit der geringfügigen Erhöhung auf 650 Milliarden Dollar, für einen sehr langsamen Fortschritt.
Parallel dazu bemühten sich Biden und der Stab des Weißen Hauses angestrengt um die Stimme von Senatorin Murkowski für den Rettungsplan. Sie war ihre letzte Hoffnung auf eine republikanische Stimme, aber sie mussten den Versuch letztendlich aufgeben.
»Sie wird wahrscheinlich nicht für uns stimmen«, sagte Biden. »Aber ich mag sie und will ihr helfen. Sie wird uns bei dieser Abstimmung nicht unterstützen. Aber es ist gut möglich, dass sie das später bei einer anderen Abstimmung tun wird. Ich will also, dass wir sie berücksichtigen, ganz egal, ob sie uns bei diesem Paket unterstützt oder nicht.«
Der Anteil von Alaska an dem Notfallpaket wurde schließlich von 800 Millionen auf 1,25 Milliarden Dollar erhöht.