Dreiundsechzig

Die größte Hürde für Biden war nach wie vor Joe Manchin. Biden wusste es, Klain wusste es, und Manchin wusste es auch.

Am Abend des 2. März, einem Dienstag, fuhr Klain zu Manchins 12-Meter-Boot Almost Heaven. Die beiden wollten gemeinsam zu Abend essen, nur sie zwei. Es war ein hübsches Boot, aber nicht superschick.

»Almost Heaven, West Virginia« lautet die erste Zeile von John Denvers »Take Me Home, Country Roads«, einer Hymne des Staates. Das Boot war die schwimmende Zitadelle des Senators. »Ich kann die Leinen lösen und einfach wegfahren«, nach Hause, wie er einem Reporter der Zeitschrift GQ erzählt hatte.

Ich kann zu Hause den Bürgern von West Virginia nicht erklären, dass sie zusätzlich zu den 1400-Dollar-Schecks, die wir ihnen schicken, weiter 400 Dollar bekommen, wenn sie eine Woche länger arbeitslos bleiben, sagte er.

Das Arbeitslosengeld sei zu hoch und werde zu lange ausgezahlt, klagte Manchin. Der 400-Dollar-Zuschlag müsse auf 300 Dollar verringert und die Laufzeit gekürzt werden. Das war seine Grundforderung.

Klain wusste von Manchins Versprechen an Biden, dass er das Paket nicht scheitern lassen würde, aber Manchin war ein echter Nonkonformist, der sich nicht unter Druck setzen ließ. Klain verließ die Almost Heaven an jenem Abend nach dem Essen mit der Überzeugung, dass man Manchin irgendwie entgegenkommen musste.

Nicht nur Klain umwarb Manchin. Auch Senator Portman hatte, von McConnell dazu ermutigt, mit Manchin seit Anfang Februar Gespräche geführt, als klar wurde, dass die Gruppe der zehn Republikaner kein Gehör finden würde.

Manchin war immer noch im Spiel. Portman legte einen Änderungsvorschlag zum Rettungspaket vor, nach dem die 400 Dollar wöchentlicher Zuschlag auf 300 Dollar gekürzt und für kürzere Zeit ausgezahlt werden sollte.

Das gefiel Manchin.1 Der Betrag von 300 Dollar war ebenso eine psychologische, symbolische rote Linie wie eine politische Position. Er hatte sich in den letzten Wochen mit gemäßigten demokratischen Wirtschaftspolitikern unterhalten, wie dem ehemaligen Finanzminister Larry Summers, der in einem Gastkommentar in der Washington Post gewarnt hatte, zu hohe Staatsausgaben könnten eine Inflation auslösen. Er hatte außerdem mit dem ehemaligen Wirtschaftsberater Obamas Jason Furman gesprochen.

Diese Gespräche bestätigten Manchins Bauchgefühl, dass die Arbeitnehmer so früh wie möglich bereit sein sollten, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren. Die Wirtschaft würde sich erholen, und die verlängerte Auszahlung von Arbeitslosengeld war ein zu starker Anreiz für die Leute, um zu Hause zu bleiben.

Manchin gab Portman sein Wort, dass er den Änderungsantrag mit den 300 Dollar unterstützen würde.

Bidens Covid-Koordinator Jeff Zients erstattete dem Präsidenten täglich Bericht. Das Pentagon bewilligte einen Antrag der FEMA auf militärische Unterstützung und entsandte mehr als 1000 Nationalgardisten zu Impfzentren. Im ganzen Land wurden lokale Impfzentren eingerichtet. Biden hatte versprochen, in seinem ersten Monat im Amt 100 Impfzentren zu unterstützen. Inzwischen waren es 441.2

Gerade lief ein Pilotprogramm an, bei dem Impfungen in Apotheken verabreicht werden sollten. Durch den Public Readiness and Emergency Preparedness Act konnten Pflegekräfte, Ärzte und andere Beschäftigte aus dem Gesundheitswesen, die eigentlich im Ruhestand waren, Impfungen verabreichen.

Aber es wurde nicht einmal annähernd genug getestet, vor allem bei asymptomatischen Menschen. Die Vereinigten Staaten lagen weltweit auf Platz 32 bei der Genomsequenzierung, der Testmethode, mit der neue Varianten entdeckt wurden. Neue Mutationen aufzuspüren war entscheidend, um die Verbreitung des Virus zu verlangsamen, weil neue Mutationen oft ansteckender waren. Frühe Testungen, wenn die Varianten noch selten auftraten, waren besonders wichtig. Zients fand diesen Rückstand absurd, und er bat Biden um mehr Geld, um dieses Handicap zu beseitigen.

Biden genehmigte die Gelder, trieb Zients aber weiterhin scharf an. »Schaffen Sie das?«, fragte er ihn und klang dabei ein wenig skeptisch.

Zients versprach, dass bis Ende März im ganzen Land Hunderte von lokalen Impfzentren den Betrieb aufnehmen würden. Mit einem Speichenmodell sollte sichergestellt werden, dass die Impfstoffe in gefährdeten Gemeinden fair und gerecht verteilt wurden.

»Werden wir es wirklich schaffen, Tausende davon einzurichten? Wie viele Menschen werden wir erreichen?«, wollte Biden wissen. »Woher kommen sie?« Er fragte sogar: »Wie sehen sie aus?«

»Wo stehen wir bei den mobilen Impfteams?«, erkundigte sich Biden bei vier Meetings, von etwa 40, die Biden schon früh zum Virus abhielt. Zients hielt den Präsidenten mit vier Memos über die Fortschritte des Programms auf dem Laufenden. Ende März wurden in 950 der 1385 lokalen Zentren Impfungen verabreicht, viele nutzten mobile Impfmobile und Pop-up-Impfstationen.

Zients berichtete, dass die FEMA 4 Milliarden Dollar Unterstützung an die Staaten ausgezahlt habe.

Derweil arbeitete Sonya Bernstein immer noch von ihrer Untergeschosswohnung aus.

»Jedes Mal, wenn ich die beiden Stufen vor meiner Haustür hinaufging, blendete mich das Licht«, witzelte sie gegenüber anderen. Sie befand sich in Isolation. Es war das operative Ende der Viruskampagne, bei der allen Bereichen der Bundesregierung Befehle gegeben und Anweisungen erteilt wurden. Totale Mobilmachung.