Sechsundsechzig

Biden verfolgte die Abstimmung des Senats am 6. März im Treaty Room des Weißen Hauses. Zusammen mit Anita Dunn arbeitete er ein Statement aus. Andere Mitarbeiter bezeichneten den Ausgang scherzhaft als »verdammt großartigen Deal«; ein Bezug zu Bidens berühmtem Kommentar bei der Verabschiedung von Obamacare.

Biden war überglücklich. Er rief im Aufenthaltsraum der Senatoren an und bat, mit irgendeinem Demokraten zu sprechen, der sich gerade dort aufhielt. Man solle einfach irgendjemanden ans Telefon holen.

Er telefonierte auch mit Schumer. »Das war ein echter Geniestreich, bis Freitag abzuwarten, um den Coup zu landen«, erklärte Biden. »Kein definitives Ergebnis zu erzwingen, sondern den Dingen ihren Lauf zu lassen.« Keine Hektik. Die Änderungsvorschläge von Portman und Carper nacheinander zu bringen. Das war die Lösung.

»Hören Sie, Chuck«, sagte er. »Ich habe schon viel gesehen. Ich bin schon lange mit dabei. Aber was Sie da gemacht haben, das war wirklich meisterhaft, so etwas habe ich noch nie erlebt.«

Er rief Bernie Sanders an.

»Wir werden uns Zeit nehmen müssen, um das zu vermitteln, durchs Land touren«, sagte Sanders. Einst Rivalen, jetzt kollegiale Vermittler. »Ein paar Veranstaltungen machen, um das abzusichern, was wir hier erreicht haben.«

Biden dankte Sanders für den Rat und dafür, dass er ihm zur Seite gestanden hatte. Sanders’ Zustimmung hatte maßgeblich dazu beigetragen, den progressiven Flügel bei der Stange zu halten.

Die übrigen demokratischen Senatoren wurden zu einem Zoom-Meeting mit Biden eingeladen. Doch Bidens Kamera funktionierte nicht. Nur seine Stimme war zu hören. Schumer hingegen war zu sehen. Er war sehr emotional. Er erklärte, er sei stolz auf den Zusammenhalt, sprach von einer historischen und bahnbrechenden Gesetzesvorlage.

»Sie können sehr stolz sein«, sagte er.

Die endgültige Abstimmung war für die folgende Woche angesetzt. Die überarbeitete Senatsversion wurde am 10. März mit 220 zu 211 Stimmen vom Repräsentantenhaus verabschiedet. Biden und Harris verfolgten die Stimmabgabe zusammen mit einigen Beratern im Roosevelt Room.

»Unter normalen Umständen hätte sich das gesamte Team das zusammen angesehen, so wie schon beim Affordable Care Act«, sagte Biden zu den anderen.

Am nächsten Tag hielt Biden eine landesweit im Fernsehen übertragene Ansprache anlässlich des Jahrestags des Corona-Shutdowns. »Vor einem Jahr traf uns ein Virus, dem man mit Schweigen begegnete und das sich unkontrolliert ausbreiten konnte«, sagte er. »Doch jetzt werden wir dank der von uns geleisteten Arbeit bis Ende Mai ausreichend Impfstoff für alle Erwachsenen in den USA zur Verfügung haben. Damit sind wir der ursprünglichen Planung um Monate voraus.«1

Biden zollte Trump nicht einmal flüchtigen Dank für die Impfstoffe; eine Kränkung, die undankbar wirkte und eigentlich gar nicht zu ihm passte. Zients war der Ansicht, dass die Anerkennung den Medizinern und Wissenschaftlern gebührte, die die Impfstoffe entwickelt hatten, und nicht Trump.

»Das ist wirklich ein nationaler Kraftakt, ähnlich wie im Zweiten Weltkrieg«, sagte Biden im East Room. »Denn selbst wenn wir jede uns zur Verfügung stehende Ressource einsetzen, hängen der Sieg über das Virus und die Rückkehr zur Normalität davon ab, dass wir als Nation alle gemeinsam an einem Strang ziehen.«

Bidens Stimmung hob sich, nachdem er die Rescue Bill unterzeichnet hatte. Seine Präsidentschaft hatte stark begonnen. Bei den wichtigen Gesetzesvorhaben stand es nun eins zu null für ihn. Er schien erfreut, doch er betrachtete die Verabschiedung des Gesetzes nicht als persönliche Leistung, wie er es vielleicht als jüngerer Politiker getan hätte. Er war 78 Jahre alt, seine Sicht der Dinge hatte sich verändert.

»Ich tue nur das, was ich für richtig halte«, sagte er seinem Team. »Ich habe lange gebraucht, um bis hierher zu kommen. Ich bin hier, um diesen Job zu machen.« Er sagte, mit dem wilden Gerangel in der Politik habe er sich arrangiert, doch er sei längst nicht mehr so besessen wie etwa 1987. Er habe zu viele andere Präsidenten aufsteigen und abstürzen sehen. Dieses Bewusstsein, dass alles dem Schicksal unterworfen sei, wolle er sich bewahren und alles so nehmen, wie es komme, Tag für Tag.

Mike Donilon blieb in Bidens Nähe, hielt sich aber aus den Nachrichten heraus. Als er sich an einem Wochenende in einem gut besuchten Coffeeshop in Alexandria mit einem alten Freund traf, erkannte ihn dort niemand. Obwohl jemand wie Klain über eine erhebliche Zahl an Followern bei Twitter verfügte, hatten die Biden-Berater keinen Prominenten-Status. Im Hinblick auf Intrigen war Bidens erstes Jahr das genaue Gegenteil von Trumps ersten Wochen und Monaten.

Viele Teammitglieder Bidens, ob sie nun aus der Politik oder den Medien kamen, waren noch relativ jung; Verkehrsminister Pete Buttigieg war zum Beispiel erst neununddreißig. Biden sah sich gern als Förderer der nächsten Generation. Doch Donilon, Dunn, Ricchetti und Klain standen gemeinsam mit Jill Biden auch für Bidens Erfahrung und bewährte Politik.

Am 12. März lud Biden zu einer Feier im Rose Garden des Weißen Hauses. »Das ist ein Paradigmenwechsel«, sagte er, als er sich Seite an Seite mit Vizepräsidentin Harris präsentierte.

»Man muss den Leuten in klarer, einfacher, direkter Sprache sagen, was man macht, um ihnen zu helfen. Man muss in der Lage sein, eine Geschichte zu erzählen, eine Geschichte darüber, was man machen will und warum das wichtig ist, weil man damit das Leben von Millionen Menschen ganz konkret verändern kann.«2

Der republikanische Fraktionsvorsitzende Mitch McConnell nahm Manchins »Ja« zum Rettungsplan relativ gelassen. Im kleinen Kreis erklärte er, Manchin wisse wie Senatorin Sinema nur zu gut, dass es unklug wäre, Vorbehalte gleich bei Bidens erstem großen Gesetzesvorhaben zu zeigen. Biden sei zu frisch im Amt, zu populär.

McConnell fragte sich, ob der Druck der Demokraten auf Manchin es ihm vergällt hatte, 2021 mehr für Biden zu tun. Vielleicht fühlte er sich etwas ausgelaugt. Der progressive Flügel setzte ihm tagtäglich wegen seiner Politik zu, die sich an den Interessen seines konservativen Heimatstaates ausrichtete.

»Außer sich vor Wut«, erklärte McConnell Manchins Stimmung am 5. März, allerdings hielten einige Republikaner und Demokraten das für Wunschdenken.

Schumer habe Manchin und seine Seite wie Idioten aussehen lassen, sagte McConnell, bei all dem Hin und Her in Hinblick auf die Carper- und Portman-Vorschläge. Er konnte sich schon die Wahlkampfwerbung vorstellen. Das würde noch lange im Gedächtnis bleiben, ähnlich wie bei John Kerry, der als Senator 2002 für eine Intervention im Irak gestimmt hatte, sich 2004 als Präsidentschaftskandidat jedoch dagegen ausgesprochen hatte.