14. Kapitel
Hamburg, Donnerstag, 2. April 1925
Ich hoffe, dass alles gut wird. Doch ich fürchte, dass am heutigen Tag etwas zerbrochen ist, das nicht wieder repariert werden kann.
Amala Hansen
Amala war zur Tür geeilt, weil sie glaubte, einen Wagen vorfahren gehört zu haben. Es war bereits nach halb sieben, Bertha würde schon bald das Essen auftragen wollen, und sie hatte sich Sorgen gemacht, wo ihr Großonkel so lange blieb. So, wie er vorhin aus dem Haus gestürmt war, hatte sie ihn noch nie erlebt. Er war sonst stets freundlich, ruhig und besonnen, und er schien immer Herr der Lage zu sein. Nein, das stimmte nicht ganz. Er hatte sich schon einmal so aufgeregt, ebenfalls wegen eines Zeitungsartikels, in dem es auch um sie gegangen war und der Redakteur unterstellt hatte, dass sie gar nicht schwarz, sondern nur für die Bühne dunkel geschminkt und ihr amerikanischer Akzent lediglich aufgesetzt sei. Seinerzeit hatte Onkel Georg die Aufregung geschickt genutzt, um sie bekannt zu machen, sodass Jean-Paul auf sie aufmerksam geworden war und sich der Artikel somit letztendlich als Glücksfall für sie erwiesen hatte. Und auch dieses Mal würde es ihr nicht schaden, wie sich vorhin im Telefonat zwischen Jean-Paul und Arnold Fanck herausgestellt hatte. Genau genommen hatte Fanck bis zu Jean-Pauls Anruf noch keinerlei Kenntnis von dem Artikel gehabt. Und als Fanck dann davon erfahren hatte und Jean-Paul versicherte, dass von ihrer Seite aus niemand damit zu tun hatte und bisher noch nicht einmal klar war, woher der Reporter davon wissen konnte, war es Fanck gewesen, der Jean-Paul geraten hatte, die Sache nicht zu hoch zu hängen. Die Zeitungen würden immer irgendetwas schreiben, spekulieren und aufbauschen. Das gehöre zum Geschäft. Vermutlich hätte dieser Reporter sie nur zusammen gesehen und eins und eins zusammengezählt. Das war eben so. Dann war das Telefonat auch schon bald beendet worden, und Amala hatte erleichtert aufatmen können. Mögliche Auswirkungen auf das Vertragsangebot hatte der Zeitungsartikel also nicht, es gab somit keinen Grund zur Aufregung. Zumindest nicht für Fanck und in der Folge auch nicht für Amala. Doch sie wusste, dass die wenigen Zeilen für ihren Großonkel weit mehr bedeuteten.
Als sie vom Esszimmer aus gehört hatten, was Georg zu seinem Notar gesagt hatte und schließlich wütend davongefahren war, hatten Auguste und Amala nur einen beunruhigten Blick getauscht und erst danach, als Jean-Paul wieder weg war, darüber gesprochen. Auguste hatte Amala erzählt, was sie von ihrer Mutter über das wusste, was Onkel Richard über die Jahre alles verbrochen hatte und wie oft er zur Enttäuschung für Georg geworden war. Er hatte die Familie hintergangen, sogar bestohlen und war ihr immer wieder in den Rücken gefallen. Es hatte deshalb Jahre gegeben, in denen Vater und Sohn überhaupt kein Wort miteinander gesprochen hatten. Von ihrer Mutter wusste Amala außerdem, dass Tante Elsa damals mit Marie nach Amerika geflohen war, nur um keinen Kontakt mehr zu Richard haben zu müssen. Immer wieder waren wohl übermäßiger Alkoholkonsum und auch Glücksspiel ein Problem gewesen. Amala erinnerte sich gut, dass ihre Mutter Richard als einen völligen Taugenichts bezeichnet hatte und der Meinung war, dass er einer der wenigen Menschen sei, die es nicht wert waren, sich auch nur über sie zu ärgern.
Doch dass es ihrem Großonkel Georg als Richards Vater weit schwerer fiel, sich von ihm zu distanzieren, konnte Amala nur allzu gut nachvollziehen. Der letzte Hauch von Hoffnung auf eine Besserung seines Sohnes war nun durch diesen Artikel zerstört worden. Amala verstand wirklich nicht, warum Onkel Richard das getan hatte. Sie mochte ja in dieser Hinsicht geradezu naiv sein, aber war es nicht das natürlichste Bestreben, sich mit seiner Familie gut zu verstehen? Für Onkel Richard offenbar nicht, wie Auguste und sie im Gespräch vorhin festgestellt hatten. Und die Erkenntnis, was dies für Georg bedeutete, tat Amala unendlich leid. Richard hatte ihn enttäuscht, wieder und wieder. Und das hatte dieser großartige alte Herr einfach nicht verdient.
Georg betrat die Villa. Er wirkte müde, ausgelaugt und erschöpft.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Amala, als sie ihm die Tür aufhielt.
»Ja, es ist alles in Ordnung«, antwortete Georg. »Ich habe geklärt, was zu klären war.«
Amala traute sich nicht, ihren Großonkel zu fragen, was genau er damit meinte. Sie konnte nur vermuten, dass er tatsächlich beim Notar gewesen war. Amala wollte gern irgendetwas sagen, um ihn aufzuheitern und ein wenig von der Last der Enttäuschung über seinen Sohn von ihm zu nehmen, die ihm ins Gesicht geschrieben stand.
»Jean-Paul hat Arnold Fanck erreicht«, berichtete sie deshalb. »Und stell dir vor, er hat nur über den Artikel gelacht.«
»Wie schön«, sagte Georg und lächelte ihr zu. »Siehst du, es kommt alles, wie es kommen soll.« Er berührte kurz in einer zärtlichen Geste ihre Wange.
»Ist wirklich alles in Ordnung?«, fragte Amala erneut und sah ihn besorgt an.
»Ja, das ist es. Ich würde mich nur gern eine Weile zurückziehen.«
»Natürlich«, sagte Amala. »Ich werde Bertha Bescheid geben, dass sie mit den Vorbereitungen fürs Essen noch warten soll.«
»Esst ihr ruhig ohne mich. Ich habe ohnehin keinen Hunger.« Georg hielt inne, runzelte die Stirn. »Was rede ich da eigentlich? Nein, das ist Unsinn. Natürlich werden wir zusammen essen.«
Auf Amala wirkte es, als wäre soeben ein Ruck durch ihn gegangen.
»Ich bin niedergeschlagen wegen einer Auseinandersetzung mit Richard«, erklärte er nun. »Doch es wäre vollkommen falsch, mich jetzt zu verkriechen. Es war meine Entscheidung, so zu handeln, wie ich es getan habe. Und damit werde ich leben.«
Amala nickte nur, nicht wissend, wie sie hierauf reagieren sollte.
»Wo ist Auguste?«, fragte er.
»Sie hat sich vor einer Viertelstunde hingelegt, weil sie mit Übelkeit zu kämpfen hatte.«
»Aber es ist doch alles in Ordnung mit ihr, oder?«
»Aber ja. Ich glaube, ihr ist die Aufregung auch ein wenig auf den Magen geschlagen.« Amala sah ihren Großonkel an. »Es tut mir leid, dass es hier meinetwegen solchen Ärger gibt.«
»Deinetwegen?« Georg wirkte überrascht. »Du machst wohl Witze, Amala. Dir wird übel mitgespielt, und du entschuldigst dich noch dafür? Nun hör aber auf.«
Wieder wusste Amala nichts zu entgegnen.
»Ich möchte gern kurz mit Frederike telefonieren und ihr mitteilen, was geschehen ist.« Er sah auf die Uhr. »Sie müsste ja inzwischen zu Hause angekommen sein.«
»Ist sie. Sie hat vor einer halben Stunde angerufen und Bescheid gegeben.«
»Gut«, befand Georg. »Ich werde nach oben gehen und sie von dort zurückrufen. Es wird nicht lange dauern. Du kannst Bertha sagen, dass sie das Essen vorbereiten kann, wenn auch Auguste so weit ist.«
»Sie wollte sich wirklich nur kurz hinlegen und hatte mich gebeten, sie zu holen, sobald du zurück bist und wir essen können.«
»Gut. Dann machen wir es so.« Damit ging er zur Treppe und die Stufen hinauf in den oberen Stock, während Amala sich auf den Weg in die Küche machte, um Bertha zu informieren. Nachdem sie das erledigt hatte und die Haushälterin meinte, noch etwa eine halbe Stunde zu brauchen, ging Amala ebenfalls hinauf, sagte kurz Auguste Bescheid und verschwand sodann in ihrem Zimmer, weil sie noch einen Brief an Tante Elsa schreiben wollte, an die sie vorhin hatte denken müssen. Das würde sie vor dem Abendessen noch schaffen.
Sie setzte sich an den Tisch am Fenster, nahm ihre silberne Schreibfeder und Papier zur Hand und begann zu schreiben.
Hamburg, Donnerstag, 2. April 1925
Liebe Tante Elsa,
ich hoffe, bei Euch ist alles in bester Ordnung! Vor einigen Tagen hat mich Dein Brief erreicht, und ich habe mich sehr darüber gefreut. Um sogleich Deine Frage zu beantworten: Ja, es geht mir sehr gut hier im Deutschen Reich, und ich genieße die Zeit bei und mit Onkel Georg, der sich liebevoll um mich kümmert und mich bei allem unterstützt. Er hat jede meiner Theatervorstellungen besucht und war vor ein paar Tagen auch dabei, als es zu einem Treffen mit Arnold Fanck, einem Regisseur und Filmemacher kam. Stell Dir nur vor, Tante Elsa, Herr Fanck hat mir die Hauptrolle in einem seiner Filme angeboten! Ist das nicht unglaublich? Er hat sogar schon die Verträge geschickt, und Jean-Paul sagt, dass sie den Normen entsprechen und alles genau so ist, wie es sein soll. Also, liebe Tante: Ich werde ein Filmstar!
Du ahnst es, ich muss selbst schmunzeln, während ich Dir diese Zeilen schreibe. Noch fühlt sich das alles unwirklich für mich an. Doch so war es mit meinen Theater-Engagements am Anfang auch. Ich werde mich bestimmt gut in die mir angebotene Rolle einfinden können, und ich freue mich schon sehr auf das, was in den nächsten Monaten geschehen wird. Es ist alles so aufregend und neu, dass ich manchmal das Gefühl habe, es wäre nur ein Traum und würde gar nicht im wahren Leben geschehen. Ich halte Dich über die Arbeiten an dem Film auf dem Laufenden. Womöglich wird dieser ja auch in Amerika vorgeführt. Dann kannst Du ihn sehen und ich bin trotz der großen Entfernung bei Dir.
Ich weiß nicht, inwieweit Ihr in Amerika das politische Geschehen hier im Deutschen Reich verfolgt, deshalb berichte ich Dir, dass am vergangenen Sonntag die Reichspräsidentenwahl wegen des im Februar so plötzlich verstorbenen Friedrich Ebert erfolgte. Wie nun feststeht, gab es dabei keinen Sieger, sodass die Wahl wiederholt werden muss. Offenbar konnten sich die Mitglieder der Nationalversammlung auf keinen der sieben Kandidaten verständigen. Ich gebe zu, dass ich mich dafür, dass ich nun zumindest für eine längere Zeit hier im Deutschen Reich lebe, viel zu wenig mit all dem auskenne und immer mal wieder Onkel Georg hierzu befragen muss, einfach weil mir die Abläufe nicht klar sind. Es ist irgendwie viel verwirrender als bei den Wahlen in den Vereinigten Staaten, wo die Entscheidung zwischen den Republikanern und Demokraten fällt. Und unser Präsident Calvin Coolidge hat, wie es scheint, auch viel mehr Befugnisse als ein Reichspräsident hier, der offenbar, selbst wenn er gewählt wird, immer nur in Absprache mit seinen Parteimitgliedern handelt, während zumindest meiner Einschätzung nach Präsident Coolidge der Oberbefehlshaber ist, nach dem sich die anderen zu richten haben. Aber vielleicht kommt mir das auch nur alles so vor, und es gibt gar nicht so viele Unterschiede. Ich sollte mir wohl endlich mehr Wissen dazu aneignen. Zumindest werde ich Dich und Euch informieren, sobald das Deutsche Reich wieder einen Präsidenten hat. Doch Onkel Georg sagte, dass noch Wochen bis zur nächsten Abstimmung vergehen werden.
Bis heute Morgen war Tante Frederike für einige Tage hier in Hamburg zu Besuch, was wirklich schön war. Sie und Julius sind mit Auguste hergekommen, die ihr Studium abgeschlossen hat und nun neuen Aufgaben entgegensieht. Wir sind fast im selben Alter und verstehen uns wirklich sehr gut. Es ist ein bisschen, als wären wir Schwestern.
Amala hielt kurz inne. Sie hatte es bewusst vermieden, Augustes Schwangerschaft zu erwähnen, weil sie fand, dass nicht sie diejenige sein sollte, die Tante Elsa hiervon erzählte. Sollte sie ihr nun berichten, dass sie Richard kennengelernt hatte? Oder würde das bei der Tante nur vollkommen unnötig die alten Wunden wieder aufreißen? Amala entschied sich dagegen und setzte die Schreibfeder erneut an.
Inzwischen kenne ich mich hier in Hamburg schon gut aus, und es ist nicht übertrieben, wenn ich behaupte, dass es mir zu einem zweiten Zuhause geworden ist. Natürlich bemerke ich, dass ich noch manches Mal überrascht angestarrt werde, weil ich dunkelhäutig bin. Doch da ich durch die vielen Zeitungsartikel und meine Auftritte im Theater einige Bekanntheit erlangt habe, mag es auch daran liegen, dass die Leute mich erkennen. Zumindest will ich mir das einbilden.
Und wie geht es nun bei Euch? Was machen Marie und die Jungs? Sind alle wohlauf? Ich muss enden, denn gleich wird Bertha das Essen auftragen, und natürlich will ich mir das nicht entgehen lassen.
Ich würde mich freuen, wenn Du die Zeit fändest, mir wieder zu schreiben, Tante Elsa.
Bis dahin sei lieb gegrüßt von Deiner
Amala
Sie legte die Schreibfeder zurück in die Schale. Der Brief war nicht so lang wie die Briefe, die sie sonst an ihre Tante in Amerika schrieb. Doch derzeit geschah hier so vieles, über das sie nicht schreiben wollte, dass es ihr schwerfiel, trotzdem die Zeilen zu füllen. Sie faltete das Papier, legte es in einen Umschlag und klebte ihn zu. Für so ein kurzes Schreiben war es fast ein bisschen schade um das teure Porto. Aber immerhin hatte sie ihre Tante in Amerika ein wenig auf dem Laufenden gehalten über das Leben, das sie hier im Deutschen Reich führte.
Amala stand auf, schob den Stuhl wieder unter den Tisch und ging nach unten. Von der Küche wehte ein köstlicher Essensduft zu ihr herüber. Aus dem Wohnzimmer drangen Stimmen, sodass Amala sich hierhin wandte und Onkel Georg und Auguste dort vorfand, die sich miteinander unterhielten.
»Da bist du ja wieder«, sagte Georg, der auf Amala nun wieder etwas aufgeräumter wirkte. »Ich habe Auguste gerade erzählt, dass ich mit ihrer Mutter telefoniert habe. Ich soll herzlich von ihr grüßen.«
»Danke schön«, sagte Amala und sah dann zu Auguste. »Geht es dir wieder besser?«
»Ja, danke.« Auguste legte die Hand auf ihren Bauch. »Ich weiß auch nicht, was vorhin los war. Es ist, als hätte ich einfach einen riesigen Hunger.«
»Du solltest vielleicht zwischen den Mahlzeiten immer mal einen kleinen Happen zu dir nehmen«, riet Georg. »Ich erinnere mich noch, dass es deiner Mutter genauso ging, als sie damals mit Frieda schwanger war.«
»Das mache ich ja schon«, antwortete Auguste und schmunzelte. »Ich glaube, wenn ich weiterhin so viel esse, werde ich kugelrund.«
»Du bist so schlank, Auguste«, entgegnete Amala. »Das wird bestimmt noch ein Weilchen dauern, bis man dir überhaupt etwas ansieht.«
»Hoffentlich. Ich kann gern auf einen Bauch verzichten.«
»Das Essen ist fertig!«, rief nun Bertha vom Flur aus, worauf Auguste und Georg sogleich aufstanden und zusammen mit Amala hinüber ins Esszimmer gingen.
»Kann ich dir noch irgendwie helfen, Bertha?«, fragte Amala die Haushälterin, die nun ein Tablett auf dem Tisch abstellte.
»Nein, vielen Dank. Ich habe alles vorbereitet.«
»Danke schön«, gab Amala zurück. »Es duftet wirklich verlockend.«
Sie setzten sich an den Tisch und füllten die Teller, während Bertha kurz verschwand und dann wieder mit einem voll beladenen Tablett hereinkam und die Schalen auf dem Tisch abstellte.
»Ich wünsche einen guten Appetit.«
»Vielen Dank, Bertha«, erwiderten die drei wie aus einem Mund. Dann begannen sie zu essen.
Amala schmunzelte, weil Auguste sich eine riesige Portion genommen hatte, die sie eigentlich gar nicht aufessen konnte. Eigentlich. Denn tatsächlich verputzte Auguste alles recht schnell mit großem Appetit und nahm sich noch einen Nachschlag.
»Ich möchte euch etwas mitteilen«, kündigte Georg an und ließ sein Besteck sinken. »Bitte, esst weiter«, bat er dann, als Amala und Auguste die Mahlzeit ebenfalls unterbrachen.
»Ich mache es kurz: Ich habe endgültig mit Richard gebrochen und wünsche keinen weiteren Kontakt zu ihm. Ich bereue es sogar, ihn hierher eingeladen zu haben in der geradezu naiven Hoffnung, dass genug Jahre vergangen sind und so Frieden hätte herrschen können.«
Amala sah ihrem Großonkel an, wie schmerzhaft ihm diese Erkenntnis war.
»Ich habe mein Testament geändert«, fuhr er fort, »und ich möchte, dass ihr darüber informiert seid, dass Richard keinerlei Zahlungen oder sonst irgendetwas aus meinem Nachlass erhalten wird. Er wurde bereits vor siebzehn Jahren vollständig abgefunden, was damals auch in einem Vertrag dokumentiert wurde. Ich habe dies entsprechend in meinem neuen Testament festhalten lassen, sodass es hier keinen Zweifel geben kann. Ich habe Frederike ebenfalls telefonisch davon in Kenntnis gesetzt und sage es euch beiden jetzt, damit ihr, sollte es später einmal zu irgendeinem wie auch immer gearteten Streit kommen, über dieses Gespräch hier berichten könnt.«
Amala und Auguste sahen einander betreten an. Es war beiden sichtlich unangenehm, Georg über seinen Tod sprechen zu hören.
»Gut«, stellte Georg fest. »Damit wäre das erledigt, und wir können uns wieder dem Leben widmen.«
»Es tut mir leid, dass es so gekommen ist«, erwiderte Auguste. »Ich weiß, dass du und auch meine Mutter darauf gehofft habt, dass er sich doch noch mal ändert.«
»Danke, Auguste«, sagte Georg. »Ja, so war es. Manchmal wünscht man sich wohl einfach etwas so sehr, dass man die Augen vor der Realität fest verschließt. Doch nun ja, Richard hat eine Art an sich, einem die Augen wieder zu öffnen, sie einem geradezu aufzureißen, dass man nicht daran vorbeikommt. Wahrscheinlich ist es gut so. Sonst hätte das Hin und Her zwischen Hoffnung und Enttäuschung nie ein Ende.« Georg sah die beiden an. »Und nun sollten wir nicht mehr davon sprechen, wenn ihr nicht noch irgendwelche Fragen habt. Er ist es nicht wert.«
Amala und Auguste tauschten einen verlegenen Blick, dann aßen sie schweigend weiter, und auch den Rest des Abendessens unterhielten sie sich nur wenig. Georg war sichtlich bemüht, immer einmal wieder unverfängliche Themen anzuschneiden, um das Gespräch in Gang zu halten. Doch eine lockere, entspannte Atmosphäre wollte einfach nicht aufkommen. Zu deutlich war Georg anzumerken, wie tief der Stachel der Enttäuschung über seinen Sohn sich in sein Fleisch gebohrt hatte. So war Amala richtiggehend froh, als das Essen beendet war, und Auguste hiernach verkündete, früh ins Bett zu wollen, weil sie sich noch immer nicht wirklich gut fühlte. Amala nahm es zum Anlass, sich ebenfalls bereits kurz nach halb neun zurückzuziehen. Sie wollte einen Kurzgeschichtenband von Edgar Allan Poe in englischer Sprache lesen, weil sie von den vielen deutschen Literaten, mit denen sie sich die letzten Monate beschäftigt hatte und von denen sie einige Werke gelesen hatte, die in der Bibliothek der Villa standen, einfach mal eine Pause brauchte. Weit kam sie mit dem Lesen aber nicht. Schon während der ersten Kurzgeschichte spürte sie, dass ihr immer wieder die Augen zufielen, also legte sie das Buch auf den Nachttisch und schaltete das Licht aus. Bevor sie einschlief, nahm sie sich fest vor, ab morgen alles zu tun, um ihren Großonkel auf andere Gedanken zu bringen. Seit sie bei ihm war, hatte er sie nach Kräften unterstützt. Nun würde es an Auguste und ihr sein, ihn aus seiner Enttäuschung herauszuholen und die Fröhlichkeit in die Villa zurückzubringen, die hier ansonsten stets herrschte. Ja, genau das würde sie tun. Der Gedanke daran brachte sie zum Lächeln, während sie sanft in den Schlaf sank.