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Damals

Jetzt bau es wieder zusammen«, sagte Heinrich Hammer und setzte die Stoppuhr auf null.

Aus dem Turm wehten Klangfetzen der Red Hot Chili Peppers herüber und schrien etwas über Säbelzahntiger und Paisley-Drachen. Vor Robin lagen die Einzelteile eines Sturmgewehrs auf einem Picknicktisch. Die Lehmmauer hinter ihr sah aus, als hätte sie eine Granate getroffen, und gab den Blick frei auf das unendliche texanische Ödland, über dem Bussarde in der Ferne kreisten.

»Ich verstehe immer noch nicht, warum ich mich mit solchen Gewehren auskennen soll«, sagte sie und starrte ihn frech an. »Ich dachte, eine Hexe kann man nur mit diesem Dolch aufhalten, und töten kann man sie nur mit Feuer.«

»Du kämpfst vielleicht nicht nur gegen Hexen.«

»Sondern? Gegen Vampire? Werwölfe?«

»Sei nicht so neunmalklug. Vampire und Werwölfe gibt es nicht, und das weißt du sehr wohl.« Damals hatten bei ihm die dunklen Strähnen noch gegenüber den weißen überwogen, und das Haar glänzte im Sonnenlicht, das durch die Löcher in der Leinenmarkise fiel.

Sie grinste höhnisch. »Ich habe auch gedacht, Hexen existieren nicht.«

»Du wirst gegen Menschen kämpfen.«

»Menschen?«

»Wie ich es dir erklärt habe«, sagte der große Schwarze und schritt vor dem Tisch hin und her. »Denk daran, was deinem Daddy passiert ist. Die Hexen und ihre hexischen Katzenwesen. Du musst bereit sein, sie zu töten, bevor sie dich umbringen.«

»Ich erschieße sie also?«, fragte sie ungläubig.

»Wenn die Hexe Zeit hatte, eine Armee von hexischen Wesen aufzustellen, ja. Du wirst da draußen ganz auf dich allein gestellt sein, Robin Hood. Ein Wort von der alten Frau, und alle kommen angelaufen wie ein Schwarm Kakerlaken und stürzen sich auf dich, um dir die Nieren rauszureißen.« Er zögerte kurz, seine Augen funkelten. »Möchtest du so enden?« Er umklammerte imaginäre Gedärme. »Bei dem Versuch, deine Organe wieder in den Bauch zu stopfen?«

Robin verzog das Gesicht. Sie war blass und aufgedunsen, weil sie die letzten zwei Jahre in einer psychiatrischen Klinik gelebt hatte. Dunkle Ringe umgaben die misstrauischen Augen des Mädchens, das in den kurzen klaren Stunden zwischen der Gabe von Antipsychotika und Antidepressiva getrauert und Pläne geschmiedet hatte.

»Die Hexen kriegen die Messer, bei and’ren sind Gewehre besser.«

»Okay«, sagte sie und riss sich zusammen. »Ich habe verstanden.«

Er drückte auf die Stoppuhr. »Dann mal los.«

Ihre Hände flogen über den Tisch von einem Teil zum anderen – der Bolzen kam in den Bolzenhalter, der Bolzenhalter oben in das Gehäuse, zusammen mit dem Spannschieber. Dann wurden Griff und Abzug von unten ins Gehäuse eingesetzt. Sie drückte die Rückholfeder in den Schaft und befestigte es an Gehäuse und Griff.

Nun drehte sie die Waffe, stellte sie auf den Schaft, baute den Handschutz an den Lauf und legte das Gewehr auf das Tischtuch.

Klick. »Eine Minute, sieben Sekunden. Sechs Sekunden schneller als gestern.«

Widerwillig schwoll ihre Brust vor Stolz. Heinrich saß ihr gegenüber und wühlte in seiner Hosentasche. Sie glaubte, er werde einen seiner Kokosnuss-Zigarillos zum Vorschein bringen und anzünden, stattdessen hielt er etwas in die Höhe, das aussah wie ein winziger Säbel für Action-Puppen. »Du hast allerdings etwas vergessen.«

»Den Schlagbolzen. Mist.«

»Du musst auf jedes Detail achten, Kleine«, sagte er und ließ den Schlagbolzen auf den Tisch fallen. Dann nahm er sich einen Zigarillo heraus und steckte ihn sich an. »Diese verrückten Katzenmenschen werden nicht das Einzige sein, was auf dich losgeht.« Er kniff die Augen zusammen und blies Rauch über ihre Köpfe, der nach brennendem Laub roch und sie an den Herbst erinnerte. »Diese Hexen können sich verwandeln. In Monster. Große Monster.«

»Monster?«

»Transfiguration. Du wirst schon sehen – dagegen wirken Vampire und Werwölfe aus den alten Universal-Filmen wie Fisher-Price-Spielzeug. Und, nein, Schusswaffen bringen sie nicht um, aber sie können sie aufhalten. Und wenn du dich mit einer siebenhundertjährigen Hexe eingelassen hast, zählt jede Sekunde.« Er griff in sein verwaschenes Henley-Shirt, holte eine Kette mit einem Medaillon hervor und öffnete es. Sie erhaschte einen Blick auf eine Kamee.

»Was ist das?«, murmelte Robin und fummelte an dem Schlagbolzen herum.

Er zeigte ihr ein fein geschnitztes Bild einer Frau im Profil, so wie der Kopf auf einer Münze. »Hat meinem Daddy gehört, Moses. Das Bild stellt meine Mutter dar. Sie hat es ihm gegeben, als er nach Vietnam musste. Er war Geistlicher in der Armee. Hat sich ein Schrapnell eingefangen und wurde nach Hause geschickt; dann hat er die Kirche da in Blackfield übernommen. Verdammt, wahrscheinlich ist er immer noch dort.«

»Sie ist sehr schön.«

Er schnaubte und schob den Anhänger zurück ins Hemd.

Dann zog er kräftig an dem Zigarillo, nahm ihn aus dem Mund, griff zur Stoppuhr und blies Rauch über ihren Kopf. »Also gut, dann nimmst du sie jetzt auseinander, und diesmal vergisst du den Schlagbolzen nicht. Wenn du heute Abend essen willst, solltest du lieber eine neue Bestzeit schaffen.«

Mit einem Klick begann die Zeit zu laufen.