15
Aus der Dunkelheit kamen sie über den Highway angedröhnt, als langer Konvoi in Speerformation. Robin beobachtete sie durch eine schmale Lücke im Vorhang. Die Maschinen strotzten nur so von Waffen. Die Royal Enfield, über die sie schon so viel gehört hatte, führte die Verfolger an. Aufrecht und mit dunklen Augen saß darauf Santiago Valenzuela wie Dschingis Khan auf seinem Streitross.
»Fahren Sie einfach weiter«, rief sie Marina zu. Sie drängte Carly aus der Frühstücksecke und klappte die Bank hoch. Darunter kam eine Schaumstoffeinlage mit Waffenteilen zum Vorschein. Sie holte einen schwarzen Plastikschaft heraus, ein Gehäuse, ein weiteres Teil, das an Staubsaugerzubehör erinnerte, und noch eine Kästchen mit kleineren Teilen. Das alles legte sie auf den Tisch. Dazu kam noch eine Schachtel mit Patronen wie aus einem Cartoon, weil sie so groß wie Salzstreuer waren.
An der Wand hing eine Vinylscheide und eine Koppeltragehilfe. Die legte sie sich um. Dann nahm sie ein kurzes Schwert von der Wand und schob es in die Scheide. Schließlich richtete sie eine Fernbedienung nacheinander auf alle Kameras, die an den Wänden installiert waren. Winzige rote Lichter flammten auf.
»Wenn es schon sein muss«, sagte sie zu Carly, »dann bekomme ich wenigstens ein bisschen Filmmaterial.«
Santiago kam angeprescht und zog links nach vorn. »Hey!«, schrie er seiner Frau zu. »Hey!« Er schrie wieder. »Scheiße, ich red mit dir! Dreh das Fenster runter!«
Marina gehorchte, und Wind pfiff durch den Wagen, aber zunächst sagte sie nichts. »Beschäftigen Sie ihn für einen Moment«, verlangte Robin. Sie saß in der Frühstücksecke und setzte das Gewehr zusammen. In ihrem Kopf tickte Heinrichs Stoppuhr. Schauen wir doch mal, wie schnell du das Gewehr zusammenbaust. Tick-tack.
»Fahr rüber!«, brüllte Santiago.
Schlagbolzen in den Bolzen, Haltebolzen und Cam-Pin in den Bolzen, tick, tick, tick – »Nein!«, antwortete Marina. »Ich komme nicht zurück!«
»Fahr die Karre rechts ran! Wir können über alles reden!«
Bolzen und Durchladehebel in die Kammer. Tick, tick, tick. »Oh mein Gott«, keuchte Carly, »ist das ein Maschinengewehr?« Ihr Gesicht wurde blass. »Erschießen Sie meinen Dad?«
»Marina!«, schrie Santiago. »Halt an!«
Marina tat das Gegenteil. Der Winnebago beschleunigte.
»Solange er sich benimmt, nein«, sagte Robin. Abzugsmechanismus ins Gehäuse, vorderer Gehäusebolzen in den Schaft, tick, tick, tick. »Ich würde es jedenfalls gern vermeiden, wenn möglich.«
Nachdem sie kurz gezögert hatte, um einzuschätzen, wie riskant ihr Vorhaben war, nahm Carly die Fernbedienung für die Kameras und drückte die Tasten.
Zwei Kameras gingen aus. Robin sah auf. »Was zum Teufel soll das?«
»Das kommt nicht auf Ihren YouTube-Kanal.«
»Was?«
»Ich will nicht in Ihre YouTube-Show. Und meine Familie auch nicht.« Carly stellte die beiden anderen Kameras ab. »Und wenn mein Daddy verletzt wird, kommt das nicht ins Internet wie diese Bodycam-Videos, in denen Leute von Cops umgebracht werden.«
»Ich wollte nur …«, setzte Robin an, aber Carly stürmte davon.
Das Mädchen taumelte in die Fahrerkabine, beugte sich über das Lenkrad und rief aus dem Fenster: »Daddy!«
»Gib mir die Fernbedienung«, sagte Robin.
»Schätzchen!«, sagte Santiago. »Sie haben dir doch nicht wehgetan, oder?«
Carly sah bitterböse zu Robin hinüber und schrie dann aus dem Fenster: »Nein! Bitte, geh weg! Verfolge uns nicht …«
»Was zum Teufel heißt das: Geh weg?«
»Sie hat ein Maschinengewehr, und ich glaube, sie schießt damit auf dich, wenn du uns weiter verfolgst.«
Tick, tick, tick. Robin drückte die Rückholfeder hinein und schloss das AR-15, indem sie alles zusammendrückte. Sie klopfte das Magazin leicht an ihren Kopf, damit die Patronen locker saßen, und schob es in die Waffe – stopp. Gute Arbeit, Mädchen. Sie lud durch, öffnete das Fenster über dem Tisch und drückte die Stirn und die Mündung gegen das Fliegengitter. Der Mann auf dem Motorrad bemerkte sie sofort.
»Nein«, sagte sie zu Santiago, »nicht, solange Sie sich benehmen, habe ich gesagt.«
»Was meinen Sie mit ›benehmen‹, Ma’am?«, fragte er sie und grinste höhnisch.
»Dass Sie Ihren Arsch wegbewegen. Weit weg.«
»Sie haben meine Frau und meine Tochter.« Santiagos Haar flatterte im Wind wie eine Löwenmähne. »Was bringt Sie zu der Ansicht, ich würde sie ziehen lassen?«
»Das«, sagte Robin und stieß das Sturmgewehr durch das Fliegengitter.
Santiago runzelte die Stirn. »Wollen Sie das Spiel wirklich auf diese Weise austragen, Lady?«
»Nein, aber bei diesem Spiel bin ich auf der Gewinnerseite.«
In seinen Augen funkelte diabolische Wut, und seine Miene verzerrte sich noch mehr, als er sagte: »Sie wollen bestimmt nicht mal ein Heimspiel gegen mich spielen. Glauben Sie mir.«
»Fick dich, San Diego.«
Robin kniete sich auf die Bank, legte das Gewehr an, entsicherte und feuerte eine Kugel durch das Fliegengitter. An Santiagos Kopf vorbei. Der folgende Knall hallte laut im Wohnmobil wider, und eine Patrone landete klingelnd auf dem Tisch. Gleichzeitig duckte sich Santiago. Die Enfield wackelte und wäre fast umgekippt.
»NEIN!«, kreischte Carly.
Sie wollte auf Robin zustürmen, doch die Hexenjägerin starrte sie nur über den Griff des AR an. »Setz dich«, warnte Robin. Ihre Stimme klang dumpf in ihren Ohren nach dem lauten Schuss. »Das war nur ein Warnschuss.«
»Scheiße«, fauchte Santi und wurde langsamer, bis er außer Sicht war.
»Jetzt geh ins Badezimmer.« Robin setzte sich so auf den Tisch, dass sie nach hinten zu Santi gucken konnte. »Leg dich auf den Boden.«
Das Mädchen zögerte.
»Los!« Robin nahm eine Zeitung vom Tisch und warf sie nach ihr. Carly wich aus. Das Papier faltete sich in der Luft auf und verteilte sich überall.
Sie blickte Robin wütend an, warf die Fernbedienung für die Kamera in den Abfluss des Spülbeckens und drückte auf den Schalter hinter dem Tresen, um den Müllzerkleinerer anzustellen. Das Licht über ihrem Kopf ging an, als habe sie einen Geistesblitz gehabt.
»Tut mir leid, kein Müllzerkleinerer«, sagte Robin trocken.
Verärgert stürmte das Mädchen ins Badezimmer, schloss die Tür und rammte den Riegel vor.
»Gut«, sagte Robin, »und bleib da drin.« Sie ging zum Bett und spähte durch die hinteren Vorhänge. Santiago hatte sich wieder dem Konvoi angeschlossen, der erneut eine Keilformation einnahm.
»Runter auf den Boden«, sagte sie zu Kenway und Gendreau.
»Das braucht man mir nicht zweimal zu sagen.« Der Curandeiro ließ sich fallen wie ein Sack Ziegel und quetschte sich zwischen Bett und Wand, wo er sich auf den Rücken legte. Von ihm waren nur noch die italienischen Schuhe zu sehen. Vorn im Armaturenbrett plärrte noch immer das Radio. Jetzt spielten AC/DC »Thunderstruck«. The thunder of guns tore me apart, schrie Brian Johnson.
»Gib mir eine Waffe«, knurrte Kenway. Aus dem Schnitt an seinem Rücken tröpfelte Blut, als er sich unter Schmerzen auf dem Boden niederließ.
»Vor allem sollte Doc G endlich die Kugel aus dir herausholen.«
»Ach, Mist«, sagte der Magier hinter dem Bett. Er setzte sich auf und krabbelte zu dem großen Veteranen. »Legen Sie sich hin«, sagte er und nahm seine Pinzette.
»Waffe!«, verlangte Kenway.
Sie holte die abgesägte Schrotflinte und gab sie ihm. Er lud zwei Patronen und ließ sie zuschnappen.
»Bleib aber …«, setzte Robin an, doch in dem Augenblick zerplatzte das Heckfenster, und Glas prasselte auf sie nieder. Hinter ihr schlugen Kugeln in die Wand. Sie ging in die Hocke, bewegte sich auf die andere Seite des Bettes und spähte erneut durch den Vorhang. Alle Männer, die als Beifahrer hinten saßen, richteten ihre Pistole auf sie.
»Nein!«, brüllte Santiago. »Meine Kleine ist da drin!«
Dann passierte etwas Seltsames.
Einer der Männer hinter ihm schrie, dann ein zweiter. Santiagos Gesicht war von schwarzem Zorn verzerrt. Seine Augen flackerten wie Bernsteinfeuer. Der Wind strich das Blut aus seinen Augen und seinem Mund und wehte über seine Schläfen. Selbst von hier aus waren ihm der Schreck und die Angst anzusehen, doch darunter zeigte sich ein fast orgasmischer Blick der Kapitulation. Die Biker rechts und links von ihm veränderten sich ebenfalls, ihre Haare wurden zottelig, die Münder zogen sich in die Länge, Zähne funkelten.
»Gil und das Mädchen hatten recht«, sagte Robin. »Werwölfe.«
»Ernsthaft?« Wieder schmierte sich Gendreau Blut ins Gesicht, als er sich den Schweiß abwischte. »Na, worauf warten Sie noch, dumme Frau? Schießen Sie, schießen Sie, was das Zeug hält!«
»Warum habe ich da noch nicht dran gedacht?«
»Thunderstruck« von AC/DC ging über in Queens »Bohemian Rhapsody«. Robin legte den Handschutz auf der Fensterbank auf und zielte auf die Stirn eines der Männer. Muskeln unter seiner Haut bewegten sich und veränderten die Form. Halb zwischen Wolf und Mensch sah er aus wie ein grauenhafter Hundefötus, verunstaltet und violett. Das Gesicht war verquollen, die Adern traten hervor.
Is this real life? Is this just fantasy?
Die Formation beschleunigte, und sie schoss.
Blut und zerfetzte Kopfhaut bildeten einen Nebel in der Luft. Der fauchende Homunkulus erstarrte, als habe er einen Anfall, taumelte und fiel auf die Straße. Ein anderer Biker wich aus, um ihn nicht zu überfahren. Sie zielte wieder, als die Biker aufholten.
Sobald sie schoss, beugte sich der Mann am Lenker vor, und die Kugel flog durch sein wehendes Haar.
Die Motorräder fuhren an der linken Seite auf. Der Motorlärm ließ den Boden des Winnebago beben. Robin drehte sich um, doch hier am Bett gab es kein Fenster in der linken Wand, durch das sie vernünftig sehen konnte.
»Mist«, fluchte sie und lief nach vorn.
»Bohemian Rhapsody« klang durch den Wagen. Mamma mia, mamma mia, mamma mia, let me go.
Dann fiel etwas aufs Dach.
Robin blieb in der Küche stehen und sah zur Decke. Sie hob das Gewehr und machte sich bereit zu schießen, doch ein großer haariger Arm zerschmetterte das Fenster über dem Spülbecken und packte ihr Gesicht. Die Wolfspranke stank nach Öl, zog sie nach hinten über das Becken und schlug ihren Kopf gegen den Fensterrahmen.
Plötzlich quiekte der Werwolf wie ein Welpe, ließ los und verschwand draußen in der Dunkelheit.
Jemand hatte das Kurzschwert aus Robins Scheide gezogen und die Spitze dem Werwolf ins Auge gerammt. Mit offenem Mund hielt Carly das blutige Schwert in der zitternden Hand.
»Danke«, knurrte Robin. Sie nahm das Schwert und schob es in die Scheide zurück. »Geh zurück ins Badezimmer.«
»Ich kann Ihnen helfen«, sagte Carly hektisch. »Geben Sie mir eine Waffe.«
»Nein!«
Die Dachluke wurde mit brutaler Gewalt aufgerissen, Metall quietschte, und ein deformierter, hundeartiger Monsterkopf sah herein. »Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe«, fauchte die Bestie. Speichel tropfte in den Wagen.
»Ein frommer Wolf … Na, dann tritt ein ins Himmelreich.« Robin schoss ihm in die Brust.
Blut spritzte über die Decke, der Wolfsmann schrie und verschwand außer Sicht. Robin schloss das Fenster, zog die Vorhänge zu und blickte in die Kamera. »Mist, ich hätte einen Witz über Dogma machen können.«
»Gott, das ist so laut«, beschwerte sich Carly und hielt sich die Ohren zu.
»Das ist häufig bei Gewehren so.«
Ein haariger Arm hakte sich unter Robins Kinn und zog sie von den Füßen. Ihr Kopf schlug an die Decke, und dann verlor der Werwolf, der durch die Dachluke hereinhing, den Halt, ließ Robin los, und sie fiel in die Küche.
Als sie aufschlug, lösten sich Schüsse, das Gewehr feuerte eine Salve in die Decke über ihrer Schulter. Blut spritzte durch ein Loch in der Verkleidung.
I’m just a poor boy, sang Freddie Mercury.
Robin packte das Gewehr und schrie: »Runter von meinem Dach«, und nur für alle Fälle feuerte sie zweimal drei Schuss durch die Decke, aus der Hüfte wie Yosemite Sam an Silvester, und bohrte Löcher ins Aluminium P-P-PENG!, P-P-PENG!
Carly stand mit Schrecken im Gesicht im Durchgang und hielt mit beiden Händen einen modernen Tomahawk vor sich wie ein Tempelritter sein Langschwert.
Von vorn war lautes Kreischen zu hören.
Ein Werwolf hing an der Fahrertür, griff durch das Fenster herein und versuchte, den Wagen von der Straße zu lenken. Marina stieß ihm wieder und wieder den Ellbogen in die Schnauze und kämpfte mit dem Lenkrad. »Lass los! ¡Hijo de puta! Stop!«
Die Schwerkraft ließ den Wagen beinahe zur Seite kippen. Robin und Carly stolperten an den Tisch. Küchenschränke gingen auf und spuckten Konserven aus; manche Gläser zerbrachen und verteilten ihren Sud auf dem Boden. Beelzebub has a devil put aside for me, sang Freddie. Robin legte das Gewehr an, zielte nach vorn, hielt die Waffe, wie es ihr Heinrich und Kenway gezeigt hatten, und betätigte den Abzug. Die Kugel ging durch die Schnauze der Bestie und hinterließ einen Film aus dickem Blut auf der Scheibe. Der Werwolf fiel aus dem Fenster. Marina versuchte, das Blut mit Fastfood-Servietten wegzuwischen, doch sie verschmierte es nur.
Hinten klirrte Glas. BUM bellte die abgesägte Schrotflinte.
Einer der Wolfsmänner hockte auf dem Bett und hielt die blutige Bettdecke in einer Faust. Robin marschierte auf ihn zu und feuerte einen Schuss nach dem anderen ab, RAKKA-TAKKA-RAKKA-TAKKA; Dutzende Kugeln erwischten das Monster. Just gotta get out, just gotta get right outta hee-aaah!
Mit einem letzten Fauchen brach der Werwolf zusammen und starb auf dem Bett. »Danke«, sagte Kenway und lud neue Schrotmunition nach.
Gendreau drückte seinen Patienten nach unten. »Nicht so viel bewegen!«
Ein Motorrad knatterte vorbei und überholte den Winnebago, dann ein zweites. »Sie wollten uns ausbremsen!«, rief Marina.
»Halt durch, bitte.« Robin ging nach vorne.
Von der Küchenecke aus konnte sie durch die Windschutzscheibe sehen. Rote Rücklichter leuchteten vor ihnen: zwei Motorräder, die langsamer wurden und versuchten, sie von der Straße zu drängen. »Bohemian Rhapsody« war zu Ende, es folgte Journeys »Seperate Ways« mit diesem berühmten Synthesizer.
Robin sah nach dem schwarzen Adapter für das Gewehr, suchte den Raum ab und entdeckte ihn beim Ausstieg, wo er klappernd auf der untersten Stufe hin und her flog.
»Da bist du ja«, murmelte sie, kniete und griff danach.
Doch in dem Moment wurde die Tür aufgerissen, und der Wind schlug sie gegen die Seite des Wohnmobils und flutete mit heißer Wüstenluft herein.
Draußen: ein Werwolf in Lederweste, der an der Seite des Winnebago hing. Robin schnappte sich den Gewehradapter, aber das Monster stieß die Pranke durch das Fliegengitter, packte sie am Handgelenk und zog sie halb durch die Tür nach draußen. Gekrümmt hing sie bei halsbrecherischer Geschwindigkeit über dem Asphalt. Dunkelheit rauschte an ihrem Gesicht vorbei und wechselte immer wieder mit rotem Wüstenbeifuß und Sand.
»Jetzt ist es vorbei, puta«, fauchte der Werwolf, zog die Krallen über ihren Rücken und packte sie im Jeansbund.
Brennender Schmerz breitete sich entlang ihrer Wirbelsäule aus. Der Werwolf wollte sie aus der Tür zerren und an den Straßenrand werfen, er schaffte es allerdings nur, ihr die Jeans runterzuziehen und ihren Hintern dem Fahrtwind auszusetzen.
»Verpiss dich!«, schrie sie über Kopf hängend.
Krallen versuchten, ihren Po zu packen, und rissen Löcher in ihre Unterwäsche. Sie griff nach dem Türrahmen und zielte mit dem Gewehr zwischen den Knien hindurch. TAK-TAK-TAK!
Die Kugeln trafen den Werwolf im Schritt, und er ließ jammernd den Winnebago los und landete in einer Staubwolke auf der Straße. Ein Motorrad, das ihnen folgte, wich aus, schleuderte und wäre fast in die Wüste geschlittert.
Carly packte Robins Knöchel und zog sie in den Wagen. Robin rammte den M-203-Adapter auf die Picatinny-Schiene des Gewehrs, schraubte ihn fest, dann kramte sie im Spülbecken nach dem großen Karton Patronen, den sie vorhin dort abgestellt hatte. »Was ist das?«, fragte Carly, als Robin eine Patrone lud und die Verriegelung zudrückte.
»Medizin für Arschlöcher.«
In der offenen Tür peitschte ihr violetter Iro im Wind. Robin nahm das Motorrad ins Visier, das neben ihnen aufholte.
»Hallo!«, schrie sie lächelnd in den Wind.
Zwei Männer starrten sie finster aus glühenden Augen an. Der Fahrer war ein Werwolf, dem die lange Zunge aus der offenen Schnauze hing. Ein Speichelfaden tropfte in den Wind.
Someday, love will find you, sang Steve Perry durch eine Wand greinender Gitarren und pulsierender Synthesizer. Robin feuerte das AR ab, und es gab ein Geräusch von sich, als würde ein Korken aus einer riesigen Weinflasche gezogen. FOONK! Die Sprenggranate schlug mit einem Blitz vor dem Motorrad auf, und fast gleichzeitig folgte der Knall.
Zwischen den Beinen der Werwölfe wallte ein Feuerball auf, und in dem Chaos wurde die Harley zur flammenden Flaschenrakete und schleuderte brennende Teile durch die Nacht. Robin blinzelte in die Hitze.
»Heilige Scheiße!«, schrie Carly hinter ihr.
Das Motorrad kippte um, überschlug sich über die Körper der Werwölfe und warf Sand und Feuer in die Luft. Robin zog sich ins Wohnmobil zurück, nahm die nächste Granate aus der Schachtel im Becken und lud nach. »Jetzt kümmern wir uns mal um die Jungs, die uns ausbremsen wollen.« Sie ging zurück zur Tür, lehnte sich in die Nacht hinaus und zielte einhändig vor das Wohnmobil. Der Lauf kam langsam hoch.
Diese Position konnte sie nur ein paar Sekunden halten, aber das genügte. Robin drückte ab, das Gewehr hustete und wäre ihr fast aus der Hand gesprungen.
FOONK! Die Granate flog mit einem heftigen Hammerschlag los. Die Maschine, ein schwarz-weißes Polizeimotorrad, explodierte in einer Galaxie aus Höllenfeuer, die zweite schwankte heftig, kippte um und spuckte beide Männer unter den Winnebago.
KRAWUMM-KRAWUMM! Marina walzte über einen Körper.
Das Motorrad überschlug sich in einem Meer aus Flammen, und Marina wich zur Seite aus.
Oranges Licht schien durch die Fenster herein, als sie an der brennenden Maschine vorbeizogen. Robin lud die nächste Granate und lief nach hinten zum Bett, wo die Vorhänge wallten wie Supermans Cape und ihr immer wieder einen Blick auf die Verfolger gewährten. Sie riss sie aus ihren Schienen, damit sie freie Sicht hatte. Nun ging sie auf ein Knie, um festen Stand zu haben, und feuerte eine Granate durchs Fenster. FOONK!
Doch anstatt sauber durch die Öffnung zu fliegen, traf die Granate die Fensterbank und prallte direkt nach oben ab.
Eine Schrecksekunde lang befürchtete sie, die Granate würde in ihrem Gesicht explodieren, und Robin warf sich auf Kenway, wobei sie Gendreau die Pinzette aus der Hand schlug. Wie ein Basketball auf dem Ring des Korbs hüpfte die silberne Granate noch einmal und verschwand in der Nacht. Eine Sekunde später explodierte sie direkt hinter dem Winnebago. Die Rückwand knarrte unter der Wucht der Detonation und einem Donnerschlag aus Krachen und Licht.
Schrapnelle pfiffen in die Schlafzimmerwand.
Blut strömte über Gendreaus Gesicht. Robin setzte sich auf. Er sagte etwas, doch das Einzige, was sie hörte, war das elektrische Pfeifen des Tinnitus.
»Was?«, fragte Robin benommen.
»Ich sagte: Hören Sie auf mit den verdammten Granaten!«, sagte Gendreau, wischte sich das Blut ab und betrachtete es. Rote Glühwürmchen aus Energie umschwirrten seinen Kopf, als er die Fingerspitzen auf seinen Schädel drückte. Robin zog sich über die Bettkante und sah aus dem hinteren Fenster. Die Scheinwerfer der Biker-Gang blieben hinter ihnen zurück.
»Sie geben auf.« Sie taumelte nach vorn, das AR auf der Schulter wie einen Baseballschläger. »Kein Mumm«, sagte sie und stolperte über eine Dose mit Nudeln in Tomatensoße.
Bark at the moon, sang Ozzy Osbourne aus den Lautsprechern.