6 Ist das Universum lebendig?
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Deepak Chopra
Die Vorstellung, in einem Universum zu leben, das selbst lebendig ist, fasziniert die Menschen seit jeher. Die Religion erklärt, das Universum sei erfüllt von der göttlichen Kraft des Schöpfers und daher lebendig. Diese Vorstellung möchte ich aus der Perspektive der Wissenschaft und der Spiritualität gleichermaßen überprüfen. Dies ist mit gewissen Schwierigkeiten verbunden, denn die Wissenschaft geht davon aus, dass die ersten Lebensformen vor 3,8 Milliarden Jahren entstanden sind. Das aber würde bedeuten, dass die Erde – und das Universum – bis zu diesem Zeitpunkt tot waren. Wird aber das Leben irgendwie realer, wenn man Unbelebtheit zur Grundlage des Lebens macht, wie die Wissenschaft das tut?
Es gibt etwas weit Realeres als den Tod, nämlich den Wandel, die stete Veränderung. Der Kosmos ist Teil eines unendlichen Prozesses, in dem Materie und Energie recycelt werden. Nichts im Kosmos besitzt eine feste Identität: kein Stern, keine Galaxie, kein Elektron, kein Mensch – auch Sie und ich nicht. Demnach kann auch nichts »tot« sein. Das ist keine Philosophie, das ist reine Beobachtung. Jedes Atom in Ihrem Körper stammt aus der Explosion einer Supernova oder aus dem Treiben interstellarer Gase. Sie und ich bestehen letztlich aus Sternenstaub. Unser Leben umfasst weit mehr als nur die Ebene der persönlichen Erfahrung. Auf einer recht subtilen Ebene recycelt die Natur Information und Erinnerung. Jedes Mal, wenn eine Zelle sich teilt, muss sie sich daran erinnern, wie das zu geschehen hat. Diese Information hat sie von den Zellen »geerbt«, die ihr vorausgegangen sind. Das zeigt, dass in den Molekülen einer Zelle, die Enzyme und Proteine herstellen, diese Information, ein Code, gespeichert ist. Dieser sagt den Molekülen, was genau sie tun sollen.
Folglich sind Sie die Verkörperung eines dynamischen Universums, was bedeutet, dass Sie eine Tiefendimension besitzen, die weit über die üblichen Selbstbeschreibungen wie »Ich bin ein mitteleuropäischer Mann« oder »Ich bin vierzig und glücklich verheiratet« hinausreicht. Sich selbst über solche Kategorien zu definieren, ist reine Illusion, nicht mehr als ein kurzer Gedanke, der in einem ewigen Kontinuum vorüberstreicht. Spiritualität aber ermöglicht Ihnen, sich jenseits der Grenzen des Persönlichen zu erfahren, ein Weg, der am Ende zur Erleuchtung führt. Ich weiß, dass sich das hochtrabend anhört. Um die Sache weniger bombastisch zu machen, müssen wir uns nur ein paar glaubwürdige Fakten vor Augen führen. Da ist zum einen die Tatsache, dass das Universum trotz aller gegenteiliger Behauptungen ein lebendiger Prozess ist.
Natürlich beobachten wir um uns herum alle möglichen konkreten Aspekte des Todes. Doch diese sind nicht mit Tod an sich gleichzusetzen. In dieser Hinsicht gehen die Meinungen von Spiritualität und Wissenschaft weit auseinander, denn die Wissenschaft definiert den Tod als ein rein körperlich-materielles Phänomen. Ohne Raumanzug würde ein menschliches (eigentlich jedes lebende) Wesen im kalten Vakuum des Weltraums nach wenigen Sekunden sterben. Doch das hat mit der Frage, ob das Universum lebendig ist, wenig zu tun. Letztlich geht es dabei wieder um Bewusstsein. Ist der Kosmos sich seiner selbst bewusst, wie ich gesagt habe, dann ist er auch lebendig.
Dem Kosmos Bewusstsein zuzuerkennen, hat folglich sehr viel weiter reichende Konsequenzen als die Entdeckung der Gravitation. Dass diese Vorstellung auf Widerstand stößt, hat seine Gründe. Im materialistischen Weltbild geht die Materie der Bildung des Lebens voraus. Das Universum vor dem Auftauchen der DNS wird als tot betrachtet. Vor diesem Hintergrund ist es ein wahres Wunder, dass die DNS lernte, sich selbst zu reproduzieren – gegen jede Wahrscheinlichkeit. Ein Molekül, das sich aufdröselt und so exakt identische Repliken seiner selbst schafft. Vor der DNS gab es kein Molekül, das diese Fähigkeit besessen hätte. (Kristalle sind der einfachen Replikation fähig. Kinder lernen dies, wenn sie einen Faden in eine gesättigte Zuckerlösung halten und zusehen, wie sich daran Zuckerkristalle bilden wie Stalaktiten in einer Höhle.) Die Spiritualität jedenfalls muss nicht auf ein Wunder zurückgreifen, um das Leben zu erklären, sobald man sich von der Idee eines toten Universums verabschiedet hat. Ich will hier keine unreflektierten magischen Vorstellungen fortführen, sondern zu mehr Stringenz beitragen. Denn für meine Ansicht gibt es ein zwingendes Argument: Das Universum brachte komplexe Lebensformen hervor, weil das Leben darin schon immer existiert hat, schon vor der Entstehung unseres Universums.
Eine Zelle, die wächst und sich vermehrt, lässt sich vergleichen mit einem Roboter, der gelernt hat, sich selbst nachzubauen. Solch ein Roboter ist logisch nicht denkbar ohne einen entsprechenden Schöpfer, denn irgendwer oder irgendetwas muss ja den ersten Roboter gebaut und programmiert haben. Dieselbe Logik lässt sich auch auf den Kosmos übertragen. Er schafft sich selbst. Wenn dies nur möglich ist durch eine Form von Programmierung, dann ist das Wunder, das die DNS zum Entstehen gebracht hat, Teil eines kosmischen Programms. In jeder Sekunde löst sich ein Teil des Universums in nichts auf und tritt wieder in Erscheinung, indem es sich selbst erschafft. Die Physik erklärt dieses Wiedererscheinen unter Rückgriff auf die Naturgesetze: Sie funktionieren wie ein altes Uhrwerk, nur dass es in dieser Phase unsichtbar ist.
Ich hingegen gehe davon aus, dass das Rezept für Leben auf der Erde etwas mit dem Zustand zu tun hat, der der kosmischen Selbstschöpfung zugrunde liegt. Der Fachbegriff heißt hier autopoiesis, eine Bildung aus den griechischen Wörtern für »selbst« (auto) und »machen« (poiein). Niemand kann leugnen, dass das Universum sich selbst erschafft und erhält, genauso wie ein Pantoffeltierchen dies tut, das in der Abendsonne auf einem Teich schwimmt.
Auf der Zellebene ist ein einzelnes Pantoffeltierchen keineswegs als Nachfahre des allerersten Pantoffeltierchens zu betrachten, das vor Milliarden Jahren entstanden ist: Tatsächlich ist es dieses erste Exemplar. Durch Zellteilung ist eine absolut identische Kopie entstanden, ohne dass etwas weggenommen oder hinzugefügt wurde. Es ist richtig, dass für jede neue Generation von Pantoffeltierchen neues Rohmaterial nötig ist (und dass es im Laufe der Entwicklungsgeschichte zu Mutationen kommt, von denen die meisten aussterben), doch das ist sekundär. Das Leben ist wie ein Haus, das Tag für Tag einfach gleich aussieht, obwohl jeder einzelne Ziegelstein stets gegen einen anderen ausgewechselt wird. Nahrung und Luft werden ständig von lebenden Zellen aufgenommen, doch es gibt etwas, das intakt bleibt.
Ich kann diese unsichtbare organisierende Kraft »Leben« nennen, eine genauere Erklärung wird erst möglich, wenn wir uns eingehender mit der Autopoiesis beschäftigen, der Selbstschöpfung. Für diesen Prozess müssen vier Voraussetzungen gegeben sein, wobei ich mich jetzt schon dafür entschuldige, wie technisch das Folgende klingt. Selbstschöpfung setzt voraus:
1. ein einheitliches System, das sich selbst replizieren kann;
2. Komponenten, die sich selbst zu diesem mechanistischen System organisieren;
3. eine Reihe von Prozessen, die alles hervorbringen können, was für das System nötig ist;
4. einen in sich geschlossenen Raum, der nicht von einer äußeren Ursache abhängt.
Das ist sehr viel abstrakter als die einfache Aussage: »Wir leben in einem lebendigen Universum.« Doch genau zu dieser Schlussfolgerung führen diese vier hier aufgestellten Voraussetzungen für ein autopoietisches System. Nehmen wir als Beispiel einen Embryo, der im Mutterleib heranwächst. Er ist »ganzheitlich«, denn aus einer Zelle entstehen zwei, vier, acht, sechzehn und so weiter Zellen, die alle nur ein Ziel haben: das Baby. Es wächst, während seine Komponenten (Nahrung, Luft und Wasser) sich dem großen Ganzen anverwandeln. Eine Reihe von Prozessen führen zur Erschaffung der einzelnen Zellen. Diese ziehen eine Reihe weiterer Mechanismen nach sich, in deren Gefolge aus Stammzellen spezialisierte Zellen werden: Herzzellen, Leberzellen, Gehirnzellen und so weiter. Das Baby braucht keine äußere Ursache. Wenn das befruchtete Ei in einem Reagenzglas gehalten wird, wird sich – in vollkommener Isolation von der Mutter – ein Baby bilden, wenn nur die ersten drei Komponenten vorhanden sind.
Ein Skeptiker wird mir natürlich entgegenhalten, dass das Universum so nicht funktioniert und es eigentlich nur so aussieht, als wäre es lebendig. Die Zuckerkristalle, die sich an dem Faden bilden, sind ja auch nicht lebendig, obwohl sie wachsen und sich reproduzieren. Doch der Vorgang der Autopoiesis kann nicht mit der Replikation der Kristalle verglichen werden. Das Universum hatte ja schließlich kein Medium, in dem es sich herausbilden konnte, keine Zuckerlösung. Es schuf sich selbst aus dem Nichts. Die Selbstschöpfung ändert nur ihr äußeres Gewand, wenn ein Baby zur Welt kommt. Ein Baby, eine Galaxie, ein Photon, die Ökologie des Regenwaldes – das alles hat auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun. Doch wenn man das Leben auf seiner tiefsten Ebene studiert, dann entsteht jeder Aspekt des lebenden Universums aus dem Nichts. Das Leben ist die Art des Universums, Augen und Ohren zu schaffen, mit denen es sich selbst sehen und hören kann. Das menschliche Gehirn ist ein Aussichtspunkt, an dem der Kosmos sich selbst erfährt.
Wenn Sie diesen Ansatz weiter verfolgen, werden Sie feststellen, dass es viele Belege dafür gibt, dass das Potenzial für komplexe Lebensformen bereits zu Beginn im Kosmos angelegt war. Da wir das Phänomen des Lebens erst in späteren Kapiteln betrachten, will ich hier nur ein paar grundlegende Punkte nennen.
Das Universum kann als lebendig betrachtet werden aufgrund folgender Phänomene:
1. Autopoiesis: Jedes lebendige Geschöpf wächst aus seinem eigenen Innern.
2. Ganzheit: Jedes lebendige Geschöpf vereint als individueller Prozess viele Komponenten zu einem Ganzen.
3. Bewusstsein: Lebendige Wesen, ob nun primitiv oder komplex gebaut, zeigen Bewusstsein. Anders als träge Chemikalien reagieren sie auf die Umwelt.
4. Lebenszyklus: Lebende Wesen vollziehen einen Lebenszyklus von der Geburt bis zum Tod, währenddessen sie sich selbst erhalten.
5. Spontane Reproduktion: Lebende Wesen vermehren sich und leben in Populationen zusammen. Innerhalb dieser Populationen besteht zwischen den einzelnen Elementen eine Beziehung.
6. Kreativität: Lebende Wesen entwickeln sich. Sie reproduzieren nicht einfach mechanische Klone. Wir sehen also vor uns das stete Spiel der Kreativität.
7. Manifestation: Ein lebendiger Organismus ist eine Projektion abstrakter Komponenten in der Raumzeit, wie ein lebendes Hologramm. Diese Projektionen sind sichtbar. Sie bewegen sich im Tanz des Lebens. Wenn man jedes lebende Wesen, einschließlich des Universums, auf seine Grundbestandteile reduziert, kommt man erneut auf die Ebene des Abstrakten. Der Funke des Lebens scheint zu verschwinden. Wenn man lebendes Gewebe unter einem starken Mikroskop betrachtet, sieht man es erneut auf seine Moleküle, seine chemischen Komponenten, reduziert. Doch natürlich ging der Lebensfunke nicht verloren. Es hat nur nie einen solchen gegeben. Das Leben ist in der Leerheit bereits vorhanden, doch in so abstrakter Form, dass ein Hologramm – wie Sie oder ich – nötig ist, damit es sich manifestieren kann.
Aus der spirituellen Perspektive ergibt es keinen Sinn zu fragen, weshalb das Universum Heimat für das Leben geworden ist. Das Universum und das Leben sind ein und dasselbe. Die Maske des Materialismus kann uns nicht täuschen. Denn dahinter wird der Tänzer zum Tanz, immer und überall.
Ist das Universum lebendig?
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Leonard Mlodinow
1944 drehten die beiden Psychologen Fritz Heider und Marianne Simmel einen Film, dessen »Akteure« ein Kreis sowie ein großes und ein kleines Dreieck waren. Diese geometrischen Figuren jagen sich durch den Raum, bis am Ende eine vom Bildschirm verschwindet und eine zweite entzweibricht. Man möchte meinen, dieser Film müsse in etwa so viel emotionale Resonanz auslösen wie ein Vortrag über euklidische Geometrie. Als Simmel und Heider jedoch Versuchspersonen befragten, was in dem Film passiert sei, erzählten sie dramatische Geschichten, als sei der Film für den Oscar nominiert und sie müssten die Ankündigung schreiben. Fast alle machten aus den geometrischen Figuren Personen, denen sie sodann menschliche Regungen zuordneten. Dann ersannen sie eine Story, um die Bewegungen der Figuren zu erklären. Menschen lieben gute Geschichten. So sehr, dass sie in fast alles eine hineinlesen. Wir anthropomorphisieren alles, von Katzen und Hunden hin zu Autos und – allem Anschein nach – sogar der Geometrie. Es ist also nicht schwer zu verstehen, weshalb uns die Theorie von einem denkenden und lebenden Universum gar so anzieht.
Deepak erzählt uns eine schöne Geschichte. Er meint, es sei kurzsichtig, das Ende des Lebens mit dem materiellen Aspekt des Todes gleichzusetzen, denn wir alle seien Teil eines Universums, das sich seiner selbst bewusst und somit lebendig sei. Um die Frage untersuchen zu können, ob das Universum lebendig ist, müssen wir uns zunächst einmal fragen, was es heißt, lebendig zu sein. Natürlich kann man behaupten, ein Stück Toast sei lebendig, doch versuchen Sie mal, das Ding dazu zu kriegen, sich selbst zu bestreichen. Auch kann man behaupten, ein Felsen sei lebendig, doch Sie werden ihn vermutlich nie gebären sehen. Wenn wir also etwas als lebendig betrachten, dann gehen wir zumindest davon aus, dass es auf seine Umwelt reagiert und sich reproduzieren kann. Was heißt das nun auf das Universum bezogen?
Deepak stellt sieben Kriterien für das Leben auf, die das Universum seiner Ansicht nach erfüllt. Der erste Punkt in seiner Liste ist Wachstum. Wächst das Universum? Wachsen heißt, sich in Größe oder Menge zu verändern. Das Universum hat keinen Massezuwachs zu verzeichnen, und die Physiker glauben, dass es unendlich ist, sodass die Frage nach einem Größenwachstum heikel wird. Grenzt man jedoch einen Teil des Universums ab, dann wächst dieser, denn, wie ich bereits erklärt habe, der Raum dehnt sich aus. Damit wäre also das Kriterium Wachstum gegeben. Sein zweites Kriterium ist Ganzheit. Das heißt, dass ein lebendes Ding als Einheit funktioniert. Hier betreten wir nun unsicheren Boden. Nehmen wir mal Ihre Lieblingsmannschaft im Sport. Funktioniert sie als Einheit? Eine gute Mannschaft tut das, eine schlechte nicht. Über diese Frage können Trainer, Journalisten und Fans endlos streiten, ohne je auf den Trichter zu kommen. Andererseits umfasst das Universum ja die Gesamtheit aller Dinge, also müsste es doch auch dem Kriterium der Ganzheit gehorchen. Das Kriterium »Lebenszyklus« wird von allen Wesen erfüllt, die keine Ewigkeit leben. Die Geburt eines Kindes ist zwar mit der Geburt eines Schokoladenkuchens nicht zu vergleichen, doch man könnte sagen, dass das Universum auch dieses Kriterium erfüllt. Nun würden viele Physiker sagen, das Kriterium der Reproduktion sei nicht gegeben. Diese Frage können wir für den Moment offen lassen, denn es gibt kosmologische Modelle – die man »ekpyrotisch« nennt –, die davon ausgehen, dass das Universum wie ein Phoenix aus seiner Asche wieder erstehen kann. Diese Modelle sind hochspekulativ und bislang unbewiesen, aber sogar darin vermehren die Universen sich nicht und leben in Populationen zusammen. Daher kann dieses Kriterium wohl nicht als erfüllt gelten. Dem Kriterium »Bewusstsein« wird das Universum ebenfalls nicht gerecht, denn es müsste dazu in Austausch mit seiner Umwelt treten, da es aber per definitionem alles ist, kann es keine Umwelt haben. Wie ich bereits in Kapitel 4 erklärt habe, kann man vom Universum auch nicht behaupten, dass es dem Prozess der Evolution unterworfen ist, da es nicht in einer äußeren Umgebung existiert, der es sich anpassen könnte, und daher auch keine natürliche Selektion erfährt. Dieses Kriterium ist also leider auch nicht erfüllt. Deepaks Vorstellung von einem lebenden Universum ist zweifelsohne interessant, doch wie die nähere Untersuchung der letzten drei von ihm aufgestellten Kriterien ergeben hat, wird das Universum seiner eigenen Definition nicht gerecht und ist daher nicht lebendig.
Könnte das Universum vielleicht auf abstraktere, allgemeinere Weise lebendig sein? Deepak spricht ja von den Veränderungen innerhalb des Universums wie der Entwicklung von Galaxien oder Leben. Er behauptet, dass das Leben die Art des Universums sei, »Augen und Ohren zu schaffen«. Er meint, die übliche Liste mit Kennzeichen des Lebens sei ohnehin nicht ausschlaggebend. Denn wenn der Kosmos sich seiner selbst bewusst sei, sei er auch lebendig.
Deepak behauptet, Bewusstsein im Universum zu entdecken sei weit folgenreicher als die Entdeckung der Gravitation, aber die Wissenschaft setze dem ja entsprechend Widerstand entgegen. Natürlich könnte dies auch das lautstarke Klappern jener sein, deren Handwerk es ist, sich grundsätzlich neuen Ideen zu verschließen. Wenn aber nun tatsächlich entdeckt – nicht nur behauptet – würde, dass das Universum Bewusstsein besitze, dann würde die Wissenschaft, wie die Geschichte zeigt, sich eiligst auf die neueste Entdeckung stürzen. Bald gäbe es entsprechende Nobelpreise und Tausende von Artikeln zur Psychologie des Universums mit Überschriften wie »Sind Supernovae selbstzerstörerisch veranlagt?« Oder: »Ist ein schwarzes Loch ein Anzeichen für eine ernsthafte Depression?« Die Karrieren von Wissenschaftlern beruhen auf aufsehenerregenden Entdeckungen und Ideen. Dies gilt vor allem für junge Wissenschaftler, die sich keinen Namen mit dem Recyceln ehemals revolutionärer Ideen machen können. Doch um im wissenschaftlichen Bereich akzeptiert zu werden, müsste die Idee zumindest die Möglichkeit bieten, sie experimentell zu überprüfen. Das Konzept vom universellen Bewusstsein aber lässt diese Eigenschaft vermissen.
Deepak bietet uns hier ein – wie er meint – schlagendes Argument. Er meint, nur ein mit Bewusstsein begabtes Universum könne erklären, wie darin Leben entstanden sei. Wir werden uns mit diesem Thema noch weiter beschäftigen, doch zuerst möchte ich etwas anderes klären. Deepak vergleicht das Auftauchen der DNS mit einem Reißverschluss, der sich »bückt« und sich selbst öffnet. »Woher kam denn die DNS?«, fragt er. Dazu ist eine Erläuterung nötig. Wir wissen nämlich, was passiert ist, nachdem sich die ersten Einzeller gebildet haben. Die Evolution bringt Lebensformen hervor, die sich stets weiterentwickeln – von einfachen zu komplexen Zellgebilden, vom Einzeller zum Mehrzeller, schließlich zu Insekten, Fischen, Amphibien und Reptilien, Vögeln und Säugetieren, Primaten und uns. Doch obwohl die Evolution Organismen von immer höherer Komplexität schafft, so haben doch all diese Organismen – sogar das einfachste Bakterium – etwas gemeinsam: Sie besitzen gleichsam molekulare Maschinen zur Energiegewinnung. Ihre innere Struktur erlaubt ihnen, Nährstoffe zu transportieren, Botschaften weiterzugeben, Zellstrukturen aufzubauen und zu reparieren und viele andere, erstaunliche Aufgaben zu bewältigen. Die meisten dieser molekularen Maschinen sind Enzyme, Katalysatoren aus Proteinen. (Ein Katalysator ist ein Molekül, das die Rate einer chemischen Reaktion beeinflusst.) Da jede lebendige Zelle diese Mechanismen besitzt, könnte man zu der Ansicht gelangen, dass sie ein Erfordernis für das Leben sind, wie wir es kennen. Tatsache ist, dass sogar der erste einfache lebende Organismus, von dem alles Lebende heute abstammt, über solche Strukturen verfügte. Wie aber entstanden diese Moleküle?
Der Ursprung des Lebens wird immer noch erforscht. Viele Fragen sind noch offen, doch Experimente lassen vermuten, dass es durchaus möglich ist, dass sich Moleküle, die genetische Informationen tragen, wie die DNS spontan bilden. Andere Experimente zeigen, dass es durchaus möglich ist, dass solche Moleküle sich zu spiralähnlichen Strukturen aufrollen beziehungsweise als Katalysatoren dienen. Das bedeutet, dass die frühesten Lebensformen, das, was wir als »Vorform des Lebens« bezeichnen, aus Fettsäure-Membranen bestanden haben könnten – auch diese Moleküle bilden sich spontan –, die sich um eine Mischung aus Wasser und diesen genetischen Molekülen schlossen. Dann könnten Zufallsmutationen die Entwicklung vorangetrieben haben, indem sie den Zellen erlaubten, sich an ihre Umwelt anzupassen, und so das Leben schufen, wie wir es heute kennen. Selbst wenn die spontane Entstehung von Leben oder seinen Vorformen in einem Sternensystem äußerst unwahrscheinlich ist, heißt das nicht, dass es nicht vorkommen kann, denn es gibt zehn Milliarden Billionen Sternensysteme allein in unserem beobachtbaren Universum. Wenn Sie also unter »äußerst unwahrscheinlich« nicht eine Wahrscheinlichkeit von weniger als eins zu einer Billion verstehen, könnte Leben in gut einer Milliarde Sternensysteme entstehen oder entstanden sein.
Nehmen wir aber mal an, die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung von Leben in einem Sternensystem liegt bei eins zu einer Billion. Wieso sind dann gerade wir die Glücklichen? Wenn unter einer Billion Sterne durch normale, natürliche Vorgänge in genau einem Sternensystem Leben entsteht, halten dessen Bewohner dies vermutlich für ein Wunder. Ganz klar, denn wenn sie ihr künftiges Heim durch einen Pfeilwurf auf eine Karte des Weltraums hätten auswählen müssen, dann hätte die Chance, dass sie kein lebensförderliches System finden, bei einer Billion zu eins gelegen. Aber so ist es nun mal nicht passiert. Sie wurden in ein Sternensystem hineingeboren, in dem sich Leben entwickelte. Und ganz egal, wie selten Leben im Universum auch sein mag, die lebenden Wesen, die sich umsehen, werden sich natürlich auf einem Planeten befinden, der Leben fördert. Es ist also kein Wunder. Noch nicht einmal der sprichwörtliche Dusel. Es ist einfach nur eine logische Konsequenz.
Die Wissenschaft mag das Problem, wie Leben auf der Erde tatsächlich entstanden ist, noch nicht gelöst haben, doch unsere Zivilisation ist keineswegs so weit fortgeschritten, dass wir daraus den Schluss ziehen können, dass ihr das auch nie gelingen wird. Und was hat Deepaks Metaphysik als Alternative zu bieten? Inwiefern erklärt die Idee von einem lebenden, bewussten Universum die Entstehung des Lebens? Er meint: »Die Spiritualität jedenfalls muss nicht auf ein Wunder zurückgreifen, um das Leben zu erklären, sobald man sich von der Idee eines toten Universums verabschiedet hat. … Denn für meine Ansicht gibt es ein zwingendes Argument: Das Universum brachte komplexe Lebensformen hervor, weil das Leben darin schon immer existiert hat, schon vor der Entstehung unseres Universums.« Dieses Argument klingt wirklich gut, wenn man es auf das Leben im Universum anwendet, aber sehen wir uns doch einmal an, wie es logisch funktioniert, wenn wir es in einen etwas gewöhnlicheren Kontext stellen, zum Beispiel das Frühstück. Das hieße: »Wir müssen nicht auf ein Wunder zurückgreifen, um zu erklären, wie das Spiegelei mit dem Dotter nach oben auf meinem Teller landete, sobald wir uns vom Konzept eines eilosen Tellers verabschiedet haben. … Eine bessere Erklärung als das Wunderbare ist das Argument, das Universum habe ein Spiegelei mit der Dotterseite nach oben hervorgebracht, weil das Ei in dieser Form schon immer existiert hat, schon zu der Zeit, als der Teller geschaffen wurde.« Diese Erklärung ist offensichtlich nicht besonders einleuchtend.
Deepaks Erklärung erinnert mich an Thomas von Aquins Gottesbeweise aus dem 13. Jahrhundert. Er versuchte zu beweisen, dass Gott die erste Ursache sei. Dabei bediente er sich folgender Logik: Nichts kann sich selbst verursachen, also muss alles eine grundlegende Ursache haben. Jede grundlegende Ursache hat ihrerseits eine grundlegende Ursache. Diese Kausalkette kann nur durchbrochen werden, wenn etwas keine Ursache braucht, und das ist Gott. Gott kann erschaffen, ohne selbst einen Schöpfer zu brauchen. Doch selbst wenn man diese Argumentation akzeptiert, ist es von diesem Gotteskonzept bis zu Deepaks spezifischerer Ausprägung eines universellen Bewusstseins oder zu dem biblischen Gott, den Thomas von Aquin erklären wollte, ein weiter Weg. Diese Argumentation verlagert einfach nur die Diskussion: Fragte man sich vorher, wie das Universum aus dem Nichts entstehen konnte, stellt sich nun die Frage, wie Gott daraus hervorging. Das Argument, Gott sei eben Gott, weil nur Gott keine Ursache nötig habe, bringt uns letztlich nicht weiter.
Nachdem Stephen Hawking und ich unser gemeinsames Buch Der große Entwurf fertiggestellt hatten, versuchte ich, das Buch meiner damals neunjährigen Tochter Olivia zu erklären, während wir im IHOP-Restaurant auf unsere Pfannkuchen warteten. Die Wissenschaft wendet sich nun den großen Fragen zu, sagte ich ihr, und wir wollen Menschen, die keine Wissenschaftler sind, ihre aufregenden Forschungsergebnisse nahebringen. Wir fragen uns, so ich zu ihr, woher wir und das Universum kommen und warum das Universum so ist, wie es ist. Sie hörte aufmerksam zu. Natürlich wollte ich wissen, wie viel sie davon verstanden hatte. »Also, warum sind wir hier?«, fragte ich. Sie warf mir einen schrägen Blick zu. »Weil wir hungrig sind!« Vermutlich sollte ich tiefschürfende Fragen nicht vor dem Frühstück anschneiden.
Wir alle haben unseren eigenen Zugang, wenn es um diese zentralen Fragen geht, doch wenn unser Hunger nicht mit Pfannkuchen zu stillen ist, sondern weiter geht, sollten wir uns nicht auf die Aussagen von Wahrsagern und Feen verlassen. Der strenge wissenschaftliche Ansatz, der in Deepaks Augen den Blick auf den Reichtum des Lebens verstellt, bewahrt uns davor, an verführerische Ideen zu glauben, die von der Faktenlage nicht gestützt werden.
Deepak schreibt, ein höheres Bewusstsein erlaube den Weisen und Sehern, Einsichten zu erlangen, von denen die Wissenschaft sich bedroht fühle. Hier sind wir vermutlich alle einer Meinung: Weise, Heilige und Seher sind in Bereiche des Wissens vorgedrungen, die der Wissenschaft nicht offenstehen. Und es gibt viele Formen subjektiven Wissens, die für uns sehr wichtig sind. Zum Beispiel ist es wichtig zu wissen, wodurch unsere Kinder sich geliebt, sicher und glücklich fühlen. Wenn Olivia beispielsweise zu mir sagt, das Adjektiv, das sie am besten beschreibt, sei »freudvoll«, dann fühle ich mich dadurch innerlich bereichert. Doch von der Tatsache, dass diese subjektive Erfahrung von Bedeutung für mein Leben ist, würde sich kein Wissenschaftler bedroht fühlen. Doch wenn wir die Subjektivität aufs Podest erheben und unkritisch jede metaphysische Spekulation als Wahrheit akzeptieren, verzichten wir auf die höchste rationale Einsicht, die wir erlangen können: das Wissen um den wahren Platz, den der Mensch im physischen Kosmos einnimmt. Und für mich gehört das nun mal ebenso zum Reichtum des Lebens.