10 Wie arbeiten Gene?
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Leonard Mlodinow
Am 25. April 1953 veröffentlichten zwei junge Forscher der Universität Cambridge in England – James Watson und Francis Crick – einen Artikel in der Zeitschrift Nature. Darin hieß es, die DNS bestünde aus zwei ineinandergreifenden Strängen, die sich zu einer Doppelhelix winden, ein bisschen wie eine verdrehte Strickleiter. In ihrem Modell bestand jede »Leiterstufe« aus zwei Basen, die aneinander andockten und so die beiden »Leiterstränge« verbanden. Die beiden Basen sind komplementär. Das hat zur Folge, dass die beiden Leiterstränge, wenn man sie auseinanderzieht, quasi als Vorlage für die Bildung eines neuen, gleichartigen Basenstranges dienen kann. So lassen sich aus einem DNS-Molekül zwei identische Moleküle machen. Der Artikel der beiden war kurz und enthielt nur einen Satz, der die Bedeutung ihrer Entdeckung anriss: »Es ist unserer Aufmerksamkeit nicht entgangen, dass die speziellen Paarungen, die wir als gegeben voraussetzen, unmittelbar auf einen möglichen Vervielfältigungsmechanismus für das Erbgut schließen lassen.«
Die Veröffentlichung von Watson und Crick erfolgte ziemlich genau zwei Jahre vor Einsteins Tod. Anders als Einsteins Relativitätstheorie war ihre Arbeit kein gewaltiger konzeptueller Sprung nach vorne, der von der Entwicklung ihres Wissenschaftszweiges her betrachtet eigentlich erst sehr viel später hätte getan werden können, wären sie nicht genialerweise schon früher dahintergekommen. Trotzdem läutete ihre Arbeit den Beginn einer neuen Ära in der Biologie ein. Von diesem Moment an konnte die Wissenschaft die Geheimnisse der Vererbung auf molekularer Ebene studieren. Niemand wusste, wohin dies führen würde, obwohl Watson und Crick einen Monat später einen spekulativen Ausblick zu ihrer These publizierten. Im Juni veröffentliche die New York Times darüber einen Artikel mit einer recht zurückhaltenden Schlagzeile: »Chemie der Vererbung entdeckt«. Man hatte Linus Pauling dazu befragt, einen der führenden Chemiker seiner Zeit, und er meinte nur, dass er nicht glaube, dass die molekulare Genetik schon vollkommen verstanden sei. Pauling, der im Jahr darauf einen seiner zwei Nobelpreise verliehen bekommen sollte, hatte recht.
Wie komplex ist der Mechanismus der Vererbung? Heute, etwa 60 Jahre später, haben wir bei seiner Aufklärung enorme Fortschritte erzielt, doch immer noch arbeiten Tausende von Wissenschaftlern in aller Welt an den Einzelheiten.
Die Idee von der Evolution reicht zurück bis zu den alten Griechen, doch der Erste, der Jahrzehnte vor Darwin eine schlüssige Theorie zu diesem Thema vorlegte – die auch die Vererbung erworbener Eigenschaften umfasst –, war der französische Wissenschaftler Jean-Baptiste Lamarck. Darwins Evolutionstheorie geht davon aus, dass neue Eigenschaften und Merkmale, wie zum Beispiel der lange Hals der Giraffe, durch Mutation entstehen. Das erklärt, weshalb die Merkmale eines Kindes nicht denen der Eltern entsprechen müssen. Wenn das neue Merkmal dem Kind Vorteile in seinem Umfeld verschafft, wird das Kind gedeihen und sich reproduzieren, sodass die Mutation an folgende Generationen weitergegeben wird. Lamarck aber glaubte, die Eigenschaften eines Lebewesens seien nicht nur auf sein Erbmaterial zurückzuführen. Seiner Ansicht nach konnten sich solche Eigenschaften während der Lebensspanne eines Wesens entwickeln, um ihm eine bessere Umweltanpassung zu ermöglichen. Und der Organismus könne diese erworbenen Eigenschaften ebenso an die nächste Generation weitergeben. Ein Beispiel: Wenn eine Giraffe in eine Gegend mit höheren Bäumen auswandert, wächst ihr Hals, um sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Die nachfolgenden Generationen werden ebenfalls mit einem längeren Hals geboren. Heute nennen wir diesen Prozess »weiche Vererbung«. Es ist nicht die »normale« Vorgehensweise der Evolution, aber man hat entdeckt, dass solche Vorgänge tatsächlich stattfinden. Wir nennen dieses Feld die »Epigenetik«. Ich werde später darauf zurückkommen.
Beide Theorien – die Darwins und die Lamarcks – werfen eine zentrale Frage auf: Wie werden Eigenschaften von den Eltern auf die Kinder weitergegeben? 1865 stellte der tschechische Mönch und Naturforscher Gregor Mendel bei einem Vortrag erstmals seine Forschungsergebnisse vor. Er konnte zeigen, dass bestimmte Merkmale von Erbsen wie Form und Blütenfarbe sozusagen »im Paket« weitergegeben werden. Wir nennen diese Pakete heute »Gene«. Mendels Arbeit blieb jedoch bis zur Jahrhundertwende ohne Beachtung. 1869 wurde das Molekül entdeckt, das wir heute als DNS bezeichnen. Der Entdecker war Friedrich Miescher, ein Schweizer Arzt, der weiße Blutkörperchen untersuchte, die er aus dem Eiter von Mullbinden gewann. Miescher wusste nicht, wozu die Substanz diente, die er da entdeckt hatte, aber er wusste, dass sie nicht gerade selten war. Tatsächlich enthält fast jede menschliche Zelle so viel DNS, dass man daraus einen etwa 1,80 Meter langen Faden bilden könnte.
Der Zusammenhang zwischen den »Erbpaketen«, den Genen, und der DNS wurde erst 1944 hergestellt. Davor waren die Wissenschaftler fest überzeugt, dass die DNS nicht das Vererbungsmolekül war. Sie schien einfach viel zu simpel gebaut: Schließlich bestand sie nur aus vier verschiedenen Komponenten, die man Nukleotide nennt. (Jedes Nukleotid besteht aus einer von vier verschiedenen Basen – wie erwähnt – und zwei anderen kleinen Molekülen, einem Zucker und einem Phosphatmolekül, die das Rückgrat der DNS bilden.) 1944, nach Jahren aufwändiger Forschung, machte ein scheuer, 67-jähriger Wissenschaftler namens Oswald Avery (zusammen mit seinen Kollegen) folgende Entdeckung: Wenn man DNS aus toten Bakterien gewann und sie in eine lebende Stammkultur injizierte, verursachte sie dort dauerhafte Veränderungen der DNS, die an die folgende Generation weitergegeben wurden. Averys Arbeit schuf die Grundlage für die weitere Forschung nach der Struktur dieses geheimnisvollen Moleküls, die am Ende zu der Entdeckung der Doppelhelix durch Watson und Crick führte.
Grob gesagt ist ein Gen ein Bereich in der DNS eines Organismus, der Informationen enthält, welche die Herstellung eines bestimmten Proteins erlauben. Biologen sagen, dieses Gen »kodiere« das Protein. Der Code – das Rezept sozusagen – wird mit nur vier Buchstaben ausgedrückt: A, C, G und T. Diese stehen für die vier Basen, die die DNS ausmachen: Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin. Nur dass unser Rezeptstrang sehr, sehr lang ist und mehr als drei Milliarden Basenpaare enthält. Wenn das Rezept erfolgreich umgesetzt und das Protein zusammengebaut wurde, dann sagt man, es habe eine »Gen-Expression« stattgefunden. Die Proteine werden aus 20 verschiedenen Bestandteilen zusammengefügt, den Aminosäuren. Sie sind für den Großteil der Strukturen im menschlichen Körper verantwortlich, sind an fast allen Funktionen der Zelle beteiligt und kontrollieren die dort ablaufenden biochemischen Prozesse. Jeder Körper enthält mehr als 100.000 verschiedene Proteine wie Hormone, Enzyme, Antikörper und Transportmoleküle wie das Hämoglobin.
Unsere Merkmale werden also von den Proteinen bestimmt, die unser Körper produziert. Diese wiederum entstehen nach dem Rezept unserer Gene. Das Kochbuch, nach dem diese zusammengestellt werden, ist ein mehrbändiges Opus, das wir Genom nennen. Seine einzelnen Bände sind die Chromosomen. Wir alle haben unterschiedliche Eigenschaften und Merkmale, die teils auf unsere Erfahrungen und unsere Umwelt zurückgehen, teils auf unser Erbmaterial. Da jeder von uns unterschiedliches Erbmaterial hat, ist mein Genom anders als das Ihre. Was ist dann aber gemeint, wenn man vom »menschlichen Genom« spricht?
Uns kommen die Unterschiede zwischen uns und anderen Menschen enorm vor. Da gibt es Menschen, die lieber Schnee schaufeln als Opern zu hören, doch andere können ohne La Traviata gar nicht leben. Der eine bringt seinen Heiratsantrag bei einem gemeinsamen Picknick am Strand vor, der andere neben einer grölenden Rugbymannschaft, die ihren Sieg im Steakhouse feiert. Wenn wir aber auf die Ebene der Gene zurückgehen, sind unsere Gemeinsamkeiten sehr viel zahlreicher als die Unterschiede. Das Genom zweier Menschen unterscheidet sich nur etwa bei jedem 1000. Buchstaben. Im Grunde sind die Menschen einander sehr ähnlich. Es handelt sich sozusagen um das gleiche Buch – von ein paar Druckfehlern mal abgesehen.
Das Bild von den Druckfehlern ist noch aus einem anderen Grund ganz passend: Unsere genetischen Unterschiede gehen nämlich auf Mutationen zurück, zufällige Änderungen in der Buchstabenabfolge des Gesamtwerks, die sich im Laufe der Jahrtausende einstellten. Diese Mutationen sind verantwortlich für jenen Teil der menschlichen Unterschiede, die nicht erfahrungs- oder umweltbedingt sind: zum Beispiel Blutgruppen, Haar- und Hautfarben, Gesichtszüge. Vielleicht auch dafür, dass manchen von uns die Gabe des Gesangs gegeben ist, während andere mit ihren stimmlichen Äußerungen den Keller rattenfrei machen können.
Heute geht man davon aus, dass Menschen etwa 23.000 Gene besitzen. Das ist weniger als ein Molch hat oder eine Traube. Wer also hier glaubt, dass mehr auch besser heißt, hat sich getäuscht. Allein dies sollte schon zeigen, dass es wenig Sinn hat, die Dinge allzu sehr vereinfachen zu wollen. Ich habe Ihnen zwar hier eine grobe Einführung in das Funktionieren der Gene gegeben, doch wir sollten im Hinterkopf behalten, dass ich dabei enorm vereinfacht habe. So enthält jede Zelle nicht nur ein, sondern zwei Rezeptbücher für ihren Proteincocktail, da wir ja die Erbinformation beider Eltern bekommen haben. Wenn die beiden Rezepte in Konflikt geraten, wird manchmal das eine ausgeführt, dann wieder das andere. Doch es kann auch vorkommen, dass man einen Kompromiss schließt. Oder dass überhaupt ein ganz anderes Protein geschaffen wird. Dann wieder enthält ein Gen das Rezept für mehr als ein Protein. Fast die Hälfte unserer Gene wird »gespleißt«, also vermischt. Nur so können mehr als 100.000 verschiedene Proteine aus nur 23.000 Genen entstehen.
Welche Wirkung ein Gen hat, hängt nicht zuletzt von der »Genregulation« ab. Dieser Prozess bestimmt, ob und wie das Rezept des Gens ausgeführt wird. Auf der molekularen Ebene findet Genregulation statt, wenn bestimmte Stoffe mit Teilen der DNS reagieren, um ein Gen zu inaktivieren. Ein Ergebnis wäre dann beispielsweise, dass sich eineiige Zwillinge – die definitionsgemäß dasselbe Erbmaterial haben – voneinander unterscheiden können. Bei den Agutis, Nagetieren aus Südamerika, kann dann ein Zwilling schlank mit dunkelbraunem Fell sein, während der andere ein gelbes Fell hat und fettleibig ist. Die dicken, gelben Tiere haben diese Merkmale aufgrund ihrer Umwelt entwickelt. Die dicken, gelben Agutis kommen auch unter natürlichen Bedingungen vor, doch wenn man tragende Aguti-Weibchen mit Bisphenol A in Kontakt bringt – enthalten in vielen Plastiktrinkflaschen –, werden sehr viel mehr Nachkommen mit gelbem Fell und der Anlage zur Fettleibigkeit geboren. Man stellte fest, dass durch die Einwirkung von Bisphenol A die Methylierung der DNS weniger gut funktionierte. Dieser Prozess inaktiviert manche Gene. Deshalb wird bei dem Aguti-Nachwuchs ein bestimmtes Protein mehr als üblich synthetisiert. Dies wiederum hat bei manchen Mäusen Auswirkungen auf die Haut (wo Zellen blockiert werden, die schwarzes Pigment produzieren) und auf das Gehirn (wo die Fresssteuerung stattfindet). Anders als Lamarck glaubte, wird der Hals von Giraffen nicht länger, wenn sie sich höher zum Laub ihrer Futterbäume strecken müssen, doch die Gen-Expression – die für den Aufbau des Individuums verantwortlich ist – kann über den Prozess der Gen-Regulation von der Umwelt beeinflusst werden. Dazu sind noch nicht einmal Umweltgifte nötig wie beim Bisphenol A. Hasen im Himalaja beispielsweise besitzen ein Gen, das für die Entwicklung von dunklen Haut- und Haarpigmenten verantwortlich ist. Doch dieses Gen ist bei Temperaturen über 35 Grad Celsius inaktiv. Die Körpertemperatur der Hasen liegt darüber – nur an den Extremitäten nicht. Und so sind Himalajahasen weiß mit schwarzen Ohren, Nasen und Füßen.
Merkmalveränderungen, die – wie die eben bei den Hasen beschriebene – von etwas anderem abhängen als von der Veränderung der DNS, nennt man »epigenetisch«. Gen-Regulation und epigenetische Veränderungen sorgen dafür, dass es viele Merkmale in einem Organismus (jedweder Art) gibt, die nicht bei der Empfängnis angelegt waren. Sie spiegeln vielmehr die Interaktion zwischen dem Genom und der Information in der Umwelt des Organismus wider, und zwar von der Empfängnis an über die gesamte Lebenszeit hinweg. In einigen Fällen betrafen diese epigenetischen Veränderungen mehrere Generationen. Dies entspricht der Lamarckschen Sicht der Evolution: Merkmale, die innerhalb der Lebenszeit eines Individuums erworben wurden, können an dessen Nachkommen weitergegeben werden.
Ein weiteres Problem bei diesem eher simplen Bild ist, dass die Gene, die ich Ihnen oben beschrieben habe, die Proteinrezepte, nur etwa ein bis zwei Prozent des Genoms ausmachen. Der Rest ist sogenannte »Junk-DNS«, also DNS-Müll. Zumindest nannte man das bis vor kurzem so, da man nicht wusste, welche Funktion diese DNS ausübte. Mittlerweile hat man dafür die Bezeichnungen »nicht kodierende« oder »intergenische« DNS gefunden, da auch dieses Material offensichtlich eine wichtige Funktion ausübt. Etwa die Hälfte davon stabilisiert die Struktur der Chromosomen. Ein Chromosom ist ein in Proteine verpackter DNS-Strang. Andere »intergenische« DNS-Sequenzen legen fest, wo ein Gen beginnt und aufhört – wie Großbuchstaben und Punkte in unserer Sprache den Beginn und das Ende eines Satzes festlegen. Andere Sequenzen, Pseudogene genannt, sind Kopien »normaler« Gene, die nur einen Defekt enthalten. Dieser aber verhindert, dass sie exprimiert werden. Früher dachte man, dass diese Pseudogene einfach nur entwicklungsgeschichtliche Reste der Evolution sind. 2010 aber gab es einen Durchbruch in der Forschung, denn man fand heraus, dass einige Pseudogene eine epigenetische Funktion haben: Sie sorgen dafür, dass ihre »normalen« Geschwister nicht inaktiviert werden.
Wenn Ihnen das alles hochgradig kompliziert vorkommt, dann ist das völlig in Ordnung: Lebende Wesen sind kompliziert. Beim Programmieren von Computern gibt es sogenannte »kludges«, das sind meist nachträglich eingefügte, nicht besonders elegante Veränderungen des Programms, mit denen man zusätzliche Funktionen implementiert oder Fehler beseitigt. Im Deutschen bezeichnet man sie als »Hack«. Ein Programm mit vielen solcher hässlichen Programmiertricks ist für einen Außenseiter meist schwer nachzuvollziehen. Doch genauso funktioniert die Evolution nun einmal. Unsere Vorfahren hatten zum Beispiel einen Schwanz, daher besitzen wir immer noch ein Gen, das die Ausbildung eines solchen ermöglicht. Das Gen wurde also nicht beseitigt, sondern einfach abgeschaltet, als es für den Schwanz keine Notwendigkeit mehr gab.
Obwohl in der Wissenschaft eine Idee im Großen und Ganzen meist recht klar beschrieben werden kann, sind biologische Systeme von einer Komplexität, die sich in solch einem Überblick kaum ausdrücken lässt. So kann man den Hippocampus beispielsweise als winzige Hirnstruktur bezeichnen, die an der Entstehung von Emotionen und der Langzeitspeicherung von Gedächtnisinhalten beteiligt ist. Das ist so weit auch ganz richtig. Doch das Standard-Lehrbuch über den Hippocampus ist mehrere Zentimeter dick. Ein kürzlich veröffentlichter Artikel über Interneuronen – einen bestimmten Typus von Nervenzellen im Hypothalamus, einem anderen Teil des Gehirns – war über hundert Seiten lang und führte mehrere Hundert komplizierter Versuche auf. Natürlich verfügen nur wenige Menschen über die Geduld oder die Fähigkeiten, diesen Artikel zu lesen beziehungsweise zu verstehen, doch zum Glück gibt es Menschen, die aufgrund des Zusammenspiels ihres Genoms mit bestimmten Umweltbedingungen solch ein Konvolut als interessante Abendlektüre betrachten.
Wir Menschen erhoffen uns ja häufig irgendwelche einfach zu verstehenden Zusammenhänge, zum Beispiel zwischen einem einzigen Gen und einer Krankheit oder einem Charaktermerkmal. Mitunter gibt es das auch, zum Beispiel bei der Sichelzellanämie und der Mukoviszidose. Deepaks Metaphysik mag ja durchaus simple, aber vage Antworten geben. Niemand hindert ihn daran, Aussagen zu treffen wie: Man könne »nicht mit einem ›sinnfreien‹ Kosmos starten und dann am Ende beim Bedeutungsreichtum und der Vielfalt der menschlichen Existenz landen«. Oder: »Das menschliche Leben ist eingebettet in einen Bereich jenseits von Zeit und Raum.« Die Wissenschaft aber muss wahre Antworten finden, die von Experimenten gestützt werden, und die Wahrheit ist nur in den seltensten Fällen einfach.
Die Vielfalt des Lebens rührt aus seiner Komplexität. Es ist eine unglaublich kostbare Gabe, dass wir leben und lieben und als lebende Wesen funktionieren können – aufgrund des Zusammenwirkens von Milliarden und Abermilliarden Zellen, die auf höchst verwickelte Weise miteinander verknüpft und organisiert sind. Wie ich bereits sagte, sind nur etwa 0,1 Prozent unserer Gene für die Unterschiede zwischen uns verantwortlich. Die Gendifferenz zwischen uns und einem Schimpansen ist etwa 15 Mal so hoch. Wir teilen mit unseren Primatenverwandten also etwa 98,5 Prozent unserer Gene, mit Mäusen noch etwa 90 Prozent, mit der niedrig stehenden Fruchtfliege immer noch circa 60 Prozent. Das Leben auf der Erde scheint also tatsächlich recht einheitlich zu sein, was mit seiner biochemischen Grundlage, der DNS, zu tun hat.
Wir alle – Trauben, Fruchtfliegen und Menschen – sind hier, um unsere DNS zu verbessern. Jedes Wesen auf der Erde drückt dies auf einzigartige Weise aus. Doch so unvergleichlich jedes auch sein mag, so lautet der evolutionäre Auftrag jedes Organismus doch gleich: die Verbreitung ihrer eigenen Version dieses ungewöhnlichen Moleküls, das – 1869 in Gestalt eines Herrn namens Friedrich Miescher – sich selbst entdeckte.
Wie arbeiten Gene?
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Deepak Chopra
Aus spiritueller Perspektive betrachtet ist Leonards Darstellung, wie Gene diese Vielfalt von Ausdrucksformen des Lebens schufen, die wir heute beobachten können, nichts hinzuzufügen. In großen Fragen wie diesen, bei denen es um physikalische Angelegenheiten geht, ist die Wissenschaft unser bestes Instrument. Allerdings tun Gene aus spiritueller Sicht etwas mehr, als nur ein Rezeptbuch für das Leben bereitzustellen. Worin aber besteht dieses »Mehr«?
Ich persönlich finde es bedeutsam, dass die Zahl der Gene so gering ist. Aber ich muss wohl ein wenig ausholen, um zu erklären, worauf ich hinauswill. Als sich das Human Genome Project, das sich die Entschlüsselung des menschlichen Erbguts zum Ziel gesetzt hatte, 2003 seinem Ende näherte, wurden allenthalben Wetten abgeschlossen. Würden es 80.000 Gene werden? Oder doch eher 120.000? Da wir die am höchsten entwickelte Spezies dieses Planeten sind, nahm man automatisch an, dass wir weit mehr Gene haben müssten als andere Arten. Es war ein Schock, als man herausfand, dass wir nur zwischen 20.000 und 25.000 Gene besitzen, so viel wie ein Huhn oder ein niederer Wurm, wie zum Beispiel Nematoden. Sogar der Mais hatte mehr Gene als wir, was nun äußerst merkwürdig war. In abgemilderter Form erlebten wir einen ähnlichen Schock wie Darwins Zeitgenossen, als er nachwies, dass der Homo sapiens – wie alle Säugetiere – vom Fisch abstammt.
In beiden Fällen aber erwies sich dieser Schock als hochproduktiv. Wie Leonard so anschaulich beschreibt, fanden wir heraus, dass die Vererbung wesentlich flexibler ist, als wir vor 50 oder auch noch vor 20 Jahren angenommen haben. Damals machte man »die Gene« für fast alles verantwortlich: Meine Gene lassen mich zu viel essen, verursachen Depressionen, reduzieren meinen Sexualtrieb, flößen mir Selbstmordgedanken ein oder lassen mich an Gott glauben. Der Code des Lebens wurde zu jener Zeit als ehernes Gesetz betrachtet. Und doch sind Zellen keine festen Strukturen. Sie sind veränderlich, dynamisch, wandelbar. Sie reagieren auf Gedanken und Gefühle. Sie passen sich der Umwelt mit derselben Unvorhersehbarkeit an wie ein menschliches Wesen. Für jeden, der die unerschöpflichen Möglichkeiten des Lebens zu schätzen weiß, ist dies eine gute Nachricht.
Wenn Schulkinder zum ersten Mal von der Doppelhelix hören, wird normalerweise immer das gleiche Beispiel benützt. Da heißt es dann, es gebe ein Gen für blaue Augen, blondes Haar oder Sommersprossen. Dadurch entsteht der Eindruck, dass es für jedes äußerliche oder charakterliche Merkmal ein Gen gäbe. Das aber ist die Ausnahme, nicht die Regel. Ich habe schon einmal darauf hingewiesen, dass Genetiker in den letzten Jahren mit einer frustrierenden Entdeckung konfrontiert waren. Man dachte, man könne endlich vorhersagen, wie groß ein Kind werden wird. Stattdessen stellte man fest, dass sich allein diese Information auf 20 verschiedene Gene verteilt und zahlreiche Umweltfaktoren ebenfalls eine Rolle spielen. Im Fall von Alzheimer oder Krebs scheinen sogar noch mehr Gene involviert.
Man stochert also noch weitgehend im Nebel herum, vor allem in der Frage, wie das menschliche Dasein auf eine höhere Stufe gehoben werden kann. Doch ebendies motiviert Genetiker in aller Welt, ihre Anstrengungen zu verdoppeln. Da es auch in der Spiritualität um Selbstverbesserung geht, stellt sich die Frage, ob sich die Anstrengungen beider »Parteien« nicht irgendwie verbinden ließen. Dazu aber muss zunächst einmal der »chemische Determinismus« überwunden werden. So harrt die Öffentlichkeit immer noch der Entdeckung eines »Kriminalitätsgens«, das für jede Form antisozialen Verhaltens verantwortlich sein soll. Man spekulierte sogar, dass das Vorhandensein eines solchen Gens den Menschen von Strafverfolgung befreien müsse, da er ja in diesem Sinne nicht »schuldig« sei. Von dieser Überlegung zur Frage, ob man nicht durch die Entfernung dieses Gens dem Betroffenen und der Gesellschaft gleichermaßen einen Gefallen tue, ist es nur ein kleiner Schritt. Da sich die Genetik aber von der Vorstellung verabschieden musste, für jede Krankheit beziehungsweise jede unerwünschte Veranlagung ein bestimmtes Gen verantwortlich machen zu können, lässt sich eine gewisse Öffnung gegenüber spirituellen Ideen konstatieren, welche den Gegenpol des chemischen Determinismus darstellen: freier Wille, Bewusstsein, Kreativität und die Möglichkeit der inneren Wandlung. Wir sollten uns glücklich schätzen, dass wir von den genetischen Fußfesseln befreit wurden. Gleichzeitig beginnt man, den Zusammenhang zwischen Genen und Bewusstsein zu erforschen.
Die DNS wird von den Biologen wie jedes andere Molekül behandelt, doch ihr Verhalten durchbricht Regeln, die für die dingliche Welt kennzeichnend sind. Zum Beispiel teilt sie sich spontan in zwei Hälften und bringt eine identische Version ihrer selbst hervor. Sie schreibt den Code für Leben und Tod gleichermaßen. So gibt es beispielsweise ein Krebs-Gen, das aktiviert werden muss, damit sich bösartige Wucherungen bilden können. Warum in aller Welt sollte die Evolution solch ein Gen »durchgehen« lassen, wenn es doch ihre Aufgabe ist, per Selektion auf eine immer höhere und bessere Anpassung hinzuwirken? Und wie schaffen die Gene es, aus unbelebten chemischen Elementen wie Wasserstoff, Kohlenstoff und Sauerstoff plötzlich Leben zu formen?
Wenn wir nach Antworten im Genom suchen, dann sitzen wir einmal mehr einer materialistischen Einstellung auf. Statt endlos auf stets denselben Fakten herumzureiten, sucht die spirituelle Weltsicht eine tiefere Einsicht in sie zu gewinnen. Anders können wir die Rätsel des Lebens nicht lösen, zum Beispiel die Frage, wie DNS und Zeit zusammenhängen. Denn tatsächlich ist die Aktivität von Genen manchmal schon Jahre oder Jahrzehnte vorprogrammiert. Milchzähne, Pubertät, Menstruation, männliche Kahlheit, das Einsetzen der Menopause – für all diese Ereignisse im Leben scheint es einen präzisen Zeitplan zu geben. Dies könnte auch für Krebs zutreffen, eine Krankheit, die gehäuft im hohen Alter auftritt. Wie aber vergeht chemisch gesehen Zeit? Ich stellte diese Frage einem Zellbiologen, und er wies mich auf das Wirken der Telomere hin. Telomere sind gleichsam die Wackelschwänzchen von Genen, ihre Endstücke. (Wir hatten das Vergnügen schon in dem Abschnitt über das Wesen der Zeit.) Telomere signalisieren das Ende eines genetischen »Satzes«, sie fungieren gleichsam als Punkt. Doch Telomere degenerieren mit der Zeit und sind wohl für das Altern verantwortlich. Sie werden kürzer und kürzer und führen zur Degeneration von Zellen mit einem erhöhten Risiko schädlicher Mutationen.
Doch wenn Telomere tatsächlich als Uhren fungieren, woher nehmen sie dann ihren Zeitsinn? Auch ein Fels wird schließlich von Wind und Regen zerstört, doch das macht ihn noch nicht zur Uhr. Und wieso sind Telomere dafür verantwortlich, dass wir altern? Oder dass wir unsere Milchzähne verlieren beziehungsweise in die Pubertät kommen? Noch eigenartiger ist, dass die DNS mehrere Uhren zugleich koordiniert, denn die oben genannten Prozesse unterscheiden sich ja voneinander. Die Menopause tritt erst nach einigen Jahrzehnten ein, während die Produktion von Enzymen in einer Zelle nur ein paar Hundertstel Sekunden dauert, rote Blutkörperchen hingegen einen Lebenszyklus von einigen Monaten haben und so weiter.
Vermutlich merken Sie, liebe Leser, bereits, worauf ich hinauswill. Gene verhalten sich nicht wie beliebige »Dinge«, weil sie Aufgaben für das Bewusstsein erfüllen. Zeitgeber zu sein und unterschiedliche Prozesse zu takten, erfordert einen Geist. Die Tatsache, dass »Geist« von allen genetischen Theorien ausgeklammert wird, macht sie grundsätzlich anfällig. Natürlich ist es aus materialistischer Sicht undenkbar, dass es einen Geist außerhalb des Körpers geben könne, doch es gibt einfach zu viele Phänomene, die durch das zufällige Wirken chemischer Gleichungen nicht erklärt werden können. Und letztlich geht es auch hier wieder um die uralte Frage: freier Wille gegen Vorherbestimmtheit. Betrachtete man einst nur körperliche Merkmale als vorherbestimmt, so gilt dies jetzt auch für das menschliche Verhalten. Ob Sie nun kriminell, deprimiert oder tiefgläubig sind, das Argument ist immer dasselbe: Wenn ein Gen X verursacht, dann ist X gerechtfertigt, weil man seinen Genen ja nicht entkommen kann.
Doch unsere tägliche Erfahrung widerspricht dieser Logik. Niemand fühlt sich von seinen Zellkernen kontrolliert. Leonard spricht vom Umwelteinfluss auf unsere Gene. Meiner Ansicht nach ist dies ein ganz zentraler Punkt. Eineiige Zwillinge sind hier ein gutes Beispiel. Sie kommen mit denselben Genen zur Welt, doch im Laufe ihres Lebens treffen sie unterschiedliche Entscheidungen und machen unterschiedliche Erfahrungen. Ein Zwilling schließt sich vielleicht einem Zirkus an, während der andere in ein Kloster eintritt. Einer wird Alkoholiker, der andere Veganer. Im Alter von 70 Jahren wird ihre Gen-Expression anders verlaufen als zum Zeitpunkt ihrer Geburt, als ihre Gene noch keine Veränderung erfahren hatten. Die Chromosomen haben sich nicht verändert, doch die Gene, die aktiviert werden, sind andere und damit auch die Stoffe, die im Körper produziert werden. Es gab also immer ein Hintertürchen aus der chemischen Vorherbestimmtheit.
Gene tun nichts, wenn sie nicht aktiviert werden. Sie bleiben »stumm«. Wenn sie aber zu sprechen beginnen, werden ihre Äußerungen von unseren Lebenserfahrungen geprägt, auch wenn sie stets dasselbe Alphabet benutzen. Es sind nicht die Gene, die unsere Geschichte erzählen. Sie sind nur der Setzkasten, aus dem wir uns hierbei bedienen. Die genetische Expression kann positiv oder negativ ausfallen. Wenn Zwilling A wenig schläft, viel Stress erlebt, sich ungesund ernährt und keinerlei Sport treibt, dann kann dies zu drastischen Ergebnissen führen, die bei Zwilling B ausbleiben, wenn er einen anderen Lebensstil pflegt. Wissenschaftliche Untersuchungen zur gesunden Lebensführung, wie sie von Dr. Dean Ornish und seinem Team angestellt wurden, zeigen, dass über 400 Gene ihre Expression ändern, wenn sich Ernährung, Sport, Stressmanagement und Schlafgewohnheiten zum Positiven hin verändern.
Kurz gesagt: Die Vorzeichen wurden geändert. Dienten »die Gene« früher gerne als bequeme Ausrede, um jegliche Verantwortung für unsere »Sünden« von uns zu schieben, so sind sie nun zu Dienern unserer Entscheidungen aufgestiegen. Diese sogenannte »weiche Vererbung« geschieht in jeder einzelnen Sekunde, wenn sich unsere Zellen den Instruktionen anpassen, die wir ihnen geben. Wir wissen seit mehreren Jahrzehnten, dass Menschen mit Depressionen ein höheres Erkrankungsrisiko aufweisen. Das Gleiche gilt für einsame Menschen, jüngst verwitwete Personen und Manager, die ihren Job verloren haben. Der Körper kann solchen Traumata nicht begegnen, ohne dass die Gene dabei reagieren. Jahrzehnte zuvor, als man die Gene noch für etwas Beständiges und Unwandelbares hielt, fragte sich niemand, ob die Umwelt etwa auf unsere DNS einwirken könne. (»Umwelt« wird hier als Oberbegriff verwendet, unter dem alle äußeren Einflüsse zusammengefasst werden, denen eine Zelle ausgesetzt ist.) Heute warnt jeder Arzt werdende Mütter, dass sie durch Rauchen und Alkohol das Erbmaterial ihrer Kinder schädigen. Wir wissen mittlerweile, dass giftige Substanzen im Blut der Mutter die »Umweltbedingungen« eines Ungeborenen massiv verschlechtern.
Dann fanden wir heraus, dass dies auch für »giftiges Verhalten« gilt. Lange Zeit nahm man an, dass sich ein Embryo unabhängig von seinen Umweltbedingungen nach der Blaupause entwickelt, die er von Vater und Mutter mitbekommen hat. Solange dem Fötus im Mutterleib die entsprechenden Nährstoffe zur Verfügung ständen, hieß es, entwickle er sich unweigerlich nach Plan. Professor Pathik Wadhwa, Spezialist für Verhaltensforschung und Geburtshilfe an der University of California in Irvine, meint dazu: »Diese Ansicht wurde weitgehend widerlegt … Der Fötus nutzt in jedem Stadium seiner Entwicklung Umweltreize, um zu entscheiden, wie er sich innerhalb der Parameter seiner Gene am besten entwickeln kann.«
So können wir dem Thema »Selbstschöpfung« ein neues Kapitel hinzufügen. Der ungeborene Embryo ist Teil eines komplexen Rückkopplungssystems, in dem er die gegenwärtigen Bedingungen prüft, um sich seine Zukunft selbst zu schaffen. Genauso funktioniert auch die DNS. Sie nimmt Reize auf und verarbeitet diese: Gedanken und Gefühle, Ernährungsgewohnheiten oder Stresslevel, um nur einige der vielen Tausend chemischen Signale zu nennen, die die Zelle in jedem Augenblick erfährt. Auf der Grundlage dieser Reize exprimiert sie sich. Eine gestresste Mutter gibt an ihr Kind einen höheren Stresspegel weiter. Auf diese Weise kann es sogar zu Fehlgeburten beziehungsweise zu Fehlentwicklungen kommen. Professor Wadhwa meint weiter: »Der Fötus stellt sich auf den hohen Stresspegel seiner Umwelt ein. Daher ist er nach der Geburt vermutlich für stressbedingte Störungen anfälliger als andere Kinder.«
Was bedeutet das nun? Unser Wissen über Medizin und Biologie ist in den Grundfesten erschüttert. Gene steuern sich nicht selbst. Sie werden vielmehr vom gesamten Körper-Geist-System gelenkt. Wir werden also in diesem Spiel nicht wie Spielsteine herumgeschoben, sondern sind die Meister unserer Gene. Diese reagieren auf alles, was wir tun oder sagen. Die Proteinschicht, die unsere DNS umgibt, kann das Gen zu 30.000 verschiedenen Expressionsformen anregen. Das Programm des Lebens ist dynamisch, wandelt sich ständig und unterliegt unserem Einfluss, unseren positiven oder negativen Entscheidungen.
Allmählich stellen die Wissenschaftler fest, dass Gene mehr wie Rheostaten, stufenlose Widerstandsregler, funktionieren denn wie einfache Ein-Aus-Schalter. Sogar der sogenannte »DNS-Müll« übt – wie Leonard ebenfalls anführt – eine wichtige Funktion aus. Diese DNS entscheidet, welches Gen aktiviert wird, wie aktiv es ist, wann die Aktivität erfolgt und wie sie mit den anderen Genen koordiniert wird. Wie wir jetzt wissen, steuern Gene sich nicht selbst. Und niemand wird je hinter das Geheimnis der Gene kommen, wenn er sich nicht fragt, wie Erfahrung verarbeitet wird. Die Epigenetik zeigt uns unter anderem, dass nicht sichtbare Faktoren wie Stress körperliche Prozesse bis zur genetischen Ebene auslösen können. Was Sie fühlen, fühlt auch jede Zelle Ihres Körpers. Wer sich seit je mit Spiritualität beschäftigt, den kann das nicht erschüttern. Die spirituelle Weltsicht beruht eben gerade darauf, dass alles miteinander vernetzt ist. Ein Vorgang teilt sich in zahllose andere Vorgänge, ohne seine Ganzheit zu verlieren.
Ich fühle mich zutiefst berührt, wenn ich die folgenden Zeilen lese, die der Feder des großen bengalischen Poeten Rabindranath Tagore entsprungen sind: »Die Zeit ist endlos in Deinen Händen, Herr. Niemand zählt Deine Minuten. Tage und Nächte vergehen. Du weißt zu warten. Deine Jahrhunderte folgen einander und vervollkommnen eine Wildrose.« Ich lese diese Worte nicht im Hinblick auf einen bestimmten Gott. Was mich an ihnen bewegt, ist die unendliche Geduld im Wirken der kosmischen Intelligenz, die sich durch uns bewegt, um uns zu erschaffen. Das Leben, das sich aus sich selbst heraus entfaltet.