Nachwort
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Leonard Mlodinow
Mitte des 19. Jahrhunderts bat man einen führenden englischen Physiker, sich zum Thema »Tischerücken« zu äußern. Solche spiritistischen Sitzungen waren damals der absolute Hit. Man stellte einen »spirituellen Kontakt« her, der den Lebenden erlaubte, mit den Toten zu reden. Zu diesem Zweck setzte man sich um einen Tisch und legte die Hände darauf, sodass sie einen Kreis bildeten. Nach einer gewissen Zeit schien der Tisch plötzlich lebendig zu werden. Er drehte sich, ruckelte und wanderte durch den Raum. Manchmal folgte ihm sogar die ganze Runde. Michael Faraday, Entdecker des Elektromagnetismus und Erfinder des Elektromotors, war einer der größten Experimentalphysiker aller Zeiten. Er wollte das Phänomen tatsächlich untersuchen, und so nahm er an zwei Séancen teil. Dabei führte er eine Reihe von genialen Experimenten mit kompliziertem Versuchsaufbau durch, durch die er herausfand, was genau bei diesen Séancen ablief. Faraday konnte nachweisen, dass die Bewegung des Tisches mit zufälligen Bewegungen der Sitzenden ihren Anfang nahm. An einem bestimmten Punkt begannen diese einander zu überlagern, bis der Tisch sich sachte bewegte. Die Teilnehmer der Sitzung, die dies erwartet hatten, folgten dieser Bewegung und verstärkten sie unbeabsichtigt, sodass es am Ende so aussah, als habe der Tisch einen eigenen Willen. Der Effekt war dramatisch. Die Teilnehmer, die den Tisch unbewusst zogen und zerrten und nicht von ihm gezogen wurden, dachten tatsächlich, durch den Tisch teile sich ein Wesen aus dem Totenreich mit. Faraday aber entdeckte, dass dies nicht der Fall war.
Jeder von uns stößt gelegentlich auf etwas Geheimnisvolles und Unerklärliches. Wenn dies geschieht, ist es gut, eine gewisse Offenheit an den Tag zu legen. Doch eine vorgefasste Antwort zu akzeptieren, ohne kritisch die Alternativen abzuwägen oder den »Beweis« einer Überprüfung zu unterziehen, hat nichts mit Offenheit zu tun. Das ist einfach schiere Leichtgläubigkeit. Unglücklicherweise fühlt sich der Mensch immer wohler mit Antworten, die kaum von Belegen gestützt werden, als mit Hypothesen, die noch überprüft beziehungsweise analysiert werden müssen, bevor überhaupt eine Antwort in Betracht gezogen werden kann.
Ich möchte Deepaks spirituellen Ansatz, der in der Philosophie und Religion des Ostens wurzelt, nicht mit dem Spiritismus des 19. Jahrhunderts vergleichen, der das Tischerücken »erfunden« hat. Ich möchte mit diesem Beispiel nur zeigen, dass sich die Wissenschaft schon häufig mit ungewöhnlichen Ideen auseinandergesetzt hat. Und manchmal hat sie diese ja auch akzeptiert. Bis Einstein 1905 seine Relativitätstheorie aufstellte, wäre die Vorstellung, Maße in Raum und Zeit seien subjektiv und hingen von der Bewegung des Beobachters ab, als ebenso merkwürdig und unwahrscheinlich abgetan worden wie die meisten Wissenschaftler heute wohl Deepaks Ideen einschätzen. Und doch wurde dies bald herrschende Lehre in der Physik. Warum? Weil die Vorhersagen der Relativitätstheorie durch experimentelle Beobachtung bestätigt werden konnten. Doch das ist bei Deepaks Ideen nicht der Fall.
Ich habe in diesem Buch herauszuarbeiten versucht, wo Deepaks Vorstellungen mit den Resultaten der modernen Wissenschaft in Konflikt stehen. Seine Entgegnung war, die Wissenschaft weigere sich, einen anderen Blick auf den Kosmos überhaupt nur zu akzeptieren. Er meint, die Wissenschaftler seien nicht bereit, die Welt durch eine andere als die »materialistische« Brille zu sehen. Deepaks Vorstellungen von einem zweckgerichteten Universum und einem immateriellen Reich des Geistes sind keine Religion. Doch sind sie einer kritischen Überprüfung ebenso wenig zugänglich wie das Weltbild so mancher Religion. Sehr viel weniger zugänglich jedenfalls als die Wissenschaft. Die Catholic Encyclopedia, ein Glaubenslexikon der römisch-katholischen Kirche, warnt ihre Leser gar: Der christlichen Offenbarung keinen Glauben zu schenken, sei nicht nur ein »intellektueller Irrtum«, sondern in gewissem Maße sogar Ausweis »moralischer Verworfenheit«. Jeder »Zweifel an der christlichen Religion heißt, sie zurückzuweisen«. Deepak geht nicht so weit. Doch auch seine Prinzipien wurden seit ihrer »Geburt« in der östlichen Philosophie vor Hunderten, ja Tausenden von Jahren nicht verändert oder überprüft. Wir Wissenschaftler hingegen überprüfen und verfeinern unsere Ansichten ständig. Wir haben die Theorien unserer Weisen – von Newton über Einstein und Bohr – bereitwillig ad acta gelegt, wenn die experimentelle Beobachtung uns entsprechende Gegenbeweise lieferte. Die Wissenschaft lebt vom Zweifel. Mehr als jede Religion ist Wissenschaft offen. Sie nimmt jede Veränderung ihres Weltbildes bereitwillig hin. Sie prüft auch ketzerische Ideen wie die Hintergehbarkeit von Zeit und Raum oder die grundsätzliche Unschärfe von Vorhersagen. Sogar der Materialismus, den Deepak der Wissenschaft vorwirft, hat sich mit zunehmendem Wissen über das Universum verändert. Anfangs betrachtete die Wissenschaft nur fassbare und sichtbare Objekte als real. Dann öffnete sie sich für die Ideen von Kraftfeldern, von nie gesehenen Atomen und unsichtbaren Quarks. Das Einzige, wogegen die Wissenschaft sich wehrt, ist das fraglose Akzeptieren unbewiesener Wahrheiten.
Die Wissenschaft ist offen, weil sie nicht schon von vornherein weiß, was sie erwartet. Der Wissenschaft ist es egal, ob die Erde das Zentrum des Universums ist oder nur irgendein Planet unter vielen. Ob die Milchstraße die einzige Galaxie im Universum ist oder eine von Milliarden. Ihr ist sogar egal, ob unser Universum das einzige ist oder nicht. Die Wissenschaft fühlt sich nicht beleidigt, egal, ob der Mensch nun vom Affen abstammt oder von einem Bakterium, ob wir im Tod zu Staub werden oder nicht. Sie reagiert nicht verstört, selbst wenn das Bewusstsein keine magischen Qualitäten hat. Darwin ging das Problem der Entwicklung des Lebens nicht an, als er sagte: »Die Schöpfung kann keinen Zweck haben.« Deepak dagegen schreibt: »Doch wenn wir unsere schlimmsten Triebe unter Kontrolle bringen wollen, müssen wir uns höhere Ziele setzen, solche, die allen nützen.« Oder: »Die Spiritualität aber bringt den Sinn zurück an seinen rechtmäßigen Platz: ins Herz der Evolution.«
Wie Deepak bin ich der Auffassung, dass es gut ist, ein sinnerfülltes Leben zu führen, doch das bedeutet ja nicht, dass die Naturgesetze auf einen bestimmten Zweck ausgerichtet sind. Auch Deepaks Vision, wie der Mensch leben und seine Mitgeschöpfe behandeln sollte, findet meine volle Zustimmung. Deepak und ich wünschen uns also beide eine bessere Welt, in der Menschen über ihre unheilvollsten Triebe hinauswachsen. Ich als Wissenschaftler aber kann nicht zulassen, dass meine Vorstellung von der Welt, wie ich sie mir wünsche, meine Beobachtung dessen, wie sie ist, bestimmen.
Eines der Themen, bei denen Deepak der Wissenschaft Engstirnigkeit vorwirft, ist die Existenz eines verborgenen oder unsichtbaren Reiches. Es ist richtig, dass die Wissenschaft in der Vergangenheit solche Vorstellungen ablehnte. Doch tat sie das nicht, weil diese Ideen nie untersucht worden wären. Große Wissenschaftler sind immer neugierig, daher haben sich wirkliche Wissenschaftsgrößen wie Faraday oder Feynman gerne mit solchen Themen auseinandergesetzt. Doch Wissenschaftler haben gewöhnlich noch einen anderen bezeichnenden Charakterzug: Skepsis. Das liegt daran, dass es einfach keinen Spaß macht, unsere Neugier mit falschen Erklärungen zu befriedigen. Wir haben den Anspruch, dass unsere Theorien zu dem passen, was wir tatsächlich beobachten können. Daher haben wir die Vorstellung von immateriellen Reichen bislang immer abgelehnt.
Erscheinungen können täuschen. Es ist häufig gar nicht so einfach, die richtige Erklärung dafür zu finden. Galaxien, Sterne und Menschen, die aus dem Chaos entstehen, scheinen – wie das Tischerücken – nach einer übernatürlichen Erklärung förmlich zu schreien. Wenn man philosophiert, kann man ungehindert über unsichtbare Bereiche und Wirklichkeiten, über geheime Kräfte hinter der Evolution spekulieren. Man kann diese Ideen mit hübschen Geschichten und Anekdoten illustrieren und Analogien aufstellen. Man kann die Alltagssprache mit ihrer verschwommenen Begrifflichkeit und ihren doppeldeutigen Ausdrücken nutzen. Dann würzt man seine Prosa noch mit lieblichen Worten wie »Liebe« oder »Sinn« und kramt zum Beweis noch ein paar alte Weise hervor. Das alles kann sehr ansprechend wirken. Die Wissenschaft aber gehorcht einem anderen Anspruch. Sie will herausfinden, wie die Natur tatsächlich funktioniert.
Als Richard Feynman die Quantentheorie neu interpretierte und damit den Physikern ein völlig anderes Wirklichkeitsbild lieferte, begann er ebenfalls mit einfachen Beispielen und Analogien. Dann aber brachte er Jahre damit zu, seine Ideen zu präzisieren, die Details auszuarbeiten, seine Worte und Ideen genau zu definieren und alles nachzurechnen, was je mit der alten Formel errechnet worden war, um nachzuprüfen, ob seine Formulierung der Theorie zu denselben Vorhersagen käme wie die alte, die ja im Experiment bereits bestätigt worden war. Erst dann glaubte Feynman an sein revolutionäres Werk und veröffentlichte es. Für theoretische Physiker ist es völlig normal, neue und interessante Ideen zu haben oder eine attraktive und plausible Theorie zu entwickeln. Dann aber setzt er sie dem Test durch die Wirklichkeit aus. Die wissenschaftliche Methode der Wahrheitsfindung hat der Menschheit einen Wissensschatz eingetragen, der auf anderem Wege nicht hätte erzielt werden können.
Deepak hat immer wieder auf die zerstörerische Anwendung der Wissenschaft hingewiesen. Doch wir wollen doch nicht vergessen, dass eine Welt ohne Wissenschaft eine Welt ist, die im Dunkel des Aberglaubens und dem Elend der Unwissenheit versinkt. Vor einigen Hundert Jahren lebte die Menschheit noch unter der Geißel von Pest, Dreck, härtester Arbeit und tiefster Armut. Wir sollten nicht übersehen, wie sehr sich durch das Wirken der Wissenschaft unsere Lebensbedingungen verbessert haben. Deepak ist Arzt. Er weiß, dass – hätten wir uns auf seine Weisheitstraditionen statt auf die Wissenschaft verlassen, um Wissen zu erlangen – die Menschheit immer noch von Pocken, Tuberkulose, Kinderlähmung und Lungenentzündung dezimiert würde und Frauen immer noch bei der Geburt sterben würden. Dass wir immer noch schmutziges, keimverseuchtes Wasser trinken müssten. Dass wir Hunger leiden würden, weil die Landwirtschaft die Bedürfnisse der wachsenden Weltbevölkerung nicht befriedigen könnte. Außerdem gäbe es keine Verhütungsmittel, mit denen die Menschen die Zahl der Kinder begrenzen können, die sie zu ernähren haben. Kurz gesagt, wir würden immer noch leben und sterben wie im Mittelalter, weil alte Weisheitstraditionen nun einmal kein Ersatz für moderne Wissenschaft sind.
Ich will hier nicht behaupten, dass die Wissenschaft alle Fragen beantworten kann. In Deepaks Weltbild ist das Herzstück das Bewusstsein. Das Bewusstsein ist gleichzeitig die letzte Grenze, an der die Wissenschaft noch zu kämpfen hat. Tatsächlich verfügt sie noch nicht einmal über eine halbwegs brauchbare Definition dafür, was Bewusstsein ist. Wir befinden uns diesbezüglich in einer ähnlichen Lage wie Michael Faraday zu Beginn seiner Karriere. Als er anfing, das Phänomen zu untersuchen, das wir heute als Elektromagnetismus bezeichnen, debattierte man noch darüber, ob es positive oder negative Ladungen gebe. Heute finden vergleichbare Debatten über die Natur des Bewusstseins statt. Wir stochern herum, machen Beobachtungen, sind aber ganz und gar nicht sicher, was wir da eigentlich untersuchen. Und doch gibt es keinen Grund anzunehmen, dass wir für das Bewusstsein keine Erklärung finden werden. Wir müssen nichts überstürzen. Und schon gar nicht müssen wir die Erklärung im Unsichtbaren suchen.
Es gibt in der Physik auch heute noch viele ungelöste Rätsel, von der Natur der dunklen Materie über die kürzlich gemachte Entdeckung, dass sich das Universum schneller ausdehnt als erwartet, hin zu neuen und exotischen Typen von Neutrinos, die nicht in unser heutiges Standardmodell passen. Diese Rätsel führen vielleicht eines Tages dazu, dass wir aktuelle Theorien verwerfen oder überarbeiten müssen. Doch für die Wissenschaft ist dies ohnehin der Normalfall. Wenn ich mit anderen Wissenschaftlern über die Möglichkeit spreche, dass eine einzige Entdeckung unsere ganzen Theorien über den Haufen werfen könnte, zeigen sich die meisten begeistert. Denn während die Metaphysik stets gleich bleibt und sich von persönlichen Wünschen und Glaubenssätzen leiten lässt, macht die Wissenschaft Fortschritte und lässt sich von der Aufregung über neue Entdeckungen inspirieren. Es ist der Traum jedes Wissenschaftlers, etwas Neues herauszufinden, vor allem, wenn diese Entdeckung die Überarbeitung alter Theorien bedeutet. Im 20. Jahrhundert entdeckte die Wissenschaft zwei neue Naturkräfte: die starke und die schwache Kernkraft. Dieselbe Aufregung, die dies in Wissenschaftlerkreisen verursachte, würde sich zeigen, wenn wir je Belege für eine andere Bewusstseinsebene finden würden. Dazu bedarf es letztlich nur überzeugender Daten. Wenn es diese gäbe, würde mehr als ein Wissenschaftler versuchen, mehr darüber herauszufinden, damit die Existenz dieser Ebene ein für alle Mal belegt oder widerlegt werden könnte.
Ich trete hier für ein Weltbild ein, das sich auf Beobachtung und Beweise stützt. Meiner Ansicht nach stellt solch ein Standpunkt weder den Reichtum des menschlichen Geistes noch die Wunder des Universums in Abrede. Einstein meinte zu der Frage, ob menschliches Verhalten tatsächlich nur von den Gesetzen der Natur gesteuert werde: »Ich glaube Folgendes, auch wenn sich dies nicht vollkommen beweisen lässt. [Aber wenn] jemand bis zur letzten Konsequenz durchdenkt, was er genau weiß und begreift, dann wird es wohl kein menschliches Wesen geben, das sich gegenüber dieser Erkenntnis uneinsichtig zeigt, solange sie nicht seine Eigenliebe in Frage stellt.«
Zugegeben: Unsere Eigenliebe macht es schwierig, ein Weltbild zu akzeptieren, in dem der Mensch im Universum keine zentrale Rolle spielt. Doch der Triumph der Wissenschaft liegt letztlich in der Integrität ihrer Methode, der Offenheit ihrer Sicht und ihrem Streben nach Wahrheit. Die Wissenschaft kann vielleicht nie alle Fragen beantworten, doch sie wird nie aufhören, nach den Antworten zu suchen. Und sie wird es sich bei ihrem Bemühen um Einsicht nicht leicht machen.
Nachwort
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Deepak Chopra
Für viele Leser gibt es gar keinen Kampf der Weltbilder oder, wenn es ihn denn geben sollte, dann steht ein unbewaffneter Einzelkämpfer einer Armee von Panzern, Roboterdrohnen und präzisionsgelenkter Munition gegenüber. Die Wissenschaft verfügt über ein gut ausgestattetes Waffenarsenal, während die neue Spiritualität – ohne den Apparat der traditionellen Religionen – gerade mal flügge wird. Mein Vorschlag ist, diesen Kampf erst gar nicht aufflammen zu lassen, denn die Schlacht ist ohnehin schon längst geschlagen. Die dogmatische Wissenschaft stürzt vom Olymp und macht Platz für ein neues Paradigma, in dessen Mittelpunkt das Bewusstsein steht. Doch wird dieses Schlachtfeld nicht von den Leichen toter Physiker übersät sein. Denn die Wissenschaft wurde nicht geschlagen, sondern vielmehr ihr Feld erweitert. Und diese neue Wissenschaft wird sich furchtlos dem stellen, vor dem Leonard zurückweicht: einem sinn- und zweckerfüllten Universum. (Wenn Leonard sagt, dass ich an Konzepten festhalte, die mehrere Tausend Jahre alt sind, so kann ich nicht glauben, dass er das ernst meint. Neueste wissenschaftliche Forschungen nämlich haben keine Berührungsängste gegenüber spirituellen Fragestellungen.)
Er selbst verweist ja auf die Leitlinie solch einer »ausgebauten« Wissenschaft, wenn er sagt, dass die Wissenschaft einem »anderen Anspruch gehorcht« und herausfinden will, »wie die Natur tatsächlich funktioniert«. Bedauerlicherweise bleibt er dann jedoch hinter seinem eigenen Anspruch zurück. Ein veränderter Evolutionsbegriff, die Quantengrundlage des Bewusstseins, die Sinnlosigkeit des Unterfangens, das Gehirn mit dem Geist gleichsetzen zu wollen, veranlassen Leonard nur dazu, bei altbekannten Rezepten Zuflucht zu suchen, die eine nach vorn gerichtete Wissenschaft längst hinter sich lässt. Ich lade ihn dazu ein, endlich ins kalte Wasser zu springen – so groß ist der Schock auch nicht. Doch wie die Catholic Encyclopedia, die er aus unerfindlichen Gründen zitiert, hat auch er wohl tiefere Gründe (eine wissenschaftliche Heilserwartung vielleicht?), die ihn eine mit wissenschaftlichem Denken kompatible Spiritualität ablehnen lässt. Jeder, der den Geist in der Materie verankert sieht, ignoriert die Widersprüche, die sein Weltbild widerlegen.
Leonard tritt für ein sinnerfülltes Leben ein, nur will er dies von der Wissenschaft getrennt sehen. Es hat mich immer schon verblüfft, wie die Wissenschaft ihr Dogma eines Universums verteidigt, das auf dem Zufall fußt und in dem nichts tiefere Bedeutung besitzt, während doch offen zutage liegt, dass jeder Moment des Lebens das zum Ausdruck bringt, was uns wichtig ist: den Tag zu überstehen, einen Krimi zu schreiben oder die Kinder vom Fußballtraining zu holen. Doch wenn unser Leben einen Sinn hat, muss dieser von irgendwoher kommen.
Wenn ich diese Schlacht für geschlagen erkläre, muss ich dies belegen können. Die hier vorgelegten Aufsätze folgen bestimmten Spuren – von der Neuroplastizität des Gehirns zur Veränderlichkeit der Gene, vom Quantenvakuum bis zu einem Bereich jenseits von Raum und Zeit –, um nach neuen Erkenntnissen zu suchen, wie Roger Penrose sie forderte. Vor 25 Jahren weigerten sich meine Medizinerkollegen in Boston, eine Verbindung zwischen Geist und Körper zu akzeptieren. Mittlerweile wird allgemein anerkannt, dass sich unsere Gedanken, Gefühle und Stimmungen jeder Zelle unseres Körpers mitteilen. Die Zellmembranen sind also durchlässig für die – inneren oder äußeren – Botschaften der Welt. Auf der Ebene des winzig Kleinen sind sie sogar die Welt, in der Handschrift der Moleküle. Als ein Professor der Medizin damals die Nase rümpfte angesichts der Vorstellung, der Geist könne den Körper irgendwie beeinflussen, platzte ich heraus: »Aber wie bewegen Sie Ihre Zehen? Ist es nicht Ihr Geist, der den Füßen den Befehl dazu erteilt?«
Ich habe immer wieder erklärt, dass es mir nicht darum geht, traditionelle Gottesvorstellungen zu verteidigen. Doch natürlich kann Spiritualität nicht künstlich von Religion getrennt werden. Beide wurzeln in einer persönlichen Suche, an deren Ende ein Wandel des Bewusstseins steht. Es ist meine feste Überzeugung, dass die Wirklichkeit erkannt werden will und das menschliche Bewusstsein auf diese Herausforderung antwortet. Die Wissenschaft ist nur eine der möglichen Antworten, daher kann sie nicht die alleinige Vorherrschaft beanspruchen. Die Spiritualität hat ebenso schlüssige Antworten zu bieten.
Die Wissenschaft sollte sich nicht zum Feind der inneren Reise machen. Ich finde es bedauerlich, wenn Leonard glaubt, dass sein Anspruch auf Erkenntnis den Pfad des inneren Forschens verbietet. Tische rückende Spiritisten der viktorianischen Ära können ja wohl kaum als die typischen Repräsentanten einer spirituellen Weltsicht hingestellt werden. Oder glauben Sie, Buddha beziehungsweise Plato hätten Séancen abgehalten? Doch wir sollten uns hier nicht auf rhetorische Spiegelfechtereien einlassen. Die großen spirituellen Lehrer der Welt waren die Einsteins des Bewusstseins. Sie entdeckten Prinzipien, die ebenso wichtig und gültig sind wie jene Einsteins, der in religiöser Hinsicht seine Zweifel hatte, aber nie die Ehrfurcht verlor, die seiner Ansicht nach für alle großen wissenschaftlichen Entdeckungen charakteristisch ist.
Leonard legt großen Wert auf den Zweifel als Instrument der Wissenschaft. Dem möchte ich zustimmen, solange damit kein feindseliger, sturer Skeptizismus gemeint ist, der letztlich unproduktiv ist. Die Skeptiker sitzen am Straßenrand und gebärden sich als Wächter der Wahrheit. Sie lassen niemanden passieren, der nicht ihren Kriterien entspricht. Doch ihnen entgeht, dass sie nur sehen, was ihr Paradigma ihnen zu sehen erlaubt. Wenn Sie einen Menschen nur danach beurteilen, wie gut er Billard spielt, dann fällt ein Mozart durchs Raster, doch der Mangel liegt nicht bei Mozart, sondern an Ihrem Bewertungsschema.
Ich hielt einmal in England einen Vortrag über die Zusammenhänge zwischen Körper und Geist, als ein dicker, rotgesichtiger Mann aufsprang und zu schreien anfing: »Das ist doch alles Mist. Hören Sie nicht auf ihn. Das ist nur Käse!«
Die Zuhörer im Publikum sahen unbehaglich drein. Ich war ein bisschen aus dem Konzept geraten. »Wer sind Sie, Sir?«, fragte ich.
»Ich bin der Vorsitzende der Skeptikergesellschaft von Großbritannien«, antwortete er.
»Das bezweifle ich«, sagte ich. Das Publik brach in helles Gelächter aus.
Auch Leonard könnte Mitglied der Gesellschaft zur Unterdrückung der Neugier sein, denn eben dorthin führt der reine Skeptizismus schließlich. Aber ich nehme an, dass er wie Einstein Ehrfurcht vor der Natur empfindet, und an diese Ehrfurcht möchte ich appellieren. Im Moment des Big Bang entstanden die Naturgesetze offensichtlich in einem Zeitraum von 10 – 43 Sekunden. Das ist eine unglaublich kurze Zeit. In diesem Moment bildete sich das Rohmaterial für jedes Objekt im Universum in einem Raum, der Billionen Mal kleiner war als der Punkt am Ende dieses Satzes. Während der »Quantenzeit« vor diesem Augenblick existierte nichts – nur reine, brodelnde Energie. Und nicht einmal dies ist gesichert, denn vor der Entstehung von Raum und Zeit existierten auch keine Naturgesetze, folglich auch kein Elektromagnetismus oder was auch immer.
Wenn man einem materialistischen Ansatz folgt, war das menschliche Gehirn in dieser brodelnden Energiesuppe vor Milliarden von Jahren bereits angelegt. Wenn das zutrifft, dann sind wir das Produkt des nächsten Evolutionsschrittes: dieses unglaublich fein abgestimmten Universums, in dem Dutzende von Konstanten so perfekt ineinandergreifen, dass ein anderer Wert an der zehnten oder zwanzigsten Dezimalstelle das ganze Unternehmen hätte scheitern lassen. Sie können lesen und denken. Sie können Billard spielen und sich verlieben. Und all das infolge dessen, was nach 10 – 43 Sekunden im Universum geschah. Ohne Licht, Schwerkraft, Elektronen, von Raum und Zeit einmal ganz abgesehen, wäre keiner von uns hier. Was vorher war, ist dem klassischen Wissen nicht zugänglich. Schon aus diesem Grund sieht sich die Wissenschaft auf Hypothesen angewiesen, die kein bisschen weniger fantastisch sind als das, was ich hier vorgetragen habe. Wenn wir uns über den Ursprung des Kosmos unterhalten wollen, müssen wir Tag für Tag ein größeres Spektrum an möglichen Erklärungen in Betracht ziehen.
Denn tatsächlich ist der Ausdruck »fantastisch« noch reichlich schmeichelhaft. Der Materialismus hat vor dem Auftreten von Materie wohl kaum etwas auszusagen. Objektivität ist gegenstandslos, solange es keine zu beobachtenden Objekte gibt. Wenn sich das Schicksal des Universums in einem winzigen Augenblick entschied, weshalb kann dieser Moment kein schöpferischer sein? Leonards donnerndes »Nein« in diesem Zusammenhang hat wenig Sinn. Seine Methode bringt uns hier kein bisschen weiter. Unsere Subjektivität ist es, die uns mit dem ursprünglichen Impuls verbindet, der etwas aus dem Nichts entstehen ließ. Wenn wir dies nicht akzeptieren, berauben wir uns selbst der Schöpferkraft, der tiefen Einsicht und des freien Willens.
Kein normaler Mensch wird auf seine Gefühle, seine Inspiration verzichten, nur weil die Wissenschaft dergleichen als nicht maßgeblich betrachtet. Die Wissenschaft sollte auf den subjektiven Faktor vielleicht nicht ganz so nervös reagieren. Es ist nicht so, dass nun Vandalen die Labors stürmen und die kostbare Ausrüstung mit ihren Bibeln zerschlagen werden. Trotz einiger Blackouts am fundamentalistisch-religiösen Rand wissen wir alle, dass die Wissenschaft uns unendlich viel Gutes beschert und große Fortschritte gebracht hat. Ihr Elfenbeinturm wäre ein ausgezeichneter Ersatz für das Land der Verheißung, kämen von dort nicht auch Atombomben, Biowaffen und Nervengas.
Viele Wissenschaftler zucken zusammen, wenn man das Wort »Waffen« erwähnt. Dann aber gehen sie wieder zur Tagesordnung über. Leider scheinen wir dieser diabolischen Schöpferkraft nichts entgegenzusetzen haben. Und es gibt auch Wissenschaftler, die sich an dem profitablen Geschäft mit dem Tod gerne beteiligen. Hier müssen wir eine Entscheidung treffen: eine Welt, die allein von der Wissenschaft beherrscht wird, wäre die Hölle auf Erden. Mit der Vernunft verheiratet zu sein, mag im Reinraum des Labors noch angehen, doch wenn die Wissenschaft sich daran macht, Glaube, Liebe, Fantasie, Emotionen, den freien Willen und das höhere Selbst als Illusionen unseres fehlbaren Gehirns abzustempeln, dann müssen wir rettend einschreiten, und zwar sofort.
Ich will hier niemanden mit meinen leidenschaftlichen Überzeugungen bekehren. Wir alle wissen, wie gefährlich es werden kann, wenn sich Eifer mit religiöser Intoleranz paart. Doch uns läuft langsam die Zeit davon. Millionen Menschen wenden sich von der organisierten Religion ab. Vor nahezu hundert Jahren spottete Freud über die Religion und nannte sie eine Nachhut, welche das verteidige, was sich nicht verteidigen lässt. Doch die Hoffnung lässt sich verteidigen. Und sie kann von der Wissenschaft erfüllt werden – wenn sie bereit ist, jene Wände einzureißen, die die innere und äußere Welt angeblich trennen. Vor zehn Jahren war es noch völlig ausgeschlossen, sich für Fragen des Bewusstseins zu interessieren und eine wissenschaftliche Karriere zu machen. Heute aber hält man Konferenzen ab, auf denen Hunderte von Wissenschaftlern der unterschiedlichsten Disziplinen Vorträge über die Natur des Bewusstseins halten. Man verbindet Gehirnprozesse, Photosynthese, Vogelwanderung und Zellbildung mit den Erkenntnissen aus der Quantenwelt. Direkt unter der Nase der Physiker entsteht unter Mitwirkung brillanter Köpfe das neue Forschungsgebiet der »Quantenbiologie«.
Das aber bedeutet, dass es nicht länger Spekulation ist, wenn wir auf eine neue, »ausgebaute« Wissenschaft hoffen. Natürlich endet dieser Rettungsakt noch nicht hier. Allenthalben leiden Menschen an einem Gefühl der Leere und an ungestillten Sehnsüchten. Offensichtlich gibt es ein Vakuum, das gefüllt werden will – ein spirituelles Vakuum. Denn welches andere Wort sollte passen? Erst wenn die Menschen Hoffnung haben, dass sich diese Leere füllen lässt, werden wir wissen, was die Zukunft für uns bereithält. Öffnen wir der Wissenschaft die Tore, damit sie ihren Anteil an dieser Heilung hat, denn sonst werden die neuen Wunder der Technik nur leeren Herzen und verlassenen Seelen dienen.