4.DIE GLOBALEN GROSSSTIFTUNGEN UND IHR ANSPRUCH AUF ›PUBLIC PRIVATE PARTNERSHIPBEI DER PANDEMIEBEKÄMPFUNG

Seit Beginn des neuen Millenniums sind auch einige global operierende angloamerikanische Stiftungen auf die Pandemie-Gefahren aufmerksam geworden, mit denen die Weltbevölkerung in zunehmendem Ausmaß konfrontiert war. Zu ihnen gehörten – und gehören seither – insbesondere die vom den Informatikern William ›Bill‹ und Melinda Gates initiierte Bill & Melinda Gates-Stiftung sowie der in mehreren Etappen aus dem Pharmakonzern Wellcome ausgegründete Wellcome Trust. Ihr Engagement wurde zunächst wenig beachtet und nur von einigen Nichtregierungsorganisationen kritisch unter die Lupe genommen. Das änderte sich schlagartig, als Gates im März 2015 in Vancouver bei einem Medienauftritt erklärte, die Menschheit sei nicht mehr durch Atomkriege bedroht, sondern in wachsendem Ausmaß den Risiken verheerender Viruspandemien ausgesetzt, die im schlimmsten Fall bis zu 30 Millionen Todesopfer fordern könnten. Während er dieses Worst-Case-Szenario präsentierte, wechselte der Power Point-Spot vom Atompilz zu einem überdimensional vergrößerten Coronavirus.1 Seither ranken sich um Bill Gates, der die Bill & Melinda Gates Fundation (BMGF) zusammen mit Melinda Gates und dem Großinvestor Warren Buffett leitet, wilde Gerüchte hinsichtlich der Coronapandemie. In ihnen mischen sich Teilwahrheiten mit Unterstellungen und Verschwörungstheorien. Da sich der in London ansässige Wellcome Trust und die anderen im Gesundheitswesen engagierten US-Stiftungen immer mehr zu Juniorpartnern der gesundheitspolitischen Initiativen der BMGF entwickelt haben,2 werde ich sie im Folgenden weitgehend vernachlässigen.

Die Gates-Initiative steht in einer langen Tradition. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts haben US-amerikanische Großstiftungen bei der Internationalisierung des Public Health und der internationalen Seuchenhygiene eine entscheidende Rolle gespielt. Dabei ging die im Jahr 1913 vom Erdölmagnaten John D. Rockefeller gegründete Rockefeller Foundation sofort in Führung, wobei sie in einigen Schwerpunkten mit der zwei Jahre zuvor gegründeten Carnegie Foundation kooperierte.3 Sie etablierte einen International Health Board, ordnete diesem eine Sanitary Commission zu und startete weltweit Kampagnen zur Bekämpfung der Malaria, des Gelbfiebers und parasitärer Massenerkrankungen. Parallel dazu finanzierte der Board die Gründung zahlreicher Schools of Public Health, so an der Johns Hopkins University in Baltimore, an der Harvard University, an der University of Toronto sowie die London School of Hygiene and Tropical Medicine. In den 1930er Jahren folgte in Zusammenarbeit mit der Carnegie Foundation ein hoch dotiertes Engagement zur Umsetzung eugenischer Konzepte, um die Menschheit durch Geburtenkontrolle und Massensterilisationen vor ihrer angeblich drohenden ›Entartung‹ zu bewahren; in diesem Zusammenhang unterstützte die Rockefeller Foundation bis Kriegsbeginn auch diverse Projekte der nazistischen ›Rassenhygiene‹.4 Parallel dazu finanzierte die Medical Division der Rockefeller Foundation den Übergang der klassischen Genetik zur Molekulargenetik5 und organisierte in den 1950er Jahren ein weltweit disloziertes Projekt zur Virusforschung, das wesentlich zum Aufbau des heute üblichen taxonomischen Systems beitrug und den Grundstein zur Erforschung und Kartierung der humanpathogenen Virusstämme gelegt hat.6 Aus der historischen Perspektive könnte man etwas überspitzt sagen, dass die Rockefeller Foundation die seit den 1880er Jahren entwickelten Ansätze zu einer im öffentlichen Gesundheitswesen verankerten Seuchenhygiene international durchgesetzt hat – eine frühe Partnerschaft zwischen Großstiftungen und Gesundheitsbehörden, bei der die Unternehmer-Mäzene Regie führten. Infolgedessen ist es gut nachvollziehbar, dass Bill und Melinda Gates das Vermächtnis der Rockefeller Foundation sorgfältig studierten und sich beim Aufbau ihres Stiftungskomplexes laufend mit der Rockefeller-Familie abstimmen.7

Einen weiteren wichtigen Beitrag zur Entdämonisierung des ›Gates-Syndroms‹ leistet der nüchterne Blick auf die Rahmenbedingungen des US-amerikanischen Stiftungswesens. In der dominierenden Mentalität der US-Gesellschaft gilt die Akkumulation von Reichtum als wichtigster persönlicher Leistungsnachweis und ist uneingeschränkt positiv besetzt. Wer Reichtum angehäuft hat, soll deshalb auch allein über seine Verteilung bestimmen, statt ihn weitgehend an den Staat abführen zu müssen, zumal dieser als unfähig zu einer adäquaten Ressourcenverteilung eingeschätzt wird. Indessen verpflichtet die protestantische Ethik die Reichen, ihre überschüssigen Einkünfte zu erheblichen Teilen für wohltätige (›charitable‹) Zwecke zur Verfügung zu stellen. Selbstverständlich folgt auch die Steuergesetzgebung diesen Leitbildern.8 Wer wohltätig stiftet, braucht die dreißigprozentige Quellensteuer auf Dividenden nur zu einem geringen Teil oder auch gar nicht zu entrichten. Darüber hinaus begünstigt die Erbschaftssteuer die familiendynastische Akkumulation von Stiftungskapital. Bis zu einem Volumen von sieben Millionen US-Dollar ist die Vererbung von Vermögen steuerfrei. Auch für weitaus größere Beträge gibt es zahlreiche Schlupflöcher; zudem wird die Erbschaftssteuer in periodischen Abständen vollständig ausgesetzt.

Aufgrund der Deregulierungen der 1990er Jahre, an denen auch die Obama-Administration nichts Grundlegendes änderte, verstärkte sich die strukturelle Abhängigkeit des Gesundheitswesens von den ›Charitable Foundations‹ der Kapitalvermögensbesitzer noch weiter. Mit der nach wie vor rudimentären sozialen Krankenversicherung korrespondiert ein öffentliches Gesundheitswesen, das zu immer größeren Teilen aus privaten Spenden finanziert wird. Selbst die renommiertesten Bereiche – so etwa die 1946 gegründeten Centers for Disease Control und die National Institutes of Health – werden inzwischen weitgehend von Stiftungen gesteuert.9

Somit waren auch die Rahmenbedingungen optimal, sobald sich die Familie Gates darauf festgelegt hatte, die Agenden ihres Stiftungsprojekts auf das globale Gesundheitswesen zu fokussieren. Dies war offensichtlich zu Beginn des neuen Millenniums der Fall, als Bill und Melinda Gates eine 1994 gegründete Vorläuferstiftung mit den übrigen Stiftungen der Gates-Familie zusammenlegten und in Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) umbenannten.10 Seither operiert die Stiftung auf der Basis strikter Managementregeln. Die Einnahmeseite ist auf maximale Rendite orientiert: Die nach und nach in sie eingebrachten Vermögenswerte belaufen sich zusammen mit den ab 2011 hinzugekommenen Einlagen Warren Buffetts inzwischen auf 46,8 Milliarden US-Dollar. Sie werden in besonders rentable Unternehmensaktien angelegt. Die sechs größten Aktienpakete hielt die BMGF 2018 bei Buffetts Kapitalholding Berkshire Hathaway und Microsoft, bei der Canadian National Railway sowie bei Televisa, Walmart und Caterpillar Inc.11 Auch die Weiterverteilung der Kapitaleinkünfte ist effizienzorientiert. Dabei dominieren solche Schwerpunktbildungen, die rasche und wirksame Erfolge versprechen. Nach diesen Grundsätzen werden die mittlerweile fünf Abteilungen der Stiftung gemanagt.12

Dabei hat wie bei der Rockefeller Foundation die Global Health Division konzeptionell wie finanziell das größte Gewicht. Während ihres Aufstiegs zur weltgrößten Privatstiftung hat die BMGF in den Jahren 2009 bis 2015 für die Kontrolle der Infektionskrankheiten in jährlich wachsendem Umfang insgesamt 5,6 Mrd. US-Dollar zur Verfügung gestellt.13 Zur Bekämpfung der weltweit dominierenden Massenkrankheiten Malaria, Geschlechtskrankheiten, HIV-AIDS und Tuberkulose stellte sie jeweils 1,4 Mrd., 1,3 Mrd. und 1,0 Milliarden US-Dollar zur Verfügung, die vorrangig zur Entwicklung von Impfstoffen eingesetzt wurden. Auch die internationalen Projekte der Reproduktionsmedizin und Familienplanung wurden mit Beträgen gefördert, die an die Milliardengrenze heranreichten. Dagegen folgten Fördermittel zur ›horizontalen‹ Entwicklung der gesundheitspolitischen Infrastruktur in erheblichem Abstand, so etwa für das Public Health Management (660 Mio.), für die gesundheitliche Basisversorgung (416 Mio.) und die elementare Basishygiene mit 365 Mio. US-Dollar. Die Gewichtung lag somit eindeutig bei den ›vertikalen‹ Schwerpunktvorhaben und verlagerte sich zudem immer stärker auf die Entwicklung neuer Impfstoffe sowie die Durchführung groß angelegter Impfprogramme.

Die hier referierten Beträge sind eindrucksvoll, zumal sie sich bis zu Beginn des Jahrs 2020 mehr als verdoppelten. Gemessen an den globalen Ausgaben für das Gesundheitswesen beeindrucken sie weniger. Das war selbstverständlich auch den Vorstandsmitgliedern und Treuhändern der BMGF bewusst. Infolgedessen bemühten sie sich von Anfang an um den Ausbau oder die Neugründung von weltweit operierenden internationalen Netzwerken. Sie sollen die Effekte ihrer Zuwendungen potenzieren und gleichzeitig eine den Visionen der BMGF entsprechende Schwerpunktbildung durchsetzen. Zu diesem Zweck engagierte sich die BMGF sofort nach ihrer Gründung für die Ausweitung schon bestehender sowie die Neugründung internationaler Netzwerke. Einige davon wirken eher im Stillen – aber nicht weniger wirksam. Andere sind seit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie ins Blickfeld der Weltmedien geraten und teilweise heftig umstritten.

Ihre ersten Gehversuche absolvierte die BMGF unmittelbar nach ihrer Gründung, indem sie der ebenfalls in Seattle im Bundesstaat Washington ansässigen und global tätigen Gesundheitsinitiative PATH unter die Arme griff.14 PATH existierte seit 1977 und hatte sich zunächst mit Projekten zur Familienplanung einen Namen gemacht. Nun wurde sie massiv ausgebaut und verlagerte ihren Schwerpunkt auf die akuten Probleme der Weltgesundheit, die vorrangig durch Immunisierungsprogramme unter Kontrolle gebracht werden sollten. In diesem Kontext übernahm PATH die Aufgabe, die dafür erforderliche Infrastruktur – vereinfachte Impf-Sets, Kühlketten usw. – zur Verfügung zu stellen. Seither ist PATH in Abstimmung mit der BMGF für die technisch-logistische Infrastruktur ihrer Impfkampagnen zuständig. Allein in den Jahren 2009 bis 2015 ließ ihr die BMGF knapp eine Milliarde US-Dollar zum Aufbau der Vakzine-Infrastruktur zukommen und band in den folgenden Jahren zahlreiche weitere globale Impfstoffprojekte in ihr Joint Venture mit PATH ein. Dazu gehörten der in dieser Zeitspanne mit 777,6 Millionen US-Dollar dotierte ›Global Fund to fight AIDS, Tuberculosis and Malaria‹, das Polio-Impfstoffprogramm der Rotary Foundation (400,1 Millionen US-Dollar), die ›Global Alliance for Tuberculosis Drug Development‹ (338,4 Mio. US-Dollar), der ›Medicine for Malaria Venture‹ (334,1 Mio. US-Dollar) und umfangreiche Zuschüsse an die Impfkampagnen der UNICEF, die überwiegend dem US Fund for UNICEF zur Verfügung gestellt wurden.15 Darüber hinaus beteiligte sich die BMGF ab 2012 gemeinsam mit dem Wellcome Trust an einem von der japanischen Regierung und elf führenden japanischen Unternehmen der Pharma- und Medizintechnikbranche geründeten ›Global Health Innovative Technology Fund‹, der in den folgenden Jahren in vier Forschungsportalen die weltweite Entwicklung neuer Impfstoffe und Medikamente vorantrieb, um die seit langem endemischen und mehr noch die neu aufgetretenen Infektionskrankheiten unter Kontrolle zu bringen.16

Es gab aber auch Neugründungen, an denen die BMGF von Anfang an als Mitinitiator und wichtigster privater Geldgeber beteiligt war. Dazu gehörte vor allem die ›Global Alliance for Vaccine and Immunization‹ (GAVI), die sich nach ihrer Gründung im Jahr 2000 rasch zur Koordinationszentrale des soeben skizzierten Netzwerks der Public Private Partnerships entwickelte. Die BMGF setzte allein in den Jahren 2005 bis 2015 Projektgelder im Umfang von knapp 4 Milliarden US-Dollar für GAVI ein und stockte diesen Betrag bis 2020 um weitere 1,56 Milliarden US-Dollar auf.17

Im GAVI-Projekt arbeiten seit nunmehr 20 Jahren zahlreiche Regierungen der Transatlantikregion und der Entwicklungsländer mit der WHO, dem UN-Kinderhilfswerk UNICEF, dem von der BMGF angeführten Stiftungskonsortium, mit Vertretern der führenden Impfstoff- und Pharmakonzerne sowie einigen weltweit aktiven medizinischen Hilfsorganisationen zusammen.18 Ihr Ziel ist, die im Globalen Süden nachwachsenden Generationen gegen die gefährlichsten Infektionskrankheiten zu immunisieren und die elementare Gesundheitsversorgung zu verbessern. Dabei entwickelte sich rasch ein Ziel-Mittel-Konflikt um die Prioritäten: Sollte zuerst die hygienische und medizinische Basisversorgung aufgebaut werden, um die Impfprogramme effizient durchführen zu können, oder hatten die Impfprogramme wegen der rasch zu erzielenden Erfolge Vorrang? Beim Disput darüber kam es zu aufschlussreichen Bündnissen. Die am stärksten engagierten Regierungsvertreter Europas (Norwegen und Großbritannien) votierten zusammen mit den an einer nachhaltigen Entwicklung des Gesundheitswesens der Entwicklungsregionen interessierten Pharmakonzernen und den medizinischen Hilfsorganisationen für ein simultanes und gleichrangiges ›Health System Strengthening‹ (HSS), für das in den Statuten der GAVI nur ein Ausgabenanteil von einem Viertel vorgesehen war. Ihnen stand eine Koalition der Impfexperten und Impfkonzerne, der US Agency for International Development (USAID) und der privaten Hauptstifter gegenüber. Der Konflikt schwelte jahrelang, bis sich in der zweiten Dekade das als ›Gates Approach‹ bezeichnete Konzept einer ›vertikalen‹, schwerpunktbezogenen und auf sofortige Effekte fixierten Immunisierungsstrategie durchsetzte. Seit 2010/2011 fielen die Investitionen des GAVI-Projekts zugunsten einer mittelfristig angelegten ›horizontalen‹ Hygiene- und Basisversorgung auf ein Zehntel des Gesamtbudgets. Die HSS-Protagonisten resignierten und zogen sich aus dem so hoffnungsvoll begonnenen Projekt einer nachhaltigen Überwindung des gesundheitspolitischen Gefälles zurück. Die medizinischen und karitativen Hilfsorganisationen (Médecins Sans Frontières, Misereor usw.) blieben hingegen an Bord und verfolgten die weitere Entwicklung. Wer die Bulletins und Presseerklärungen auf ihren Webseiten mitverfolgt hat, kann die zwiespältigen Effekte des ›Gates Approach‹ gut nachzuvollziehen. Positiv schlägt zu Buch, dass die Impfkampagnen von GAVI zur Immunisierung gegen das Humane Papillomvirus, die Kinderlähmung (Polio), die Japanische Enzephalitis, die Meningitis A, die Masern, das Fleckfieber, die Cholera, die Pneumokokken und die Rotaviren sowie die pentavalente Grundimmunisierung gegen Diphterie, Wundstarrkrampf, Keuchhusten, Haemophilus Influenzae und Hepatitis B mindestens 20 Millionen Kindern und Heranwachsenden des Globalen Südens das Leben gerettet haben. Dafür war jedoch ein Preis zu zahlen. Um die Kampagnen durchführen zu können, mussten die Gesundheitsbehörden der Entwicklungsländer ihr ohnedies rudimentäres Versorgungssystem für diese Aufgaben einsetzen. Trotzdem entstanden gravierende Probleme bei der Etablierung der technisch hoch entwickelten Infrastruktur (so etwa der Kühlketten), den Transportkapazitäten und der Bereitstellung von Personal; auch die Dokumentation und die Verlaufskontrollen waren lückenhaft und versagten teilweise vollkommen. Das hatte zur Folge, dass sich in vielen Slum Cities und ländlichen Regionen die allgemeine sanitäre und gesundheitliche Basisversorgung weiter verschlechterte.

Dank der laufenden Berichterstattung der global operierenden medizinischen Nichtregierungsorganisationen ist auch die wirtschaftspolitische Seite des Dilemmas gut nachvollziehbar.19 Zu Beginn der zweiten GAVI-Dekade wurde ein vom Impf-Duopol Pfizer und GlaxoSmithKline (GSK) entwickelter neuer Pneumokokken-Impfstoff eingeführt.20 Er war – und ist – gut wirksam und erlangte oberste Priorität für eine Impfkampagne, weil der Pneumokokken-Pneumonie jährlich etwa ein Viertel aller Kleinkinder (unter fünf Jahren) der südlichen Hemisphäre zum Opfer fällt; er schützt aber auch die übrigen Altersgruppen vor einer gefährlichen Superinfektion, die häufig während der Influenza- und Coronapandemien auftritt. Für diesen begehrten ›fair shot‹ mussten die Menschen bzw. Krankenkassen in den entwickelten Weltregionen mindestens 80 US-Dollar zahlen. In zähen Auseinandersetzungen handelte die vom GAVI-Board eingesetzte Impfstoffkommission den Preis für die auf 30 Millionen Jahresdosen angesetzten Kontingente auf 21 US-Dollar je Einzeldosis herunter. Bei den durch die Médecins Sans Frontières (MSF) erzwungenen Debatten deklarierte das Duopol seine Selbstkosten pro Dosis mit 10 US-Dollar. Es ließ sich also mit 11 US-Dollar pro Dosis subventionieren, sodass GAVI ganz wesentlich zur Generierung eines Extraprofits auf die Pneumokokkenvakzine beitrug, der sich bis 2015 auf 16 Milliarden US-Dollar summierte. Gleichzeitig wurden wesentlich billiger angebotene und als gleichwertig zertifizierte Konkurrenzpräparate aus Indien und China auf Distanz gehalten. Als die MSF-Geschäftsführung dieses Verhalten kritisierte, übte sie sich keineswegs in Kapitalismuskritik. Sie wies vielmehr ihrem Haupt-Antikritiker Bill Gates nach, dass mit den um ein Drittel verbilligten indischen und chinesischen Präparaten auch jene 20 % Kleinkinder hätten geimpft werden können, die die Impfkommission der GAVI aus ihren jährlichen Kampagnen aussparte.

Gleichwohl gerieten diese Auseinandersetzungen zunehmend in den Hintergrund, weil sich mit den seit 2012/13 häufenden neuen Pandemiewellen (MERS 2012/13, Ebola 2014/15, ZIKA 2016, Influenza B 2017/18 und SADS 2017)21 unerwartete neue Handlungszwänge auftaten. Hinzu kam die Tatsache, dass die neuen und alten Erreger teilweise nicht nur den globalen Süden und die Schwellenländer der Pazifikregion heimsuchten, sondern zunehmend auch die transatlantische Welt in ihre Ausbreitungsrouten einbezogen. Infolgedessen wurde auch eine entsprechende Reorganisation des GAVI-Projekts dringlich. Einmal mehr war es Bill Gates, der die im vorherigen Abschnitt skizzierten Warnungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ernst nahm und sie im März 2015 in seinem ersten Medienspot publik machte.

Gates ließ es jedoch nicht bei seinem Vancouver-Auftritt bewenden. Zusammen mit seinen BMGF-Mitstreitern lancierte er eine neue Initiative, wobei er diesmal das in Davos ansässige World Economic Forum (WEF) nutzte.22 Daraufhin beschloss das WEF auf seiner Jahrestagung im Januar 2016, ein Projekt zur weltweiten Koordination und Beschleunigung der Impfstoffentwicklung in die Wege zu leiten. Ein Expertenteam wurde gebildet, das sich in den folgenden Monaten auf drei Grundsätze verständigte. Die zu gründende Non-Profit-Organisation sollte sich erstens an einer von der WHO zu erstellenden Prioritätsliste orientieren. Zweitens sollten die einzuwerbenden Investitionsmittel vorrangig zur Schließung von Lücken genutzt werden, um die Entwicklung und klinische Erprobung neuer Impfstoffe zu beschleunigen. Ausgehend davon sollten drittens die schon bestehenden wissenschaftlichen, industriellen und behördlichen Netzwerke ausgebaut werden, um den kommenden Pandemien mit flexibel vorbereiteten Produktions- und Verteilungskapazitäten begegnen zu können.

Die Start-up-Phase der mittlerweile als ›Coalition for Epidemic Preparedness Innovation‹ (CEPI) firmierenden Weltorganisation begann auf der WEF-Jahreskonferenz 2017 in Davos. Federführend waren dabei neben der BMGF das WEF selbst, der Wellcome Trust und die Regierungen Norwegens und Indiens. In den folgenden Monaten traten die WHO, die führenden Impfstoffkonzerne und Forschungszentren sowie die EU-Kommission und die Regierungen zahlreicher Nationalstaaten der Non-Profit-Organisation bei. Wie beim Gavi-Projekt reüssierte dabei die Bill & Melinda Gates Foundation als größter und einflussreichster privater Geldgeber.