Die Großstiftungen und die von ihnen ins Leben gerufenen internationalen Netzwerke zur Optimierung der Impfstoffkampagnen verfügen über eine professionell organisierte Präsenz in den Internet- und Printmedien. Das hat verständlicherweise dazu geführt, dass ihre Aktivitäten seit Beginn des neuen Millenniums von zahlreichen Experten und Publizisten kritisch unter die Lupe genommen wurden. Dabei geriet vor allem ihre konzeptionelle, personelle und finanzielle Einflussnahme auf die Institutionen des internationalen Gesundheitswesens in den Fokus. Im Kontext der kritischen Berichterstattung kam es zweifellos zu manchen Übertreibungen, so etwa, wenn ein Journalist schon im April 2017 Bill Gates als »heimlichen WHO-Chef« bezeichnete.1 Immerhin war es bemerkenswert, dass die Bill & Melinda Gates Foundation nicht nur steigende Beträge an das UN-Kinderhilfswerk UNICEF abführte, sondern auch die WHO allein zwischen 2009 und 2015 mit 1,53 Milliarden US-Dollar projektgebunden dotierte und so nach der US-Regierung zu ihrem zweitgrößten Finanzier aufstieg. In den letzten fünf Jahren deckte die WHO jeweils 10 % ihres Haushalts mit Zuwendungen der BMGF ab.2 Seit den 1990er Jahren befindet sich die WHO in einer tiefen Strukturkrise, und ihre Probleme haben sich seit dem verstärkten Engagement internationaler Großstiftungen und Medizinkonzerne nicht verbessert. Das aber bedeutet noch keineswegs, dass die finanzstarken Akteure der Public Private Partnership diese Schieflage auch verursacht haben, wie dies viele Kritiker etwas vorschnell annehmen.
Die WHO wurde im Juli 1946 im Ergebnis einer Internationalen Gesundheitskonferenz als Sonderorganisation der Vereinten Nationen gegründet und nahm am 7. April 1948 in Genf ihre Tätigkeit auf.3 Sie sah und sieht ihre Aufgabe darin, die Aktivitäten der Gesundheitsbehörden ihrer Mitgliedsnationen zu koordinieren, die Entwicklung der Weltgesundheit zu beobachten, den Aufbau des Gesundheitswesens in den Entwicklungsländern voranzutreiben und Schwerpunktprogramme zur Bekämpfung weltweiter Gesundheitsrisiken auf den Weg zu bringen. Die Richtlinien dazu legen jährliche World Health Assemblies fest, die aus ihrer Mitte einen Exekutivrat und einen Generaldirektor zur Leitung des ständigen Sekretariats wählen. Ansonsten ist die WHO föderal organisiert und verfügt über sechs Regionalbüros in Afrika, Europa, den Amerikas, im Nahen und Mittleren Osten (Eastern Mediterranean), in Südostasien sowie der Pazifikregion (Western Pacific).
Bis zu Beginn der 1980er Jahre erzielte die WHO bedeutende Erfolge. Sie gab entscheidende Impulse zum Aufbau des öffentlichen Gesundheitswesens im Globalen Süden, koordinierte die Kampagne zur Ausrottung der Pocken und war immer wieder in der Lage, die Barriere des Kalten Kriegs zu überbrücken. Innerhalb des UN-Archipels verfügte sie nicht zufällig über das höchste Budget. 80 % der Mittel entstammten den Pflichtbeiträgen ihrer Mitgliedsstaaten, der Rest entfiel auf freiwillige Beiträge einiger einkommensstarker Mitgliedsnationen und auf Zuwendungen internationaler Organisationen.
Diese Situation änderte sich ab Ende der 1970er Jahre. Im Gefolge der Weltwirtschaftskrise von 1973–1976 waren zahlreiche Schwellen- und Entwicklungsländer in eine lang anhaltende Schuldenkrise geraten. Sie mussten deshalb ihre WHO-Beiträge immer häufiger stunden lassen. Infolgedessen verstärkte sich das Gewicht der zahlungskräftigen Mitglieder der Transatlantikregion, die ihre freiwilligen Beiträge entsprechend aufstockten. 1993 wurden die Pflichtbeiträge schließlich eingefroren.
Seitdem befindet sich die Einnahmenseite der WHO in einer Schieflage, die sich von Jahr zu Jahr verstärkt hat. Dies war der Zeitpunkt, zu dem die philanthropischen Unternehmer, die internationalen Stifterverbände und schließlich die global operierenden Pharmakonzerne die WHO als Anlageobjekt für ihre steuerfreien Vermögensanteile entdeckten. Dies führte zu jenem folgenreichen Paradigmenwechsel, wie ich ihn schon bei der Analyse der globalen Großstiftungen skizziert habe. Im Fall der WHO wurde er auf drei Ebenen herbeigeführt. Das Sekretariat des Generaldirektors richtete zusätzlich zu den schon bestehenden (etwa 50) Expertengremien Studien- und Forschungsgruppen ein, in denen nun die Vertreter der Großstiftungen und Pharmakonzerne Platz nahmen. Im WHO-Budget kam es zur Umkehrung der Einnahmen: 80 % stammen seit Beginn des neuen Millenniums aus freiwilligen Überweisungen, nur noch 20 % aus den Pflichtbeiträgen der Mitglieder. Das waren die personellen und finanziellen Voraussetzungen dafür, dass sich die Mentalitäten der auf kurzfristige Effekte fixierten Managementkultur im internationalen Knotenpunkt des öffentlichen Gesundheitswesens breitmachten.
Die in den 1950er und 1960er Jahren im Globalen Süden mühselig aufgebauten Fundamente des Public Health begannen zu erodieren und zu zerfallen, weil sie zugunsten der vielfältigen Impfkampagnen vernachlässigt wurden. Aber auch die neuen Sonderberater des Generaldirektors aus den Forschungsabteilungen der Pharmaindustrie leisteten sich manchen Fehltritt. Um beispielsweise ihre neu entwickelten Vakzine gegen die Vogel- und Schweinegrippe (Saison 2005 und 2009) weltweit zu etablieren, suggerierten sie gewaltige Pandemiegefahren, die stark übertrieben waren.4 Es gibt zahlreiche weitere Fehlgriffe und Skandale, aber es wäre müßig, sie hier aufzuzählen. Wichtiger scheint mir der Hinweis auf ein bemerkenswertes Paradox, das die Zeitgeschichte des Gesundheitswesens auszeichnet. In den 1920er und 1930er Jahren stimulierten die internationalen Großstiftungen den Aufbau eines öffentlichen Gesundheitswesens, das sich in den Nachkriegsjahrzehnten als mächtige Säule des keynesianischen Sozialstaats etablierte und festigte. Diese ›goldene Zeit‹ des Public Health neigte sich Ende der 1970er Jahre allmählich dem Ende zu. Das hatte bedrohliche Folgen für die Weltgesundheit, und zwei Jahrzehnte später erkannten die ›Economic Leaders‹ des deregulierten Weltsystems den Ernst der Lage. Folglich begannen sie, immer größere Teile ihrer Kapitalvermögen für die Zwecke einer Public Private Partnership zu mobilisieren und den maroden Institutionen des Weltgesundheitssystems unter die Arme zu greifen. Rockefellers Berater träumten von einer sozialhygienisch gereinigten und harmonisierten Weltordnung. Derartige Visionen waren Bill Gates, Warren Buffett und der Leitung des Wellcome Trust fremd. Sie verfolgten bescheidenere Ziele. Sie bemühten sich um die Konsolidierung der WHO und der übrigen internationalen Netzwerke des Gesundheitswesens, damit sie als Feuerwehren des Pandemieschutzes funktionsfähig bleiben. Dass dabei auch für die Medizinkonzerne erhebliche Renditen anfallen, ist zweifellos nicht unerwünscht – aber meines Erachtens keineswegs das Hauptmotiv.
Indessen haben die Strukturen der Public Private Partnership keineswegs nur die globalen Netzwerke des öffentlichen Gesundheitswesens durchdrungen und zunehmend auf ihre Feuerwehrfunktionen eingeschränkt. Im April 1999 veröffentlichte die WHO einen ›Influenza Pandemic Plan‹, der die Mitgliedsländer dazu aufrief, sich angemessen auf allfällige Pandemie-Ereignisse vorzubereiten.5 Durch die SARS-Pandemie von 2002–2003 sowie die beiden 2005 und 2009 neu aufgetretenen Subtypen des Influenzavirus (Vogelgrippe H5N1 und Schweinegrippe H1N1) sah sie sich in ihrem Anliegen nachdrücklich bestätigt. Sie aktualisierte ihren globalen Pandemieplan seither fortlaufend und richtete ihn immer stärker auf die Bevorratung antiviraler Medikamente und die Entwicklung von Impfstoffen aus.
In zahlreichen Ländern wurden nun ›Nationale Pandemiepläne‹ erarbeitet und verabschiedet. Sie orientierten sich weitgehend an diesen Vorgaben, darunter auch in der Schweiz und in Deutschland. Ein Rückblick auf diese Planungen macht deutlich, dass auch die wohlhabenden und über hoch entwickelte Gesundheitssysteme verfügenden Nationalstaaten nicht vor gravierenden Fehlgriffen gefeit waren. Darüber hinaus waren diese Szenarien in umfangreiche Regelwerke eingebettet, mit deren Hilfe sich die involvierten Regierungen auf Worst Case-Szenarien und Notstandsmaßnahmen vorbereiteten. Mit diesem Aspekt werde ich mich im nächsten Abschnitt auseinandersetzen. Hier sollen zunächst die medizinischen Vorkehrungen untersucht werden.
In Deutschland nahm eine seit längerem bestehende ›Bund-Länder-Arbeitsgruppe Seuchenschutz‹ die WHO-Initiative auf. Sie veröffentlichte 2001 erste konzeptionelle Vorgaben, die durch den Versuch geprägt waren, zwischen einer zentralistisch orientierten und einer eher föderalistischen Vorgehensweise zu vermitteln.6 Daraufhin beauftragte das Bundesgesundheitsministerium das Robert Koch-Institut (RKI), eine Expertenkommission einzusetzen, die die Vorschläge der Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit einem kurz zuvor verabschiedeten Infektionsschutzgesetz7 abstimmen und die Planungsprioritäten festlegen sollte. Der ›Nationale Pandemieplan‹ (NPP) wurde knapp vier Jahre später veröffentlicht und seither mehrfach aktualisiert.8
Dem Plan lag die Annahme eines mittelschweren Pandemiegeschehens zugrunde. Er ging davon aus, dass 15–50 % der Bevölkerung akut erkranken würden. Das würde 6 bis 21 Millionen zusätzliche Arztbesuche zur Folge haben. Zwischen 180.000 und 600.000 Menschen müssten im Krankenhaus behandelt werden, und 48.000 bis maximal 160.000 Patientinnen und Patienten würden die Infektion nicht überleben. Ausgehend von diesen Kennziffern erarbeiteten die Experten ein gesundheitspolitisches Rahmenkonzept, das es dem BRD-Gesundheitssystem ermöglichen sollte, die Pandemiekrise angemessen zu bewältigen. Dabei unterschieden sie in Anlehnung an die WHO-Blaupause zwischen nicht-pharmazeutischen und pharmazeutischen Maßnahmen. Dies war durchaus gerechtfertigt, denn man musste jederzeit damit rechnen, dass genetisch angepasste Varianten oder neuartige Subtypen des Influenzavirus auftreten würden, gegen die leistungsfähige Impfstoffe frühestens drei Monate nach Ausbruch der Pandemie zur Verfügung stehen würden.
Infolgedessen wurde zunächst das gesamte Instrumentarium der etablierten Infektionshygiene durchgespielt: Die Optimierung des gesundheitsbehördlichen Meldewesens, der diagnostischen Verfahren und der ›kontaktbeschränkenden Maßnahmen‹ (Isolierung und Quarantäne). Aber auch das klassische Handwerkszeug der Infektionshygiene wurde aufgeboten: In einer Serie von Tabellen wurde die Ausstattung der Pflegeheime, der medizinischen Einrichtungen (Arztpraxen, Krankenhäuser und Rettungsdienste), der Gemeinschafts- und Massenunterkünfte und last but not least der Gefängnisse mit angemessenen Schutzausrüstungen und Desinfektionsmitteln durchgespielt.9 Alle Betroffenen – Patienten, Heimbewohner, Gesundheitspersonal und Betreuer – sollten im Pandemiefall mit Gesichtsmasken, Handschuhen, Schutzkleidung und Desinfektionsmitteln vor der Ansteckung geschützt werden. Hinzu kamen Empfehlungen zur Vorbereitung und Anpassung der Trägereinrichtungen der medizinischen Versorgung an eine pandemiebedingte Krisensituation. Es war vorgesehen, die ambulante Behandlung der Infizierten separat zu organisieren und spezielle Schwerpunktkliniken zu projektieren, um dem Ansturm der Schwerkranken gerecht zu werden, spezifische Trainingsprogramme für das Gesundheitspersonal starten zu können und auch apparativ angemessen ausgestattet zu sein. Dabei wurden auch die im Pandemiefall erforderlich werdenden Zusatzkapazitäten zur Behandlung Schwerstkranker (Beatmungsgeräte usw.) nicht vergessen.
Parallel dazu handelte die Expertenkommission die pharmakologischen Maßnahmen, nämlich die Bereitstellung antiviraler Medikamente und die Beschaffung von Impfstoffen, ausführlich ab.10 Sie verbreiteten einen Optimismus, der kritische Beobachter schon zur Zeit der Publikation des Pandemieplans erstaunte. Obwohl ihre Wirksamkeit schon damals massiv bezweifelt wurde, erörterten die Planer die Frage, wie für die von ihnen auf 20 % geschätzten ›Risikogruppen‹ der Bevölkerung 7,5 Millionen Behandlungseinheiten des Roche-Mittels ›Tamiflu‹ und 1,5 Millionen Einheiten des GSK-Präparats ›Relenza‹ beschafft, auf Länder- und Kommunalebene eingelagert und unter Berücksichtigung ihrer Verfallsdaten erneuert werden könnten.11 Diese Anweisungen wurden dank der anschließend verabschiedeten Pandemiepläne der Bundesländer und Gemeinden schrittweise umgesetzt.
Mit genau der gleichen Sorgfalt widmeten sich die Planer der Entwicklung und Bevorratung von Impfstoffen.12 Wegen ihrer noch kürzeren Verfallszeiten können Impfstoffe nicht längerfristig eingelagert werden, ganz abgesehen davon, dass sie je nach der bei einer Influenzapandemie auftretenden Virusvariante kurzfristig modifiziert werden müssen. Infolgedessen ersetzte in diesem Fall die Sicherung ausreichender Entwicklungs- und Produktionskapazitäten die Bevorratung. Auf diese Weise entstanden bei den führenden Impfstoffherstellern der Pharmaindustrie – GSK, Sanofi, Pfizer, Merck & Co., AstraZeneca sowie einigen kleineren Spezialfirmen13 – Vertragskapazitäten, die selbstverständlich angemessen bezuschusst werden mussten.
Wir wissen nicht, welche Experten in- und außerhalb des RKI bei der Erarbeitung dieses Plans die Feder geführt haben, und auch die Zusammensetzung der beim RKI tätigen und für die laufende Aktualisierung der Impfprogramme verantwortlichen ›Ständigen Impfkommission‹ ist unbekannt. Schon in seiner Erstfassung wies der Pandemieplan eine deutliche Asymmetrie auf. Die Empfehlungen zur Umsetzung der Infektionshygiene wirkten im Vergleich mit den Anordnungen zur Bevorratung von Medikamenten und Impfstoffkapazitäten eher wie eine formelhafte Pflichtübung.
Dieses Phänomen blieb innerhalb des gesundheitspolitischen Establishments nicht unbemerkt. Eineinhalb Jahre später nahm eine für den ›gesundheitlichen Bevölkerungsschutz‹ zuständige Expertenkommission des Bundesinnenministeriums (›Schutzkommission‹) zu den Planungen des Gesundheitsressorts Stellung.14 Sie hieß zwar die Bevorratung von Medikamenten und die Sicherung von Impfstoffkapazitäten ausdrücklich gut, bemängelte jedoch den nur schleppend begonnenen Aufbau von Schwerpunktkliniken und den damit verbundenen Reservekapazitäten an Personal und Ausstattung für den Pandemiefall. Dies hielt die von dem Biomediziner und Unternehmer Alexander S. Kekulé geleitete Arbeitsgruppe für ein gefährliches Manko. Die Ursache dafür war den Kritikern bewusst: Die Bundesländer und kreisfreien Städte weigerten sich aus Kostengründen, derartige klinische Sonderzentren der Pandemiebekämpfung (›Fieberkliniken‹) einzurichten. Hier sah die Arbeitsgruppe Gefahr im Verzug. Der Anlass für ihre Alarmstimmung war die gerade grassierende Vogelgrippe,15 die sich nach ihrer Einschätzung jederzeit genetisch an den Menschen anpassen und eine hochgefährliche Pandemie auslösen konnte, die an die Ausmaße der Influenzapandemie von 1918–1920 heranreichte. Das war auch der Grund, weshalb es die Experten nicht mit ihrem Votum zum Ausgleich der Asymmetrie zwischen pharmazeutischen und nichtpharmazeutischen Maßnahmen bewenden ließen. Sie forderten darüber hinaus die Gründung einer – bislang von den Bundesländern blockierten – ›Nationalen Pandemiekommission‹, die, mit entsprechenden Bundesmitteln ausgestattet, die Blockaden auf Länder- und Kommunalebene überwinden sollte. Davon ausgehend sollte dann auch die als zu moderat eingeschätzte Orientierung an einem mittelschweren Pandemiefall aufgegeben und durch Worst-Case-Szenarien à la 1918–1920 ersetzt werden. Darüber hinaus verwiesen die Experten auf die fehlende Einbettung des Pandemieplans in eine Abschätzung der gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen und die durch die Gegenmaßnahmen zu erwartenden Kollateralschäden. Auf diesen Aspekt werde ich im nächsten Abschnitt zu sprechen kommen, denn in dieser Hinsicht hatte ihre Stellungnahme weitreichende Folgen.
Im engeren Bereich der Infektionshygiene bewirkte die Stellungnahme aus dem Beratungsumfeld des Bundesinnenministeriums nichts. Lediglich auf dem Gebiet der Medikamenten- und Impfstoffbeschaffung wurden die Bevorratungsaktivitäten vorangetrieben. Depots für Desinfektionsmittel und hygienischen Basisschutz passten genauso wenig in die aktuelle Entwicklung des Gesundheitswesens wie der Aufbau klinischer Reservekapazitäten. Dies hätte dem Generaltrend – der renditeorientierten Kommerzialisierung des Gemeinguts Gesundheit – widersprochen und den gerade in Gang gekommenen Ausverkauf der klinischen Infrastruktur durch die hoch verschuldeten Bundesländer und Städte gestört. Infolgedessen beschränkten sich die Vorkehrungen für den Pandemiefall immer stärker auf den renditeträchtigen Sektor der antiviralen Medikamente und Impfstoffe. Diesem Phänomen zollten sehr bald auch die Berater des Bundesinnenministeriums ihren Tribut. Als 2009 mit der Schweinegrippe16 ein weiteres Pandemierisiko auftauchte, begnügte sich auch die Schutzkommission mit der Empfehlung, die Medikamenten- und Impfkapazitäten weiter aufzustocken und die aus den Schwerpunktländern der Epidemie – Mexiko, USA und Kanada – Einreisenden bei ihrer Ankunft in den Flughäfen zu testen.17 Das war eine erstaunliche Einengung der Handlungsoptionen. Die Planung wurde immer mehr eingeschränkt, obwohl die faktische Wirkungslosigkeit der antiviralen Medikamente erwiesen war18 und obwohl die Impfstoffe nur einen begrenzten Schutz bieten und häufig zu spät kommen. Der ›Nationale Pandemieplan‹ war innerhalb weniger Jahre in den Griff der Pharmakonzerne geraten.
Dessen ungeachtet waren die hier skizzierten Phänomene alles andere als der Ausfluss eines ›deutschen Sonderwegs‹. Sie waren integraler Bestandteil der oben beschriebenen globalen Entwicklung des Gesundheitswesens auf dem Gebiet der Epidemiologie. Es gab aber auch aufschlussreiche Parallelen zu den Pandemieplänen anderer Nationalstaaten. Beispielsweise wirkte die schweizerische Variante anfänglich ausgeglichener, denn in ihrer im Jahr 2004 verabschiedeten Erstfassung wurde die Notwendigkeit betont, für die Zwecke der ›Eidgenössischen Pandemiekommission‹ einen erheblichen Vorrat an Desinfektionsmitteln, Schutzmasken, Schutzkleidung und sonstigem medizinischen Gerät anzulegen.19 Davon wurde jedoch bald Abstand genommen. Die Bevorratung wurde nur noch empfohlen, sodass auch hier die Vorkehrungen zunehmend vernachlässigt wurden. Letztlich hatte sich auch in der Schweiz die Asymmetrie der deutschen Pandemievorkehrungen durchgesetzt.