Gideon Jones war so toll im Umgang mit Jorge und Noah, zwei Sechsjährigen, deren Geräuschpegel, den sie erzeugten, dem einer wild gewordenen Rinderherde glich. Gideon reichte jedem der Jungen einen Brotwürfel und zeigte Ihnen liebevoll, wie sie ihre Hand mit dem Würfel in der Mitte gerade ausstrecken sollten. Sie passten beide sehr gut auf, während ihre kleinen Körper zitterten, weil sie sich so anstrengten ruhig zu bleiben, damit der Pfau sich sicher genug fühlte, um das Brot aus ihrer Hand zu picken.
Rosie Diaz ging das Herz auf, als sie die Szene vom Picknickbereich aus beobachtete. Es war ein großes Zelt aufgebaut, das den Tischen und der Tanzfläche bei der Hochzeit ihrer besten Freundin Schatten spendete. Ariana Jones hatte Matt Tremont kennengelernt, als er sie als Nanny für seinen Sohn anstellte. Ari überschüttete Noah mit Liebe und es dauerte nicht lang, bis Ari und Matt sich ineinander verliebten. Rosie war bewusst, dass ihre Liebesgeschichte nicht völlig reibungsfrei verlaufen war, und dennoch sah sie die Beziehung der beiden als wahr gewordenes Märchen. Sie war unendlich glücklich darüber, dass ihre Freundin die Liebe ihres Lebens gefunden hatte.
Es war ein herrlich sonniger Samstag im August, an dem Rosies Sohn Jorge und Aris Sohn Noah vor einem Pfau hockten, dessen majestätische Schwanzfedern er stolz hinter sich trug. Als Ari und Rosie als Teenager zusammen in einer Pflegefamilie gelebt hatten, hatten sie sich genau das in schönsten Farben ausgemalt: ihre Kinder als beste Freunde.
Rosie und Ari waren im Herzen Schwestern. Die dritte im Bunde war ihre Freundin Chi, die ebenfalls in der Pflegefamilie aufgewachsen war. Rosie hatte die beiden im frühen Teenageralter kennengelernt, direkt nach dem Tod ihrer Eltern. Sie liebte Ari für ihren nie enden wollenden Optimismus und ihre Loyalität ihrem Bruder gegenüber. Chi liebte sie für ihre Stärke. Als ihre Pflegefamilie sich mit der Aussprache ihres chinesischen Namens – Zhi Ruo – schwer tat, nahm Chi deren Aussprache als ihren Namen an. Für sie war es ein mächtiger Name, wie Tai Chi.
Rosie war fest davon überzeugt, dass die drei für immer und ewig beste Freundinnen sein würden. Sie hatten einige düstere Zeiten zusammen durchgemacht, als sie mit 18 schwanger und von ihrem Freund im Stich gelassen wurde. Sie waren bei Jorges Geburt dabei gewesen, als sie 19 war. Jorges leiblicher Vater, der außer seiner DNS nichts zu ihrem Sohn beigetragen hatte, war derjenige gewesen, der ihr gezeigt hatte, dass man Männern besser nicht vertraut. Zumindest solange, bis sie die Mavericks kennengelernt hatte. So wie Ari und Chi ihr gezeigt hatten, was Treue und Güte von Freunden bedeutet, so hatte sie von den Mavericks gelernt, dass es auch gute Männer gibt.
Und obwohl Rosie sich wünschte, dass ihre Eltern noch am Leben wären, so wollte sie dennoch nichts an dem ändern, was sie durchlebt hatte. Sie konnte sich ihr Leben und ihre Welt nicht ohne Jorge vorstellen.
Ihr Sohn war das Licht ihres Lebens, ein fantastischer kleiner Mensch. Manchmal konnte sie kaum glauben, dass er von ihr abstammte. Sie, Ari und Chi hatten Jorge zu einem selbstbewussten, offenen und liebevollen Jungen erzogen.
Wie konnte sie da irgendetwas bereuen? Insbesondere an einem so schönen Tag, an dem nur die Liebe zählte. Ein zusätzliches Schmankerl dieses Tages war, dass sie endlich Zeit mit Aris Bruder verbringen konnte. Gideon war so geduldig mit den Jungs, wurde nie laut und schnauzte sie nie an.
Im Umgang mit Erwachsenen sprach Gideon nicht viel und lächelte auch nicht oft. Aber wenn er mit Noah und Jorge spielte, wurde er zu dem Mann, der aus ihm geworden wäre, wäre er nicht durch seine Zeit in der Armee und den Abbruch des Kontakts zu Ari gezeichnet worden. Wenn er mit den Jungs Zeit verbrachte, war er der lustige, fantastische, große Bruder, von dem Ari immer gesprochen hatte.
Ein Mann, an den Rosie kinderleicht ihr Herz verlieren könnte.
Vielleicht hatte er einen Teil davon auch schon gewonnen, insbesondere in den freien Momenten wie diesem, wenn er mit den Jungs spielte.
Er hatte seinen Smoking noch nicht angezogen und trug Jeans mit einem T-Shirt, das jeden seiner gestählten Muskeln zur Schau stellte. Er war ein Traumbild rauer, unveränderter, sexy Macht. Unterstrichen wurde dies durch seine blauen Augen und das dunkelblonde Haar, das er stets kurz trug, als hätte er das Militär nie ganz hinter sich gelassen. Mit diesen Augen konnte er geradewegs in einen hineinsehen. Oder durch einen hindurch, als ob man nicht existierte. Rosie sehnte sich danach, dass er sie ansehen würde, sie wirklich ansehen würde, damit er erkannte, was in ihr schlummerte. Wegen ihm wurde ihr überall ganz warm. Wegen ihm war sie sich jedes einzelnen Herzschlags bewusst. Wegen ihm wollte sie wieder einem Mann ihr Vertrauen schenken.
Just in diesem Moment streckte der Pfau seinen langen Hals aus und pickte den Brotwürfel aus Jorges Hand. Rosies Kleiner wand sich fröhlich und presste die Lippen zusammen, um einen Freudenschrei zu unterdrücken, der partout aus ihm hinausplatzen wollte. Gideon lächelte anerkennend und zerzauste Jorges Haar. Dann forderte er Noah auf, nach vorne zu kommen. Die Augen seines Neffen waren weit aufgerissen und voller Verwunderung, als der Pfau auch den Brotwürfel aus seiner Hand pickte.
Es war egal, dass Ari nicht Noahs leibliche Mutter war. Gideon behandelte ihn wie sein eigen Fleisch und Blut. Niemand verwendete je den Ausdruck Stiefsohn . Ari war schlicht und ergreifend Noahs Mom, Gideon sein Onkel und Matt sein Dad. All die Liebe zwischen ihnen wärmte Rosies Herz.
Ari und Matt hatten beschlossen, dass sie im Streichelzoo und dem Freilicht-Puppentheater in San Jose heiraten wollten, weil es Noahs Lieblingsort war. Sie hatten den ganzen Park für den Tag angemietet und die Zeremonie sollte auf der Bühne stattfinden. Rosie und Gideon waren gerade damit beauftragt, auf Noah aufzupassen, während sich Ari in einem Zelt fertigmachte.
Rosie war die Trauzeugin und musste sich dementsprechend auch bald fertigmachen. Aber es gab noch so vieles, was sie kurzfristig überprüfen musste. Sie wollte, dass alles absolut perfekt war. Rosie wusste, dass auch Gideon, der seine Schwester zum Altar führen würde, wollte, dass Aris großer Tag perfekt würde.
Unter den wachsamen Augen der Tierpflegerin zeigte Gideon Noah und Jorge, wie sie ganz vorsichtig ihre Hand ausstrecken sollten, um den Pfau an seinem glänzend blauen Hals zu streicheln. Die Jungs waren von der Pracht des Vogels beeindruckt, von seinen Federn, von der Art, wie er aus ihrer Hand gefressen hatte und zuließ, dass sie ihn berührten.
Obwohl Gideon zehn Jahre älter war als Ari, hatte sie stets behauptet, dass er sie als Kind nie als nervige Plage behandelt hatte. Stattdessen hatte er mit ihr Spiele gespielt, war mit ihr in den Park gegangen und hatte sie so lange zum Lachen gebracht, bis ihr der Bauch wehtat. Rosie nahm an, dass Gideon schnell groß geworden war, da seine Mutter ein Suchtproblem hatte. Er hatte sich stets um sich und Ari kümmern müssen.
Als er achtzehn war, verpflichtete er sich in der Armee, weil er genug Geld verdienen wollte, um Ari und seiner Mom unter die Arme zu greifen. Er hatte nicht voraussehen können, dass seine Mutter so oft umziehen würde, dass er sie nicht wiederfinden konnte. Oder dass er die Nachricht vom Tod seiner Mutter erst sechs Monate nach ihrem Ableben erhalten würde. Damals war er im Nahen Osten stationiert und die Suche nach Ari war unmöglich gewesen. Er hatte zwar nach seiner Entlassung aus der Armee nach ihr gesucht, aber dennoch hatte es von seinem Eintritt in die Arme an sechzehn Jahre gedauert, bis sie sich wiedergefunden hatten. Matt hatte einen Privatdetektiv angeheuert, um Aris verschollenen Bruder ausfindig zu machen.
Allein dafür hatte Rosie Matt schon geliebt. Dass er zudem noch ein toller Kerl war, war das Sahnehäubchen. Die Tatsache, dass er ein Milliardär war und seine vier besten Freunde, die Mavericks, ebenfalls, spielte für sie keine Rolle. Obwohl sie mit einem kleinen Lächeln zugeben musste, dass sie den Flug in seinem Privatjet im vorigen Monat wirklich genossen hatte.
„ Tut mir leid, dass ich dir nicht mit den letzten Details für die Hochzeit geholfen habe“, sagte Gideon und überraschte sie mit seiner tiefen Stimme. Rosie war so gedankenverloren gewesen, dass es ihr nicht aufgefallen war, dass Gideon die beiden Jungs mit der Tierpflegerin allein gelassen hatte, die ihrem aufmerksamen Publikum alles Erdenkliche über Pfauen, Pfauenhennen und deren Küken erzählte. „Die Jungs sind total gebannt von den Tieren“, ergänzte er. „Ich wollte, dass sie ihren Spaß haben.“
„Das finde ich gut.“ Sie wandte sich zu ihm und lächelte ihn an. „Ich habe auch keine Hilfe gebraucht. Die Caterer sind zum Glück wirklich toll. Sie haben alles so hergerichtet, wie Ari es wollte.“
Gideon war so groß, so breitschultrig und so muskulös, dass seine Anwesenheit in ihrer Nähe sie innerlich erschütterte. Ihr stockte der Atem und ihr Herz pochte so schnell, dass sie ihren Puls in den Fingerspitzen spüren konnte. Wie sagte man so schön? Er raubte ihr den Atem. Das machte Gideon mit ihr.
Nicht, dass er auch nur ansatzweise bemerkt hätte, was er mit ihr anstellte – oder mit allen anderen Frauen. Rosie wusste nicht mehr, ob sie ihn je beim Flirten mit einer Frau gesehen hatte. Und obwohl er so einmalig gutaussehend war, machte ihn seine harte Schale so unnahbar, dass Rosie noch keine Frau erlebt hatte, die sich an ihn herangetraut hätte. Selbst wenn sie Wasserpolo im Pool von Ari und Matt spielten oder auf Noahs Trampolin hüpften und sie bemerkte, dass Gideon sie ansah, vermochte sie nicht, seine Gedanken zu lesen. Hielt er sie für hübsch? Brachte sie sein Herz so zum Flattern wie er ihres?
Gideon verbarg all seine Gefühle hinter einer Mauer, die niemand einreißen konnte.
Er war sieben Jahre lang im Nahen Osten stationiert gewesen. Zwar hatte er nie mit irgendjemandem über seine Erlebnisse während dieser Zeit gesprochen, nicht mal mit seiner Schwester, aber es war ganz offensichtlich, dass sie Spuren auf seinem Herzen und tiefe düstere Schatten in seinen Augen hinterlassen hatte.
Nur wenn er von Noah und Jorge umgeben war, schien er ganz er selbst zu sein. Rosie sehnte sich danach, dass er immer so sein könnte, nicht nur im Umgang mit den Jungs. Sie wollte, dass er sich in ihrer Gegenwart so entspannen und lachen konnte wie es ihm mit ihnen gelang.
Aber wie jedes Mal zuvor, zog er sich sofort zurück, wenn er merkte, dass sie ihn ansah. Das fühlte sich an wie ein Schlag in die Magengrube. Das Lächeln auf seinen Lippen erstarb, seine blauen Augen wurden zu düsteren, unergründlichen Tiefen und es wirkte, als würde sich sein Körper versteifen. Als würde er zu Stein erstarren. Als könnte er sich kein Glück mit irgendwem erlauben als mit den Jungs. Selbst bei Ari, die er offensichtlich aus ganzer Seele liebte, hielt er etwas zurück.
Es brach Rosie das Herz. Wenn sie doch nur alle ihr Happy End finden könnten. Matt, Ari, sie selbst … insbesondere Gideon.
„Was ist mit den Teilen der Hochzeit, von denen Ari nichts weiß?“ Gideons tiefe, raue Stimme kletterte verführerisch an Rosies Wirbelsäule hinauf, wie eine zarte Berührung seiner Finger auf ihrer nackten Haut. Würde er sie je anfassen. „Nicht viele Bräute würden gerne an ihrem großen Tag überrascht werden.“
„Ari ist keine Braut wie jede andere“, rief ihm Rosie ins Gedächtnis. Als Will, Sebastian, Evan und Daniel den Roboterstil für die Hochzeit vorgeschlagen hatten, war er skeptisch gewesen. Nicht nur, weil es um Roboter ging, sondern auch, weil Braut und Bräutigam nichts von den Details erfahren sollten. Obwohl die Mavericks unglaublich reich und erfolgreich waren, waren die Männer auch absolute Spaßvögel. „Vertrau mir, Ari und Matt werden die geplanten Überraschungen lieben .“
Da die Hochzeit in einem Puppentheater stattfand, hatte Ari beschlossen, dass es eine kleine Vorstellung geben sollte, während die Gäste ankamen. Die Mavericks waren begeistert von der Idee und setzten ihre geheimen Pläne aufs Wildeste um. Rosie, Chi, die Frauen der Mavericks und deren Familienmitglieder, unter ihnen auch Harpers Bruder Jeremy, hatten in den letzten zwei Wochen unermüdlich an den Hochzeitsvorbereitungen gearbeitet. Sie hatten sich um Gastgeschenke im Roboterstil sowie um die Tafelaufsätze gekümmert. Jorge und Noah hatten als Lego-Experten eine wichtige Führungsrolle eingenommen.
„Der Brunnen ist fertig“, sagte Rosie zu Gideon. „Und die Gastgeschenke und Tafelaufsätze werden gerade verteilt.“ Sie deutete mit dem Daumen über ihre Schulter, wo eine Armee von Arbeitern die Bar auffüllte und die Tische eindeckte. Weiße Tischdecken, Silberbesteck, Teller mit Goldrand, Kristallgläser – keine Kosten und Mühen waren gescheut worden.
Der Pfau stieß einen lauten iiiiuuu -Schrei aus und forderte so ihre Aufmerksamkeit ein. Die Jungs lauschten neugierig der Erklärung der Tierpflegerin, dass es sich um einen Balzruf handelte.
Gideon sah Rosie an und zog einen Mundwinkel ein Stück hoch. Das war der Gesichtsausdruck, der am ehesten einem Lächeln glich, wenn er in ihrer Gegenwart war. „Noah und Jorge sind ganz fasziniert davon, dass es ein französischer Pfau ist, der Henri heißt“, erzählte er. „Die Tierpflegerin sagte, dass der Vogel tatsächlich aus Frankreich kam, aus einer kleinen Stadt bei Toulouse namens Le Fousseret. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es glaube, aber die Jungs sagen immer wieder, dass sie Französisch lernen wollen, damit sie mit dem Pfau in seiner Muttersprache reden können.“ Er gab die Informationen ganz trocken wieder, fast ohne Betonung … und doch konnte Rosie seine Zuneigung für die Jungs aus seinen Worten herauslesen.
„Du bist so gut im Umgang mit ihnen“, sagte sie zu ihm.
Gideon versteifte sich, der Hauch von Lächeln verschwand von seinem Gesicht. „Sie sind gute Kinder, sie machen es einem einfach.“ Er weigerte sich ganz klar, das Kompliment anzunehmen. Und genauso klar war, dass er nach den paar mit ihr ausgetauschten Sätzen nach einer Fluchtroute aus ihrer kurzen Unterhaltung suchte.
Es waren nicht nur Frauen, die solo waren, die um Gideon einen großen Bogen machten, jeder tat es. Die Mavericks hatten ihn zwar herzlich in ihrer Mitte aufgenommen, gaben ihm aber den Abstand, den er offensichtlich brauchte.
Vielleicht war es die Magie der anstehenden Hochzeit, die sie verzaubert hatte. Vielleicht war es die Wärme der Sonne auf ihrer Haut an diesem schönen Sommertag. Vielleicht war es der Balzruf des Pfaus.
Oder vielleicht war es einfach die Tatsache, dass neun Monate für Rosie lang genug waren, um zu erkennen, wer Gideon wirklich war. Lieb und verehrend gegenüber seiner Schwester. Verspielt und liebevoll gegenüber den Jungs. Voller Respekt und dennoch beschützend, als er sicherstellte, dass Matt auch gut genug für Ari war.
Schon als Rosie Gideon letztes Jahr an Thanksgiving bei Matt kennen gelernt hatte, hatte er sie in seinen Bann gezogen. Er war so groß, mindestens 1,90 m. Sie hatte sich richtig strecken müssen, als sie ihn ansah. Sie konnte nicht atmen oder sprechen. Ihr Herz pochte wie wild. Seine dunkelblonden Haare, obgleich so kurz geschoren, sahen weich genug aus, um mit den Fingern durchstreichen zu wollen. Sie wollte es so dringend, dass ihre Hand sich praktisch von alleine hob. An Thanksgiving hatte er eine Hose getragen, die ihm einen Knackarsch gezaubert und ein Hemd, unter dem sich jeder seiner steinharten Muskeln abgezeichnet hatte. Sie wollte diese einmaligen Muskeln berühren und spüren, ob sie auch echt waren. Seine Haut war sonnengebräunt von all den Jahren, die er im Freien als Zimmermann gearbeitet hatte. In seinen Augenwinkeln zeigten sich kleine Fältchen ab, die von der Arbeit in der Sonne kamen. Er war schlicht und ergreifend perfekt.
Rosie verknallte sich nie, dagegen war sie immun. Aber vom ersten Tag an brachte Gideon sie dazu, Dinge zu wollen, an die sie jahrelang nicht gedacht hatte.
Seine Augen waren das, was ihr nie aus dem Kopf ging. Sein Blick war verschlossen, als wolle er alle vor sich warnen. Wenn sie in seine Augen sah, wollte sie ihn zum Lächeln bringen, ihm Freude bereiten, ihn glücklich machen. Und jetzt konnte sie nicht anders, als es sich vorzustellen. Sie konnte nicht aufhören, zu träumen.
Sie träumte von Gideon, wie er einen lachenden Jorge auf seinen breiten Schultern sitzen hatte.
Sie träumte von ihrer Hand in Gideons, wie sie seine Stärke und Fürsorge spürte.
Sie träumte davon, wie er ihre Hand an seinen Mund hob und mit seinen Lippen über ihre Knöchel fuhr.
Sie träumte davon, Liebe in seinem Blick und ein unbefangenes Lächeln auf seinen Lippen zu sehen. Für Sie.
Eine lange Zeit war vergangen, seit sie zuletzt einen Mann in ihr Leben gelassen hatte. Der letzte war Jorges nutzloser Vater gewesen. Sie hätte nicht gedacht, dass sie es je wieder können würde. Und auch wenn es ihr gelang, ihre eigenen Dämonen für Gideon zu bekämpfen, war sie nicht sicher, ob er je seine Mauer für sie einreißen würde.
Aber eines war ihr absolut klar: Sie hatte es satt, um ihn herum auf Eierschalen zu laufen. Sie hatte es satt, ihm mehr Abstand zu gewähren, als sie anderen gewährte. Sie hatte es satt, sich zu sorgen, ob sie ihn zum Ausflippen bringen würde, indem sie ihn behandelte wie all ihre anderen Freunde.
Von jetzt an würde sie ihn necken, Witze machen und in seiner Gegenwart lachen. Genauso wie sie es mit Ari und Chi und all den Mavericks tat. So wie sie auch gesehen hatte, dass er die Jungs neckte, mit ihnen witzelte und lachte.
Rosie war kein Mensch, der lange fackelte. Also sagte sie: „Du kümmerst dich ja um Noah, während Matt und Ari in den Flitterwochen sind. Da wäre es doch super, wenn wir in den nächsten zwei Wochen ein paar Spieltreffen mit den Jungs vereinbaren. Wir könnten in den Park gehen oder wandern oder nach San Francisco fahren. Es gibt so viele Möglichkeiten, zusammen Spaß zu haben.“
Das hatte ihn eiskalt erwischt, weswegen er einen ganzen Schritt zurücktrat und sagte: „Du meinst, wir vier zusammen?“
Sie erwartete fast, dass er sich einen Finger ins Ohr stecken und darin herumwackeln würde, weil er sich ganz sicher verhört haben musste. Sie weigerte sich, diese Antwort als Beleidigung zu sehen, also nickte sie und sagte fröhlich: „Jap, wir vier zusammen.“
Als er nicht antwortete – vermutlich, weil er damit befasst war, sich eine unangreifbare Ausrede auszudenken, warum die Spieltreffen nicht stattfinden konnten – beschloss Rosie, dass es längst an der Zeit war, eine weitere große Veränderung in ihrer Beziehung vorzunehmen. Sie hatte ihn noch nie berührt. Gideons Abstand Halten -Schild blinkte in so hellen Neon-Farben, dass selbst Ari ihn selten umarmte. Rosie konnte es nicht zulassen, dass ihre Nerven sie davon abhielten, ihre Hand auf seinen Arm zu legen.
Wow. Die zarteste Berührung ihrer Hand auf seiner Hand hinterließ ein Kribbeln in ihren Fingern und brachte ihr Herz zum Rasen.
Aber Gideon versteifte sich. Und sein Gesicht wurde rot.
„Du weißt doch, wie gut sich die Jungs verstehen“, sagte sie. „Und ich habe mir die ganzen zwei Wochen freigenommen, während Matt und Ari in Island sind.“ Bevor er eine Chance hatte, zu antworten, sagte sie: „Ich muss jetzt weg. Ich bekomme die Haare und mein Make-up gemacht.“ Sie fuhr sich mit der Hand durch ihre dunklen Locken. Sie mussten dringend gebändigt werden. „Da haben die echt noch was vor sich“, sagte sie mit einem Lächeln. „Also, schau in deinen Kalender und sag Bescheid, wann es dir passt. Kannst du bitte dafür sorgen, dass die beiden Jungs ihre Smokings im Umkleidezelt des Bräutigams anziehen? Und bringst du dann Jorge zu Susan? Er wird während der Trauung neben ihr sitzen.“
„Klar“, sagte er wortkarg wie immer.
Sie legte ihm ein letztes Mal die Hand auf den Arm, denn wer wusste, wann sie die nächste gute Ausrede hatte, um ihn zu berühren und dieses köstliche Kribbeln zu spüren? „Danke.“ Dann trabte sie davon, um Jorge und Noah je einen Kuss auf den Kopf zu geben. Gideons Blick verfolgte sie und fühlte sich so warm an wie seine Haut unter ihren Fingerspitzen.
Kurz bevor sie sich abwandte, um zu gehen, sah sie, wie er seine Hand auf die Stelle legte, an der sie ihn berührt hatte. Als könnte er sie noch spüren.
Vielleicht war er doch gar nicht so immun ihr gegenüber, wie er bisher gewirkt hatte …