KAPITEL FÜNF

Ari strahlte in ihrem eleganten Kleid. Sie hatte ihren Arm bei Gideon untergehakt, als er sie den Mittelgang entlang zur Bühne geleitete. Sie waren so eindeutig Geschwister. Seine Haare hatten ein etwas dunkleres Blond als ihres und sein Gesicht war durch die viele Arbeit im Freien gebräunt. Ihre Augen hatten jedoch die gleiche blaue Farbe.

Als Gideon vor wenigen Momenten in Rosies Augen gesehen hatte, hätte sie schwören können, dass es zwischen ihnen eine Verbindung gab. Vielleicht war es nur ihre gemeinsame Liebe für Ari, aber es hatte sich nach mehr angefühlt. So als würde zwischen ihnen etwas Besonderes geschehen. Etwas, das besonders genug war, um seine Mauern einzureißen, ob von ihm gewollt oder nicht.

Jorge saß in der ersten Reihe mit Susan und Bob Spencer und zeigte Rosie den hochgestreckten Daumen, weil es ihr gelungen war, den Mittelgang entlang zu gehen, ohne in ihren hohen Absätzen zu stolpern. Sie hatte diese Befürchtung gehabt. Oh wie sie ihren Kleinen mit Herz und Seele liebte. Manchmal konnte er schon anstrengend sein, insbesondere wenn es um sein Bad ging. Aber er ließ es noch zu, dass sie ihm Schmetterlingsküsse auf die Wangen gab und wenn er richtig müde war, rollte er sich gerne auf ihrem Schoß ein.

Als Matt seine Braut den Mittelgang entlanggehen sah, hatte er einen Gesichtsausdruck aufgelegt, der zeigte, dass er Ari als wahres Wunder sah und dass er der glücklichste Mann auf Erden war. Das trieb Rosie erneut Tränen in die Augen.

Alles war perfekt bei dieser Hochzeit. Angefangen von Aris Kleid, über die Blumen bis hin zu dem Lied, das sie für ihren Gang zum Altar ausgesucht hatte. Ihr Brautstrauß war ein Wasserfall aus rosa Pfingstrosen, pfirsichfarbenen Orchideen, weißen Magnolien und roten Rosen. Die Brautjungfern hatten kleine Versionen davon. Der Blumenkranz in Aris Haaren passte zu den Farben ihres Brautstraußes. Die Klavierversion von Bette Midlers „The Rose“ war die ideale Metapher für die Art, in der Ari in ihrem Leben mit Matt und Noah aufgeblüht war.

Rosie würde nie ihre Tage im Pflegesystem vergessen oder die schweren Zeiten, als sie volljährig wurden und in eine Welt geschickt wurden, auf die sie nicht vorbereitet waren. Dann hatte sie Jorges Vater getroffen und war auf seine Lügen hereingefallen. Sie dachte auch an den Tag, als Jorge das Licht der Welt erblickt hatte. Sie alle drei – Ari, Chi und Rosie – waren so weit gekommen. Kurz bevor sie Aris Strauß an sich nahm, berührte Rosie Chis Finger und die beiden verhakten ihre kleinen Finger wie früher, als sie noch Mädchen gewesen waren. Sie spürte Chis Lächeln durch ihr Herz und lächelte ebenso breit.

Für Ari war das Märchen wahr geworden. Und alles war absolut perfekt .

Natürlich wanderte ihr Blick, als sie so an Märchen und Traumprinzen dachte, direkt zu Gideon der so groß, so attraktiv, so stolz neben seiner Schwester stand.

Rosie war überrascht – und sofort atemlos – als er seinen intensiven blauen Blick wieder auf sie richtete. War es ein Künstler oder Autor gewesen, der gesagt hatte, dass die Augen das Fenster zur Seele waren? Sie war sich ziemlich sicher, dass es dabei um die Augen der Mona Lisa gegangen war. Eines Tages würde Rosie mit Jorge eine Reise machen, um das berühmte Gemälde zu sehen. Jahrelang hatte sie jeden Cent gespart, damit sie durch den Louvre in Paris flanieren und nur wenige Meter von Leonardo da Vincis Meisterwerk stehen konnten.

Bis dahin konnte sie davon träumen, Gideons Augen zu malen. Seine Augen hatten ein verwaschenes Blau, wenn er tief in die Vergangenheit versunken war. Sie waren blass-blau, wenn er bei einer Party am Rand stand und nicht sicher war, ob er sich ins Getümmel werfen sollte. Wenn jemand, den er liebte bedroht war, waren sie dunkel und stürmisch blau und wenn er mit den Jungs Zeit verbrachte, waren sie so blau wie das Meer. Gerade jetzt waren sie himmelblau voller Freude und Glück.

Ja, eines Tages würde sie mit Jorge den Louvre besichtigen. Und vielleicht könnte sie Gideon eines Tages auch helfen, dass seine Augen stets blau wie das Meer oder der Himmel sein konnten.

Sie war schon immer eine Träumerin gewesen. Selbst in den schlimmsten Zeiten.

Rosie fand ihren Weg zurück in die Realität, als Ari sich zu Gideon umdrehte, ihn umarmte und dann die Stufen zur Bühne mit hochgerafftem Rock hinaufrannte.

Matt ging seiner Braut zur Hälfte entgegen, nahm sie fest in seine Arme, küsste sie und wirbelte sie zur Freude aller Hochzeitsgäste durch die Luft. Schließlich setzte er sie wieder ab und sie gingen gemeinsam zur Mitte der Bühne, während Gideon noch am Fuß der Stufen stand.

Die Musik wurde leiser und der Standesbeamte blätterte in seinem Buch. „Wer übergibt diese Frau in die Ehe mit diesem Mann?“

Rosie war sich sicher, gesehen zu haben, wie Gideons Augen babyblau wurden. Sie hatte ihn noch nie Weinen sehen, aber in diesem Moment wusste sie, dass er kurz davor war.

„Ich“, sagte er, als er die Stufen hinaufstieg. Seine Stimme war rau, als wären die Worte beinahe zu viel für ihn. „Für meine Eltern, die nicht hier sein können. Und für mich.“ Er küsste Ari sanft auf die Wange und flüsterte ihr etwas zu, was sie zu Tränen rührte.

Dann ließ Matt Aris Hand kurz los, um Gideon mit einem Arm zu umarmen. „Danke“, sagte er leise genug, dass es nur diejenigen hören konnten, die auf der Bühne standen. „Ich kümmere mich gut um sie, das schwöre ich dir.“

„Das weiß ich“, antwortete Gideon, der seine Stimme wiedererlangt hatte. Dennoch lag viel Gefühl darin. „Ich vertraue dir, dass du dich um meine Schwester kümmerst. Dass du sie liebst. Und dass du für immer an ihrer Seite stehst.“

Für Rosie waren die leise gesprochenen Worte der beiden Männer über ihre gemeinsame Liebe für Ari mit der ergreifendste Moment, den sie je erlebt hatte.

Dann verließ Gideon die Bühne, um den für ihn reservierten Platz am Ende der ersten Reihe neben Jorge einzunehmen.

Der Standesbeamte lächelte Noah an. „Wer übergibt diesen Mann in die Ehe mit dieser Frau?“

Noah trat vor und nahm die Hand seines Vaters fest in seine. „Ich.“ Seine zarte Jungenstimme war klar und deutlich. „Ich übergebe ihn an meine Mommy für immer und ewig.“

Als Noah seine Hände hob, um Matts und Aris Hände miteinander zu verbinden, waren alle Hinweise der Kosmetikerin, das sorgfältig aufgebrachte Make-up nicht zu verschmieren, in den Wind geschlagen. Als Ari den Brautstrauß an Rosie reichte, musste sie ihre Freundin umarmen. Chi kam sofort in die Umarmung dazu. Tränen rannen an Rosies und Chis Wangen hinab, als sie flüsterten: „Ich freu mich so für dich“, während Ari sagte: „Ich hab euch beide so lieb.“

Abgesehen von dem Abend, an dem Jorge geboren worden war, war dies der beste Tag ihres Lebens.

Rosie wischte sich die Tränen von der Wange, als der Standesbeamte die Zeremonie begann. „Wir sind heute hier versammelt, um die Ehe zwischen Matt Tremont und Ariana Jones zu feiern. Matt, möchten Sie mit Ihrem Ehegelöbnis beginnen, das Sie geschrieben haben?“

Matt hielt Aris Hand fest und sah ihr tief in die Augen. „Ich liebe dich“, sagte er. Die drei Worte hallten hinaus an alle Hochzeitsgäste. „Bis ich dich traf, war ich kaum mehr als eine leere Hülle, die sich ihren Weg durchs Leben mogelte. Aber du hast nicht nur den wahren Mann in mir gesehen, sondern hast mir gezeigt, dass ich die dunklen Schatten meiner Vergangenheit abwerfen kann und zu einem besseren Mann werden kann. Einem guten Mann. Einem vertrauenswürdigen Mann. Du hast mich zu dem Freund und Vater und Partner gemacht, der ich immer sein wollte. Ein Mann, der dich lieben wird, wie Noah es so treffend ausgedrückt hat, …“ Matt lächelte seinen Sohn an und sah dann wieder in Aris Augen. „… für immer und ewig.“

Und obwohl Aris Augen angesichts Matts schönen Gelöbnisses vor Tränen glitzerten, war ihre Stimme beständig und stark. „Als ich dich zum ersten Mal sah, hast du mir den Atem geraubt. Nicht nur, weil du so attraktiv bist, sondern weil ich in deinen Augen sehen konnte, was für ein wunderbarer Mann du bist. Und als ich Noah traf …“ Sie ließ eine von Matts Händen los, um Noahs zu nehmen. Matt tat es ihr gleich und so zeigten sie allen, dass sie eine eng zusammengeschweißte Familie waren. „Ich wusste, ich würde euch beide für immer lieben, komme was wolle. Mit dir zusammen habe ich keine Angst mehr vor den dunklen Schatten meiner Vergangenheit. Mit dir zusammen weiß ich endlich, was wahres Glück ist, von dem ich nie gewagt hatte, zu träumen. In guten wie in schlechten Zeiten, in Krankheit und Gesundheit, wohin auch immer das Leben uns drei bringt, …“ Sie beugte sich hinab, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben und bekam so ein wenig seiner goldenen Farbe auf die Lippen. „… ich gehöre zu euch, Matt und Noah Tremont. Für immer und ewig.“

Der Standesbeamte musste sich räuspern, bevor er sagte: „Kraft des mir vom Staat Kalifornien verliehenen Amtes, erkläre ich euch nun zu Mann und Frau. Matt, Sie dürfen die Braut jetzt küssen.“

Matt legte seine Hand auf Aris Wange. Sein Blick war sanft, seine Berührung liebevoll. Wäre es eine andere Hochzeit gewesen, hätten sie sich einen heißen, sexy Kuss gegeben, einen sie-nach-hinten-über-beugen-und-verzehren-Kuss, aber da Noah zusah, war Matts und Aris Kuss zärtlich und machte sie zu einer Familie.

Rosie lächelte und war sich sicher, dass der verzehrende Kuss später kommen würde … und immer und immer wieder, zumindest danach zu urteilen, wie Ari rot wurde, wenn sie ein wenig über ihr Liebesleben erzählte.

Schließlich sagte der Standesbeamte: „Liebe Gäste, die Familie Tremont.“

Matt, Ari und Noah gingen die Treppe hinab zum Lied „Feather Theme“ aus dem Film Forrest Gump . Es war so entzückend, so schön, so einfach. Noah war wirklich niedlich in seinem Roboterhelm und dem gold-schwarz geschminkten Gesicht.

Rosie hakte sich bei Will unter, als sie an der Reihe war, die Stufen hinab zu gehen. Als sie an Gideon und ihrem Herzenskind vorbeikam, hörte sie Jorge flüstern: „Ist sie nicht die schönste Mom, die es gibt, Gid?“

Obwohl sie sich nicht umdrehte, um seine Reaktion zu sehen, fühlte sie Gideons Augen wie eine echte Berührung. „Ja, Kleiner“, sagte er mit der leisen Stimme, die ihr einen Schauer über den Rücken jagte. „Das ist sie.“