KAPITEL NEUN

Endlich war die Torte angeschnitten worden – Ari und Matt waren begeistert von den Roboter-Tortenaufsätzen, die Rosie gefunden hatte – der letzte Tanz war getanzt worden, die Limousine wartete, um das frisch verheiratete Paar zum Flughafen zu bringen, und Rosie und Chi hatten Ari geholfen, ihr Hochzeitskleid einzupacken. Doreen, Matts Chauffeurin, nahm alles, auch die Geschenke, mit nach Hause, wo es dann auf sie warten würde, wenn das Paar aus seinen Flitterwochen zurückkehrte.

Ari war allein im Brautzelt und zog sich für die Reise um – bequeme Jeans und ein Top. Gideon sah, wie sie sich die Tränen aus den Augen wischte.

Sein Herz zog sich zusammen. „Was ist los?“ Alles sollte doch perfekt sein. Alles musste perfekt für seine Schwester sein, er würde es nicht ertragen, wenn etwas ihren besonderen Tag beeinträchtigte.

Sie lächelte ihn unsicher an. „Ach, nichts. Es ist lächerlich.“

„Hat jemand etwas zu dir gesagt?“ Er würde denjenigen finden, der sie verletzt hat, und …

Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. „Nein, das ist es nicht. Matt hat Noah noch nie zwei ganze Wochen verlassen. Er ist wirklich nervös deswegen.“

Ah, jetzt verstand er es. Sanft fragte er: „Bist du sicher, dass Matt der Einzige ist, der es nicht ertragen kann, Noah zurückzulassen?“

Eine weitere Träne rollte über ihre Wange. „Ich weiß nicht, ob ich gehen kann“, gab sie zu. „Zwei Wochen .“ Wie sie es hinstellte, klang es als wären es zwei Jahre . „Wir sollen doch eine Familie sein. Er sollte mit uns kommen.“

„Oh, Süße.“ Er nahm sie in seine Arme und drückte sie fest. Gideon hatte selten das Gefühl, die richtigen Worte zu finden. Aber in diesem Moment wusste er genau, was seine Schwester brauchte. „Ihr seid eine Familie. Aber manchmal braucht man auch Zeit für sich allein, nur du und Matt. Vor allem, wenn man seine Hochzeit feiert. Es wird so viele andere Male geben, bei denen Noah bei euch sein wird, so viele Reisen nach Disney World und überall dort, wo Ihr ihn hinbringen wollt. Ihr könnt ihn sogar auf einer späteren Reise mit nach Island nehmen.“

„Ich weiß, dass du Recht hast“, sagte sie, ihre Stimme gedämpft, weil sie gegen seinen Smoking lehnte, „aber ich denke immer wieder, wir hätten nur eine Woche statt zwei planen sollen.“

„Es sind deine Flitterwochen.“

Sie bewegte den Kopf nach oben und blinzelte Tränen weg. „Aber …“

„Ich werde mich um Noah kümmern, als ob er mein eigener Sohn wäre. Ich stehe hinter ihm. Ich stehe hinter dir. Wenn Noah bei mir ist, wird ihm nichts Schlimmes passieren, das verspreche ich.“ Er hatte Ari einmal ähnliche Versprechungen gemacht, als sie acht Jahre alt gewesen war. Ihr gesagt, dass er sich auf jeden Fall um sie kümmern würde. Und er hatte sie im Stich gelassen. Aber er würde sie – oder Noah – nie wieder im Stich lassen. „Ich werde Noah mit meinem Leben beschützen.“

Sie legte ihre Hand auf seine Wange. „Ich weiß, dass du das tun wirst. Danke, dass du ihn so sehr liebst wie ich.“

„Wie könnte ich das nicht?“

Endlich lächelte sie ihn wirklich an. Es war das Lächeln einer sehr glücklichen Braut – und der besten Schwester, die ein Mann sich nur wünschen konnte. Einer, die ihn nicht aufgegeben hatte … auch nachdem er sich selbst aufgegeben hatte. „Ich hab dich lieb, Gideon.“

„Ich dich auch, Ari. Mehr als du je wissen kannst.“

„Ich habe es immer gewusst“, sagte sie leise.

Nachdem sie sich noch einmal umarmt hatten und sie sich mit seinem Taschentuch die Augen getrocknet hatte, legte er seinen Arm um sie und führte sie vor das Zelt. Dort stand Matt an der Limousine mit Noah in seinen Armen.

„Viel Spaß.“ Gideon schüttelte seinem neuen Schwager die Hand – wow , es war schon eine abgefahrene Sache, dass seine kleine Schwester jetzt verheiratet war. Es folgte eine tränenreiche Umarmung zwischen Vater, Mutter und Kind.

Schließlich ließ Matt Noah runter und Gideon nahm seinen Neffen an die Hand. „Ich werde mich gut um ihn kümmern.“ Er wiederholte das Versprechen an Matt.

„Das weiß ich.“

„Und ich werde mich gut um Onkel Gideon kümmern“, gelobte Noah mit der gleichen Feierlichkeit.

„Ganz genau, Kleiner. Du stehst hinter mir.“ Er hielt Noahs Hand fest, während alle ihr Grinsen unterdrückten.

Nachdem sich alle anderen verabschiedet und umarmt hatten – Susan, Bob, die Mavericks, Jeremy, was fast so lange dauerte wie die Hochzeitszeremonie – trat Gideon zurück, hob Noah hoch und drückte ihn fest an sich, bevor zum Abschied gewinkt wurde, als die Limousine wegfuhr.

Als Ari und Matt außer Sichtweite waren, rutschte Noah zu Boden und sagte zu Jeremy: „Du wirst dich gut um meinen Welpen kümmern, oder?“ Gideon durfte in seiner Wohnung keine Hunde halten, also würden Jeremy, Harper und Will für die zwei Wochen auf den Welpen aufpassen.

Jeremy nickte so schnell und hart, dass ihm die Haare auf der Stirn auf und ab wippten. „Das werde ich. Harper wird mir beim Training und allem anderen helfen. Unsere Welpen werden zusammen so glücklich sein.“ Tasha hatte sowohl Jeremy als auch Noah Welpen aus dem Wurf gegeben, den sie und Daniel verlassen in den Bergen gefunden hatten.

„Komm, Jeremy.“ Harper winkte, ihre andere Hand lag fest in der von Will. „Zeit zu gehen.“

„Mach‘s gut“, rief Jeremy über die Schulter, als er losrannte.

„Mach‘s besser“, rief Noah zurück. Dann wandte er sich an Gideon. „Ich denke, wir beide werden super viel Spaß zusammen haben, wenn ich bei dir wohne, aber ich möchte nicht, dass Jorge sich ausgeschlossen fühlt.“

Der Junge hatte es drauf. Er wusste genau, wie er bei Gideon auf die Tränendrüse drücken musste. „Das würde ich auch nicht wollen.“ Er hatte keine Ahnung, wie er es verkraften sollte, Rosie so schnell wiederzusehen – insbesondere, weil er nichts mehr wollte, als sie in seinen Armen zu halten und sie atemlos zu küssen. „Sollen wir ein paar Spieltreffen vereinbaren?“

„Ja!“ Noah rannte hinüber zu Jorge. „Onkel Gideon sagt, wir dürfen zusammen spielen, während ich bei ihm wohne.“

„Ich hoffe, das ist okay“, sagte Gideon zu Rosie. Sie hatte die Treffen vorher schon erwähnt, aber nichts fest ausgemacht.

„Na klar“, antwortete sie. „Tatsächlich hat Jorge mir bereits gesagt, dass sie jeden einzelnen Tag zusammen verbringen wollen. Ich habe keine Versprechungen gemacht, aber ich denke, wir können einfach mal schauen und sehen, was für alle funktioniert.“

Jorge unterbrach sie mit einer Frage: „Mom, können wir uns von Henri dem Pfau verabschieden? Er ist direkt da drüben.“

„Okay, aber bleib da, wo ich dich sehen kann.“

Gideon fühlte immer noch die Schockwellen, als Noah und Jorge zum Pfau rannten. Er hatte gedacht, sie würden ein paar Treffen vereinbaren und es wäre erledigt. Aber Rosie in den nächsten zwei Wochen an jedem einzelnen Tag zu sehen? Er würde völlig durchdrehen.

Oder schlimmer noch, er würde sie küssen.

Aber er konnte den traurigen Blick nicht ignorieren, den Noah auf seinem Gesicht hatte, als er Matt und Ari wegfahren sah. Das Bild hatte sich in Gideons Netzhaut eingebrannt. Wie könnte er also nein sagen, wenn nichts Noah glücklicher machen würde, als die nächsten zwei Wochen mit seinem besten Freund zu verbringen?

Zwei Wochen, in denen Gideon seine niederen Triebe würde in Ketten legen müssen. Jap, das würde eine gewaltige Anstrengung erfordern, wenn man bedachte, wie nahe er sich schon am Abgrund befand, wenn er nur neben Rosie stand. Sie hatte einen festen Platz in seinem Kopf eingenommen und verzauberte ihn mit dem Duft ihrer Haut, dem Gefühl ihres Körpers, der Weichheit ihrer Kurven.

„Ich dachte, wir könnten an ein paar tolle Orte mit ihnen fahren“, sagte sie fröhlich, ohne eine Ahnung von all den Gefühlen zu haben, die in ihm wüteten. „Vielleicht in den Zoo in San Francisco oder einige der Museen. Was meinst du?“

Wie könnte er überhaupt nein sagen, wo Jorge doch so gut darin war, jegliche Angst oder Trauer auszulöschen, die Noah wegen der zweiwöchigen Reise von Matt und Ari empfunden hatte?

„Klingt gut.“ Er war nun auf zwei Wochen mit Rosie eingestellt. Zwei Wochen, in denen sie für die Jungs zusammen sein würden. Zwei Wochen ohne sie anzusehen, ohne sie zu berühren, ohne schlüpfrige Gedanken über Rosie.

Er könnte das schaffen. Er musste es schaffen. Für Noah.

Auch wenn er dabei verrückt würde.

* * *

Matt verhakte seine Finger mit Aris, als die Limousine auf den Freeway fuhr. Er hob ihre Hand an, um ihre Knöchel zu küssen. Er las ihre Gedanken und sagte: „Noah wird es gut gehen. Er liebt es, Zeit mit seinem Onkel zu verbringen. Und ich bin sicher, dass es auch viele Treffen mit Jorge und Rosie geben wird.“

Sie waren verheiratet. Ari konnte es fast nicht glauben. Genau wie sie es schon zu Gideon gesagt hatte: es war ein wahr gewordener Traum.

„Ich weiß, dass Gideon sich gut um ihn kümmern wird“, antwortete sie. „Es ist nur …“ Sie liebte Noah so sehr. Und sie wollte ihn in alles einbeziehen.

„Ich werde ihn auch vermissen. Aber ich freue mich auch sehr auf vierzehn Tage und Nächte der Glückseligkeit mit meiner Ehefrau.“ Matt zog sie für einen langen, innigen Kuss an sich. Die Art Kuss, von dem sie nie genug bekommen würde. Als er sie schließlich losließ, sagte er: „Außerdem glaube ich, dass es für deinen Bruder wirklich gut ist, ein paar Wochen mit Noah zu verbringen.“

Sie stimmte ihm voll und ganz zu. „Kurz bevor er mich zum Altar geführt hat, sagte er mir, wie stolz er auf mich sei. Aber als ich versuchte, ihm dasselbe zu sagen, fiel er mir ins Wort.“ Sie seufzte. „Es ist, als ob er einfach nichts darüber hören kann, was für ein toller Typ er ist.“

„Er arbeitet immer noch die Vergangenheit auf“, merkte Matt an. „Er ist in den Krieg gezogen, hat dich zurückgelassen, konnte dich nicht wiederfinden. All diese Dinge würden jeden Mann tief belasten, besonders einen, der sich so sehr der Familie verschrieben hat wie Gideon.“

„Ich wünschte nur, ich könnte einen Weg finden, um ihm klarzumachen, dass er mich nicht im Stich gelassen hat, vor allem, weil er nur sein Bestes geben wollte.“ Frustration lag in ihrer Stimme. „Welcher Achtzehnjährige tritt in die Armee ein, um seiner Familie Geld nach Hause zu schicken? Das allein sollte Beweis genug für ihn sein, dass er nichts zu bedauern hat. Ganz egal, was passiert ist, nachdem er gegangen ist. Das war nicht seine Schuld.“

„Du hast Recht. Gideon ist ein guter Bruder. Ein guter Sohn. Ein guter Mann, ganz einfach.“ Matt hielt sie fest. „Deshalb vertraue ich ihm auch ganz und gar, was Noah angeht.“

Ari hatte sich in Matt und Noah verliebt. Aber sie hatte sich ebenso sehr in seine Familie verliebt. Und sie hoffte, dass Gideon eines Tages erkennen würde, dass er es wert war, wieder Teil einer Familie zu sein. Ein Teil ihrer Familie.

„Ich liebe dich“, sagte sie zu ihrem gut aussehenden, sexy, wunderbaren, einfühlsamen Ehemann.

„Für immer und ewig“, sagte Matt, als seine Lippen die ihren berührten.