Paige schickte Jorge und Noah zum Fernsehen zurück ins Familienzimmer, das sich neben der Küche befand. Die Haushälterin Mrs. Mortimer würde sich bei Bedarf um sie kümmern. Rosie und Gideon erklärten derweil, was passiert war.
Auf Paiges Stirn zeichneten sich tiefe Sorgenfalten ab, die Neuigkeiten schockierten sie. „Es tut mir leid, dass du dieses riesige, schreckliche Problem hast, Rosie. Wie können wir dir helfen?“
„Ganz egal, was es ist, wir helfen“, bot Evan an.
Rosies Magen überschlug sich so schnell, dass ihr schwindelig davon wurde. Aber sie musste stark sein. Für Jorge. „Es wäre wirklich super, wenn die Jungs ein paar Stunden bei euch bleiben könnten. Ich habe gerade ein Treffen mit meinem Ex vereinbart.“
Rosie wünschte sich, sie hätte beim ersten Telefonat mit Archie nicht aufgelegt. Es war schwieriger, ihn zurück zu rufen, es erschien ihr, als würde sie um ein Treffen betteln. Aber sie hatte es getan, weil sie erfahren musste, was er wirklich wollte. Kein Rätselraten mehr.
„Selbstverständlich. Sie können so lange wie nötig bei uns bleiben.“ Paiges Lächeln war lieb und warm.
„Es ist uns eine Freude“, stimmte Evan zu.
„Danke“, sagte sie zu beiden. Sie wünschte, sie hätte die richtigen Worte, um zu erklären, wie sehr ihre Hilfe und ihre Unterstützung ihr bedeuteten. Allerdings spürte sie auch, dass sie es bereits wussten.
Rosie und Gideon gingen ins Familienzimmer und sie kniete sich vor Jorge hin. „Gideon und ich müssen eine Weile alleine weg, okay? Seid lieb zu Paige und Evan und Mrs. Mortimer.“
„Okay, Mom.“
Rosie streichelte ihrem Sohn über das Gesicht. Der Herzschmerz, den sie gespürt hatte, als Archie sie vor all den Jahren verlassen hatte, war durch Jorges Geburt völlig bedeutungslos geworden. Ihr Sohn mit seinen gefühlvollen, braunen Augen, seinen dunklen lockigen Haaren und dem umwerfenden Lächeln hatte alles gut gemacht.
„Du bist ein fantastisches Kind“, flüsterte sie. „Ich hab dich lieb.“
„Ich dich auch, Mom.“ Es war, als wäre er eine alte Seele, die genau wusste, was sie brauchte, als er seine Arme um sie warf und ihr ermöglichte, ihn fest zu drücken.
Über ihre Schulter hinweg sah sie, wie Noah Gideons Bein umarmte. Gideon legte dem Jungen eine Hand auf den Kopf und streichelte sein seidiges Haar. Diese unbewusste Geste war so liebevoll, so fürsorglich. Einfach Gideon.
Gideon führte sie aus dem Haus hinaus und zu seinem SUV. Sie ließen ihren Sohn in Sicherheit zurück. Er umschloss ihre Finger in seiner großen, warmen Hand, hielt sie fest und versprach ihr feierlich: „Ich lasse nicht zu, dass ihm etwas zustößt.“
„Ich weiß“, sagte sie.
Gideon würde dieses Versprechen halten, komme, was wolle.
* * *
Archibald Findley hatte ein Nobelrestaurant ausgesucht, bei dem es einen Parkservice gab. Gideon wollte ungern seinen Schlüssel abgeben, insbesondere, da sie vorhatten, einem Feind entgegen zu treten. Daher parkte er selbst auf dem Parkplatz gegenüber.
Ein Oberkellner im Smoking führte sie zu ihrem Tisch. Rosies Ex saß bereits da und trank etwas Dunkles aus einem niedrigen Glas. Die Tische waren mit weißen Tischdecken und weinroten Servietten eingedeckt. Kerzen flackerten und die Oberbeleuchtung war dunkel gehalten. Die Gläser glitzerten wie Kristall.
Gideon dachte bei sich, dass wohl jedes Gericht um die 50 Dollar kosten musste. Was für ein pompöses Arschloch.
Findley stand auf, als sie sich näherten. Er war über 1,90 m groß, aber Gideon war größer. Um ein verdammt großes Stück größer.
„Rosie, du siehst heute so umwerfend aus wie vor all den Jahren.“ Findley war wie ein Aristokrat aus einer Fernsehserie über den Adel mit seinen High-Society-Manieren und dem Glanz des Reichtums. Unter der Oberfläche aber war er scharf wie ein Messer. „Und das ist wohl dein Freund. Oder ist das dein Bodyguard?“ Er lächelte. Eine schleimige Geste, keinesfalls charmant.
„Brauche ich denn einen Bodyguard?“, fragte sie, ohne dass in ihrer Stimme Angst mitschwang.
„Wegen mir?“ Er legte sich eine Hand flach auf die Brust, als sei er schockiert davon, dass sie so etwas überhaupt denken konnte. „Niemals. Nehmt doch bitte Platz.“
Gideon rückte den Stuhl, der am weitesten von Findley entfernt war, für sie zurecht und rückte dann mit seinem Stuhl so nah wie möglich an sie heran. Er wollte, dass sie ihn während dieser Angelegenheit neben sich spüren konnte. Sie sollte merken, dass er für sie da war. Ganz egal, was Findley von sich geben würde.
Ein Kellner erschien und nahm ihre Getränkebestellung auf. Sowohl Rosie als auch Gideon blieben bei Wasser.
Gideon nutzte den Moment, um Archibald Findley einzuschätzen. Er war makellos gekleidet mit einem blauen Anzug und einem frischen, weißen Hemd. Seine blau gestreifte Krawatte wurde von einer Krawattennadel mit Rubin gehalten. Er hatte sich die Haare mit etwas Gel nach hinten gekämmt, das schwarze Haar war durchzogen von grauen Strähnen. Er blickte Rosie aus so tiefen Augen an, dass sie fast schwarz waren. Schlangenaugen.
Er sah aus wie ein Filmgangster, der sich im hinteren Teil seines italienischen Lieblingsrestaurants versteckte. Gideon erwartete fast, dass die Titelmelodie von Der Pate zu spielen beginnen würde.
„Erzähl mir alles, was du seit meinem letzten Besuch gemacht hast“, forderte Findley.
Du meinst, seit du sie verlassen hast, schwanger und allein. Gideon fühlte ein Knurren in seiner Kehle aufsteigen. Aber auf der Fahrt hierher hatte Rosie gesagt, sie wolle das Gespräch übernehmen. Obwohl er wusste, dass sie Recht hatte – sie musste die Kontrolle haben, und er verstand, warum – war es immer noch schwierig, sich in der Gegenwart von solchem Abschaum zurück zu halten. Es musste für Gideon reichen, für sie die Muskeln spielen zu lassen. Wenn Findley auch nur aus der Reihe blinzelte, würde Gideon ihn vernichten.
„Ich habe meinen Abschluss in Buchhaltung gemacht“, sagte sie zu ihrem Ex, „und ich habe einen guten Job in einer Wirtschaftsprüfungsfirma.“
„Ich bin so froh, dass du deine Ausbildung fortgesetzt hast, denn es ist schwierig, in der Kunstwelt Fuß zu fassen. Es ist immer gut, einen Plan B zu haben. Ich glaube, du wirst dich daran erinnern, dass ich dir das gesagt habe.“ Findley versuchte, ihre Hand zu tätscheln, aber sie zog sie zurück, bevor er es konnte.
„Was willst du, Archie?“
„Archibald“, korrigierte er mit einem Lächeln, das schmierig genug war, um Bahnschienen zu ölen. „Ich will einfach nur die verlorene Zeit wieder aufholen.“
„Wie gesagt, mir geht es gut“, sagte Rosie, ihre Augen verengten sich, ihre Nasenlöcher weiteten sich leicht.
„Und was ist mit dem Kind?“
„Meinem Kind geht es gut.“
Findley streckte erneut die Hand aus, unter dem Vorwand, ihre Hand berühren zu wollen, obwohl ganz klar war, dass er wie eine Katze war, die mit ihrer Beute spielte, bevor sie sich auf sie stürzte.
Erneut bewegte sich Rosie außer Reichweite, lehnte sich zurück, verschränkte ihre Arme, überkreuzte die Beine und bewegte ihren Körper näher an Gideon heran.
Der Kellner kam mit einem weiteren Whiskey für Findley an und nahm das leere Glas mit. Ihr Ex ließ die Eiswürfel in seinem frischen Glas kreisen. „Es muss sehr schwer sein, alleinerziehende Mutter zu sein“, stellte Archie fest.
„Es macht mir überhaupt keine Mühe.“ Sie schüttelte den Kopf und entfernte eine Locke von ihrer Schläfe. „Auch ohne deine Anwesenheit.“
„Du weißt doch, dass ich damals keine Wahl hatte“, sagte Archie mit einem Hauch von Bedauern. Bedauern, von dem andere vielleicht hätten glauben können, dass es echt war. Aber er war bereits darauf vorbereitet gewesen, den Drecksack in ihm zu sehen. „Aber ich habe die Notwendigkeit seitdem jeden Tag bedauert.“
„Was auch immer du getan hast und was immer du bereust, macht für mich keinen Unterschied“, antwortete Rosie.
Archie verzog das Gesicht ein bisschen, als wäre er sowohl von ihr als auch von ihrer Antwort enttäuscht. „Was auch immer du sagst, ich bin dennoch sicher, dass es sehr schwer ist, ein Kind allein großzuziehen. Mit Arztrechnungen, Kinderbetreuung, Schulgebühren, da wird es sicher immer schwieriger.“
Gideon wollte zurückschlagen, den Schleimer in Kenntnis setzen, dass Rosie viele Freunde habe, die ihr halfen und sie unterstützten. Aber er konnte nichts tun, was ihre Mission gefährden könnte – sie mussten herausfinden, was der Kerl wollte. Außerdem konnten sie es nicht riskieren, Findley Munition für irgendeinen Plan zu liefern, den er im Hinterkopf hatte.
„Uns geht es gut, Archie. Seit dem Tag, an du gegangen bist, geht es uns gut. Tatsächlich ist dieser Tag ein Segen gewesen. Wir brauchen nichts von dir. Wir haben noch nie etwas gebraucht.“
Er stieß einen dramatischen Seufzer aus. „Meinst du nicht, dass ein Kind seinen Vater kennen sollte? Vor allem, wenn es für Jorge doch so gut wäre. Ich könnte ihm alles geben, was ihm derzeit fehlt. Ich bin sicher, du würdest ihn gerne auf eine bessere Schule schicken als die, die er jetzt besucht.“
Ihr Schauer über die Tatsache, dass Archie Jorges Namen kannte, war fast nicht wahrnehmbar gewesen. Gideon hatte ihn nur gespürt, weil sie so nah beieinander saßen. Glücklicherweise ließ Rosie sich nichts anmerken. „Die Schule meines Kindes ist in Ordnung.“
„Aber denk doch mal, wie viel einfacher dein Leben sein könnte.“ Er lehnte sich vor und senkte seine Stimme. „Du müsstest nicht knausern und sparen.“ Er schenkte Gideon einen herablassenden Blick. „Du könntest sogar mit besseren Männern ausgehen, als nur mit so muskelbepackten Türstehern.“
Obwohl sie merkte, wie Gideon angesichts der Beleidigung steif wurde, blieb ihre Stimme ruhig, als sie sagte: „Ich wiederhole mich noch einmal, nur um sicherzugehen, dass du es verstehst. Mein Kind hat alles, was es braucht.“
Aber Archie hatte eindeutig nicht vor, sich so leicht in die Flucht schlagen zu lassen. „Ah, aber er könnte in Zukunft so viel mehr brauchen.“ Er winkte mit der Hand. „Wenn du beispielsweise deinen Job verlierst. Oder dein Haus, weil du die Mietzahlungen nicht leisten kannst. Oder wenn du plötzlich feststellst, dass deine Bonität einen Sturzflug gemacht hat.“
Gideon würde keine weitere Minute von diesem Mist dulden. „Drohen Sie Rosie?“
Findley blickte höhnisch in Gideons Richtung. „Nichts dergleichen. Ich spreche nur über einige der gelegentlichen Missgeschicke des Lebens. Dinge, die jedem jederzeit passieren können.“
Oh ja, er war definitiv eine Schlange, die versteckt durchs hohe Gras schlitterte, anstatt offen hervorzukommen und zu sagen, was sie wollte.
„Es ist Zeit, Rosie endlich zu sagen, was zum Teufel Sie wollen.“ Gideon war es nicht gelungen, sein Knurren vollständig zurückzuhalten. Zum Teufel, der Kerl hatte Glück, dass er ihn nicht schon in zwei Teile gerissen hatte.
Findley ignorierte Gideon. „Vielleicht sollten wir uns lieber allein treffen, Rosie. Wir haben gar nicht über deine Kunst gesprochen. Du weißt, wie sehr ich immer dazu beitragen wollte, deine Karriere voranzutreiben.“
„Sie wollten ihr nie helfen.“ Nun, da die Karten auf dem Tisch lagen, konnte Gideon seine Wut nicht mehr im Inneren behalten. „Nur sich selbst.“
Obwohl Gideon sehen konnte, wie Archies Haut bei dem Gedanken an eine Auseinandersetzung mit jemandem, der so viel größer war als er selbst, erblasste, wich der Mann trotzdem nicht zurück. „Ah, es klingt, als ob Rosie Geschichten erzählt hätte. Ich muss mich nur fragen, ob sie Ihnen alles erzählt hat, die wahre Geschichte, diejenige, die nur sie und ich kennen.“
Gideon wusste, dass Findley ihn köderte. Er wollte, dass Gideon hier hinausging und anfing, Rosie zu hinterfragen. Er wollte einen Keil zwischen sie treiben. Aber ihr Ex war dumm, nicht zu erkennen, dass dies nie geschehen würde. Offensichtlich hatte er Rosie nie wirklich verstanden.
Bevor Gideon antworten konnte, sprach Rosie. „Du bist derjenige, der die wahre Geschichte nicht kennt, Archie. Und nein, wir werden uns nicht mehr treffen, weder allein noch auf andere Weise. Denn jetzt, wo ich genau weiß, was du willst, verspreche ich dir, dass du es nie bekommen wirst.“
Dann stand sie auf, hakte sich bei Gideon unter und ging mit ihm zur Tür.
* * *
Rosies Magen verdrehte sich in Anbetracht ihrer blank liegenden Nerven, die sie so gut sie nur konnte vor ihrem Ex verborgen hatte. „Glaubst du, dass er irgendetwas davon tun kann? Mich feuern lassen? Mich aus dem Haus werfen? Meinen Bonitäts-Score ruinieren?“
„Sicher nicht, nein.“ Gideon fuhr wie ein Bodyguard, die Augen nach vorne gerichtet, dann auf den Rückspiegel, dann zu den Seiten, immer auf der Hut vor Autos, die sie verfolgen könnten. „Du hast so viele Menschen um dich, die sich um dich kümmern und dir helfen können. Wir werden nicht zulassen, dass er dir wehtut.“ Er streckte seine Hand aus, um ihre zu drücken. „Du hast das großartig mit ihm gemacht, Rosie. Du bist nicht einmal ins Schwitzen gekommen.“
„Ja, du hast Recht. Ich habe das großartig gemacht.“ Ihr war aber immer noch übel. „Obwohl ich ihm wirklich mein Wasser ins Gesicht schütten wollte.“
„Ja, nun, ich wollte ihm eine reinhauen.“
Was hatte sie jemals in Archibald Findley gesehen?
Aber sie wusste genau, was es war. Er war so geschmeidig gewesen und hatte dem blauäugigen Mädchen frisch aus der Highschool stets das Richtige gesagt. Er hatte Spielchen mit ihr gespielt und beeindruckendes Können bewiesen. Hatte sie fein zum Essen ausgeführt und ihr immer gesagt, was sie hören wollte, wie toll ihre Kunst war, wie schön und sexy sie war, wie klug, wie reif für ihr Alter. Hätte sie nur damals seine Schauspielerei durchschaut, so wie sie heute seine Fragespielchen, seine Sticheleien und die subtilen Drohungen durchschauen konnte.
Als sie vor Evan und Paiges Haus angekommen waren, sagte sie: „Danke, dass du mit mir gekommen bist. Ich bin mir nicht sicher, ob ich so stark gewesen wäre, wenn du nicht da gewesen wärst.“
„Doch, wärst du gewesen. Du bist stark. Zweifle nie daran.“
„Ich wünschte nur, ich hätte eine eindeutigere Absichtserklärung aus ihm herausbekommen.“
„Die hätte er dir nie gegeben, egal was du gesagt oder gemacht hättest. Er ist eine Schlange, die sich durch das Gras schlängelt und dann zuschlägt, wenn man nicht hinsieht. Er wird nie ehrlich sein. Deshalb können wir ihn auch nicht direkt bekämpfen. Wir müssen genauso hinterhältig sein wie er.“
„Ich hasse es, hinterhältig zu sein“, sagte sie.
„Ich weiß. Es tut mir leid, dass dir all das passiert. Aber ich verspreche, alles wird bald vorbei sein. Und du wirst als Siegerin hervorgehen. Denn wir lassen auf keinen Fall Abschaum wie deinen Ex gewinnen.“
„Danke, Gideon.“
Er war während der Konfrontation so wunderbar gewesen – und auch jetzt so wunderbar, wo er bemüht war, sie zu beruhigen –, dass sie nicht widerstehen konnte, ihm einen zarten Kuss auf den Mundwinkel zu geben. Gestern Abend war ihr Kuss voller Dankbarkeit gewesen. Heute war sie ihm zwar noch dankbarer für all seine Unterstützung, aber bei ihrem Kuss ging es um so viel mehr.
Und als sie sich zurückzog, hatten seine Augen das zarteste Babyblau.
Für einen Moment überlegte sie, ihn noch einmal an sich zu ziehen, ihren Mund auf den seinen zu legen, ihre Lippen zu öffnen, ihn zu kosten, ihn zu genießen, ihn nicht mehr loszulassen.
Bis sich die Haustür öffnete … und der Moment zwischen ihnen zerbrach, als sie beide aus dem SUV ausstiegen und den Weg hinaufgingen.
Jorge griff nach ihrer Hand. „Tante Paige hat das coolste Puzzle für uns gefunden. Komm rein und schau es dir an.“
Noah zog Gideon hinein, damit auch er schauen konnte. Das Puzzle zeigte Big Ben in London. Sie hatten den Rand bereits fertig zusammengesetzt.
„Ich muss mir ein paar Lego-Bausätze besorgen“, sagte Paige. „Aber für den Moment war das alles, was ich hatte.“
„Sie lieben es“, sagte Rosie ihr. Und dann zu Jorge: „Ihr beide habt mit dem Puzzle schon ganze Arbeit geleistet. Ich bin sehr beeindruckt.“
„Hast du mal eine Minute Zeit?“, sagte Gideon zu Evan.
„Klar doch.“ Evan führte sie zurück ins Wohnzimmer und ließ die Jungen im Esszimmer mit dem Puzzle zurück. „Wie ist es gelaufen?“
Rosie ging auf und ab, als sie ihnen von Findleys kaum verhüllten Drohungen erzählte.
„Ich hatte etwas in der Art erwartet.“ Evan schüttelte den Kopf und schob seine Brille fester auf dem Nasenrücken hoch. „Ich habe die anderen schon informiert. Ich weiß, dass es für euch beide schon ein langer Tag und Abend war, aber wir würden uns gerne so schnell wie möglich treffen, um zu bestimmen, wie wir mit diesem Widerling am besten umgehen können.“
„Ich spiele gerne mit den Jungs, während ihr euch mit den anderen Mavericks trefft“, bot Paige an. „Und wenn ich noch etwas tun kann, um zu helfen, sagt mir bitte Bescheid. Ich habe vorhin ein paar Sandwiches für sie gemacht.“
„Danke.“ In Rosies Augen traten Tränen voller Emotionen, Ängsten und Dankbarkeit. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll, außer danke von ganzem Herzen.“
„Du bist eine von uns, Rosie.“ Evan schenkte ihr das zarteste Lächeln. „Die Mavericks kümmern sich um ihre Lieben.“
Sie war bei ihren Grillfeiern, Pool-Partys und an Feiertagen dabei gewesen, hatte all ihre Häuser besucht. Aber sie hatte es nie gewagt, sich selbst als eine von ihnen zu bezeichnen. Sie war Aris Freundin, das war alles.
Womit sie nicht gerechnet hatte, war, wie groß ihre Herzen waren.
Und Gideon hatte das größten von allen.
„Danke“, sagte sie mit tiefempfundener Wertschätzung. „Ich möchte mich nur noch von den Jungs verabschieden und ihnen sagen, dass ich bald zurückkomme.“ Sie wollte Jorge nicht wieder zurücklassen, wo sie doch gerade erst zurückgekehrt war. Aber es ging nicht anders. Sie musste mit den Mavericks sprechen, musste einen Weg finden, Archie aufzuhalten. „Jungs“, rief sie.
„Ist es Zeit zu gehen?“ In Jorges Stimme lag etwas fast Ängstliches, als er vom Stuhl kletterte und zu ihr rannte, Noah dicht auf seinen Fersen.
Dann stolperte Jorge irgendwie – ob es wegen seiner Schnürsenkel oder durch Noahs Fuß war, konnte sie nicht sagen – und er ging mit einem Rumms zu Boden.
Er war ein zäher kleiner Kerl und normalerweise sprang er direkt auf, als wäre nichts passiert. Doch dieses Mal begann Jorge, zu weinen. Rosie war sofort da, um ihn in ihre Arme zu nehmen. „Alles ist gut, mein Schatz.“ Sie fuhr mit den Händen über seine Beine und stellte ihn dann auf seine eigenen Beine. „Siehst du? Nichts gebrochen. Dir geht es gut, alles ist okay.“ Sie küsste sein tränenüberströmtes Gesicht. „Ich muss noch mal kurz weg, dann bringen wir euch nach Hause, lesen noch eine Geschichte und dann geht‘s ab ins Bett, okay? Ich weiß, es war ein wirklich langer Tag.“
Sie sagte die Worte für Gideon und Noah, die neben ihnen standen, ebenso wie für Jorge. Als ob sie sie alle beruhigen, ihre Spannung lockern müsste.
Aber Jorge klammerte sich an sie, seine Stimme krächzend vom Weinen. Er war nie ein anhängliches Kind gewesen. „Warum musst du weg? Warum kann ich nicht mitkommen?“
„Es wird nicht lange dauern, versprochen.“ Sie stand auf und fuhr ihm beruhigend mit der Hand durch seine dunklen Locken.
Aber Jorges Tränen hörten nicht auf. Er klammerte sich fest mit seinen Armen um ihre Beine. Und Rosie erkannte, dass alles viel zu viel für ihn war. Er war ein intuitives Kind. Er spürte sämtliche Untertöne, die im Raum umherwirbelten, spürte ihre Angst, ihre Aufregung. Er wusste, dass etwas nicht stimmte und in seiner Kleinen-Jungen-Welt hatte er schreckliche Angst. Sie streichelte sein Haar, murmelte beruhigende, tröstende Geräusche, aber sein Körper zitterte noch immer.
Sie konnte ihn nicht so zurücklassen. Sie konnte es einfach nicht. So sehr sie auch Archie besiegen musste, so waren die Bedürfnisse ihres kleinen Jungen in diesem Moment einfach wichtiger.
Sie sah Gideon an und legte alles, was sie fühlte, in ihren Blick. „Ich muss bleiben.“
„Ich gehe“, sagte er und verstand das vollkommen. „Mach dir keine Sorgen. Kümmere dich um Jorge. Er braucht dich jetzt.“
Sie wollte ihre Arme um Gideon werfen, aber sie konnte nicht mehr als ihm ein stilles Danke anzudeuten.
Dann tat Gideon das Wunderbarste überhaupt. Er schlang seinen Arm um Rosies Hals, zog sie an sich und legte seine Hand auf Jorges Kopf. „Ich werde das in Ordnung bringen“, flüsterte er ihr ins Haar. „Das verspreche ich dir.“
Sie hatte keinen Zweifel daran, dass er es tun würde. Sie hatte nie an Gideon gezweifelt. Er war stark, er war loyal, er war fürsorglich.
Und er würde Jorge so beschützen, wie es der leibliche Vater ihres Sohnes nie genug getan hatte.