Vorwort

Kann man den Sinn des Lebens sehen?

Die Frage nach dem Sinn des Lebens hat mich mein ganzes Leben lang umgetrieben. Man kann den Sinn des Lebens denken, deswegen habe ich Philosophie studiert. Man kann ihn glauben, deswegen habe ich Theologie studiert. Man kann den Sinn des Lebens noch im Wahnsinn der Menschen spüren, auch deswegen bin ich Psychiater und Psychotherapeut geworden. Aber wie und wo kann man den Sinn des Lebens sehen?

Viele Menschen sehen ihn in der Schönheit der Natur, sie ahnen in ihr etwas Göttliches. Für Naturwissenschaftler wie Albert Einstein war die Natur etwas Erhabenes, Letztes.

Doch gäbe es nur Natur, gäbe es nicht jemanden wie den Menschen, wäre niemand da, der in den Weiten des Weltalls irgendeinen Sinn sehen würde, die Planeten nicht, die Pflanzen nicht und selbst die Schimpansen würden den aneinandergereihten Momenten ihres Lebens bloß Gelegenheiten zum Überleben ablauschen. Es wäre niemand da, einen Sinn in diesem Leben zu sehen.

Nur wenn es Personen gibt, wie Menschen es sind, gibt es Sinn. Der höchste Ausdruck von Sinn aber ist die Kunst. Und kaum ein Ort hat die größten Künstler der Welt wohl so angezogen wie Rom.

Ich kenne und liebe diese Stadt schon seit 50 Jahren, zwei Jahre habe ich dort gelebt. Schon als Student habe ich Menschen durch Rom geführt, nicht um sie bloß mit Wissen zu beladen, sondern um ihnen in der Kunst dieser Stadt den Sinn des Lebens zu zeigen. Ich bin überzeugt, dass man in Rom den Sinn des Lebens, das, was für den Menschen, für jeden Menschen, wesentlich ist, tatsächlich sehen kann, jeder natürlich auf seine ganz persönliche Weise. Denn echte Kunst zwingt nicht, sie lädt ein. Früher, als die wenigsten Menschen überhaupt lesen konnten, war das Sehen des Sinns etwas ganz Normales, man sah die Bibel in den Bildergeschichten der Kirchen, man las sie nicht.

So kam ich auf den Gedanken, dieses Buch zu schreiben, das nur scheinbar über Rom geht und seine Kunst, sondern in Wahrheit über den Sinn des Lebens. Natürlich musste ein solches Buch Bilder der ausdrucksstärksten Kunstwerke Roms enthalten, aber auch Erläuterungen, die sie in ihrem geschichtlichen Zusammenhang besser verständlich machen können. Am sinnvollsten erschien es mir daher, diese einzigartigen Meisterwerke entlang einer Erzählung der Geschichte und Kunstgeschichte der Stadt Rom zu ordnen, angefangen von ihrer Gründung bis hinein in unsere Tage. Denn so können diese genialen Künstler lebendiger zu uns sprechen und man kann am Ende vielleicht ein bisschen mehr verstehen vom großen Sinn des großen Ganzen der Welt, aber auch vom kleinen Sinn im alltäglichen Leben, der für einen beglückenden Moment in winzigen, reizenden künstlerischen Einfällen aufblitzt.

Besonders bin ich dabei dem Direktor des Kunsthistorischen Instituts der Universität Bonn, Prof. Dr. Roland Kanz, verpflichtet, dem ich manche Anregung verdanke und der das Buch sorgfältig daraufhin überprüft hat, dass alle Fakten stimmen. Entscheidend aber wird sein, ob diejenigen, die diese Bilder nun betrachten und das Buch lesen, sich ergreifen lassen können von dem, was uns all diese Menschen in ihren Kunstwerken vor Augen führen. Denn wissen kann man ihn nicht, den Sinn des Lebens, aber sehen kann man ihn.

Manfred Lütz