»Hände aufs Lenkrad und keine Bewegung.« Klaudias Herz setzte einen Schlag aus, nur um dann im doppelten Tempo loszujagen. Uwe!, dachte sie. Er war hier. Die Kollegen waren ihnen die ganze Zeit auf den Fersen gewesen. Sie hatten sie nicht im Stich gelassen. Vor Erleichterung schluchzte sie auf, und dann kamen die Tränen und diesmal half auch kein Stoppschild. Jeder Atemzug wurde zur Qual, während Klaudia Kampfgeräusche und Kommandos hörte. Ihre Nase schwoll immer weiter zu, bis sie schließlich keine Luft mehr bekam. Sie bäumte sich auf, das Netz schnitt in ihre Haut, Schwärze griff nach ihr. Klaudia hatte keine Kraft mehr zu kämpfen. Licht blendete sie, sie schloss die Augen. Sah ihren Vater, ihren Kater. Ein heftiger Schmerz, als würde ihr die Haut vom Gesicht gerissen, der Knebel verschwand, Luft strömte in ihre Lungen. Keuchend atmete sie ein.
»Na da ist uns aber ein kapitaler Fang ins Netz gegangen.« Bach beugte sich über sie. »Lange nicht mehr gesehen.«
»Und doch wiedererkannt«, krächzte Klaudia.
»Eine schöne Frau kann eben nichts entstellen.« Sein erschreckter Blick sprach eine andere Sprache. Er sah von Klaudia zu Svenja, die immer noch regungslos neben ihr lag. »Und wen haben wir da?« Mit einer Hand tastete er nach ihrem Puls. »Was ist mit ihr? Tot ist sie offensichtlich nicht, aber sehr lebendig wirkt sie auch gerade nicht.«
»Sie hat Demel erschlagen«, murmelte Klaudia. »Er ist …«
»Er lebt«, sagte Bach.
»Er lebt?« Wieder strömten die Tränen.
»Zumindest ist das mein letzter Stand«, schränkte Bach ein. »Er konnte noch die Leitstelle informieren, und dann hat es ihm die Lichter ausgeknipst.« Er legte den Kopf schief und musterte Klaudia. »Und du scheinst ebenfalls ordentlich einen über den Schädel bekommen zu haben.«
»Geht schon«, wehrte Klaudia ab. »Ich würde nur gern endlich aus diesem Netz befreit werden.«
»Geht’s ihr gut?« Wieder Uwes Stimme.
»Was macht er hier?«, fragte Klaudia.
»Das wüsste ich auch gern«, knurrte Bach, trat dann aber doch zur Seite, um Uwe vorbeizulassen.
Der kletterte in den Bus und hockte sich neben sie. Vorsichtig strich er ihr über den Kopf. »Ich bring den Kerl um«, presste er hervor. Aus seinen Augen tropften Tränen auf ihre Stirn.
»Nicht.« Sie zuckte zusammen.
»Tut mir leid.« Hastig zog er die Hand zurück. »Du musst schreckliche Schmerzen haben.«
»Geht so«, krächzte Klaudia. »Mach dir keine Sorgen.« Ein heulender Uwe half Klaudia gerade nicht. »Mir geht’s gut.«
»Das lass mal lieber die Rettung entscheiden.« Von irgendwoher hatte Bach ein Messer organisiert, damit schnitten Uwe und er Klaudia aus dem Netz. Sie stöhnte vor Schmerz, als das Blut wie tausend Ameisenheere in ihre Extremitäten zurückkehrte.
»Ich hab Durst.«
»Das ist ein gutes Zeichen«, sagte Uwe. »Ich besorg dir was.« Vorsichtig bettete er ihren Kopf zurück auf den Wagenboden.
»Auch das lässt du lieber die Rettung entscheiden«, widersprach Bach. »Du hast schon genug angerichtet.«
Klaudia schloss die Augen. Sie war zu erschöpft, und auch zu froh, dass der Albtraum endlich vorbei war, um sich zu fragen, was Uwe angerichtet hatte. Die Hauptsache war: Demel lebte. Und ich auch, dachte Klaudia. Sie fror und schwitzte gleichzeitig. Svenja wurde aus dem Bus gehoben.
»Der Traumfänger«, murmelte Klaudia.
»Was?« Uwe beugte sich zu ihr.
»Sie sollen den Traumfänger mitnehmen.«
»Warum?«, fragte er.
»Sag’s ihnen einfach.«
Uwe verschwand, und auf einmal war Thang neben ihr.
»Alles wird gut«, sagte er, und dann verschwand auch er, und Klaudia bekam eine Nackenschiene umgelegt. Sie wurde auf eine Trage gebettet und in einen Rettungswagen geschoben. Das helle Licht blendete sie. Über ihr tauchte ein weibliches Gesicht auf; Frau Doktor Soundso. Klaudia vergaß den Namen sofort wieder. Die Ärztin leuchtete ihr in die Augen, fragte sie nach ihrem Namen, ihrem Alter, ihrer Adresse. Klaudia beantwortete jede Frage, auch wenn ihre Zähne vor Kälte aufeinanderschlugen. Die Sanitäter hüllten sie in eine Folie.
»Nein!« Kraftlos schlug Klaudia um sich. Allein der Gedanke, wieder in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt zu werden, brachte sie an den Rand der Panik.
»Es wird Sie wärmen«, sagte die Ärztin. »Sie stehen unter Schock. Das Adrenalin, das Sie bis jetzt hat funktionieren lassen, wird gerade abgebaut. Sie brauchen Wärme, und Sie brauchen Flüssigkeit. Ich werde Ihnen einen Zugang legen, und dann fahren wir zum Krankenhaus. Ihre Kopfverletzung sieht böse aus. Verstehen Sie das?«
»Ja«, krächzte Klaudia. »Was ist mit Demel?«
»Demel?« Die Ärztin runzelte die Stirn. »Ist das der Fahrer?«
»Nein.« Klaudia schloss die Augen. »Nicht der Fahrer.« Sie war so schrecklich müde.