Ballade

Jen

Anlässlich ihres fünfzehnten Hochzeitstags fuhren Jen und Pete nach Margate. Im Vorfeld hatten sie Freunde gefragt, ob sie mitfahren wollten, aber insgeheim war Jen froh, dass sie wegen ihrer Kinder abgelehnt hatten. Sie wollte den Tag mit ein paar Bieren am Strand und vielleicht einem Abendessen in einer Austernbar verbringen statt in einer familienfreundlichen Fast-Food-Klitsche. Sie hätte womöglich anders gedacht, wenn sie und Pete ebenfalls Kinder gehabt hätten. Hatten sie aber nicht, also dachte sie eben so.

Zuerst gingen sie an den Strand, bevor die Horden kämen. Die Luft war feucht, der Himmel wolkenlos, sie lagen in der Sonne und blätterten in Zeitschriften. Pete ging Dosenbier kaufen, und das tranken sie, während sie den Unterhaltungen ringsum lauschten. Hier und da las Pete ihr etwas laut vor und merkte nicht mal, dass sie selbst in ein Buch vertieft war. Nur gut, dass sie sich hinter ihrer Sonnenbrille verschanzen konnte. Sie fragte sich, ob sich wohl noch jemand an diesem Strand so einsam fühlte wie sie.

Anschließend bummelten sie an den Geschäften vorbei. Am oberen Ende der Hauptstraße lag ein Gebrauchtmöbelladen, und Jen spähte durchs Schaufenster zu den skandinavischen Holzmöbeln, zeigte auf einen Stuhl mit Armlehnen. Pete verrenkte sich den Hals, um das Preisschild zu entziffern, und schnaubte. Ich würde mir trotzdem gern etwas kaufen, sagte sie. Ein Erinnerungsstück. Er zuckte mit den Schultern. Auf dem Rückweg hügelabwärts kaufte sie sich einen Ofenhandschuh.

Am Abend betraten sie ein Fischlokal, in dem nichts mehr frei war. Sie hätten reservieren müssen, sagte die schnippische Bedienung. Immerhin sei Samstag.

Als sie zurückfuhren, sagte Pete zwischen zwei Mundvoll Pommes: »Findest du nicht, wir sollten dich mal testen lassen?«

»Testen?«, gab sie zurück, auch wenn sie genau wusste, was er meinte.

»Ich sag ja nur, es sind jetzt zwei Jahre, und immer noch nichts.«

Jen ließ den Blick über die karge, flache Landschaft schweifen. Strommasten zogen an ihnen vorbei und verschwammen vor ihren Augen. »Wie kommst du darauf, dass ich das Problem bin?«

Pete seufzte. »Das hast du falsch verstanden. Ich nehme einfach an, dass sie zuerst die Frau untersuchen.«

Sie antwortete nicht.

»Ich hab gehört, dass die Fruchtbarkeit der Frau ab fünfunddreißig rapide abnimmt, insofern sollten wir vielleicht nicht noch länger warten.« Er legte ihr die Hand aufs Bein. »Was meinst du? Sollen wir das mal checken lassen?«

Jen stellte die Stereoanlage an und klickte durch ihre Musik. Sie drückte auf Play, und die Synthesizer und Beats einer Achtziger-Ballade erklangen. Ein Text, der von Stille und Herzschmerz handelte. Pete nahm seine Hand wieder weg.

»Was soll das?«, fragte er. »Willst du, dass ich jetzt losheule?«

Der Fast-Food-Geruch schlug ihr auf den Magen. »Ich mache Musik an, weil du beim Fahren sonst auch immer Musik hören willst. Ist also nicht recht? Mache ich es schon wieder falsch?«

Er presste die Lippen zusammen. »War nur ein Witz.«

Jen schob die Hände zwischen ihre Oberschenkel und das billige Autositzpolster. »Bei mir auch.«

Mit einer Hand am Steuer angelte Pete sein Handy hervor und klickte weiter, zum Jaulen eines alten Countrysängers – genau die Musik, die sie hasste. Alter Mann sitzt am Lagerfeuer und singt über Frau, die er mal im Bus gesehen hat. Die Honkytonk-Stimme triefte vor Reue.

Wann ist das passiert?, fragte sich Jen, während draußen die Welt an ihr vorüberzog. Wann haben wir aufgehört, Songs über Dinge zu hören, die wir tun würden, und angefangen, Songs über Dinge zu hören, die wir nie getan haben?

Als das Lied zu Ende war, ließ er es noch einmal laufen.