Noch heute ist Schluss

Zelda

Zelda schiebt die Tür zu dem Pub auf. Leute drehen sich nach ihr um. Sie nimmt es kaum zur Kenntnis.

Das Licht ist gedimmt und angenehm, perfekt für den ersten Eindruck.

Den Pub hat Zelda ausgesucht, eine alte Gastwirtschaft aus dem sechzehnten Jahrhundert mit vertäfelten Wänden und präparierten Tierköpfen in der Kaminecke. Die Akustik ist fürs erste Treffen optimal.

Ihr Date der Woche sitzt an der Bar und lässt über seinem Whisky die Schultern hängen. Zelda bleibt stehen, um ihn zu mustern. Seine Haare sind blonder als auf dem Foto, aber die jugendliche Ausstrahlung ist vorhanden.

Er springt auf, als sie auf ihn zugeht, und auf seinem Gesicht macht sich ein Lächeln breit. »Zelda, oder? Hier, nimm du meinen Barhocker. Ich hole noch einen.«

Amüsiert sieht sie zu, wie er sich auf die Suche nach einem zweiten Hocker macht. Der Schankraum ist voll, und die erste Frau sagt Nein, sie habe nicht bloß ihre Tasche dort geparkt, sie warte auf jemanden, also versucht er es bei einem Typen, der nicht mal auf seinem Hocker sitzt, sondern nur den Fuß abstützt. Der Mann legt besitzergreifend die Hand auf die Sitzfläche, und Zeldas Date kehrt zu ihr zurück. »Nichts zu machen.« Er hebt beide Hände.

Zelda lacht. Dann merkt sie, dass sie seinen Namen vergessen hat. Sie nimmt ihr Handy heraus und scrollt durch ihren Chat.

»Was Besseres in Aussicht?«, fragt Will.

»Nicht heute Abend.« Sie lässt das Handy zurück in die Handtasche fallen.

Will lacht. Er beugt sich leicht vor, stützt die Ellenbogen auf den Tresen, doch sein Gesicht bleibt ihr zugewandt.

»Gute Wahl, dein Drink«, stellt Zelda fest. »Mal etwas anderes.«

»Anders als …?«

Sie zuckt mit den Schultern. »Das übliche Pint Stella oder sonst irgendwas, wovon man rülpsen muss. Halt, warte …« Sie schnipst mit den Fingern. »Du bist der Typ Craftbeer, oder? Wenn Bier nicht in irgendeinem New-England-Style-Schuppen gebraut wurde, ist es für deinen Gaumen zu kommerziell.«

Will kratzt sich das Kinn. »Bin ich so leicht zu durchschauen?«

»Ach, weißt du … Ich mache das hier schon eine Weile, da wird man irgendwann zur Expertin.«

Mit hochgezogener Augenbraue greift er zu seinem Whisky. »Wie lange machst du das hier denn schon?«

»Eindeutig länger als du.« Sie winkt dem Barkeeper.

»Entschuldige!« Eilig stellt Will seinen Whisky ab und tastet nach seiner Brieftasche. »Was möchtest du trinken?«

»Ist schon okay, ich bezahle selbst.«

»Ich bestehe darauf.«

»Nein, ich bestehe darauf.«

Sie reißen beide die Augen demonstrativ weit auf.

»Ah«, sagt Will, »verstehe.«

»Was?«, entgegnet Zelda, als der Barkeeper auf sie zukommt.

Will schüttelt lächelnd den Kopf, und ihr fällt seine Höckernase auf. Ihr gefallen oft Dinge, die andere für einen Makel halten. Bei großen Nasen wird sie schwach.

Sie bestellt sich eine Rum-Cola.

»Eine Kubanerin für die Dame«, sagt der Barkeeper mit einem Zwinkern.

»Bitte, der Herr. Und er hier nimmt auch eine.« Sie zeigt auf Will.

»Ich bleibe beim Scotch.« Will hält seinen leeren Tumbler hoch.

Zelda bezahlt, sie stoßen an und sehen einander zu, wie sie an ihrem Drink nippen.

Eine Bedienung kommt mit Speisekarten auf sie zu. »Wollt ihr essen? Ich habe gerade eine Stornierung reingekriegt. Hinten wäre noch ein Tisch frei.«

Zelda will schon Nein sagen, als Will sich kurzerhand nach der Speisekarte ausstreckt. »Wie wär’s?«, fragt er. »Erträgst du mich noch zwei Stunden?«

Sie hält sich ihre Armbanduhr nah vors Gesicht, um auf dem verschnörkelten Ziffernblatt etwas zu erkennen. Das erste Date ist immer nur ein Drink – so kann am Ende jeder gehen, ohne allzu viel Geld oder Nerven investiert zu haben, und man muss sich auch wirklich nicht wiedersehen. Ist sie denn bereit, gleich den nächsten Schritt zu gehen? Vielleicht, wenn du die Rechnung übernimmst , denkt sie sich, andererseits hat sie selbst gerade erst die Feminismuskarte ausgespielt.

»Wir nehmen den Tisch«, sagt Will zur Bedienung, nimmt Zeldas Jacke und beide Drinks. Dann zwinkert er ihr über die Schulter hinweg zu. »Komm schon, so können wir zumindest beide sitzen.«

Sie seufzt, rutscht vom Barhocker und wirft ihre Haare zurück. Großen Nasen und breitbeinigem Auftreten kann sie nicht widerstehen. Die Schwäche muss sie gleich morgen angehen.

Zehn Minuten zuvor ist ihr Essen gekommen, und Zelda fragt sich bereits, ob sie ihn falsch eingeschätzt hat. Er stellt ihr allen Ernstes Fragen – wo sie aufgewachsen ist, was sie beruflich macht, was ihre Hobbys sind – und gibt sich nicht mit einsilbigen Antworten zufrieden. »Hochzeitsfotografin?«, hakt er nach. »Da musst du ja irre Geschichten erzählen können.« Zelda zuckt mit den Schultern und nimmt einen Bissen. Normalerweise geht sie in der Stunde, die so ein Date dauert, im Kopf ihre To-do-Listen durch oder versucht, auf den Namen des Promis zu kommen, an den er sie erinnert – alles, nur um sich die Zeit zu vertreiben, bis sie zu ihm gehen. Aber Will scheint nicht daran interessiert zu sein, über seine Sicht der Dinge zu reden. Sein Blick und seine Aufmerksamkeit gelten allein ihr. Jetzt gerade sieht er sie in Erwartung der Antwort auf eine Frage an, die sie vollkommen überhört hat.

»Keine Ahnung«, sagt sie reflexartig.

»Du weißt nicht, wo du wohnst?«

»Oh.« Sie hüstelt in ihre Serviette und fährt sich durchs Haar. »Ein Stück außerhalb. Bin ein Mädchen vom Lande.«

Will nickt. »Ich kann mir dich auch echt gut vorstellen, wie du auf dem Heuboden herumtollst.«

Zelda leckt ihre Gabel ab. »Jetzt bin ich mal dran mit Fragen.«

Er deutet eine Verbeugung an und löffelt sich noch ein paar Bratkartoffeln auf den Teller.

»Wie alt bist du wirklich?«

Der Löffel bleibt auf halber Strecke in der Luft hängen. »Was soll das denn heißen?« Er räuspert sich. »Ich bin neunundzwanzig.«

»Blödsinn.«

Will versucht offensichtlich, sich ein Schmunzeln zu verkneifen. »Wie kommst du darauf, dass ich nicht neunundzwanzig wäre?«

»Ist doch offensichtlich.« Zelda nippt an ihrem Wein und studiert sein Gesicht. »Du strahlst noch richtig. Du bist noch nicht abgestumpft.«

Er starrt sie an.

Sie starrt zurück.

»Sechsundzwanzig«, sagt er schließlich.

Die Bedienung kommt, um ihre Gläser aufzufüllen, und das Gluckern des Weines untermalt das Schweigen. Die Bedienung hat verstanden und verzieht sich wieder, ohne zu fragen, ob das Essen in Ordnung ist.

»Vierundzwanzig«, sagt Will, »jetzt aber wirklich, Ehrenwort.«

»Um Himmels willen …«

Will verzieht das Gesicht. »Zu jung? Wie alt bist du denn wirklich?«

»Vierunddreißig, und ich habe damit auch kein Problem.«

»Jetzt hältst du mich für einen Volltrottel, was?«

Statt zu antworten, gießt Zelda sich mehr Wein nach. Es ist ihr völlig egal, ob er lügt, aber sie genießt es, Oberwasser zu haben.

»Ich dachte, wenn ich mein richtiges Alter angebe, bist du vielleicht nicht interessiert.«

Zelda greift nach ihrem Glas. »Und warum bist du interessiert?«

Er runzelt die Stirn. »Das ist jetzt ein Witz, oder?«

»Ich dachte, Männer stehen auf Jüngere.« Die Gerbstoffe brennen auf ihrer Zunge.

»Einige bestimmt, aber vielleicht bin ich ja nicht wie die anderen?«

»Oh, bitte. «

»Ich hab ältere Frauen schon immer gemocht. Die wissen, was sie wollen.«

»Ach ja?« Zelda starrt seine Nase an und stellt sich vor, wie sie ihm mit den Schneidezähnen über die Nasenspitze fährt und hineinbeißt. »Na ja, vielleicht hast du recht.«

Sie sieht auf die Uhr. Fast zehn. Sie muss mehr trinken, wenn das Flirren, das sie braucht, rechtzeitig einsetzen soll. »Du bist aber nicht noch Jungfrau, oder?« Sie schenkt sich abermals nach.

Diesmal läuft er dunkelrot an. »Nein. Du?«

Sie lacht in ihr Glas. »Wir zählen jetzt aber nicht unsere Verflossenen, oder? Immerhin ist das hier unser erstes Date.«

Die Bedienung kommt zurück und fragt, ob sie die Dessertkarte sehen möchten, und diesmal kommt Zelda ihm zuvor. »Nur die Rechnung bitte.« Dann kippt sie den restlichen Wein.

Draußen ziehen sie ihre Jacken an. Es ist Anfang März, die Luft noch kalt. Zelda packt ihn am T-Shirt und zieht ihn näher. Der Kuss ist gut.

»Ich gehe lieber zu dir als zu mir«, flüstert sie. »Du wohnst hoffentlich nicht mehr bei deiner Mum, oder?«

Er lacht leise und fährt sich mit der Hand über den Kopf. »Also, ich weiß ja nicht … Erstes Date, schon vergessen?«

»Wie bitte?« Sie tippt ihm mit dem Zeigefinger gegen die Brust.

»Ich … äh … muss morgen auch echt früh raus …«

Zelda klappt die Kinnlade runter, und sie macht einen Schritt zurück. »Hast du das gerade wirklich gesagt?«

»Ich meine ja nicht, dass ich nicht interessiert wäre.« Er legt ihr die Hände um die Taille. »Immerhin habe ich mich für dich älter gemacht, oder etwa nicht?«

»Aha.«

Er will noch etwas sagen, doch dann küsst er sie lieber. Es ist ein langer, langsamer Kuss, die Art, in der man sich verlieren kann. Die Art, von der Zelda anfangs im Leben immer geträumt hat. Ein Rettungswagen schrillt an ihnen vorbei, ein paar Betrunkene torkeln vorüber, trotzdem gibt es für sie nichts außer ihnen beiden.

»Für einen Teenager küsst du ganz gut«, sagt Zelda, als sie sich von ihm losmacht, um zu atmen.

»Ich liebe Frauen mittleren Alters.«

Sie schlägt spielerisch mit der Handtasche nach ihm.

Lächelnd fängt er ihren Blick auf. »Ich bringe dich noch zum Taxistand.«

»Ah.« Sie weicht von ihm zurück. Diese Formulierung kennt sie. »Du sagst, wo es langgeht.«

Er nimmt ihre Hand, und sie schlendern die Straße entlang wie jedes x-beliebige Pärchen. Für einen Freitagabend ist es ruhig, und sie müssen ein gutes Stück in Richtung Innenstadt gehen, wenn sie ein Taxi finden wollen. Will sieht hin und wieder zu ihr rüber – flüchtige Blicke, begleitet von einem Lächeln.

Zelda sieht sich im Vorbeigehen die Gebäude an. Warum hat sie diese Stadt eigentlich nie verlassen, diese langweiligen Wohnblocks und Erinnerungen an jeder Ecke? Die Stadt sieht aus wie jede andere, und das Gleiche gilt für die Leute. Urplötzlich sehnt sie sich nach einem anderen Leben.

Kurz bevor sie auf die Hauptstraße abbiegen, verliert Zelda die Geduld und zieht ihn um die nächstbeste Ecke. Es ist eine Sackgasse, und das orangefarbene Licht der Straßenlaternen schimmert dumpf über den Schatten.

»Was wird das?«, fragt er und lacht, als sie immer noch nicht stehen bleibt.

Zelda presst ihre Lippen grob auf seinen Mund. Mit gespreizten Fingern stützt sie sich an der Mauer ab, vor ihr Will, hinter ihm die Wand, und tastet sich vor bis zu der Beule in seiner Jeans. »Ich hab was, wenn du was brauchst«, sagt sie zwischen zwei Küssen.

»Was brauche ich denn?« Er klingt atemlos, woraufhin sie den Druck verstärkt.

»Du weißt, was ich meine.« Sie nimmt seine Hand und legt sie sich an die Brust. »Komm schon, du kannst mich nicht erst heißmachen und …«

Erst da fällt bei ihm der Groschen. Will schiebt sie von sich weg. »Warte.«

»Was soll das?« Sie zieht ihr Oberteil wieder runter und macht einen Schritt zurück.

Er steht – eindeutig erregt – vor ihr und fährt sich durch die Haare. Dann atmet er tief aus, als hätte er die ganze Zeit die Luft angehalten.

Zelda hält ihm ein Foto auf ihrem Handy hin. »Das bist doch du, oder? Dieser Typ mit nur einem Bild, freier Oberkörper, kein Text?«

»Na und?«

»Du willst doch nur Sex, oder?«

»Wovon redest du?«

Zelda verdreht die Augen und seufzt genervt. »Ein Bild, kein Text. Weiß doch jeder, dass du nur dabei bist, um Sex zu haben. Siehst du das?« Sie scrollt weiter, ruft ihr eigenes Profilbild auf, auf dem sie sich vor zur Kamera beugt. »Titten und Zähne. Ein einziges Foto. Ich mach da mit, um Sex zu haben.«

Will schlägt die Hand vor den Mund. »Das war mir nicht klar …«

»Verdammter Anfänger.« Zelda dreht sich weg und streicht sich übers Haar.

Er schüttelt den Kopf und tritt gegen einen Abfalleimer. »Gott, dieses Scheiß-Onlinedating ist einfach zu kompliziert. Woher soll ich so was wissen? Ich mache keine Selfies und kann mich auch nicht selbst beschreiben, ohne dass ich wie der letzte Idiot klinge. Ich dachte, ein Foto würde bescheiden wirken, also nicht selbstverliebt oder so – und jetzt sieht es aus, als wäre ich die letzte Schlampe.«

»Schönen Dank auch.«

»He, das meinte ich nicht – du kannst verdammt noch mal machen, was immer du willst, und mal ehrlich, Zelda, es ist ja nicht so, als würde ich nicht mit dir … Aber das ist eben nicht alles, was ich will.«

»Lass gut sein.« Diesen Part hat sie schon zigmal von zig Typen gehört.

»Willst du mich gar nicht kennenlernen?«

»Ich hab dich doch gerade kennengelernt!«

»Und du willst sofort mit mir Sex haben.«

»Du nicht?«

»Doch. Schon. Aber …«

Zelda reißt verzweifelt die Arme hoch.

»Hör mal … Ich hab One-Night-Stands ausprobiert … ein paarmal, an der Uni.« Er schiebt die Hände in die Taschen und schüttelt den Kopf. »Das gibt mir nichts.«

»Du bist ja süß.« Zelda knöpft ihre Jacke zu.

»Und du magst nichts Süßes.« Er schlägt den Blick nieder und lacht tonlos. »Aber fühlst du dich so nicht einsam?«

Sie starrt ihn an. Ihre Freunde haben ihr immer bescheinigt, dass die Art und Weise, wie sie mit Männern umspringt, der Wahnsinn ist, aber in allem Wahnsinn steckt stets auch ein Körnchen Vernunft. Wenn die Messlatte nur hinreichend niedrig hängt, wird man nicht enttäuscht.

Trotzdem hat er was, wie er sich durch die Haare fährt, wie ihm die Strähne, die er sich aus dem Gesicht streicht, sofort wieder über die Augen fällt. Er hat was, wie er die Zunge aus dem Mundwinkel schiebt, wenn er nervös wird, sodass seine Zungenspitze fast die Wange berührt. Er hat was, wie er sie so ansieht. Als könnte er all das erkennen, was sie sonst immer verheimlicht.

Er hat was.

Sie strafft die Schultern. »Ich bin nicht einsam«, sagt sie. »Außerdem – was bringt es denn, sich erst kennenzulernen, nur um irgendwann festzustellen, dass man im Bett nicht zusammenpasst? Das kann man doch genauso gut gleich herausfinden.«

Er sieht sie wieder an. Sein Lächeln besagt, dass er sie am Haken hat und sich all das zusammenreimen kann, was sie nicht sagt.

In ihrem Bauch regt sich Wut. Glaubt dieser Frischling etwa, dass er einfach bei ihr einmarschieren und Mauern niederreißen kann? Jetzt kommt er auf sie zu und beißt sich in die Unterlippe, wie vorhin schon. Sie ballt die Fäuste.

Einen Schritt von ihr entfernt bleibt er stehen, und sie kann seinen warmen Atem spüren.

Er sagt es schon wieder. »Fühlst du dich so nicht einsam?«

»Wie – so

»Indem du auf alles scheißt.«

»Ich bin nicht einsam«, wiederholt sie. »Es gibt immer neue Typen zum Swipen.«

Er tut so, als würde er zusammenzucken, und schnalzt ein paarmal kopfschüttelnd mit der Zunge. Die Geste erinnert sie an jemanden, an den sie lieber nicht denken möchte.

»Tschüss dann«, sagt sie, rührt sich aber nicht vom Fleck.

Er kommt ein Stück näher. »Tschüss.«

»Warum«, flüstert sie, »muss der Austausch von Körperflüssigkeiten immer etwas Heiliges sein? Einander die heftigen, dunklen Sachen zu erzählen, einander hier reinzulassen …« Sie tippt sich an die Schläfe. »Das ist heilig. Da darf nicht jeder rein.«

Sie starren einander an und lauschen den Geräuschen der Hauptstraße.

Er neigt sich vor zu ihr, langsam, damit sie Zeit hat zurückzuweichen. Sie weicht nicht zurück. Ihre Münder passen zusammen, ihr Speichel vermischt sich, und Zelda spürt ein Fleckchen spröder Haut auf Wills Lippe. Es scheuert an ihrer Lippe. Allmählich entspannt sich ihr Körper.

»Siehst du«, flüstert sie, »man kann auch einfach mal leben. Wenn man nur ein bisschen weniger steif …« Ihre Hand wandert abwärts und übernimmt abermals die Kontrolle. »Hallo … was rede ich denn da!«

Er lacht in ihr Ohr, aber sein Atem stockt. Sie kann seine Unsicherheit spüren.

»Wenn wir jetzt doch … Telefonieren wir morgen dann trotzdem?« Ihre Nasenspitzen berühren sich.

Zelda schließt die Augen. »Na klar.«

Und dann lässt er zu, dass sie ihn vögelt. Oder er sie. Ganz klar ist es nicht. Ihre Hände sind im dunklen Leuchten nicht zu erkennen, doch wenn ihre Blicke sich begegnen, wenn einer von ihnen zusieht, wie sich das Gesicht des anderen verzerrt, ist da Klarheit, und ohne die Eile, die Männer mit Zelda sonst an den Tag legen, unterbricht er den Rhythmus immer wieder, um innezuhalten, um sie zu küssen und ihr Gesicht zu halten. Die Luft ist angefüllt mit ihren Mündern und Kehlen, mit dem gelegentlichen Geräusch von der Straße, als sie sich in der schmutzigen Gasse abseits der Hauptstraße einen Moment Zeit für sich nehmen.

Er begleitet sie zum Taxi, hält ihre Hand und ist stolz, sie neben sich zu wissen. Zelda versucht, sich von ihm loszumachen, aber er verstärkt den Griff um ihre Hand.

Als er sie nach ihrer Telefonnummer fragt, bringt Zelda es nicht übers Herz, sie ihm zu verweigern. Sie diktiert ihm die Nummer, die sie immer hergibt, die mit der falschen Ziffer am Ende. Er wird sie ohnehin nicht anrufen, sie rufen nie an, nicht nachdem sie in die Vollen gegangen ist.

Doch dann presst er sich das Handy ans Ohr und lässt sie nicht aus den Augen.

»Was soll das?«, fragt sie panisch.

»Ich rufe dich gerade an.«

»Ich hab auf Lautlos gestellt.«

»Dann geh eben ran«, sagt er seelenruhig.

Mit einem Bein im Taxi erstarrt sie und weiß nicht, was sie tun soll.

»Hallo?« Er sieht sie noch immer unverwandt an. »Ist da Zelda?« Pause. »Entschuldigung, da hab ich mich verwählt.« Er legt auf.

»Oh«, sagt sie, »das ist ja komisch, lass mal sehen.« Sie reckt den Hals, um einen Blick auf sein Display zu werfen. »Die letzte Ziffer ist falsch. Fünf statt drei. Da hast du dich verhört.«

Er versucht es wieder, diesmal mit einem Lächeln. »Guck auf dein Handy«, sagt er gespielt streng.

Sie durchwühlt ihre Tasche, kramt ihr Handy heraus und winkt damit in seine Richtung. »Hallo? Ja, Zelda hier. Kannst du sie jetzt bitte gehen lassen?«

Mit einem Nicken packt Will sein Handy weg. »Schon besser.«

»Sturer Mistkerl.«

»Meine beste Eigenschaft.«

»Ich muss jetzt wirklich los.« Trotzdem rührt sie sich nicht von der Stelle.

»Die sexuelle Kompatibilität wäre also geklärt.« Will beugt sich vor und gibt ihr einen Abschiedskuss. »Dann freue ich mich jetzt auf unsere Gespräche.« Er tippt ihr an die Schläfe. »Und darauf, da reingelassen zu werden.«

Zelda wacht in ihrem zerwühlten Bett auf. Im Taxi war sie schlagartig erschöpft, wäre fast eingeschlafen und hat nur mit letzter Kraft bezahlen und aussteigen können. Sie weiß nicht mal mehr, wie sie es durch die Tür geschafft hat, aber sie ist zu Hause, trägt jedoch immer noch die Kleidung vom Vorabend. Auf ihrem zerknitterten Kleid sind die Spuren der Gasse noch zu erkennen. Sie streicht leicht darüber.

Nach einer Weile greift sie zu ihrem Handy auf dem Fußboden. Ein verpasster Anruf von einer unbekannten Nummer und eine Nachricht auf ihrer Mailbox. Sie schirmt die Augen gegen die Sonne ab, als sie die Nachricht aufruft.

»Hey. Wollte nur sichergehen, dass du gut heimgekommen bist. Der Fahrer sah nicht nach Verbrecher aus, aber man weiß ja nie. Egal – schreib oder ruf an … Sag Bescheid, dass es dir gut geht. Das war … äh … ein echt schöner Abend, Zelda. Ich hab zwar so eine Ahnung, dass ich mich jetzt gerade irgendwie rarmachen sollte, aber … na ja. Solche Spielchen liegen mir nicht. Ruf an, ja?«

Stirnrunzelnd starrt Zelda ihr Handy an.

Sie ruft die Nachricht erneut ab und fühlt sich beim Gedanken an ihn merkwürdig beschwingt. Will in ihrem Bett. Sie beide, wie sie im See baden gehen. Wie sie einander auf Reisen in einem Café feierlich zuprosten. Wie sie nebeneinander auf dem Sofa sitzen, in Schlafanzügen, und sich einen Film ansehen. Wie er am Herd steht. Sein Gesicht, das sie beim Aufwachen vor sich sieht.

Sie löscht die Nachricht.

Er hat recht. Er hätte sich rarmachen sollen.