Sitzgruppe

Jen

»Sie sind jetzt da.«

Jen sitzt auf der Bettkante und hat die Füße halb in ihre Hausschuhe geschoben. Sie sieht zu, wie Pete an der Stirnseite des Zimmers auf und ab geht. »Warum bist du überhaupt ans Telefon gegangen?«

»Ich dachte, Steven will über das Spiel reden. Wir hatten drei zu null gewonnen. Wie hätte ich denn ahnen sollen, dass es um etwas anderes geht?«

Jen starrt zu Boden, wo sich Staubmäuse tummeln. Es ist jetzt drei Wochen her, dass sie fast gestorben wäre, und Pete hat den Staubsauger nicht angerührt. »Tja. Ich will sie nicht treffen.«

»Ein bisschen spät dafür. Sie sitzen schon im Wohnzimmer.«

Vor dem Fenster recken die Bäume sich in den konturlos grauen Himmel. Es ist Anfang März, und eigentlich müssten die Blätter sprießen, doch Jen kneift die Augen zusammen, damit die Äste kahl bleiben. Sie kann den Anblick neuen Lebens nicht ertragen.

»Ich habe sie nicht eingeladen«, sagt sie.

»Na ja, sie sind aber deinetwegen hier. Und ich kann sie doch nicht wieder rauswerfen. Sie haben ihren Samstag geopfert, um herzukommen und …«

»Wie überaus freundlich.«

Pete bleibt stehen. Sein schlaksiger Schatten erstreckt sich über die gesamte Höhe der Wand mit der Neunzigerjahre-Tapete. »Sei nicht so.«

»Verteidigst du sie jetzt auch noch?«

»Wenn du sie nicht hättest treffen wollen, hättest du mir das sagen müssen.«

Jen schließt die Augen. Sie will Dunkelheit. »Wann hast du mich denn gefragt? Du hast sie eingeladen, und jetzt schickst du sie auch wieder weg.«

Pete setzt sich neben sie. Nimmt ihre Hand. Jen ahnt, dass er es gleich anders probieren wird, und sie will sich nur noch von ihm losreißen und nach ihm schlagen.

»Hör mal.« Er streicht ihr übers Handgelenk, als wäre sie ein kleines Kind. »Denk an all die Karten und an das Essen, das die Schwestern vorbeigebracht haben. Wir haben ihre Liebe verspürt, oder nicht? Nur deshalb sind sie hier, um uns ihrer Liebe zu versichern.«

Jen mustert ihn. Bleich sieht er aus, schmal, und sie ahnt, dass er kein Auge zugetan hat. Doch sie ahnt auch, dass seine Rastlosigkeit nicht ihrem Sohn gilt. Es ist die Angst vor den Folgen, die Angst davor, was bei dem Gespräch im Wohnzimmer herauskommen könnte, während sie auf der ausgebleichten Sitzgruppe Kekse und Tee herumreichen und auf Vergebung hoffen.

»Pete«, sagt sie, »sie sind zu dritt. Du weißt, was das heißt.«

Er sieht verängstigt aus. »Aber woher sollten sie es wissen? Nein, nein, das ist unmöglich.«

Diesmal ist es Jen, die nach seiner Hand greift. »Denk doch mal nach. Zu dritt. «

Er beugt sich vor und stützt den Kopf in die Hände. »Also … dann … Kannst du nicht einfach sagen, dass du es bereust?«

Sie erhascht einen Blick auf ihr Spiegelbild. Sie ist in den vergangenen Wochen um Jahre gealtert. Sie sieht fahl aus, ihr Teint geht ins Aschblond ihrer Haare über. Sie muss sich die Wimpern tuschen, bevor sie ihnen entgegentritt. Und Rouge auflegen.

»Wir haben das doch schon besprochen.« Ihre Stimme ist tonlos.

»Aber verstehst du nicht, wie einfach es wäre? Sag, dass du es bereust. Das ist auch schon alles. Du wünschst dir, du hättest nicht zugestimmt – und damit hat sich die Sache.«

»Aber ich bereue es nicht«, entgegnet sie leise.

Pete dreht sich zu ihr um. »Irgendein kleiner Teil von dir wünscht sich doch bestimmt, es wäre nicht so weit gekommen? Konzentrier dich darauf, auf dieses kleine bisschen Reue.«

Jen starrt einen Schimmelfleck in der Ecke an, über dem sich die Tapete gelöst hat. Seit Jahren liegt sie Pete in den Ohren, dass er hier renovieren soll. Sie hat sogar vier Rollen Tapeten besorgt und sie neben dem Kleiderschrank bereitgestellt. Doch an den Wochenenden waren sie immer damit beschäftigt, das Ende der Welt zu verkünden, und ein gemietetes Haus zu renovieren schien so dringlich nicht zu sein. Jetzt, Jahre später, sieht es hier noch immer abgewohnt und vernachlässigt aus. Die Tapetenrollen stehen nach wie vor in der Ecke, nur dass das Muster aus der Mode gekommen ist.

»Es wäre gelogen«, sagt sie. »Verlangst du von mir, dass ich lüge?«

»Verdammt noch mal, Jen.« Pete springt auf. »Sag es einfach! Bloß diese drei Wörter! Ein Klaps auf die Hand, und alles ist gut. Wen interessiert schon, dass es nicht die ganze Wahrheit ist? Um Vergebung kannst du dann immer noch beten. Du ruinierst hier auch mein Leben.«

Jen hat Pete noch nie fluchen hören, und seltsamerweise erschüttert es sie nicht, aber es bestätigt auch, was sie tief im Innern immer gewusst hat. »Dein Leben?«

Wie erwartet haben sie auf der Sitzgruppe Platz genommen. Drei Männer in Anzügen, alle unterschiedlich alt, vom mittleren bis ins fortgeschrittene Alter, alle mit gleich blasser Haut, mit hohem Haaransatz, mit einer grauen Bibel auf dem Schoß. Sie kauern auf der Polsterkante, als wäre dies nur eine Stippvisite, oder als wären sie gekommen, um eine schlechte Nachricht zu überbringen.

»Jen.« Bruder Bill Norris steht auf und gibt ihr zu verstehen, dass sie seinen Platz nehmen soll. Er geht zur anderen Seite des Couchtisches hinüber, wo Pete zwei Esszimmerstühle bereitgestellt hat, die den Kreis schließen.

Jen lässt sich aufs Sofa fallen und kontrolliert ihre Kleidung, damit sie weder zu eng noch zu locker sitzt. Mit einem Mal fühlt sie sich zu nachlässig gekleidet und fremd in ihrem eigenen Zuhause. Bruder Steven Forge sitzt zurückgelehnt und mit ausgestreckten Beinen rechts von ihr. Er hat sein Tausend-Watt-Lächeln angeknipst und legt ihr die Hand auf die Schulter. Am liebsten würde Jen ihm die Finger abbeißen und sie auf den Teppich spucken.

»Wie geht es dir, Jen?«, fragt er sanft.

»Gut«, antwortet sie, genau wie schon die ganze Woche. Die Milch, die durch ihre Kleidung sickert, statt getrunken zu werden, erwähnt sie ebenso wenig wie die gekühlten Kohlblätter in ihrem BH , die die Schmerzen lindern. Und ihr Herz? Fault vor sich hin. Dafür gibt es kein Gemüse.

»Du siehst gut aus«, stellt Bruder Norris fest und stupst Pete an. »Ihre Wangen … sind rosig. Ich hoffe sehr, dass er dich gut umsorgt!«

Jen starrt auf den Boden unter dem Couchtisch. Noch mehr Staub. Ist das dein Ernst?, denkt sie. Er wusste genau, dass sie kommen würden, trotzdem hat er keinen Finger gerührt. Ihre Ohren glühen, als sie sich vorstellt, wie sie daheim ihren Frauen erzählen, wie es hier ausgesehen hat. »Tut mir leid«, sagt sie und rutscht ein Stück nach vorn, »ich mache euch Tee.«

»Ich setze Wasser auf.« Pete springt auf und will Zuvorkommenheit demonstrieren. »Milch? Zucker?«

Während sie auf seine Rückkehr warten, fragen die Brüder, ob Jen das Essen geschmeckt hat, das ihre Frauen vorbeigebracht haben. Isobels Chili sei ausgezeichnet gewesen, antwortet sie an Steven gewandt. Wirklich, danke für alles. Ja, man sieht ihnen an, dass ihre Frauen hervorragende Köchinnen sind. Wenn eine von ihnen ihr bitte noch ihr Baby herzaubern könnte, weil dies das Einzige ist, wonach ihr noch der Sinn steht. Alles andere schmeckt nach Morast. Und jetzt verlasst bitte das Haus.

Nur einige wenige dieser Gedanken spricht sie laut aus.

Pete kommt mit Tee und mit einer angebrochenen Kekspackung zurück. Mit dem Blick will Jen ihn dazu bringen, die Kekse auf einen Teller zu legen, ehe er sie herumreicht, doch er hat nur Augen für die drei Männer.

»Wir wissen es wirklich zu schätzen, dass ihr euch die Zeit für einen Besuch genommen habt«, sagt er und setzt sich wieder.

»Aber natürlich, Pete.« Bruder Norris nimmt sich einen Keks. »Darum geht es doch in unserer Gemeinschaft – denen zu helfen, die Hilfe …«

Links von Jen schießt eine Hand in die Höhe – Bruder Connell, der in dem Sessel Platz genommen hat. »Vielleicht sollten wir mit einem Gebet beginnen?«

Bruder Norris schluckt eilig und beugt sich vor, um seine Teetasse abzustellen. Er räuspert sich gedämpft. »Entschuldige, Les. Da konnte ich wohl nicht an mich halten.«

Bruder Connell dreht sich zu Jen um und tätschelt ihr die Hand. Seine andere Hand – runzlig und haarig – liegt locker auf der ledergebundenen Bibel. »Es ist sicher eine gute Idee, für diese Angelegenheit erst um den Segen Gottes zu bitten.«

Jen will instinktiv die Hand zurückziehen, doch sie hat gelernt, sich ihren Instinkten zu widersetzen. Sie zählt die Sekunden, bis er sie loslässt. Dann neigt er den Kopf.

»Himmlischer Vater, in dieser schweren Zeit für Pete und Jennifer stehen wir als deine Diener vor dir …«

Jen hat Leslie Connell noch nie leiden können. Gewisse Brüder hören sich gern reden, und als Koordinator der Ältestenschaft redet er am lautesten. Seine Gebete nehmen kein Ende. Erst jetzt, da er in ihrem Wohnzimmer um Gottes Segen bittet, bemerkt Jen seinen Siegelring am kleinen Finger. Diese Prise Weiblichkeit – sie muss sich das Lachen verkneifen.

Endlich ist das Gebet zu Ende, und die Männer tunken Kekse in ihren Tee. Jen sieht auf die Uhr. Die Kohlblätter werden warm auf der Haut, und sie haben die Bibel noch nicht mal aufgeschlagen.

Zu guter Letzt beugt Bruder Connell sich vor. »Uns ist zugetragen worden, dass es im Krankenhaus zu einer … Blutung kam … dass du … viel Blut verloren hast … Stimmt das?«

Jen schluckt und sieht zu Pete. Über Jacob wissen alle Bescheid, aber den Rest haben sie für sich behalten wollen.

»Woher weißt du das?«

Bruder Connell lächelt sie an. »Stimmt es?«

Pete rutscht auf seinem Stuhl herum.

»Bevor ich irgendetwas dazu sage« – ich will einen Anwalt  – , »wäre ich sehr daran interessiert zu erfahren, wer so etwas erzählt.«

Bruder Norris lacht gutmütig. »Alles ist gut, Jen. Wir wollen nur erst die Fakten klären.«

»Ich auch«, sagt sie so süßlich, wie sie nur kann. »Du hast nicht zufällig mit Schwester Boyd gesprochen?«

Die Brüder sehen zu Les Connell, der Jen interessiert mustert. Wahrscheinlich geht ihm soeben auf, dass er diese zierliche, zurückhaltende Schwester in ihren vernünftigen Schuhen unterschätzt hat.

»Schwester Boyd ist Hebamme hier im Krankenhaus?« Er formuliert es als Frage. Dabei lässt er sie nicht aus den Augen.

»Unterliegen Hebammen nicht der ärztlichen Schweigepflicht?«

»Jen«, mischt Steven sich ein, »es gibt keinen Grund, misstrauisch zu werden. Die Schrift besagt, dass wir Ältesten auf die ganze Herde achtgeben sollen, und nichts anderes wollen wir. Wir wollen dir und Pete Trost spenden.«

»Ihr seid beide geschätzte Freunde und Mitglieder unserer Gemeinde«, sagt Bruder Norris. »Helft uns dabei, euch zu helfen.«

Pete schlägt die Hände vors Gesicht. Er stößt einen langen Seufzer aus, als würden sie gerade ihn verhören und nicht Jen. »Vielleicht sollten wir ihnen die Wahrheit sagen.«

Jen muss fast lachen. Sie schiebt sich die Hände unter die Oberschenkel, damit sie ihnen nicht den heißen Tee ins Gesicht schleudert. War nicht sie diejenige, der das zugestoßen ist? War nicht sie diejenige, die fast gestorben wäre? Wie kommt es da, dass alle anderen hier etwas entscheiden wollen?

»Ich hatte eine Nachgeburtsblutung«, sagt sie dann, »direkt nachdem ich mein totes Kind zur Welt gebracht hatte.«

Bill Norris sieht weg, und Jen fällt wieder ein, dass er und Toni vor rund zehn Jahren ebenfalls ein Kind verloren haben. Dann weißt du ja, wie es sich anfühlt, denkt sie. Oder zumindest Toni weiß es.

»Das muss ungeheuer schwer gewesen sein«, sagt Steven zu Pete.

»Hast du eine Bluttransfusion erhalten?«, will Bruder Connell wissen.

Es wird grabesstill.

»Ja«, antwortet Jen. »Ich hatte viel Blut verloren. Ich kann mich an nichts erinnern – außer dass sie mir Jacob weggenommen haben. Pete sagt, dass ich im Schockraum gelandet bin und sie mir dort eine Transfusion verabreicht haben.«

Die Brüder drehen sich zu Pete um. Er sitzt mit verschränkten Armen da, seine Knie stoßen gegen den Couchtisch. Jetzt ist er an der Reihe.

»Sie haben mich nicht mit reingelassen.« Ihm versagt die Stimme. »Ich hab ihnen noch gesagt, kein Blut , dass wir Jünger sind, aber sie meinten, ohne würde sie nicht überleben, und da … hab ich nicht widersprochen.« Sein Gesicht glüht. »Es tut mir leid! Alles war so hektisch, und ich … ich …« Er schluchzt fast, und Bruder Norris legt ihm eine Hand auf die Schulter.

Dir tut es leid, denkt sich Jen. Dir tut leid, dass du mir das Leben gerettet hast. Sie starrt diesen bebenden Mann an, sieht, wie ihm Tränen über die Wangen laufen. Ein Fremder würde das wohl romantisch finden, schießt es ihr durch den Kopf. Wie sehr er sie lieben muss, würde derjenige denken. Jen beißt sich auf die Lippe, um nicht zu grinsen. Inmitten dieser gefährlichen, beängstigenden Runde will ihr Körper einfach nur lachen.

»Dass das Krankenhaus Jens Wünschen zuwiderhandelt, wundert mich sehr«, sagt Steven. »In Jens Patientenverfügung hätte doch stehen müssen: KEINE TRANSFUSION . Deshalb hat es auch gar keine Rolle gespielt, was du zu ihnen gesagt hast, Pete. Sie dürfen nicht gegen den Wunsch eines Patienten aktiv werden.«

Petes Blick flackert in ihre Richtung, und Jen fühlt sich an ihre Hochzeitsreise erinnert. Daran, wie sie es anfangs wirklich versucht hatten. Sie wendet sich ab.

»Das hängt natürlich davon ab«, wirft Bruder Connell ein, »ob Jen ihnen vorab die Patientenverfügung vorgelegt hat.«

Sie fühlt sich nackt unter ihren Blicken.

»Hab ich nicht«, sagt sie nach einer Weile.

»Ist sie nicht angekommen?« Steven kratzt sich am Kopf. »Ich bin mir sicher, dass ich das ganze Paket angefordert habe, sobald du erfahren hattest, dass du in anderen Umständen warst. Sämtliche relevanten Unterlagen.«

»Nein, nein, sie ist angekommen. Ich hab nur beschlossen, sie nicht vorzulegen.« Die Wahrheit rauscht aus ihr heraus wie das Blut, das sie verloren hat.

Diesmal bleibt es länger still. Nur das Maunzen der Katze an der Tür ist zu hören. Niemand rührt sich.

»Aber … warum, Jen?«, fragt Bruder Norris.

»Ich finde es einfach nicht richtig, Bluttransfusionen abzulehnen.« Der Aufruhr schmeckt seltsam auf ihrer frommen, unterwürfigen Zunge.

Steven räuspert sich. »Aber die Schrift gebietet eindeutig, sich dem Blut zu enthalten. ›Wer es isst, wird entfernt werden.‹«

»Ich habe kein Blut gegessen.«

»Jen, es ist in deinen Körper gelangt!«

Hör auf, mich ständig beim Namen zu nennen! »Das ist nicht dasselbe. Der Schrift zufolge ist nur das Essen von Blut untersagt.« Sie bewegt sich auf dünnem Eis. Unter ihr tun sich Risse auf, und sie kann nicht hinsehen.

Bruder Connell ergreift das Wort. »Natürlich kann die Bibel Bluttransfusionen nicht verbieten, weil es noch keine gab, als die Bücher geschrieben wurden. Aber der zugrunde liegende Gedanke besagt unmissverständlich, dass wir uns dem Blut enthalten sollen.«

»Gäbe es ein komplettes Verbot, dann dürfte ein Baby doch auch nicht gestillt werden, weil in der Muttermilch die weißen Blutkörperchen der Mutter enthalten sind. Und wenn wir uns buchstäblich allem enthalten sollten, was mit Blut zu tun hat, dürften wir auch nicht zulassen, dass es uns für Blutproben entnommen wird. Aber das erlauben wir auch.«

»Jen«, sagt Bruder Connell, »hast du Informationen von außerhalb der Gemeinschaft gelesen?«

Petes Blick brennt förmlich durch sie hindurch, als sie antwortet: »Ich kann durchaus selbst denken.«

Die Stille wiegt schwer, als die Männer einander stirnrunzelnd ansehen.

»Wenn es um Leben und Tod geht, dann muss die Schrift unmissverständlich sein. Schwarz oder weiß. Da darf es keinen Raum für Zweifel geben.« Sie holt tief Luft, als ihr dämmert, was sie gerade gesagt hat. »Aber die Schrift ist nicht schwarz-weiß, deshalb muss es eine persönliche Entscheidung bleiben.«

Ein Kummerjaulen der Katze.

Jen zieht die Ellenbogen in Richtung Taille, als erneut Milch einschießt. Ihr Körper foltert sie mit Leben, obwohl sie nur den Tod geboren hat. Ihre Brüste sind Steinbrocken, die sie nach unten ziehen. Sie will die Arme darum schlingen. Sie will in tiefen Schlaf versinken.

Bruder Norris streckt sich über den Tisch hinweg aus und nimmt ihre Hand. Sie weiß, dass seine Tränen echt sind.

»Jen«, sagt er mit brüchiger Stimme, »wir sind für dich da. Halt an deinem Glauben an die Wiederkunft fest, wenn unser himmlischer Vater dir deinen Jungen zurückbringt. Es dauert nicht mehr lange.«

Jen schließt die Augen. An die Wiederkunft glaubt sie mehr als an alles andere – sie ist der Grund, warum sie weitermacht. »Wenn ich jetzt sagen würde, dass ich es bereue, wäre dies hier zu Ende. Aber es wäre eine Lüge. Und eine Lüge würde bedeuten, dass ich keine Hoffnung mehr hätte, Jacob wiederzusehen.«

»Dann bereust du es nicht?«, hakt Pete nach.

Sie blickt zu ihm auf, wie er dort hinter dem Couchtisch sitzt, den sie sich nach ihrer Hochzeit gekauft haben. Pete ist hundert Meilen von ihr entfernt.

»Wenn Blut ein Symbol für das Leben ist – wie kann das Symbol wichtiger sein als das, wofür es steht?« Wenn sie die anderen ansieht, muss sie schluchzen. »Ich bin froh, dass ich am Leben bin. Ganz ehrlich? Ich bin überrascht, dass ihr alle findet, ich hätte sterben sollen.«

Stille. Selbst die Katze hat sich verzogen.

Bruder Connell legt seine Bibel beiseite und die Fingerspitzen an die geschürzten Lippen. »Du weißt, was das bedeutet? Was als Nächstes passiert?«

Die anderen stehen am Strand, während sie ins offene Meer hinaustreibt.