Kreppseide

Zelda

Kaum dass Zelda zu ihrem Nähzeug gegriffen hat, vibriert ihr Handy. Erst ignoriert sie es, hält den Kopf über den Stoff gesenkt. Seit sechs Wochen arbeitet sie an dieser Jacke und ist kurz davor, fertig zu werden. Das pinkfarbene Leinen fühlt sich kühl an, als sie die Nadel in das Gewebe schiebt. Diesmal hat sie sich für ein Muster mit großen Sonnen entschieden – oder Augen, je nachdem, Kreise aus goldgelber Kreppseide, von einem roten Faden umsäumt. Sie blenden – oder hypnotisieren – , wenn man zu lange hinsieht.

Dies hier ist ihr Happy Place: der Sonnenfleck auf ihrem Bett, die Rosen draußen vor dem Bullaugenfenster und etwas, was durch ihr Talent zum Leben erwacht. Das hier hat nicht existiert, bis ich es kreiert habe, denkt sie. Der Stoff wäre immer noch nicht zugeschnitten, der Faden einsam auf der Spule, die Sonnen im Dunkel ihrer Vorstellungskraft verwahrt. Sie hat Jahre der Übung gebraucht, um so gut zu werden. All die Stoffstücke, die sie anfangs bestickt hat, als die Nadel ihren Fingern noch fremd war – keines davon war verschwendet, jedes erinnert sie daran, dass das Leben alles falsch macht, bis es mit einem Mal alles richtig macht.

Das Handy sirrt fünfmal hintereinander, und Zelda weiß, ohne hinzusehen, wer es ist. Der Jüngste in der Reihe kann keine komplette Nachricht schreiben, ehe er auf Senden drückt, Bewusstseinsstrom ist eher sein Ding, und so hört ihr Handy niemals auf zu vibrieren. Zelda weiß, dass das bloß ein Trick ist, seine Visitenkarte, seine Art, auf sich aufmerksam zu machen. Und es funktioniert.

Sie nimmt ihr Handy zur Hand. Hey, Sexy! Ganz schön heiß da draußen. Schick etwas, damit ich an dich denken kann. Sie setzt sich wieder aufs Bett und seufzt. Sie ist mit der Jacke fast fertig, muss wirklich nur noch die pinkfarbenen Teile vernähen.

Sie zieht ihr Oberteil hoch und ruft die Kamera auf.

Die besten Winkel gehen ihr inzwischen ganz natürlich von der Hand. Auch die hat sie üben müssen und unvorteilhafte Posen und schlechtes Licht in den Papierkorb befördert. Sie breitet ihr Haar über dem Kissen aus und dreht sich so herum, dass ihr fast alles aus dem BH fällt. Ein Finger an die Zähne. Klick, klick, klick. Sie scrollt durch die Aufnahmen und öffnet die beste in einer weiteren App, in der sie ihre Haut glättet und retuschiert. Adieu, ihr Sommersprossen. Müssen noch mehr weg? Ein paar Klicks, all ihre Makel sind ausgemerzt und die Vorzüge noch viel vorzüglicher. Senden.

Sekunden später: Verdammt, JA . Und dann die üblichen Wichskommentare.

Sie hat ihn immer noch nicht getroffen. Ein Swipe, ein Chat, ein paar ausgetauschte Fotos. Wichtig sind sie ihr eigentlich nicht. Mit ihren Tattoos und den glatten, gewachsten Körpern sehen sie doch alle gleich aus. Aber die Vorstellung, dass sie sie begehren, dass sie für einen Augenblick aufmerksam sein und tippen müssen … Das ist die Macht, die sie über die Männer hat.

Will hat seit ihrem Date zweimal angerufen. Beim ersten Mal, als das Handy klingelte, hat sie bloß seinen Namen und das Spiegelbild ihres eigenen entsetzten Gesichts angestarrt. Die Mailbox sprang an. Beim zweiten Versuch hinterließ er eine Nachricht.

Hey. Du hast doch gesagt, du würdest anrufen … Ich will nicht rumsitzen wie ein armer Wicht und warten, insofern versteh das hier als Annäherungsversuch. Wir hatten doch einen netten Abend, oder? Zelda, ich krieg dich nicht mehr aus dem Kopf.

Sie hat nicht zurückgerufen, aber die Nachricht gespeichert, und hier und da hört sie sie abends in Dauerschleife ab. Es hat ihr gefallen, als er ihr Gesicht mit beiden Händen festgehalten hat. Aber was will er denn noch? Seinen Rasierer in ihrem Badezimmer, geteilte Rechnungen, um Mitternacht ihre Haut küssen?

Manche Dinge sind nicht zu reparieren.