Orangenblüten

Zelda

Kaum dass sie um die Kurve fährt, entdeckt Zelda Jen, die an einem Mäuerchen in sich zusammengesackt ist. Es ist halb elf, viel zu früh für Schnapsleichen, aber da kauert sie und bekommt nicht einmal mehr mit, wie die Leute auf sie zeigen und lachen. Zelda hält an, schaltet den Warnblinker ein und steigt aus, um ihrer Freundin zu Hilfe zu kommen.

Jen rutscht zur Seite. Ihr Kopf ruht an der Backsteinmauer. Zelda vergewissert sich, dass sie ihr Handy in der Tasche hat, und legt sich Jens Arm über die Schultern.

»Lssmch«, stöhnt Jen und stemmt die Beine in den Boden.

»Ich bin’s«, sagt Zelda, und Jen reißt die Augen auf.

»Du bist es wirklich. Da bist du ja.«

»Was zur Hölle ist hier los?«

»Ich hab dich vermisst, Alice.«

Zelda bugsiert Jen in Richtung Straße, wo sich hinter ihrem Volvo bereits der Verkehr staut. Einem Mann, der sie durchs Autofenster anblafft, zeigt sie den Mittelfinger, und als Jen endlich sitzt, rennt sie hinüber zur Fahrerseite und wirft den Wartenden noch ein Küsschen zu.

»Wow, hier stinkt’s nach Hund«, stellt Jen fest und lehnt sich gegen die Beifahrertür.

Zelda schnuppert. »Kein bisschen.«

»Hat schon immer nach Hund gerochen. Ich hab’s nur nie gesagt.«

»Also, ich weiß nicht, ob ich die betrunkene Jen leiden kann.« Sie kurbelt das Fenster runter und riecht dann an ihrem Ärmel. »Moment. Bin ich das vielleicht?«

Triefäugig wuchtet sich Jen zu ihr herum und atmet theatralisch ein. »Du riechst nach Zitrus … und Hund.«

»Halt die Klappe.«

»Ich meinte … nach einem niedlichen Pudel. Nicht nach Schäferhund oder nach diesen sabbernden … wie heißen die … die großen, sabbernden Dinger. Wie Beethoven. «

»Bernhardiner.«

»Genau!« Jen klatscht in die Hände. »Also, so riechst du nicht.«

»Können wir mal darüber reden, warum du mitten in der Stadt zusammengeklappt bist? Und wo genau sind deine Freunde

Jen lehnt den Kopf ans Fenster. »Du riechst nicht nach Hund. Du riechst wunderbar. Wie Orangenblüten an einem heißen Tag. Hab ich dir das schon mal gesagt?«

Zelda sieht sie von der Seite an. »Hast du dir den Kopf angeschlagen?«

Jen denkt immer noch verlangsamt, trotzdem kann sie jetzt, da sie neben Zelda sitzt, die Wärme durch sich hindurchströmen fühlen. Seit Wochen sind sie sich nicht mehr begegnet, aber an der Hitze hat sich nichts geändert.

»Sag Bescheid, wenn dir schlecht wird«, sagt Zelda. »Ich will nicht, dass mein Auto zu allem Übel auch noch nach Kotze riecht.«

Sie starrt hinaus in die nicht enden wollende Dunkelheit. Sie lassen die Stadt hinter sich. Dann spürt sie Jens Blick auf sich. »Ist dir schlecht?«

»Du weißt, dass ich dich liebe, oder?«

Zelda antwortet nicht sofort. Dann: »Ja, ich weiß.«

»Nein, ich meine – liebe. Wie niemanden sonst auf der Welt.«

»Jetzt werde mal nicht schwülstig.«

»Es ist, als wäre … der Deckel die ganze Zeit zugedreht gewesen. Als hätte jemand versucht, ihn aufzudrehen, aber es hat nicht funktioniert. Tja, und jetzt ist er durch den Alkohol aufgegangen. Er ist ab, und jetzt kann man in das Glas gucken. Weil ich das Glas bin … Das Glas bin ich. Ich bin ein Marmeladenglas voller Gefühle.«

»Sicher, dass du nicht auch high bist?«

Sie nähern sich Zeldas Haus. Als Jen wimmert, ihr sei schlecht, befielt Zelda ihr, das Fenster aufzumachen. Sie stellt Musik an, und ein Neunziger-Popsong dröhnt durch den Wagen.

»Weltklasse«, sagt sie und dreht die Lautstärke hoch. »Weißt du noch? Als wir Combat-Stiefel getragen haben und ich ein Tattoo auf der Titte wollte?«

Jen antwortet nicht. Sie lehnt den Kopf an und hält den Blick starr auf die Straße gerichtet.

Als sie aussteigen, hakt Zelda Jen bei sich unter. In ihrem Elternhaus brennt Licht in der Küche, und Zelda späht durch die offenen Vorhänge zum Esstisch. Er sieht immer noch aus wie eh und je. Doch dann taucht eine Silhouette im Fenster auf. Zelda schirmt Jens Gesicht mit der Hand ab, und die Vorhänge gehen sofort zu.

Irgendwann haben sie es den Pfad entlang geschafft. Sobald Zelda sie loslässt, taumelt Jen von ihr weg und kotzt in das Blumenbeet vor der Tür.

Sie ächzt. »Auch noch über deinen schönen Rosen.«

»Ach, das geht als Dünger durch. Du hast schon die ganze Zeit nur Mist rausgelassen.«

Jen verzieht das Gesicht. »Nicht … kann nicht lachen … tut weh …« Sie taumelt zurück und versucht, an sich hinabzublicken. »Ach du Schande …«

»Komm her, ich halte dich.« Zelda packt sie am Arm und führt sie ins Haus, wo der Ofen für angenehme Wärme sorgt. Sie steuern aufs Bad zu, wo Zelda Jen vorsichtig auszieht, während ihre Freundin fast im Stehen einschläft. Sie vergewissert sich, dass die Wassertemperatur stimmt, dann hilft sie Jen in die Wanne und duscht sie ab.

Jen lehnt gegen die geplatzten Fliesen und stöhnt leise, als die Nacht von ihr abgewaschen wird.