Zelda fängt an, das Erbrochene vom Stoff zu schrubben, lässt dann aber die Bürste fallen. Es hat keinen Sinn. Und sie hat ja noch mehr davon. Sie fängt einfach noch mal neu an. Sie lässt den Haufen im Bad liegen und kehrt ins Wohnzimmer zurück, wo Isobel dort, wo sie sie allein gelassen hat, immer noch auf dem Boden kauert.
»Es tut mir leid«, sagt Isobel. Ihre Stimme klingt, als käme sie von weit her, nicht mehr von hier. »Ist es zu retten?«
Zelda wickelt neuen Stoff vom Ballen. »Der Schnitt hätte sowieso nicht funktioniert. Wir versuchen etwas anderes. Etwas Besseres.«
»Es ist nur …« Isobel hebt die Hand an die Wange. »Ich sollte mich wohl entschuldigen.«
Zelda blickt auf.
»Immerhin waren wir ein Fleisch.«
»Und trotzdem wussten Sie es nicht? Dann waren Sie mit einem Fremden verheiratet.«
»Vierunddreißig Jahre lang … War irgendwas davon wahr?« Isobel schüttelt den Kopf. »Jetzt ist mir klar, warum Sie außer Rand und Band waren.«
Zelda kann sich noch gut an das Grauen bei jeder Zusammenkunft erinnern, an den Wunsch, die Ältesten umbringen zu wollen. Ihr deckt ihn, dachte sie sich jedes Mal. Ihr sprecht von Gott als unserer sicheren Zuflucht, nur dass ich mich kein bisschen sicher fühle. »Ich bin jedes Mal aufs Neue gestorben, wenn ich ihn in seinem Anzug und mit seiner Krawatte gesehen habe.«
An Isobel ziehen all die Jahre vorbei, in denen Steven Mädchen in Bikinis begafft hat, die Stunden, die er in der Gemeinde verbracht hat, das Schulterklopfen, die Prasserei – alles ihr Geld. Seine Großzügigkeit hatte mit Liebe nichts zu tun, sondern vielmehr mit Anbiederung. Sie muss ihre Erinnerungen umschreiben.
»Und Sie sind nie zur Polizei gegangen?«
Zelda sieht sie an. »Sie wissen doch selbst, wie das läuft.«
»Mache seinem Namen keine Schande«, rezitiert sie leise.
»Meine Mutter hätte den Ältesten nie widersprochen.«
»Ist das da drüben ihr Haus?«
Zelda nickt und zupft an einem losen Faden.
»Aber wie konnten sie … Er hätte das Gleiche doch auch anderen antun können. Er hätte …« Sie schlägt die Hand vor den Mund. Muss sich an der Tischkante festhalten. »Das kann nicht wahr sein.«
»Es ist aber wahr.«
Isobel sieht Zelda an, allerdings ist sie an einem anderen Ort in einer anderen Zeit. »Ich verstehe das nicht. All das wird gelenkt durch Gottes heiligen Geist. Er würde es nie zulassen, so etwas zu vertuschen. Wenn er ihre Entscheidungen lenkt – wenn Gott da ist – , dann darf so etwas doch nicht passieren? Dieses Vertuschen der Wahrheit …«
»Wenn.«
Ihre Blicke kreuzen sich.
»Gehen Sie zur Polizei«, sagt Isobel streng. Sie weiß genau, was jetzt zu tun ist.
»Und wenn die nichts unternehmen? Ich glaube nicht, dass ich das noch einmal ertragen könnte.«
Isobel schüttelt den Kopf. »Wir zwingen sie, etwas zu unternehmen.«
Zelda schließt die Augen und nickt. Sie spürt, wie Isobel ihre Hand drückt.
Nach einer Weile fangen sie neu an. Zelda drapiert neuen Stoff über Isobel, diesmal etwas lockerer, freier. Als sie nach vorn kommt, sieht sie, dass Isobel nach oben zu dem runden Fenster starrt, wo Licht hereinströmt.
»Ich war mal auf einem Schulausflug in der Tate Britain«, erzählt Isobel, »und habe den Anschluss an die Gruppe verloren. Ich habe eine Weile gesucht, aber am Ende aufgegeben und mir stattdessen die Bilder angesehen. Eines hat mich besonders berührt. Ein kleines Gemälde, darauf ein leeres Zimmer mit Fenster, Schreibpult, einer Handvoll Stühlen. Ein paar Bücher lagen herum – aber es war kein Mensch zu sehen. Ich weiß noch genau, wie ich dachte, was für ein merkwürdiges Motiv. Sehr seltsam. Dann entdeckte ich den Titel des Bildes darunter. Das Zimmer, in dem Shakespeare zur Welt kam. Ich sah wieder das Gemälde an. Es war völlig verändert.«