Ein Ausweg

Jen

Sie hat als Kind unendliche Minuten lang tote Fliegen auf Fensterbrettern angestarrt. Im Haus wurde regelmäßig geputzt, trotzdem waren immer Fliegen da. Jen stellte sich die letzten Momente in deren Leben vor, wie sie auf der Suche nach einem Ausweg mit dem Kopf voran gegen die Scheibe flogen. Und irgendwann damit aufhörten.

Sie sah sich um und betrachtete das Zimmer als das, was es war. Ein Gefängnis. Wie auf dem Bild, das sie mal in einem Buch gesehen hatte – eine Zelle mit Kratzspuren an den Wänden. Sie sah genauer hin, studierte die Fliege, die kugeligen Augen, die hauchdünnen, zarten Flügel.

Es tut mir leid, flüsterte sie. Schuld ist der Maurer, der dieses Zimmer gebaut hat, oder der Architekt oder die Person, die dieses Haus wollte, oder vielleicht auch der Erfinder von Glas, der etwas Durchlässiges entwickelt hat, was in Wahrheit jedoch nicht durchlässig war. Ihr Gehirn suchte weiter und immer weiter zurück in der Zeit, suchte in kindlicher Logik nach jemandem, dem sie die Schuld geben konnte. Ihr war beigebracht worden, dass irgendwo immer ein Schuldiger war.

Die Schuld der Fliege war es jedenfalls nicht. Da war sie sich sicher. Die hatte nicht sterben wollen. Sie begriff einfach nicht, warum die Fliege aufgrund der Handlungen anderer hatte leiden müssen.