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Papst Franziskus hat jüngst mit seinem Schreiben »Evangelii Gaudium«, einer Art Regierungserklärung, die internationale Wirtschaft und Finanzwelt angegriffen: »Diese Wirtschaft tötet.« Sie habe zu einer Globalisierung der Gleichgültigkeit geführt, welche die Armen an den Rand dränge und ausschließe. »Während die Einkommen einiger weniger exponentiell steigen, sind die der Mehrheit immer weiter entfernt vom Wohlstand dieser glücklichen Minderheit. Dieses Ungleichgewicht geht auf Ideologien zurück, die die absolute Autonomie der Märkte und die Finanzspekulation verteidigen.« Er fordert zu einer »neuen Mentalität auf, die in den Begriffen der Gemeinschaft und des Vorrangs aller gegenüber der Aneignung der Güter durch einige wenige denkt. Er fordert zu Solidarität auf, die »die soziale Funktion des Eigentums und die universale Bestimmung der Güter als Wirklichkeiten erkennt, die älter sind als der Privatbesitz«. Sie müssten dem Gemeinwohl dienen. Aber »die Gier nach Macht und Besitz kennt keine Grenzen«. Der Mensch sei aus dem Blickfeld geraten, »das Geld muss dienen und nicht regieren!«. Er »ermahnt zur uneigennützigen Solidarität und zu einer Rückkehr von Wirtschaft und Finanzleben zu einer Ethik zugunsten des Menschen«, nicht nur des Individuums, sondern der Gesellschaften.
Das sind deutliche Worte des geistlichen Oberhaupts einer 1,2-Milliarden-Gemeinschaft. Von einer anderen Seite her, von einer Analyse der Finanzkrise und der europäischen Finanzschwierigkeiten, kommt nun der Autor der vorliegenden Untersuchung zu einer ähnlichen Auffassung. Der Kapitalismus sei zwar weniger sozial zu zähmen, aber man müsse ihm endlich das Wertekorsett zurückgeben, das ihn einmal so erfolgreich gemacht hat. Denn es muss auch Unternehmer und Banker geben, die das Geld erwirtschaften, das wir teilen sollen. Auch Diogenes Rant geht es um die Einbindung des Kapitals in einen größeren Rahmen, er bricht die Solidarität in das konkrete und praktisch realisierbare Prinzip der Gegenseitigkeit herab, ein Prinzip, das wir von den Versicherungen und den Genossenschaftsbanken her kennen. Er weitet es aus auf den überschaubaren und kulturell halbwegs einheitlichen europäischen Rahmen. Zwar sind die Kulturen auch in Europa unterschiedlich. Aber das Wesen der Südländer hat durchaus etwas Sympathisches an sich. Der Mensch ist eben nicht nur zum Arbeiten und zur Geldvermehrung geboren, sondern auch, um das Leben zu genießen. Die Vielfalt der Kulturen ist kein Hindernis, sondern eine enorme Chance und Bereicherung. An unserem Wesen kann die Welt nicht genesen, an dem der anderen allerdings auch nicht. Die Solidarität, das Miteinander freier, selbstständiger Kulturen macht es aus. Dieses Miteinander zu gestalten, ist freilich eine langwierige und mühevolle Aufgabe.
Dem Leser wird auch eine Analyse der Finanzkrise zugemutet, wenngleich in einer plausiblen Weise. Dafür sind wir dem Autor dankbar. Aber mehr noch für seine Verteidigung der Freiheit. Sie erst macht den Kern der Würde des Menschen aus. Aus ihr wächst die solidarische Verantwortung, sie erst garantiert die Gestaltung einer wirtschaftlichen und politischen Entwicklung für die Zukunft. Diese Freiheit ist von ihrem Begriff her nie gesichert. Sie muss sich selbst sichern, indem sie immer wieder gegen Bevormundung aufbegehrt und das Versagen von Entscheidungsträgern offenlegt. Die individuelle Freiheit muss sich in ihrer Verantwortung für das Gemeinwohl selbst die Zügel anlegen und ihre Grenzen erkennen. An der Wurzel der Finanzkrise stand menschliches Versagen, vom Autor aufgefächert in die sieben Todsünden Eitelkeit, Gier, Begehren, Zorn, Maßlosigkeit, Neid und Trägheit. Diese Sünden gefährden sowohl die Manager als auch die Masse der Bevölkerung. Gerade bei den Eliten, den Entscheidern an der Spitze, fehlten die Tugenden der Wahrhaftigkeit, der Ehrlichkeit, der Bescheidenheit und des rechten Maßes, oder schlichtweg Anstand, Selbstachtung und die Achtung gegenüber anderen.
Diogenes Rant schreibt eine Polemik, er ruft zur Empörung auf. Wird er ein einsamer Rufer in der Wüste bleiben? Der Papst ist nicht weniger polemisch, wenn er seine Stimme gegen das gegenwärtige kapitalistische System und gegen die globale Gleichgültigkeit erhebt. In den ersten Jahren der Finanzkrise war oft der Ruf nach einem neuen ethischen Bewusstsein in der Wirtschaft zu hören. Der Ruf verstummte immer mehr. Es läuft längst wieder alles in alten Bahnen. Umso notwendiger sind prophetische Rufer, die uns nicht in eine falsche Ruhe fallen lassen, die uns aus einer falschen Sicherheit herausholen. Mögen andere sich dadurch animiert fühlen, sich ebenfalls zu erheben und sich zu empören. Die römischen Kaiser wussten, wie sie ihr Volk einlullen konnten: panem et circenses – gebt ihnen Brot und Zirkusspiele. Dagegen braucht es den Aufstand. Alle wollen Freiheit; doch dieses Verlangen kann sehr unbequem werden. Freiheit haben wir nie auf Dauer, sie muss stets neu erkämpft werden. Möge der Autor viele Verbündete finden zur Erhaltung der Freiheit für uns alle.
Abtprimas Notker Wolf OSB