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»Ich glaube, dass Banken für unsere Freiheit eine größere Gefahr darstellen als eine stehende Armee.«
Thomas Jefferson
Es gibt einen schönen neuen Begriff aus dem die Finanzwirtschaft immer noch dominierenden englischen Sprachraum, und der lautet: »too big to fail«. Nicht zu verwechseln mit »too fat to fly«.
Was steckt dahinter? Der Begriff wurzelt in der Idee, dass Banken, insbesondere große Banken, eine zu große gesamtwirtschaftliche Bedeutung haben, um sie diesem ultimativen marktwirtschaftlichen Test, der schumpeterschen kreativen Zerstörung, vulgo dem Untergang, der Pleite, dem Bankrott aussetzen zu dürfen. Dabei wird über zwei Schienen argumentiert.
Da ist zum einen der Zahlungsverkehr. Der Zusammenbruch einer Bank führt zu einem Stillstand des Zahlungsverkehrs, und die Politik sieht es als ihre unbedingte und heiligste Aufgabe an, diese Art der finanziellen Kernschmelze zu verhindern. Angeblich tun sich sonst die Tore der Hölle auf.
Mir hat noch keiner erklären können, wie die europäischen Finanzminister angesichts dieses von ihnen selbst in anderem Zusammenhang an die Wand gemalten Schreckensgemäldes der Kampfklasse Hieronymus Bosch sich dazu versteigen konnten, genau das zu tun:
Nämlich als sie im März 2013 quasi per Dekret ihrer als Büttel verhafteten Filiale der EZB auftrugen, auf einer kleinen Mittelmeerinsel den Zahlungsverkehr eines ganzen Landes stillzulegen, damit die Menschen ihre Ersparnisse nicht vor ihrer Begehrlichkeit in Sicherheit bringen konnten.
Tolle Sache, dass Inseln für diese Art von Laborversuchen besonders geeignet sind. Die lassen sich besser isolieren.
Wir schweifen ab, aber Sie werden gespürt haben, dass ich das Kapitel, in dem wir zu diesem Thema im Detail kommen, kaum erwarten kann. Fairerweise muss man sagen, dass es prima facie eine gute Idee ist, den Zahlungsverkehr in einer Volkswirtschaft reibungslos zu gestalten und das auch zu sichern.
Der zweite Aspekt ist der Dominoeffekt, auch bekannt als »systemisches Risiko«. Banken haben extrem große Bilanzen. Über 90 Prozent dieser Bilanzen bestehen aus geliehenem Geld. Geht eine Bank bankrott (ein schöner Begriff aus dem italienischen »banca rotta«, er bedeutet »zerbrochene Bank«), so ist dieses Geld erst einmal perdu, jedenfalls so lange, bis ein Insolvenzverwalter im Wege quotaler Zuteilung nach Deckung der Verluste und Abwicklungskosten es wenigstens in Teilen an die Gläubiger zurückzahlt.
Das kann dauern. Es besteht dann die Gefahr, dass durch die Kreditverknüpfung mit anderen Banken und Unternehmen auch diese in den Abgrund der Zahlungsunfähigkeit gezogen werden, und das kann wiederum ebenfalls weitere Marktteilnehmer ihre Existenz kosten. Eine so ausgelöste Kettenreaktion kann in eine Depression und Finanzkrise noch epochaleren Ausmaßes münden als die, die wir gerade erlebt haben.
So weit, so gut.
Das Misstrauen wächst
Als sich nun die Krise um die hypothekenbesicherten Verbriefungen Ende 2007 und Anfang 2008 global entfaltete, waren es zunächst die Banken untereinander, die flugs einander das Vertrauen entzogen. Einige waren dabei im Vorteil, denn sie wussten besser als andere, welcher Wettbewerber oder Kollege den Giftschrank im Keller voll hatte mit solchen Papieren, die eingängig in der Presse, aber auch im Finanzjargon »Toxic Waste« getauft worden waren. Ein Schelm, wer denkt, dass dieser Informationsvorsprung daraus resultierte, dass es dieselben Banken waren, die den besonders betroffenen anderen Häusern vorher genau diesen Junk verkauft hatten und daher wussten, in welcher Bilanz das Zeug gerade endgelagert wurde.
Am Anfang waren es eher kleine und mittelgroße Banken, die von der Woge erfasst wurden. Die Namen vorher der Öffentlichkeit fast unbekannter Institute schafften es so erstmals in die abendlichen Hauptnachrichten. Sachsen-LB, IKB, Northern Rock und dann der deutsche »Fiskalklopper« Hypo Real Estate, HRE.
Befeuert wurde das Misstrauen der Banken untereinander durch die späte, dafür aber umso konsequentere Reaktion der Ratingagenturen auf den Kollaps des Verbriefungsmarktes. Die Ratingagenturen hatten 2008 damit begonnen, ihre gelinde gesagt optimistischen Bewertungen von Hypothekenverbriefungen noch einmal zu überdenken.
Dazu muss man wissen, dass es sich dabei buchstäblich um Tausende von Ratings für einzelne Papiere handelte. So hatte zum Beispiel Moody’s laut den Statistiken der ESMA im Jahr 2012 über 84 000 Ratings für strukturierte Finanzierungen im Bestand. Diese wurden nun im Wholesale-Verfahren durch die Mühle neu kalibrierter Portfoliomodelle geschleust und erneut bewertet. Beinahe täglich gab es Listen mit Hunderten von Ratings, die »vor dem Hintergrund neuer Informationen über den Risikogehalt der Papiere« herabgestuft worden waren.
Neu waren freilich weniger die Informationen über die Papiere als vielmehr die Annahmen der Bewertungsmodelle.
Nun war den Ratingagenturen natürlich klar, dass die Banken, die sie ebenfalls geratet hatten, enorme Positionen mit Papieren in ihren Bilanzen stehen hatten, deren Risikogehalt gerade wesentlich höher eingeschätzt worden war als ursprünglich mal gedacht. Das hatte für die Banken drei unangenehme Folgen: Die erste bestand in der Neubewertung des Portfolios, insbesondere der erwarteten Verluste aus den Papieren und den daraus abzuleitenden Wertberichtigungen. Diese Abschreibungen fraßen sich wie Säure in die Eigenkapitaldecke der Institute.
Wachsender Kapitalbedarf
Das zweite Problem war, dass die nun mit einem höheren Risiko bewerteten Papiere auch mehr Kapital zu ihrer Deckung brauchten. Vielleicht nicht nach Basel I, aber sicher nach Basel II, und noch viel sicherer nach den Formeln für das sogenannte ökonomische Kapital, mit dem die Modelle der Agenturen gespeist wurden.
So tat sich eine Schere auf aus einerseits schnell abschmelzendem Eigenkapital und andererseits deutlich höherem Bedarf danach. Damit kam das dritte Problem als Folge der ersten beiden: Die Banken wurden reihenweise beim Rating heruntergestuft.
Das ökonomische Kapital ist übrigens ein interessantes Konzept. Seine Grundannahme, oder gewissermaßen die Rechtfertigung seiner Existenz, beruhte darauf, dass man der Auffassung war, dass weder Basel I noch Basel II mit Kapitalzahlen als Ergebnis arbeiteten, welche die tatsächliche Risikolage in den Bankbilanzen korrekt wiedergaben. Vielmehr ging man dabei davon aus, dass die Zahlenwerke auch aus Basel II nur grobe Annäherungen an die Realität sind.
Basis für die Berechnung des zur Risikodeckung benötigten ökonomischen Kapitals ist die Verwendung eines sogenannten Portfoliomodells unter Berücksichtigung umfassender Wechselwirkungen zwischen den Krediten des Kreditportfolios einerseits, aber auch zwischen dem Kreditportfolio und dem Portfolio anderer Risiken, die beim Handel mit Zinsen, Währungen etc. entstehen, andererseits.
Im Prinzip ist das auch alles richtig, wenn man in der Lage ist, so ein Modell mit den richtigen empirischen Zahlen und korrekten wirtschaftlichen Annahmen zu füllen. Dass gelingt aber leider nur sehr wenigen Banken, wenn überhaupt.
Entscheidend ist, dass die Agenturen dafür ihre eigenen Modelle haben, egal was die Bank intern für ihre Kalkulationen einsetzt. Diese Modelle zeigten einen erheblich gesteigerten Bedarf an Eigenkapital für die meisten Banken an, wenn die Agenturen weiterhin unterstellen sollten, dass ihre Risiken (Kredite etc.) und ihre Risikotragfähigkeit (Kapital) im Gleichgewicht sind.
Nur eine in diesem Sinne im Gleichgewicht befindliche und damit sichere Bank bekommt ein gutes Rating.
Zurück zum Problem des wachsenden Kapitalbedarfs. Dieser hatte zwei Ursachen: Die eine war die oben beschriebene Verschlechterung des Portfolios bei gleichzeitigen Verlusten durch Abschreibungen. Die andere war der Zusammenbruch aller Annahmen zur Diversifikation. Diese beruht nämlich darauf, dass die einzelnen Kredite hinsichtlich ihrer Ausfallereignisse nichts miteinander zu tun haben und dass dies auch für die verschiedenen voneinander abgegrenzten Geschäftssegmente gilt. Also wenn die Ausfälle im deutschen Mittelstand ansteigen, soll das nicht die Ausfälle von Kreditkarten in Kalifornien berühren oder so ähnlich.
Man nennt diese kleine, unauffällige, aber entscheidende Annahme »stochastische Unabhängigkeit«. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass Diversifikation funktioniert. Das Prinzip der stochastischen Unabhängigkeit verstehen Sie am besten am Beispiel eines Atomkraftwerks.
Nehmen wir den Fall eines japanischen Atomkraftwerks, das sich an der Küste befindet. Als fähige Ingenieure wissen wir, dass der Reaktorkern, in dem sich die Kettenreaktion vollzieht, auch nach Abschaltung derselben durch den radioaktiven Zerfall noch ordentlich Wärme produziert. Wie viel das genau ist, können wir anhand der Laufzeit der Brennstäbe und der damit in ihnen enthaltenen Spaltprodukte ausrechnen. Das erfordert eine unter allen Umständen ständig funktionierende Kühlung, wenn der Kern nicht schmelzen und auf diese Weise den kleinen atomaren Geist aus der Flasche entlassen soll.
Damit man das tun kann, braucht man Strom, und weil Strom ausfallen kann, baut man mehrere Stromversorgungssysteme auf. Ein besonders wichtiger Teil dieses Versorgungssystems ist der Stromgenerator, der den Strom auch im Notfall erzeugen kann. Unsere schlauen Ingenieure wussten, dass die getrennten Stromversorgungseinheiten sich möglichst nicht gegenseitig beeinflussen sollten, damit der Ausfall des einen nicht den Ausfall des anderen nach sich zieht. Mit anderen Worten: Sie sollten stochastisch unabhängig sein.
Da fragt man sich doch, warum um alles in der Welt stellt man die Dinger alle nebeneinander an den Strand, damit sie von einem Tsunami auch ja alle gleichzeitig plattgemacht werden können, wenn es wenige Hundert Meter entfernt einen Hügel gab? Ich glaube, diese Ingenieure hätte man besser auch zum Shopping auf die Edelmeile geschickt: Da hätten sie nämlich ihre beiden Töchter beim Einkaufen beobachten können und festgestellt, dass gleiche Standorte manchmal ähnliches Verhalten auslösen.
Interbankenmarkt auf null
So ähnlich ist das mit den Bankbilanzen auch gewesen. Es gab einen Mechanismus, der die in normalen Zeiten üblichen gegenläufigen und sich – eben im Sinne der Streuung – teilweise aufhebenden Preisbewegungen plötzlich alle gleichrichtete. Alle Preise kannten plötzlich nur noch eine Richtung, und zwar nach unten. Der Kopplungsmechanismus bestand aus der in den Märkten kollabierenden Liquidität in Kombination mit Panik. Sie sehen, die Diversifikation reduziert das Risiko zuverlässig nur in »normalen Zeiten«. Wenn es darauf ankommt und der Bankvorstand mit schweißnassem Hemd herumläuft, können sie sich darauf verlassen, dass die Wirkung der Diversifikation das Portfolio verlässt wie eine Ratte das sinkende Schiff.
Das Erste, was passierte, war ein schnelles und weitgehendes Einfrieren des Interbankenmarktes. Der Interbankenmarkt, der 2012 mit dem LIBOR-Skandal (Abkürzung für L ondon I nterb ank O ffered R ate, ein Referenzzinssatz, zu dem international agierende Banken in London Geldmarktgeschäfte tätigen) ein weiteres Mal traurige Berühmtheit erlangen sollte, dient dazu, zwischen den Banken kurzfristige Liquiditätsüberschüsse und -defizite auszugleichen. Diese Kredite sind in aller Regel nicht besichert und ihre Risikobewertung beruht insofern allein und ausschließlich auf der Bonität der Bank, gemessen in ihrem eigenen Rating und der damit verknüpften Ausfallwahrscheinlichkeit.
»Unbesichert« und »Rating« sind die Stichworte, auf die es hier ankommt. Damit Sie als Bank den Mut haben, einer anderen Bank kurzfristig auf diesem Wege Geld zu leihen, müssen Sie Vertrauen in die Kreditwürdigkeit dieser anderen Bank haben. Die an diesem System teilnehmenden Banken hatten praktisch alle gute bis sehr gute Ratings. Das war aber Anfang 2008 völlig egal, denn die Banken selbst vertrauten diesen Ratings plötzlich nicht mehr. Jeder vermutete in den Büchern des anderen toxische Wertpapiere, von denen der Markt, die Ratingagentur oder man selbst einfach noch nichts mitbekommen hatte, und so fror der Interbankenmarkt und damit die Liquiditätsversorgung der Kreditwirtschaft über Nacht ein.
Bereits in der ersten Phase, bevor Lehman Brothers die größte Bankpleite der Geschichte hinlegte, waren starke Gerüchte im Umlauf, die darauf hindeuteten, dass es in Kürze »ein Großinstitut, einen richtigen Klopper«, wie es die Presse formulierte, erwischen würde. Da gingen die Banker lieber in die selbst gewählte Isolationshaft, als sich durch Kreditpromiskuität einer Ansteckungsgefahr auszusetzen.
Der frühere Chief Risk Officer einer der größten europäischen Banken und Kenner dieser Materie drückte es gegenüber der Presse sinngemäß einmal so aus: »Wenn Banken sich gegenseitig nicht mehr vertrauen und auch dem Rating der Agenturen nicht, dann ist das ein Armutszeugnis für die Transparenz der Risiken in diesen Banken.«
Stimmt. Deswegen gab es nur Gerüchte, keine Fakten.
Das ist auch der Grund, warum die Banken nicht aus ihrer Krise kommen und die EZB als einzige Institution bis heute gezwungen ist, ihre Geldversorgung sicherzustellen: Banken sind immer noch nicht transparent. Nicht nach innen und nicht nach außen. Die EZB kann sich dieses Risiko leisten, weil sie im Zweifelsfall in der Lage ist, »Geld zu drucken«, wie man so schön sagt. Die Märkte vertrauen den Banken nach wie vor nicht. Zu Recht.
Dieser Liquiditätsengpass wurde dann zunächst dadurch behoben, dass einerseits Banken größere Barmittel bei der Zentralbank parkten, um selbst Puffer zu haben, und andererseits die Zentralbanken als »lender of last resort« auftraten, um die Geldversorgung sicherzustellen. Dazu muss man wissen, dass eine Zentralbank zwar ihre Eigenschaft als »lender of last resort« als Kernaufgabe betrachtet, aber sie nur ausgesprochen ungern wahrnimmt. Da muss schon wirklich Feuer unterm Dach sein, bevor sie das tut, weil es ihre Möglichkeiten beschneidet, alle geldpolitischen Maßnahmen allein am Ziel der Geldwertstabilität auszurichten. Sie muss plötzlich Gedanken darauf verschwenden, wie sie die Maßnahmen zur Stabilisierung des Bankensystems geldpolitisch neutralisiert.
Kraftakt Bankenrettung
Anschließend kam es dann zur größten Rettungsaktion für Banken in der Geschichte. Praktisch jedes Land musste für diesen Kraftakt riesige Sonderhaushalte von Hunderten von Milliarden Euro auflegen, und nicht zu Unrecht wurde die Frage gestellt, wie es sein konnte, dass die mit den Risiken erzielten Gewinne privatisiert, aber die Verluste sozialisiert wurden.
Diese Frage war nur fast richtig, denn wenn man genauer hinsieht, stellt man fest, dass die Gewinne zwar privatisiert wurden, aber nicht bei den Aktionären der Banken. Die waren in den Jahren vorher eher mager abgespeist worden. Es waren die Boni angestellter Händler und Manager, die die Gewinne absorbierten. Die Aktionäre hatten erstaunlich wenig davon, und als es bergab ging, waren sie es auch noch, die durch die schrumpfende Marktkapitalisierung der Banken enorme Verluste erlitten.
Technisch wurde die Rettung nach dem immer gleichen Muster abgewickelt. Schlechte Portfolien wurden abgetrennt und in eine »Bad Bank« gesteckt, die Restbank wurde dann mit Kapitalinfusionen und stillen Einlagen aufgepäppelt, damit sie wieder risikotragfähig war und ein halbwegs vernünftiges Rating bekam.
So eine Bad Bank zulasten des Steuerzahlers ist übrigens eine interessante Sache. Rein technisch gesehen ist sie eine Art Verbriefung, also die gleiche Art von Transaktion, mit der alles so schön angefangen hat. Man packt Kredite in ein »Special Purpose Vehicle« und verkauft sie dann. Der Unterschied war nur, dass man dieses Mal nicht vorgeben musste, dass das Kreditportfolio aus Papieren guter Qualität besteht.
Das ist eben der Unterschied zwischen einem Investor und einem Steuerzahler. Den Investor muss man um die Fichte führen, dem Steuerzahler muss man nur drohen, dass ihm die Fichte auf den Kopf fällt, wenn er nicht freiwillig und sehenden Auges drum herum läuft.
Auffällig ist übrigens, wie unterschiedlich erfolgreich die Sanierung der dem Steuerzahler aufgebürdeten Bad Banks seitdem verläuft: Während in der Schweiz und den USA die Abwicklung so erfolgreich gesteuert wurde, dass der Staat bei vielen Bad Banks sogar Gewinne macht (nur fair, der Steuerzahler hatte ja auch das Risiko), sieht das in Deutschland ganz und gar anders aus. Das kann zwei unterschiedliche Ursachen haben: Entweder waren die schlechten Portfolien hier noch größer und gruseliger als irgendwo sonst, oder die Bad Banks werden einfach schlechter gemanagt. Vielleicht auch eine Kombination aus beidem.
Das eigentlich Bemerkenswerte an der Bankenrettung war wahrscheinlich nicht mal, dass und wie man diese Rettung im Einzelfall durchgeführt hat. Auch wenn bereits der erste Fall, die IKB in Deutschland, den damaligen Finanzminister zu dem Satz veranlasste, man »habe in den Abgrund geblickt«. Das war wohl eher Teil des Strickens an der eigenen Heldenlegende (wir haben die Welt gerettet, schon vergessen?).
Übrigens: Wenn Sie mal in die Politik gehen und so eine Heldenmeldung der Sorte »Ich, der Drachentöter« an das ehrfürchtige Wahlvolk durchkabeln möchten, dann ist es aus Sicht Ihrer Kommunikationsberater extrem wichtig, dass Sie dabei Ringe unter den Augen haben. Wenn Sie das nach einer schlaflosen Nacht im Berlaymont, im Lipsius-Gebäude oder im Kanzleramt nicht hinbekommen, dann greifen Sie gefälligst in den Schminktopf!
Das Bemerkenswerte waren vielmehr die wirtschaftspolitischen und hier insbesondere die aufsichtsrechtlichen Lehren, die man aus dieser Katastrophe zog. Weiter oben war es ja schon deutlich geworden, dass es der Politik gelungen war, das eigene Versagen als Einzige unter den Beteiligten in der öffentlichen Wahrnehmung komplett vergessen zu machen. Dieses hat sich auch nicht darauf beschränkt, dass man in den USA die Bildung der Immobilienverbriefungsblase durch die Politik nicht nur geduldet, sondern gefördert und eigentlich gefordert hatte; nein, es gab auch ein weitgehendes Versagen bei der Regulierung der Finanzindustrie. Damit ist nicht gemeint, dass man alles und jedes hätte vorschreiben sollen oder können, die Rede ist von intelligenter Regulierung, nicht von mehr.
Die Reform der Bankenregulierung
Es fehlte zum Beispiel im Zuge der Diskussion um Basel II nicht an warnenden Stimmen, die in einer unzureichenden Risikotransparenz der Banken ein systemisches Risiko erkannten.
In den offiziellen Papieren der Bank für internationalen Zahlungsausgleich BIS in Basel gab es viele gute Hinweise, wie das zu ändern sei. Die BIS, die aufgrund ihres Standorts Namensgeberin der Basel-II-Reform wurde, wies immer wieder auf systemische Risiken hin, deren Ursachen man in »regulatorischer Arbitrage« erkannte.
Was um Himmels willen ist regulatorische Arbitrage?
Das ist, kurz gesagt, ein Anreiz für Banken oder andere Akteure des Kapitalmarktes, höhere Risiken einzugehen, als für die Bank gesund ist, und dies zu tun, um Anforderungen zu erfüllen, die von den Aufsichtsbehörden an die Bank gestellt werden. »Wie kann denn so was sein und wie bitte soll das funktionieren?«, höre ich Sie fragen. Das ist an einem Beispiel schnell erklärt.
Stellen Sie sich vor, eine Bank muss für jeden Euro Kredit, den sie vergibt, eine gleichbleibende Menge an Eigenkapital vorhalten, um sich durch diesen Kapitalpuffer gegen unerwartete Verluste (siehe Kapitel 1) abzusichern. Im alten Regime, Basel I genannt, war das so, und es gab eine feste Regel, die hierfür einen Satz von 8 Prozent vorsah, also 8 Cent pro Euro. Eine Bank mit einem Eigenkapital von zum Beispiel 800 Millionen Euro kann in so einem System maximal Kredite von 10 Milliarden Euro vergeben. Dann ist ihre Kapazitätsgrenze erreicht. Dieses starre System war definiert in den Regularien von Basel I, das man in den 1980er-Jahren auf den Weg gebracht hatte.
Nun findet die Bank das schade, denn sie möchte, um ihre Aktionäre zu beglücken, ihren Gewinn maximieren und dafür so viele Kredite wie möglich vergeben, damit sie für jeden Kredit eine Zinsmarge vereinnahmen kann. Das ist verständlich und logisch. Wenn nun aber ihr absolutes Kreditvolumen auf 10 Milliarden Euro beschränkt ist, dann wird sie versuchen, die Kreditmarge pro Kredit zu maximieren. Woraus besteht die Kreditmarge, die sie am Markt erzielen kann?
Sie ist die Differenz zwischen dem Zins, den die Bank für einen Kredit gleicher Laufzeit am Kapitalmarkt bezahlt, und dem Zins, den sie von ihrem Kreditnehmer vereinnahmt. Die Komponenten der Marge sind die standardisierten Kosten des Kreditvergabe- und Kreditverwaltungsprozesses, die Risikokosten in Form des erwarteten Verlustes und die Risikokosten in Form der Kapitalkosten des unerwarteten Verlustes.
Das ist natürlich nur eine kalkulatorische Basis, und ob die Bank diese Komponenten im Wettbewerb um Kunden bekommt oder nicht, hängt von der konjunkturellen Phase des Kreditzyklus ab, in dem man sich gerade befindet. Sie können aber schon eines sehr schön an diesen Komponenten erkennen: Mehr Risiko bedeutet höherer Zins.
Will also die Bank ihre Zinsmarge im Gesamtportfolio maximieren, wird sie einen immer größeren Teil in riskantere Kredite stecken und das langweilige, sichere, aber wenig margenhaltige Brot- und Buttergeschäft abbauen. Da ihr gebundenes Eigenkapital dabei konstant bleibt, maximiert sie so ihre »Eigenkapitalrendite«. Jedenfalls so lange, wie kein größerer Unfall passiert.
Diesen unseligen Zusammenhang hatte man in dem vor allem mit Vertretern der Zentralbanken der OECD-Länder besetzten Team in Basel erkannt, und so wurde deshalb Ende der 1990er-Jahre unter dem Stichwort »Basel II« damit begonnen, an einer Reform zu arbeiten. Die Grundidee war dabei, dass künftig alle Kredite mit unterschiedlich viel Eigenkapital unterlegt werden sollten, je nachdem wie groß ihr Risiko war. Riskante Kredite mit hohem erwarteten Verlust sollten mehr Kapital binden als risikoarme oder risikofreie – oder was man halt so für risikofrei hält.
Um das technisch umzusetzen, schrieb man den Banken vor, alle ihre Kredite künftig nach transparenten, nachvollziehbaren Verfahren einem internen Rating zu unterziehen, das eine klare Aussage über die Ausfallwahrscheinlichkeit jedes einzelnen Engagements erlaubt. Eigentlich verlangte man von den Banken in diesem Zusammenhang nur, endlich das zu tun, was eine Bank, die ihr Handwerk versteht, eigentlich ohnehin tun sollte, nämlich ihr Kreditrisiko nach den bestmöglichen Methoden zu verstehen.
Dabei muss es in dieser Gruppe einen oder mehrere Teilnehmer gegeben haben, die sich mit der Ökonomie von Anreizen etwas gründlicher befasst hatten.
Halleluja!
Es gab nämlich eine regulatorische Innovation, die es in dieser Form zuvor in der Bankenaufsicht noch nicht gegeben hatte und die auf einer einfachen Einsicht basierte: Wenn du willst, dass es richtig gemacht wird, dann schaffe dafür positive Anreize. Das Ergebnis dieser Überlegung war es, den Banken eine Wahl zu lassen zwischen »Basel II light« und »Basel II the Full Monty«, und zwar unterschieden in den »Standardansatz«, den Basel II IRB (Internal Ratings Based), und den Ansatz Basel II IRB Advanced, und danach den Kapitalverbrauch zu bemessen.
Bei Ersterem durfte man sich auf externe Ratings stützen und musste im Übrigen relativ hohe Standardsätze für das Kapital akzeptieren.
Beim IRB-Ansatz hingegen bildeten eigene, selbst zu entwickelnde empirisch-statistische Ratingverfahren die Grundlage für die Risikobewertung. Maßzahl und Ergebnis dieser internen Ratings ist die Ausfallwahrscheinlichkeit. Die Größe des Verlustes im Verzugsfall wurde weiterhin nach Benchmark-Vorgaben definiert.
Beim dritten, dem fortschrittlichsten Ansatz, durfte die Bank auf Grundlage eigener Statistiken aus der Verwertung von Sicherheiten in alten ausgefallenen Krediten diese Benchmarks mit eigenen Zahlen ersetzen.
Das Ganze war so eingestellt, dass die Bank mit jedem Schritt hin zu einem weiter ausgefeilten und fortschrittlicheren Risikomanagement (daher der Zusatz »Advanced«) Einsparungen beim zu unterlegenden Kapital erzielen konnte und so die Kapitalkosten mit steigender Risikotransparenz sinken würden.
Bei der Umsetzung gab es allerdings ein paar Probleme, die weniger etwas mit der Technik zu tun hatten als vielmehr mit den Partikularinteressen von Ländern und den in ihnen mehr oder weniger starken Lobbygruppen.
Die einen waren der Meinung, dass dieses System den Mittelstandskredit bedrohe (was völliger Unsinn war), und forderten deshalb Rabatte bei der Kapitalberechnungsformel für Kredite an kleine und mittlere Unternehmen. Die anderen sahen hier eher den Konsumentenkredit gefährdet und forderten das Gleiche für Kredite an Privatkunden. Regierungen waren der Meinung, dass Kredite an Staaten ohnehin risikolos seien und von daher auch – wie schon bisher – überhaupt keine Unterlegung mit Eigenkapital erfordern sollten (das waren Zeiten!), und einzelne Länder glaubten, ihren Banken die Kosten der dafür erforderlichen Infrastruktur nicht aufbürden zu können.
Astronomische Summen wurden genannt, und im Ergebnis gelang es vor allem den USA, zahllose Ausnahmeregelungen durchzusetzen, und mit Ausnahme weniger großer international tätiger Banken waren dort alle anderen von der neuen Regulierung ohnehin befreit.
An dieser Stelle lohnt sich eine Wette: Die USA werden Basel III genauso wenig umsetzen wie Basel II, obwohl sie sich vertraglich dazu verpflichtet haben. Warum nicht? Weil die Umsetzung von Basel III die Banken verpflichten würde, die für Basel II notwendige Infrastruktur nachzurüsten. Das dauert und das kostet. Es fehlen dafür praktisch alle Voraussetzungen. Die Aufsicht wäre nicht einmal darauf vorbereitet, von den Banken noch zu entwickelnde interne Ratingsysteme zu prüfen und abzunehmen, selbst wenn diese in der Lage wären, sie aufzubauen.
Die vielen Ausnahmen waren auch dafür verantwortlich, dass nicht immer klar war, ob eine Bank durch die Entscheidung für einen IRB- oder gar einen IRB-Advanced-Ansatz wirklich Vorteile bei der Kapitalbindung erzielen würde, weil Inkonsistenzen das Bild verzerrten.
Das Thema Risikofreiheit von Krediten an Länder war dann ja auch eines, mit dem man sich später im Rahmen der Eurokrise noch befassen durfte. Es sei bereits an dieser Stelle darauf verwiesen, dass es eine ungeheuerliche Verlogenheit ist, die Banken dafür verantwortlich zu machen, dass sie Staatsanleihen von Euroländern im Portfolio hatten und dann dadurch in Schwierigkeiten geraten sind. Nein, die Wahrheit ist viel profaner. Aufgrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen hatten die Banken gar keine andere Wahl, als diese Anleihen zu kaufen und dort ihre nicht in direkten Krediten gebundenen Mittel zu parken. Selbst für die Vorgaben der Liquiditätskennzahlen nach Basel III ist es unumgänglich für die Banken, große Portfolien von Staatsanleihen zu halten. Denn wie uns die Eurokrise gelehrt hat, sind die ja garantiert immer liquide und werthaltig …
Die Verwässerung von Basel II durch Lobbygruppen
Diese Regeln stammen aber von der Politik, nicht von den Banken.
So verstand es die Politik unter dem Druck von Lobbygruppen und Partikularinteressen, eine richtige Idee so lange zu zerfleddern, zu verzögern und zu obstruieren, bis etwas herauskam, was mehr einer Art Flickenteppich glich. Trotzdem führte Basel II zu einer wesentlichen Verbesserung der Standards des Kreditrisikomanagements von Banken. Da tut sich die berechtigte Frage auf, wie es denn dann zu den Fehlleistungen beim Risikomanagement der Banken kommen konnte, die ja auch notwendige Zutaten zur Entstehung der Krise waren.
Die Antwort mag überraschen: Die Risiken suchten sich ihren Weg in die Bankbilanzen gerade überall dort, wo man größere oder kleinere Lücken in der Infrastruktur der Risikoerkennung und -messung gelassen hatte. Diese Lücken waren im Wesentlichen das Ergebnis der bereits erwähnten Durchsetzung von Sonderinteressen und resultierenden Ausnahmeregelungen und Verzerrungen.
Die US-Hypothekenbanken zum Beispiel waren gar nicht von der neuen Regulierung erfasst, das hatte fleißige Lobbyarbeit verhindert. In Europa hatten die meisten Banken ihr traditionelles Geschäft mit Endkunden sauber abgedeckt. Es gab interne Verfahren für Konsumentenkredite, Mittelstandskredite, Industriekredite, ja sogar für so exotisch anmutende Segmente wie kommerzielle Immobilienfinanzierungen, Flugzeugleasing, Projektfinanzierungen und – ja auch das! – Länderratings.
Was es nicht gab, waren funktionierende Verfahren für die Risikobewertung von Verbriefungen, denn mit Duldung der Bankenaufsicht hatte man sich dort auf die externen Ratings der Agenturen gestützt.
Das waren aber nicht die Erkenntnisse, die die Politik aus der Krise zog. Dort war man stattdessen zu der Auffassung gelangt, dass Basel II Mitschuld an der Entstehung der Krise trug. Warum? Weil Banken, die ein sehr konservatives und risikoabstinentes Portfolio gefahren hatten, mit deutlich weniger Kapital als Risikopuffer auskamen als vor der Reform. Und Kapital war der neue Fetisch.
Die Tatsache, dass der Steuerzahler pleitegegangene Banken neu kapitalisieren musste, führte in einer typischen logischen Kurzschlussreaktion zu der Erkenntnis, dass die ganze Krise nie passiert wäre, wenn die Banken nur zur Vorhaltung von mehr Kapital gezwungen worden wären. Dabei wurde übersehen, dass Institute wie Lehman und Northern Rock zum Zeitpunkt ihrer Pleite mit über 15 Prozent Eigenkapital zu den angeblich am besten kapitalisierten Instituten zählten, während andere, wie zum Beispiel die Deutsche Bank, die Krise mit deutlich weniger Bilanzkapital ohne wesentliche Blessuren und Staatshilfe überstanden.
Solche Differenzierungen sind natürlich in der politischen Debatte nur Petitessen.
Also hieß es Kommando zurück. Im Zuge des – diesmal mit sehr viel höherer Geschwindigkeit verabschiedeten – Reformwerkes »Basel III« wurden wieder Untergrenzen für das Kapital relativ zum gesamten Kreditvolumen eingeführt, als hätte es die Debatte um die gefährlichen Anreize regulatorischer Arbitrage nie gegeben. Es wird interessant sein zu beobachten, wer als Sündenbock herhalten muss, wenn diese Neuregelung in vielleicht zehn Jahren den Nachfolgern ihrer Erfinder um die Ohren fliegt.
Richtig erkannt hatte man allerdings, dass es für Banken nicht nur gefährlich sein kann, wenn sie ihre Kredit- oder Marktrisiken nicht im Griff haben, sondern dass das Gleiche für das Liquiditätsrisiko gilt. Das war es dann aber auch schon.
Die Umsetzung der aus dieser Erkenntnis abgeleiteten Vorschriften, wie die Banken ihr Liquiditätsrisiko künftig zu steuern haben, liest sich wie die Kehrvorschrift des preußischen Handbuchs für die Stubenreinigung von Rekruten beim Militär: »Der Kehrbesen ist im Winkel von 30 Grad vom Körper wegzuhalten und durch gleichmäßige und zeilenförmige Streichbewegungen von links nach rechts zu führen, wobei der ausführende Rekrut mit jeder Zeile einen Schritt zurückweicht, welcher der ungefähren Länge des Kehraufsatzes am Besenstil entspricht, um Staub und Unrat entlang einer Linie zu sammeln, bevor sie mit einer Drehung des Kehrenden um 90 Grad gehäufelt werden, damit sie in einem zweiten Arbeitsschritt mithilfe der Kehrschaufel aufzunehmen sind.«
Leider konnte ich hier nur sinngemäß aus dem Gedächtnis zitieren, weil die alte Quelle dieser schönen Anleitung nicht mehr aufzufinden war. Ich bin mir trotzdem vergleichsweise sicher, dass der Leser die intellektuelle Herausforderung dieses algorithmischen Kehrichtentsorgungskonzepts zu würdigen weiß.
So wie man die Erkenntnis über Bord geworfen hatte, dass man als Aufsicht für den Fortschritt im Kreditrisikomanagement Anreize schaffen sollte, wählte man auch hier einen rein präskriptiven Weg. Es wurden Kennzahlen definiert, die im Prinzip völlig starre Risikopuffer an Liquidität vorsehen und keinerlei Rabatt einräumen, wenn eine Bank ein fortschrittlicheres System entwickeln möchte oder ein höheres Maß an Liquiditätsrisikotransparenz schafft. Dazu kommt, dass es zwar eine nette Sache für eine Bank ist, einen Liquiditätspuffer zu haben, dass dieser Puffer aber in einer echten Krisensituation, einem »Bank Run«, immer hoffnungslos zu klein ist. Auch bei vollständiger Compliance wird in Zukunft keine Bank auf die Rettung durch die Zentralbank als lender of last resort verzichten können, wenn es bei der Liquiditätsversorgung hart auf hart kommt.
Too big to fail?
Was sich nicht geändert hat, ist der Umstand, dass sich die Gesellschaft bzw. die Steuerzahler auch weiterhin in Geiselhaft des systemischen Risikos befinden. Es lohnt daher, sich die eine oder andere Wegmarke der Debatte um das Thema »Too big to fail« etwas näher anzusehen.
Wegmarke? Welche Wegmarke?
Eigentlich ist außer einer halbwegs hilfreichen Diskussion um die Frage, wie groß eine Bank sein muss, damit sie systemische Bedeutung hat, und der Diskussion um das Trennbankensystem, zu der vor allem die Liikanen-Kommission gute Beiträge geleistet hat, nicht viel passiert.
Die Liikanen-Kommission, benannt nach ihrem Leiter, dem Chef der Finnischen Zentralbank, hat es gewagt, in ein Wespennest zu stechen und damit dankenswerterweise wenigstens die Debatte um eine sinnvolle und ordnungspolitisch durchdachte Kontrolle des systemischen Risikos am Leben erhalten. Es wird sich in den nächsten Monaten oder Jahren zeigen, ob sich in der Politik der Mut findet, die dort empfohlenen Strukturreformen der Bankenaufsicht umzusetzen und so die Voraussetzungen zu schaffen, dass auch große Banken, die im Wettbewerb versagen, den Weg alles Irdischen gehen dürfen.
Diese Vorschläge laufen darauf hinaus, ein Trennbankensystem einzuführen, ein Haftungsregime, das den Steuerzahler ans Ende der Reihe von Zahlonkels setzt, statt an ihren Anfang, sowie eine Verschärfung der Kapitalreservevorschriften für besonders risikobehaftete Aktivitäten und Überlegungen zur Governance insbesondere mit Blick auf die Boni. Vor dem Mut dieser Gruppe, unbequeme Fragen mit unbequemen Antworten zu versehen, muss man den Hut ziehen, auch wenn man in Details anderer Meinung sein mag.
Diese Diskussion ist einzuordnen in die Entscheidungen zur Bankenunion im Euroraum, die im Prinzip drei Überlegungen vorantreibt: die Einrichtung einer einheitlichen europäischen Bankenaufsicht unter dem Dach der Europäischen Zentralbank, die Möglichkeit, von der EZB beaufsichtigte Banken durch direkte Beihilfen des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM zu retten und die Forderung nach Einrichtung einer ebenfalls europaweiten Sicherungseinrichtung für Spareinlagen, in der die nationalen oder sektoralen Sicherungseinrichtungen aufgehen sollen.
Es lohnt sich, diese Vorschläge daraufhin abzuklopfen, ob und in welcher Gestaltung sie mit den Prinzipien einer freiheitlichen Marktwirtschaft übereinstimmen oder eben nicht.
Das Trennbankensystem
Bereits vor rund 80 Jahren, nach dem Börsencrash 1929, wurde im Zuge des Glass-Steagall Act in den USA ein Trennbankensystem eingeführt.
Man kann die Geschäftsfelder der Banken in wenige Bereiche einteilen. Da ist zum einen das »Commercial Banking«. Das ist das traditionelle Brot- und Buttergeschäft der Banken: Spareinlagen annehmen, Kredite an Kunden vergeben. Dazu gibt es eine Komponente des »Transaction Banking«, nämlich den Zahlungsverkehr, das sind die Zahlungseingänge, Überweisungen, Buchungen usw. auf Ihrem Kontoauszug.
Daneben gibt es das Investmentbanking. Da geht es zum einen um das Wertpapiergeschäft für Kunden im Sinne von Emissionsgeschäft, also die Platzierung von Aktien und Anleihen, und verwandt damit die Elemente des »Corporate Banking«, wie zum Beispiel M&A, strukturierte komplexe Finanzierungen, Liquiditätsmanagement usw. Aber auch der Handel mit Derivaten, um Kunden gegen bestimmte Risiken zu versichern, gehört hier zum Kerngeschäft. Beispielsweise sichern sich internationale Handelshäuser, Importeure und Exporteure häufig mit solchen Produkten gegen Wechselkursschwankungen ab. Die Globalisierung der Produktionsketten hat die Bedeutung dieser Wechselkursabsicherungen enorm gesteigert.
Angrenzend an das Wertpapiergeschäft für Kunden gibt es noch den Eigenhandel. Die Bank kauft und verkauft Wertpapiere und Derivate, um selbst auf künftige Preisentwicklungen zu wetten.
Im Zuge der Weltwirtschaftskrise als Folge des Börsencrashs 1929 kam bereits einmal ein Gesetzgeber zu der Überzeugung, dass es keine gute Idee ist, wenn die kleinen Sparer mit ihren Einlagen dafür haften, dass Banken, wie man es etwas lässig formuliert, »Risikopositionen nehmen«. Eine Risikoposition zu nehmen ist ein etwas vornehmerer Ausdruck für wetten, Neudeutsch zocken. Banken wetten im Rahmen ihrer Handelsaktivitäten, die im Investmentbanking angesiedelt sind, auf die unterschiedlichsten Dinge. Auf steigende Zinsen, auf fallende Zinsen, auf beides gleichzeitig in unterschiedlichen Laufzeiten, auf Bewegungen von Wechselkursen und Aktienpreisen oder auf deren Volatilität, auf Indizes, auf Rohstoffpreise, auf das Wetter (ja, auch das, denn davon hängen Ernten und damit Nahrungsmittelrohstoffpreise oder die Schadensverläufe von Katastrophenversicherungen ab).
Vom Nutzen der Spekulation
Jetzt höre ich schon wieder den anschwellenden interventionistischen Bocksgesang, der die Spekulation in Grund und Boden verdammt. Nicht umsonst wurden Spekulanten und Verbrecher in sozialistischen Systemen, von Stalins Sowjetunion bis Pol Pots kambodschanischem Steinzeitkommunismus, in einem Atemzug genannt und auch gleichbehandelt. Der Spekulant wurde von diesen Weltverbesserern für alle Übel des Planeten verantwortlich gemacht, insbesondere für Hunger und Elend der arbeitenden Bevölkerung. Das ist natürlich Schwachsinn. Das war damals so und ist es bis heute geblieben.
Es gibt keine einzige ernst zu nehmende empirische Studie, die nachweist, dass Spekulation Armut befördert, außer bei solchen Spekulanten, die auf das falsche Pferd setzten, sich also »verspekuliert« haben und deshalb ihr Geld verlieren. Im Gegenteil. Spekulation beruht darauf, künftige Preisänderungen vorwegzunehmen und dadurch Gewinne zu erzielen. Nur wenn der Spekulant richtig liegt, also die sich verändernde relative Knappheit korrekt vorhergesagt hat, wird er Gewinn machen. Wenn das nicht der Fall ist, verliert er sein Geld und scheidet aus dem Markt aus. Das ist ein evolutionärer Prozess. Spekulanten, die danebenliegen, werden von der marktgetriebenen Evolution aussortiert.
Liegen sie aber richtig, dann schaffen sie nicht nur Gewinn für sich, sondern tragen zum gesamtwirtschaftlichen Wohlstand bei. Wie das? Ganz einfach. Nehmen wir einen Spekulanten, der die Meinung vertritt, dass der Weizenpreis steigt. Um sich an diesem Preisanstieg zu »bereichern«, wird er entweder Weizen kaufen oder – was effizienter ist – er wird Optionen auf den künftigen Kauf von Weizen zu einem festen Preis erwerben.
Steigt der Preis später an, so ist dies die Folge relativer Knappheit, zum Beispiel schlechte Ernten oder eine erhöhte Nachfrage durch Bevölkerungszuwachs etc. Die Spekulation auf den steigenden Preis führt aber dazu, dass der Markt bereits vor dem Preisanstieg vermehrt finanzielle Mittel für die Produktion von Weizen zur Verfügung stellt. Damit fließen mehr produktive Mittel zu einem früheren Zeitpunkt in die Produktion von Weizen, als dies ohne Spekulation der Fall wäre. Das erhöht die Produktion und das wiederum führt zu einem späteren Zeitpunkt dazu, dass die Fundamentaldaten des Weizenmarktes einen weniger starken Anstieg des Preises implizieren, als dies ohne die Spekulation möglich gewesen wäre.
Kurz gesagt: Erfolgreiche Spekulation verkürzt die Reaktionszeit des Marktpreises, welcher die Produktionsmittel in die richtige Verwendung lenkt, indem er den Marktteilnehmern die entscheidenden Informationen liefert. Die Spekulation verringert so in der Regel die Preisausschläge und Volatilitäten am Markt, auch wenn das für die meisten Menschen paradox klingt und für manchen aus ideologischen Gründen einfach nicht einzusehen ist. Es ist aber leicht nachzuvollziehen, dass das für die Verbraucher von Weizen eine gute Sache ist.
Wenn wir uns also darüber ereifern, dass Banken durch eigene Positionsnahme spekulieren, dann ist der unspezifische allgemeine Hass auf die Spekulation als solche ein denkbar ungeeignetes Motiv.
Dazu kommt, dass der Übergang zwischen dem normalen Geschäftsmodell einer Bank und der Übernahme von spekulativen Positionen ein fließender ist. Das wird deutlich am Beispiel der Fristentransformation. Fristentransformation ist etwas, was alle Banken in einem gewissen Umfang dadurch tun, dass sie sich Geld von ihren Kunden im Wege der Spareinlagen kurzfristig leihen, um es dann langfristig zu verleihen. Da in aller Regel der langfristige Zins höher liegt als der kurzfristige, entsteht für die Bank dabei eine Marge, die man als Transformationsgewinn bezeichnet.
Nun gibt es aber Situationen, in denen sich die Verhältnisse an den Zinsmärkten umkehren. Meistens vor Beginn einer Rezession führt das Zusammenspiel bestimmter geldpolitischer und makroökonomischer Effekte häufig zu einer sogenannten Inversion der Zinsstrukturkurve, plötzlich liegt der kurzfristige Zins für 3-Monats-Geld deutlich höher als der Zins für 5- oder 10-jährige Kredite. Dann kann die Bank ein Problem haben, sie hat sich gewissermaßen aufgrund ihres ganz normalen Geschäftsmodells verspekuliert.
Ist es also gut und immer zu befürworten, dass Banken zocken? Die Antwort ist ganz klar: Nein.
Mein Gott, kann der Mann sich mal entscheiden, was er will, höre ich jetzt den einen oder anderen aufstöhnen. Die Antwort liegt aber schlichtweg nicht darin, ob Spekulation per se gut oder schlecht ist. Sie liegt im Falle der Banken darin, mit wessen Geld hier spekuliert wird. Wenn die Bank ihr eigenes Geld dafür einsetzt, so sollte im Prinzip nichts dagegen einzuwenden sein. Doch wir erinnern uns mit Blick auf Radio Eriwan, dass dem »Im Prinzip ja« ein »Aber« folgt.
In vielen Fällen ist es gar nicht das eigene Geld der Bank, sondern es ist oft genug das Geld ihrer Sparer, das aufs Spiel gesetzt wird. Oder, noch einen Schritt weiter, es ist das Geld der Steuerzahler. Nach der Devise: Wenn das gutgeht, dann streichen wir den Gewinn ein, und wenn es schiefgeht, dann wird der Steuerzahler schnell merken, dass es in seinem eigenen Interesse ist, einen schönen Rettungsschirm über uns aufzuspannen, weil wir zu groß sind, um uns untergehen zu lassen – womit wir wieder bei dem »Too big to fail«-Problem wären.
Hinzu kommt noch eine weitere Komplikation. Die Bank ist zwar die wirtschaftliche Einheit, auf deren Büchern sich das Risiko oft genug wiederfindet, das heißt aber nicht, dass sie im Falle einer erfolgreichen Spekulation auch die wirtschaftlichen Früchte aus dieser ziehen kann. So manche Bank ist schon durch eigenes organisatorisches Versagen in die Fänge ihrer eigenen Händler geraten. Man muss sich als Aktionär schon fragen, wie es sein kann, dass die Bank, die einem gehört, von Rekordgewinn zu Rekordgewinn eilt, und davon irgendwie nur Mickerbeträge beim Aktionär ankommen, während der gewaltige Rest in die Boni von angestellten Tradern fließt, die zwar das Risiko eingegangen sind, es aber nicht getragen haben.
Woran erkennt man nun, ob eine Bank ihr eigenes Geld oder fremdes Geld aufs »Spiel« setzt? Das ist nicht einfach, aber es gibt ein paar Indikatoren und Indizien, die im Rahmen der Trennbankendebatte ans Licht gekommen sind. Diese Diskussion dreht sich um die Frage, ob man es gesetzlich erzwingen soll, das Banken ihr Kredit- und Einlagengeschäft scharf vom Investmentbanking trennen müssen oder ob man sogar so weit geht, die Banken vor die Wahl zu stellen, entweder nur das eine oder nur das andere zu tun.
Und das hat etwas mit Haftung für mögliche Verluste zu tun.
Jeder, der schon mal gewettet hat, weiß, dass man eine Wette verlieren kann. Um die Folgen verlorener Wetten abzuschätzen und zu berechnen, wie viel Eigenkapital die Bank als Rückversicherung benötigt, um auch größere, aber mit abschätzbarer Wahrscheinlichkeit eintretende Verluste zu überleben, gibt es – analog dem, was wir im Kreditrisiko gesehen haben – Marktrisikomodelle.
Marktrisikomodelle sind regelrechte Daten- und Rechenmonster. Um die beispielsweise im Zinshandel inhärenten Risiken zu verstehen und sie zu bemessen, benötigt man historische Daten der Zinsentwicklung über alle Laufzeitbänder und zwar für einen sehr langen Zeitraum. Das Gleiche gilt für die Risiken aus Wechselkursen, Rohstoffen, Aktien, usw. Es genügt dabei auch nicht, die einzelnen Risiken zu verstehen. Ebenso wie bei den Krediten gilt es zu klären, ob Korrelationen zwischen den Preisbewegungen existieren, wie stabil diese Korrelationen sind, wie sehr wir uns auf stochastische Unabhängigkeit zwischen einzelnen Risiken verlassen können, um Diversifikationsvorteile im Gesamtportfolio unserer Wetten nutzen zu können, und wie sich unser fabelhaftes Modell bei echtem Stress verhält.
Sie sehen, das ist eine Wissenschaft für sich, und wenn man so ein Modell baut, kann es ganz leicht passieren, dass eine falsche Annahme, ein Programmierfehler oder eine nicht saubere Datenreihe das ganze Ergebnis zum Entgleisen bringt. Wenn ein Modell zu kompliziert wird und plötzlich anfängt, verrückte Dinge zu tun, die mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun haben, weil kleinste Effekte sich plötzlich im Modell aufzuschaukeln beginnen, können Sie das ganze Ding in die Tonne kippen. Man sagt dazu »das Modell kratert«. Kratert wie Meteoritenkrater, Sie verstehen.
Eine Universalbank, die sich in vielen unterschiedlichen Risiken bewegt, macht beides: klassisches Commercial Banking und Investmentbanking. Man könnte das auch Döner-Banking nennen. Da gehen Sie auch an die Theke und bestellen einmal den Döner »mit allem«. »Mit allem« kann eine leckere Sache sein, aber wenn Zwiebeln oder Knoblauch drin sind, dann ist es besser, wenn sie danach kein geschäftliches Meeting haben.
»Mit allem« ist in der Welt der großen Banken aus zwei Gründen beliebt: Erstens, weil man hoffen darf, in jedem der Geschäftsfelder Geld zu verdienen, und zweitens, weil man darauf setzen darf, dass sich die Risiken nicht nur innerhalb des Kreditportfolios und innerhalb des sogenannten Marktrisikoportfolios (also Zinsen, Währungen, Aktien …) teilweise durch Diversifikation herausrechnen lassen, sondern auch zwischen diesen beiden großen Gruppen von Risiken. Mit anderen Worten: Sie können hoffen, Verluste im Kreditgeschäft mit Gewinnen im Eigenhandel oder Investmentbanking auszugleichen und umgekehrt.
Konkret bedeutet das an einem Beispiel: Wenn Sie für Ihre Kreditrisiken 10 Milliarden Euro Kapital und für die Marktrisiken auch 10 Milliarden Euro Kapital zur Deckung benötigen, dann brauchen Sie für beides zusammen nicht 20, sondern deutlich weniger. Wie viel weniger hängt von den geschätzten Diversifikationseffekten ab. Und wenn Sie zum Beispiel nur 15 Milliarden brauchen, dann sparen sie 5 Milliarden und ihre Eigenkapitalrendite steigt um den Faktor 1/0,75. Dann können Sie als Vorstand eine tolle Shareholder-Value-Geschichte erzählen. Das treibt Ihren Bonus hoffentlich nach oben.
Ist das jetzt gut oder schlecht?
Also, auch auf die Gefahr hin, in der ausgezeichneten Betriebskantine einer bestimmten Großbank nicht mehr bedient zu werden, finde ich das schlecht. Ganz schlecht. Und das hat mehrere Gründe.
Letztlich machen wir für die Spekulationsverluste, die wir als Bank mit dem Risikoappetit unserer Bonus-Testosteron-getriebenen Händler erleiden könnten, die Sparer haftbar. Vor allem dann, wenn unser schlaues Modell schiefliegt, also der angeblich nur einmal in 10 000 Jahren eintretende Fall eines extremen Stress-Szenarios leider schon 2008 eintritt und wir uns bei der Frage der tatsächlichen Diversifikationsvorteile total verschätzt haben, weil unser smartes nobelpreisverdächtiges Modell noch nie in einer echten Krise getestet wurde.
Apropos 10 000 Jahre. Hier muss ich das im ersten Kapitel erläuterte Konzept des unerwarteten Verlustes ein wenig erweitern und Ihnen einen schnellen Überblick geben, was es mit der fabelhaften Welt des Konfidenzintervalls auf sich hat.
Das Konfidenzintervall und seine in die Irre Geführten
Sie erinnern sich, dass wir mithilfe Ihrer reizenden Töchter das Konzept des unerwarteten Verlustes dingfest gemacht haben. Dieser unerwartete Verlust wird ausgedrückt in der sogenannten Standardabweichung, also einem Maß, das uns sagt, mit welcher Wahrscheinlichkeit wir das Unerwartete erwarten dürfen. Sie erinnern sich außerdem, dass der Erwartungswert der Ausgaben je Tochter im Einkaufsparadies 200 Euro beträgt. Nehmen wir jetzt einfach mal an, die Standardabweichung beträgt 50 Euro. Dann sagt uns die Wahrscheinlichkeitsrechnung im Falle einer Normalverteilung, dass die Ausgaben Ihrer Tochter mit einer Wahrscheinlichkeit von 66 Prozent zwischen 150 und 250 Euro liegen werden, also 200 plus/minus 50 Euro.
Diese Spanne können Sie als Konfidenzintervall bezeichnen.
Die Verteilung erlaubt es Ihnen nun, andere Intervalle beliebig zu definieren. Sie können zum Beispiel fragen, mit welcher Wahrscheinlichkeit Sie zwischen 100 und 300 oder zwischen 50 und 350 Euro liegen werden. Oder zwischen 0 und 400.
Hier sehen Sie übrigens die Grenzen unseres Beispiels. Mathematisch könnten Sie jetzt auch fragen, wie das von minus 50 bis plus 450 mit der Konfidenz ist, aber praktisch können Sie das vergessen. Ihre Tochter wird nicht auf der Zeil Gitarre spielen, damit sie Ihnen 50 Euro nach Hause bringen kann.
Das Interessante am Konzept des Konfidenzintervalls ist, dass die Bank zum Beispiel ihr Modell wie das Orakel von Delphi befragen kann, wie hoch der Verlust ist, den sie nur mit einer Wahrscheinlichkeit von sagen wir 0,1 Prozent erleidet. Oder 0,01 Prozent, also 1 : 10 000 Das Modell wird, weil es einfach nur mechanisch auf die Frage reagiert, dafür eine Verlustgröße ausspucken.
Warum ist das so? Weil die mathematisch definierte Verteilung auch ganz weit weg vom Mittelwert noch klaren mathematischen Gesetzen folgt, egal, ob das noch etwas mit der Realität zu tun hat oder nicht. Wir haben allein durch die Wahl der Verteilungsform aus dem mathematischen Baukasten eine Annahme über die Wahrscheinlichkeiten extremer Ereignisse getroffen, ohne dass wir dafür Beweise in Form empirischer Daten einsammeln könnten. Denn was angeblich nur alle 10 000 Jahre passiert, können Sie schlecht in den wenigen Jahren beobachten, die unserem Modellbauer für die Entwicklung seines Spielzeugs zur Verfügung stehen.
Damit können Sie Ihre »Das passiert nur alle 10 000 Jahre«-Aussage natürlich genauso vergessen wie das Gitarrenszenario auf der Zeil. Der Unterschied zwischen Ihnen und einigen Banken ist aber ganz einfach: Ihnen ist das klar.
Trotzdem ist das mit dem Konfidenzintervall eine nützliche Übung. Nicht weil Sie das Ergebnis glauben, sondern weil Sie jetzt herausfinden können, von welchen Annahmen das Ergebnis abhängt. Da lässt sich für das operative Risikomanagement und die Frage, wie man große Verluste in Stresssituationen verhindert oder wenigstens verringert, eine Menge lernen.
Was lernen wir daraus für die Frage, ob wir den Diversifikationsvorteil zwischen Commercial Bank und Investmentbank nutzen sollen, um den Kapitalbedarf auf die oben beschriebene Weise zu senken und »Shareholder-Value« zu schaffen? Wir lernen vor allem, dass diese Zahl, wenn es hart auf hart kommt, eine Schimäre ist. Wenn die Märkte durch Panik in die Illiquidität abrutschen, wird die stochastisch maximal unabhängige »Braunsche Bewegung« des atomistischen Marktes eingefroren und gleichgerichtet. Diversifikation steht dann auf dem Erinnerungswunschzettel zu Weihnachten. Fragt sich nur welches Weihnachten.
Dass diese Szenarien also nur alle 1000 oder 10 000 Jahre vorkommen, ist genauso ein Humbug wie die Behauptung, dass Atomkraftwerke nur alle 5000 Jahre einmal durchbrennen, jedenfalls wenn wir die Notstromgeneratoren alle am Strand parken, wo sie schneller gemeinsam baden gehen können. Da sind die Modelle auch an den Korrelationsannahmen gescheitert.
Glass Steagall vs. Ring Fencing
Wenn man das also nicht sauber abschätzen kann, dann landet die Rechnung fehlgeschlagener Spekulationsgeschäfte mit einer sehr viel höheren Wahrscheinlichkeit als gedacht beim Sparer in der Geschäftsbank. Und weil die Politik den Sparer aus naheliegenden Gründen nicht untergehen lassen kann (es sei denn, er ist Russe und wohnt auf Zypern), landet die Rechnung beim Steuerzahler.
Das könnte man auf simple Weise verhindern. Entweder man zwingt die Banken, ihre entsprechenden Aktivitäten abzuspalten und jede Vermischung oder wechselseitige Haftung zu unterlassen (strenges Trennbankensystem à la Glass-Steagall Act), oder man zwingt die Institute zu einem »Ring Fencing«, also die Auslagerung der einzelnen Aktivitäten in rechtlich selbstständige Tochtergesellschaften, die wiederum haftungstechnisch klar voneinander getrennt sind. Letztere Variante hat den Vorteil, dass eine Bank ihren großen Firmenkunden weiterhin alle Dienstleistungen »aus einer Hand« anbieten kann.
Wenn Sie also jetzt lesen, dass eine große Universalbank ihre Ablehnung eines Trennbankensystems oder eines Ring Fencing damit begründet, dass sie dann etliche Milliarden zusätzliches Kapital benötigen würde, dann haben Sie eine Vorstellung davon, welchen Diversifikationsvorteil zwischen Kredit- und Marktrisiko sie mithilfe ihres internen Risikomodells geschätzt hat. Anders ausgedrückt: Sie sehen, mit welchem Betrag der Sparkunde bzw. in zweiter Linie der Steuerzahler bei der Investmentbank im Risiko steht, ohne dafür eine Gegenleistung zu bekommen, wenn die Bank sich mit ihrem Modell verschätzt hat.
Also für das Protokoll: Spekulation ist gut, sie ist gesund für das freie Spiel des Marktes. Wer spekuliert, tut etwas Gutes. Aber bitte mit eigenem Geld. Spekulation mit dem Geld anderer Leute zum eigenen Vorteil und zum Nachteil der Eigentümer, wenn es schiefgeht, ist nicht nur ethisch höchst fragwürdig, es bewirkt auch, dass versagende Spekulation nicht von den Marktkräften abgestraft und aussortiert werden kann. Es schädigt so die Signalfunktion des Marktpreises.
Wer nun aber das Trennbankensystem für einen unzulässigen Eingriff in die Freiheit des Wirtschaftens hält, sollte sich drei Dinge vor Augen halten:
  1. Das Überwälzen von Kosten meines Wirtschaftens auf unbeteiligte Dritte hat ebenso wenig mit Freiheit zu tun wie das unkontrollierte Verschmutzen der Umwelt zulasten der Allgemeinheit und auf Kosten anderer.
  2. Die Alternative zu einem Trennbankensystem ist ein sehr viel stärkeres, ständiges Kontrollieren, Eingreifen und regulatorisches Hineinregieren in die internen Abläufe der Universalbanken. Das Ziel, die »finanzielle Umweltverschmutzung« zu verhindern, wird mit viel mehr Kosten und mit einem viel höheren Verlust an Freiheit bezahlt.
  3. Die Haftung der Allgemeinheit für die Risiken von Privaten ist nichts anderes als eine Subvention. Niemand wird ernsthaft behaupten, dass Subventionen nicht Feinde der wirtschaftlichen Freiheit seien.
Und deshalb ist ein Trennbankensystem für den Steuerzahler, den Sparer und Bankkunden und für die freie marktwirtschaftliche Ordnung gar keine schlechte Idee. Für Ihren Geldbeutel als Steuerzahler sowieso nicht.
Das Haftungsregime für Banken
Wie wir bereits eingangs gesehen haben, hat das mit dem »Too big to fail« verbundene systemische Risiko letztlich dazu geführt, betriebswirtschaftliche Verlustrisiken auf die Allgemeinheit zu übertragen, obwohl die mit den Risiken erzielten Gewinne privatisiert werden. Das erscheint dem billig und gerecht denkenden Menschen als nicht richtig.
Wenn wir also wollen, dass sich dies ändert, brauchen wir ein Insolvenzregime für Banken, das die Haftungsverhältnisse wieder gerade rückt und zugleich sicherstellt, dass die Abwicklung einer Bank keine gesamtwirtschaftlichen Katastrophen auslöst. Im Zuge der diskutierten Bankenunion hat nunmehr die Europäische Kommission einen Vorschlag gemacht, wie diese Haftung abzugrenzen ist. An erster Stelle der Haftung soll demnach der Aktionär stehen, also das Eigenkapital der Bank. Danach sollen die Anleiheeigentümer haften, dann die Sparer mit dem über 100 000 Euro hinausgehenden Einlagebetrag und dann erst der Steuerzahler.
Das ist im Prinzip keine so üble Idee. Das Erstaunliche an ihr ist jedoch, dass diese Ordnung der Dinge auch schon jetzt unserer Rechtsordnung im Wesentlichen entspricht. Und das war auch schon vor Beginn der Finanzkrise der Fall. Einzig die Besserstellung der Sparer gegenüber den Anleiheeignern ist nicht ganz einzusehen, sofern sie über den von der Einlagenversicherung erfassten Betrag von 100 000 Euro hinausgeht. Warum sind Anleiheeigner weniger schutzbedürftig als Sparer? Anleiheeigner sind meistens institutionelle Investoren, zum Beispiel Lebensversicherungen. Da geht es ganz konkret um die Alterssicherung der kleinen Leute. Die dürften wohl den gleichen Anspruch haben und sollten nicht deshalb schlechter gestellt werden, weil es Politiker gibt, die denken, das träfe nur »die Versicherungsunternehmen«.
Aber von solchen Petitessen abgesehen ist das stimmig.
Die Frage ist jedoch nicht, wie man die Haftungsreihenfolge gerne hätte, sondern wie man das umsetzt. Wie bekommt man ein Insolvenzregime für Banken hin, das dem jetzt schon geltenden Recht wieder zu seiner Wirksamkeit verhilft? Dazu haben wir aus Brüssel noch nicht allzu viel gehört. Eine Lösung könnte darin bestehen, dass man die Insolvenz einer Bank durch die Zentralbank abwickeln lässt. Dazu gibt es durchdachte Vorschläge von ordnungspolitisch gepolten Professoren, denen der dauernde Griff in die Tasche des Steuerzahlers zugunsten schlecht geführter Banken schon lange ein Dorn im Auge ist:
Eine Bank, die Pleite ist, geht bei Insolvenzantrag sofort und unwiderruflich in die Hände der Zentralbank über. Diese entscheidet dann nach den Kriterien der Haftungsreihenfolge über Auszahlungen und stellt sicher, dass das Zahlungsverkehrssystem der Bank normal weiterarbeitet. Die Aktionäre werden sofort auf null gesetzt und das Management auch. Anschließend wickelt die Zentralbank das Institut ab und veräußert alle Vermögenswerte. Die Fähigkeit der Zentralbank, diesen Prozess immer mit der ausreichenden Liquidität zu versehen, schafft das Vertrauen, das für die Vermeidung einer Kettenreaktion notwendig ist.
Der Autor sieht ein, dass das eigentlich eine nicht wünschenswerte Grenzüberschreitung zwischen Geldpolitik und Fiskalpolitik ist. Daher sollte der Topf, der als Sicherheit dient, möglichst schnell aus einer Bankeninsolvenzversicherung gespeist werden, in die alle Institute entsprechend ihrem Beitrag zum systemischen Risiko einzahlen müssen.
Bis das erreicht ist (und das Ansparen eines ausreichend großen Topfes wird ein paar Jahre dauern), kommt leider alternativ nur der Steuerzahler in Frage, egal ob auf europäischer oder nationaler Ebene.
Kapitalpuffer als neuer Fetisch
Wie bereits erwähnt, ist es sehr en vogue in der Politik, durch immer größere Risikopuffer in Form von Eigenkapital eine vermeintliche Sicherheit im Bankensystem zu schaffen, auf deren Grundlage man dann angeblich keine Bankenrettungen mehr braucht. Das ist ein großer Trugschluss, solange es nicht gelingt, Risikotransparenz in den Bankbilanzen zu erzwingen. Denn was nützt das größte bilanzielle Eigenkapital von 10 Prozent, 12 Prozent oder 20 Prozent, wenn versteckte Risiken dieses ausgewiesene Kapital schon längst aufgefressen haben oder so groß sind, dass auch dieses Mehr an Kapital das Risiko nicht abzufedern in der Lage ist.
Bereits 2009/2010 wurden im Zuge der Basel-III-Reform deutlich verschärfte Eigenkapitalvorschriften auf den Weg gebracht. Damals war man noch der richtigen Auffassung, dass die Erhöhung der Eigenmittel der Banken ein Prozess sein sollte, der über mehrere Jahre gestreckt umgesetzt werden sollte, damit die Fähigkeit der Banken, Kredite zu vergeben, nicht durch eine plötzliche extreme Kapitalknappheit stranguliert würde. Das war sehr vorausschauend, nur unsere Finanzministerialen und die Kollegen in Brüssel und bei der EBA haben das Argument offenbar nicht verstanden.
Die erst kurz zuvor geschaffene europäische Bankenaufsicht European Banking Authority (EBA) in London hatte die Banken in Euroland mit einer Serie von »Stresstests« gegängelt, um das schon zuvor postulierte »Kapitaldefizit« zu schätzen. Diese Stresstests zeichneten sich vor allem dadurch aus, dass sie zwar die Banken mit riesigen Datenanfragen einer Beschäftigungstherapie unterzogen, aber die Berechnungen, die auf dieser Basis durchgeführt wurden, doch an einem erheblichen Mangel an Verlässlichkeit, Konsistenz und Gehalt litten.
In der Tat konnte man die Ergebnisse des zweiten Stresstests für die Banken in Deutschland zu 99 Prozent mit einer einzigen Kennzahl erklären: dem bilanziell ausgewiesenen Eigenkapital in Prozent der risikogewichteten Aktiva. Es gab genau zwei Ausreißer in diesem Erklärungsmuster, und das waren beides Banken, die bereits in Abwicklung und im Staatseigentum waren, nämlich die West LB und die HRE.
Da fragt man sich schon, warum die Banken angehalten worden waren, unter Einsatz von Teams mit Dutzenden von Experten einen Berg von Daten zur Verfügung zu stellen, wenn ein Blick in die publizierte Bilanz mit einer einzigen Kennzahl das gleiche Ergebnis erzielt hätte und man hinterher feststellen musste, dass Problemfälle, die nur Monate später auftraten, von diesem »Stresstest« ohnehin nicht erkannt worden waren.
Das waren wohl eher Übungen der Selbstvergewisserung einer neuen Behörde, die den Drang verspürte, die Notwendigkeit ihrer Existenz unter Beweis zu stellen, und dabei nichts ausließ, um das Gegenteil zu beweisen. Vielleicht habe ich das Ganze auch falsch verstanden und das Wort Stresstest bezog sich auf die Ermittlung der Belastbarkeit von Mitarbeitern in den Controlling- und Risikomanagementabteilungen der beteiligten Banken, die in Sonderschichten dafür Daten klopfen mussten und auf diese Weise von Wichtigerem abgehalten wurden.
Zum Glück hatten die zeitgleich geschaffenen Behörden ESMA (European Securities and Markets Authority) und EIOPA (European Insurance and Occupational Pensions Authority) dank der selbst auferlegten Zurückhaltung deutlich mehr Fortune, obwohl die Minenfelder ihrer Zuständigkeitsbereiche nicht kleiner oder weniger explosiv gewesen waren.
Das wird klar, wenn man sich vor Augen hält, dass zum Beispiel die ESMA für die Beaufsichtigung der Ratingagenturen zuständig ist (ein völlig neues regulatorisches Feld), wo sie sich zum Teil mit nur begrenzt sinnvollen Vorgaben aus Brüssel herumschlagen muss, und dass die EIOPA die wenig dankbare Aufgabe hat, Solvency II für Versicherungsunternehmen umzusetzen und systemische Risiken von diesem Sektor möglichst fernzuhalten.
Diese beiden Behörden leisten vor allem deshalb bessere Arbeit, weil ihre Führung sich anscheinend ein Prinzip aus der Medizin zu eigen gemacht hat, nämlich: primum non nocere – zuerst mal keinen Schaden anrichten!
Als 2010/2011 im Zuge der Griechenlandkrise und der sich daraus entfaltenden Eurokrise etliche Banken erneut in Bedrängnis kamen, war man der Meinung, auf solche Überlegungen wie Kapitalknappheit der Kreditwirtschaft keine Rücksicht mehr nehmen zu müssen. Der ursprünglich auf sechs Jahre gestreckte Zeitplan für die Akkumulation von Kapital durch die Banken gemäß Basel III wurde in einer Nacht-und-Nebel-Aktion auf wenige Monate verkürzt.
Damit fehlten den europäischen Banken plötzlich weit über 100 Milliarden Euro Risikokapital.
Dabei hat man es aber nicht belassen. Aus Gründen, die mit der im nächsten Kapitel diskutierten Griechenlandkrise zusammenhängen, zwang man die Institute, alle ihre staatlichen Anleihen in den Büchern zu Marktpreisen zu bewerten. Ziel war es offenbar, Druck auf die Banken auszuüben, die vor dem Hintergrund der dadurch ausgelösten Buchverluste auf staatliche Hilfe angewiesen waren und sich so dem geforderten Schuldenschnitt nicht mehr entziehen konnten.
Das vernichtete nicht nur 100 Milliarden Euro an Bilanzkapital in Form abzuschreibender Griechenlandanleihen, sondern erzeugte noch einmal die gleiche Größenordnung an Buchverlusten bei italienischen, spanischen, portugiesischen und französischen Anleihen in den Bankbilanzen.
Wenn Sie das zusammenzählen, kommen Sie auf über 300 Milliarden Euro Kapitallücke. Und das entspricht einer Kreditvergabekapazität von fast 4000 Milliarden Euro. Anschließend fragte man sich dann, warum die europäische Wirtschaft keine Kredite mehr von den Banken bekommen hat, ein »credit crunch«, der wesentlich zur Verschlechterung der Konjunktur seit 2011 beigetragen und die Eurokrise massiv verschärft hat.
Sich angesichts dieser Fehlleistung hinzustellen und zu behaupten, die Maßnahmen, die da ergriffen worden sind, hätten das Bankensystem und die Kreditversorgung der Wirtschaft stabilisiert, kann nur jemandem einfallen, der bezüglich der Zusammenhänge von Kapitalverfügbarkeit, Kreditvergabekapazität und Risikotragfähigkeit der Banken von jeglicher Kenntnis unbelastet zur Arbeit und zu Bett geht.
Es gibt natürlich das Argument, dass der Rückgang des Kreditvolumens nicht durch die Schrumpfung des Angebots, sondern durch die Nachfrage erklärt werden könnte. Ja, das stimmt, aber nur für Deutschland. Es trifft für all die Länder, deren Wirtschaft ohnehin schon angegriffen war, nicht zu. Diese sind seither einem sich beschleunigenden Schrumpfungsprozess unterworfen.
Dieser regulatorische Amoklauf war der Nachbrenner, der aus der Austeritätspolitik in den südlichen Ländern der Eurozone überhaupt erst einen Killer der Konjunktur gemacht hat.
Die fehlgeleitete Intervention der EBA in Zusammenarbeit mit der Troika hatte zudem enorme Auswirkungen auf die Giralgeldschöpfung (auch Buchgeldschöpfung) und damit indirekt auf die Geldpolitik. Die Wechselwirkung von Bankenregulierung und Geldpolitik hätte klar sein müssen. Letztlich hat man der EBA damit ein geldpolitisches Mandat gegeben, das mit dem Kernauftrag der EZB frontal kollidierte und mit dazu beitrug, dass die EZB zu einer extrem lockeren Geldpolitik gezwungen wurde.
Welche fehlgeleitete Motivation vor allem der Marktbewertung von Staatsanleihen zugrunde gelegen haben könnte, wird deutlich, wenn man sich die Mechanik der »Rettung« Griechenlands ansieht, die wir im nächsten Kapitel über die Eurokrise näher beleuchten werden.
Die Boni
80 Millionen Euro. Das ist der Bonus, den eine der größten europäischen Banken einem ihrer Trader für ein Jahr zugeteilt hat, als Kompensation für den Gewinn, den er durch »Positionsnahme« in einem speziellen Segment des Geldmarktzinses für die Bank erwirtschaftete.
Ich weiß, was Sie jetzt denken. Na ja, vielleicht bilde ich es mir auch nur ein. Aber Sie, geschätzte Leser, dürften in zwei Lager zerfallen, deren relative Größe zueinander ich nicht einzuschätzen wage. Gruppe A stellt die Frage: Wie kann das sein? Kann ein einzelner Mitarbeiter denn so viel Wert überhaupt schaffen? Welche Risiken hat die Bank dafür getragen? Gruppe B fasst sich kürzer: Verdammt, ich habe den falschen Job. Wo kann ich mich anstellen für so etwas? Natürlich gönnen wir ihm das Geld nicht, aber selbst genommen hätten wir es sofort.
Sie haben beide meine ehrlich empfundene Sympathie, denn wenn wir ehrlich sind, würden wir alle gerne mal so einen Bonus nach Hause tragen. Leider entkräftet das nicht die Notwendigkeit, sich mit den Fragen von Gruppe A auseinanderzusetzen, und die Antworten auf diese Fragen sind überhaupt nicht bequem. Wie Sie gleich sehen werden, ziehen die Antworten auf diese Fragen weitere Fragen nach sich, die noch viel unschöner sind. Aber der Reihe nach.
Fangen wir an mit der Frage: Wofür gab es die 80 Millionen? Es war ein Anteil des Händlers an den Gewinnen, die er mit Wetten auf Rechnung der Bank auf die Entwicklung des LIBOR-Zinssatzes erwirtschaftet hatte. Erwirtschaftet. Kann man das so sagen? Der LIBOR ist ein Referenzzinssatz, an dem Millionen von Verträgen mit einem Nominalvolumen in der Größenordnung von buchstäblich Tausenden von Milliarden Euro hängen.
Das ist so etwas wie die Körpertemperatur der Weltwirtschaft am kurzen Finanzierungsende.
Der LIBOR-Skandal
Der LIBOR oder ausgeschrieben London Interbank Offered Rate ist überraschenderweise kein Marktzinssatz im eigentlichen Sinne. Er kommt nicht dadurch zustande, dass zwischen Teilnehmern eines Marktes Transaktionen stattfinden, deren Preisbildung man dann beobachten, festhalten und veröffentlichen könnte.
Er ist vielmehr das Produkt einer täglichen Umfrage durch einen Club, die British Bankers Association.
What?!?!?!
Ja, sie haben richtig gelesen, die Körpertemperatur des Weltfinanzmarktes kommt dadurch zustande, das jemand einmal am Tag die immer gleichen Leute in ein paar Dutzend Banken anruft und sie schlicht fragt, was sie heute für kurzfristiges Geld von anderen Banken verlangen würden, egal ob der Angerufene dann auch tatsächlich bereit und in der Lage ist, das Geld für so eine Transaktion zur Verfügung zu stellen oder nicht.
Von den Antworten schneidet unser fleißiger Telefonmatador die ab, die weit genug weg vom Durchschnitt sind, und aus dem Rest bildet er einen Durchschnitt und – voilà! – da ist der heutige LIBOR angerichtet.
Also, wenn diese Herren (oder Damen, aber die waren glaube ich da in der Minderheit, wenn überhaupt vertreten) schlecht geschlafen haben, weil ein Tiefdruckgebiet über London wieder mal die Stimmung vermiest hat und sie deswegen irgendwie nicht in der Laune waren, sich die Arbeit zu machen, eine realistische Schätzung abzugeben, dann konnten sie genauso gut irgendeine Zahl zum Besten geben, das ging ebenso in die Findung dieses Zinssatzes ein wie die Angaben von jemandem, der wirklich gerade eine Transaktion zu bestimmten Konditionen abgeschlossen hatte.
Und auf so eine Zahl können Sie wetten.
Und diejenigen, die auf diese Zahl Wetten abgeschlossen haben, teilten das Büro mit denen, die ihre »Schätzung« in das Zustandekommen dieser Zahl eingespeist haben. Das ist ungefähr so, als würde die Lottofee die Zahlen von Hand ziehen, die sie vorher auch sehen und damit bestimmen kann. Gleichzeitig wäre ihr die Teilnahme am Lottospiel gestattet. Raten sie mal, was dabei herauskommt.
Da brauchte es dann eine Kommission von Menschen mit zusammen jahrzehntelanger Erfahrung in der Finanzindustrie, um nach Monaten der intensiven Beratung und Investigation festzustellen, dass »dieses System zur Manipulation eingeladen hat«.
Ja, und dieser Einladung sind dann auch ein paar Menschen im Handelsraum einiger Banken, die an der Umfrage beteiligt waren, gefolgt, weil es einfach eine Einladung war, die in der Welt des nicht ganz ehrbaren Handwerks äquivalent mit einer Aufforderung zum Gelddrucken gewesen ist.
Allerdings ist es ganz und gar unfair, wenn man jetzt den Beteiligten unterstellt, dass das gewissermaßen ein risikoloses Einkommen in einem auf Risikonahme abgestellten Geschäft gewesen sei. Richtig ist nur, dass kein Zinsrisiko bestand, denn wo der Zins hinläuft, war immer noch Sache der Beteiligten. Der spurte auf Kommando, sozusagen, zack zack!
Es gab natürlich dafür im Gegenzug das Risiko, erwischt zu werden. Ja und wahrlich, da sehen wir, dass es unfair ist, den Händlern zu unterstellen, sie würden gar kein Risiko tragen, oder?
Tja, und dann findet es tatsächlich jemand raus: Die Beteiligten werden erwischt, die betroffenen Banken zahlen Strafen in der Größenordnung von 500 Millionen Euro und mehr oder machen zumindest eine Rückstellung in dieser Höhe für die erwartete Strafzahlung; und es passieren zwei Dinge, die eigentlich den Aktionär, dessen Geld da gerade für Strafbefehle draufgeht, fragen lassen müssen, ob nicht irgendwo eine Wand verfügbar ist, wo er seinen Kopf dagegenschlagen kann.
Erstens: Die Bank, die von den 80 Millionen Bonus schon 40 Millionen ausgezahlt hat, weigert sich zwar, den Rest auszuzahlen, aber denkt überhaupt nicht daran, den bereits ausgezahlten Betrag zurückzufordern. Warum nicht? Hat da jemand Angst davor, der betreffende Händler könnte in dem dann unvermeidlichen Prozess unbequeme Wahrheiten darüber ausplaudern, mit wem in der Bank er sein Geschäftsmodell abgestimmt hat? Niemand weiß es.
Zweitens: Der zuständige Vorstand erklärt bzw. lässt erklären, dass er natürlich von den ungesetzlichen Machenschaften in dieser Sache überhaupt keine Ahnung hatte. Also, das muss man mal rekapitulieren und sich auf der Zunge zergehen lassen. Der Mann unterschreibt einen Scheck, der vielleicht den höchsten jährlichen Bonus begleicht, den diese Bank je einem einzelnen Händler ausgezahlt hat, und als der zuständige Vorstand interessiert er sich nicht für das Geschäftsmodell, das den Gewinn erwirtschaftet hat, das diesem Rekordbonus zugrunde liegt?
Das muss man nicht weiter kommentieren.
Unser geschundener Aktionär überlegt sich, wie viele Parktickets à 15 Euro er sich erlauben müsste, um auf 500 Millionen Euro zu kommen und wie lange der Papierstreifen wäre, wenn man die aneinander heftet. 5000 Kilometer. Und dafür haftet er als Aktionär, nicht der Vorstand und auch nicht der Händler, der wahrscheinlich mittlerweile auf einer 30-Meter-Jacht die karibische Sonne geniest.
Warum man das so auswalzen muss? Ganz einfach: Weil es ein besonders krasses Beispiel dafür ist, wie die verantwortungslose Haltung eines kleinen Teils der Finanzelite die Freiheit und ihre Grundlagen untergräbt. Denn diese Attitüde führt dazu, dass eine wütende Öffentlichkeit danach schreit, in die Vertragsfreiheit der Vergütung einzugreifen. Dabei wird dann nicht mehr unterschieden zwischen denen, die wirkliche Leistungsträger sind, und denen, die das System zu überlisten und zu missbrauchen versuchen.
Die meisten Vorschläge, die man dazu aus der Politik lesen kann, fragen nicht danach, wie es weiterhin möglich ist, Leistung angemessen zu vergüten und die richtigen Anreize zu setzen, sondern versuchen aus einer Position des Neides den Unternehmen und Individuen möglichst enge Fesseln anzulegen. Dass diese populistisch angehauchten Vorschläge heute eine Chance haben, verwirklicht zu werden, ist die direkte Folge solchen Verhaltens.
Allerdings ist das Versagen der »Finanzelite« keine Entschuldigung für das darauf folgende Versagen der »politischen Elite«. Sie steht in der Pflicht, die Risiken und Nebenwirkungen ihrer Medizin zu bedenken, bevor sie dem Patienten ihre Tabletten einflößt.
Dieses Verhalten unter der Flagge einer vermeintlichen Gerechtigkeitsdebatte hat in Wahrheit eine neue Neidkultur befördert. Die Kultur der Maßlosigkeit auf der einen Seite findet ihre Entsprechung in der Kultur der Gleichmacherei auf der anderen Seite. Dieses Gift durchzieht mittlerweile die gesamte politische Debatte auf allen Ebenen und in ganz Europa. Ob es die 75 Prozent Einkommensteuer in Frankreich sind, die Mediendebatte um Vorstandsgehälter in Deutschland oder die »Fat Cat«-Diskussion im Vereinigten Königreich: Man kann überall feststellen, wie der neidgetriebene Populismus die Debatte um Steuern, Eingriffe in die Vertragsfreiheit und Umverteilung beherrscht. Die Jakobiner sind los.
Vielleicht liegt das auch daran, dass die Politik ein kurzes Gedächtnis hat. Es war die Politik der Umverteilung und der neidgetriebenen Steuerpolitik der 1970er-Jahre (und in Großbritannien schon die 20 Jahre davor), die in vielen europäischen Ländern die Leistungsträger in die innere Emigration getrieben und damals zur »Eurosklerose« geführt hat.
Die heute oft geschmähte »neoliberale Revolution«, angeführt von der damaligen britischen Premierministerin Thatcher, war es, die diese Ketten sprengte. Eine der größten Errungenschaften der EU, nämlich der gemeinsame Markt, ist wesentlich auch ihr Verdienst. Das wird heute gerne vergessen, wenn man sich über ihre angeblich unsozialen Reformen ereifert, ohne die das Vereinigte Königreich heute wahrscheinlich so etwas wie Weißrussland in der Nordsee wäre.
Die Verbissenheit, mit der die damals in einem epochalen Ringen um Leistungsgerechtigkeit um ihre vermeintlich angestammten Pfründe und Privilegien gebrachten Rentiers einer sozialistischen Funktionärskaste heute am Grab dieser großen Frau nachzutreten versuchen, spricht Bände. Denen möchte ich sagen: Danke Maggie!!
Wenn das Pendel heute in die gegenteilige Richtung ausschlägt, sage ich voraus, dass wir in wenigen Jahren in einem neuen »Winter of Discontent« die Lektion von Leistung und Freiheit neu lernen müssen. Dann werden wir feststellen, dass es eine ziemliche Anstrengung ist, die Faulen, die sich an den Kühlschränken der Fleißigen und der wirklich Bedürftigen festgesaugt haben, von da wieder weg zu bekommen.
Diese politische Debatte kann aber nur dann zu einer ordnungspolitisch rationalen Basis zurückgeführt werden, wenn die Verantwortlichen in den Unternehmen, und vor allem in den Banken, erkennen, dass Freiheit nicht das Gleiche ist wie Selbstbedienung auf Kosten der Eigentümer, also der Aktionäre und – wenn das ausgeschöpft ist – auf Kosten einer auf Dauerrettung getrimmten Staatskasse zulasten der Steuerzahler.
Europäische Bankenaufsicht in der EZB
Eine europäische Bankenaufsicht in Form der EBA wurde bereits kurz nach Beginn der Finanzkrise als Teil des »Dreiklangs« aus ESMA, EBA und EIOPA ins Leben gerufen. Die bisher eher tragische Performance dieser überforderten Institution spiegelte sich wie oben beschrieben in einer Serie wenig professionell durchgeführter »Stresstests« für die europäischen Banken wieder, aus denen man anschließend auch noch unter Missachtung der makroökonomischen und geldpolitischen Folgen Handlungsweisen ableitete, die absehbar mehr Schaden anrichteten, als Nutzen zu stiften.
Im Zuge der Bankenkrise in Südeuropa, insbesondere in Spanien, erhöhte sich der Druck durch die Peripherieländer, es dem ESM als permanentem Staatenrettungsvehikel der Euroländer zu ermöglichen, Banken direkt zu retten, und zwar ohne den Umweg über die Staatskasse der Heimatländer dieser Institute.
Angesichts der grenzüberschreitenden Aktivitäten der Banken ist es sicher richtig, darüber nachzudenken, auch eine grenzüberschreitende Aufsicht zu etablieren. Sonst besteht die Gefahr, dass die Kreditinstitute ihre systemisch relevanten Risiken immer an den Ort der »größten Toleranz« auslagern, also eine Art regulatorische Länderarbitrage betreiben. Dann sammeln sich in diesem Land Risiken an, die im Zweifelsfall zu einer Überforderung führen und eine ESM-Rettungsaktion für dieses Land erfordern, bei dem dann alle diejenigen mitzahlen dürfen, bei denen die verursachenden Praktiken eigentlich unterbunden worden waren. Irland war dafür ein Paradebeispiel.
Es gibt eine lange Debatte darüber, ob die Bankenaufsicht in die Zentralbank integriert oder von ihr unabhängig sein soll. Klar ist, dass es bezüglich der betrieblichen Abläufe der Aufsicht Synergien gibt, wenn man »alles aus einer Hand« macht. Das ist jedoch für diese Debatte nicht der entscheidende Punkt. Vielmehr ist zu fragen, ob es Interessenkonflikte gibt, die für die eine oder andere Ausprägung sprechen.
Das Hauptargument für die Trennung der Funktionen wird vor allem von den Finanzministern, insbesondere dem deutschen, immer wieder betont. Geldpolitik müsse »unabhängig von der Politik sein« (als ob sie das noch wäre!) und Bankenaufsicht müsse im Gegensatz dazu demokratisch legitimiert und kontrolliert sein (muss sie das?).
Muss Bankenaufsicht nicht in erster Linie technokratisch und in einem klaren ordnungspolitischen Rahmen dafür sorgen, das systemische Risiko klein zu halten, damit nicht der Steuerzahler im Wege der direkten Bankenrettung und später der Sparer im Wege der Staatsschulden abbauenden Inflation für die Folgen aufkommt? Und muss nicht Bankenaufsicht immer auch mit Blick auf die gesamtwirtschaftlichen und geldpolitischen Folgen umgesetzt werden?
Wie wir gesehen haben, hat die Ignoranz bezüglich dieser Folgen die EBA zu Maßnahmen veranlasst, die massiv in den Geldkreislauf, die Giralgeldschöpfung und damit die geldpolitischen Zusammenhänge eingegriffen haben, und zwar zum Schaden von Europas Wirtschaft.
Es stellt sich noch aus einem anderen Grund die Frage, ob zwischen Geldpolitik und Aufsicht wirklich ein Interessenkonflikt besteht. Keine Institution hat nach den Erfahrungen der Bankenkrisen des 20. und 21. Jahrhunderts mehr Interesse an ihrer Vermeidung, als eine auf Geldwertstabilität gepolte Zentralbank. Sie hat ein Interesse, Schieflagen im Sektor zu vermeiden. Nicht aufgrund eines bürokratischen Auftrages, wie das bei einer Bankenaufsicht als Abteilung einer Behörde oder eines (Finanz-)Ministeriums der Fall ist, sondern zur Sicherung ihres Kernauftrages, zu dessen Zweck man sie eigentlich unabhängig gemacht hat. Denn Bankenrettung kollidiert mit dem Fokus auf Geldwertstabilität auch dann, wenn die Zentralbank mit der Aufsicht nicht befasst ist. Sie muss die Folgen ausbaden.
Dieses Spannungsfeld hat man in Deutschland und anderen Ländern der Eurozone bisher immer mit halb garen Kompromissen gelöst. Der Status quo zwischen Bundesbank und BaFin, der Bundesaufsicht für das Finanzwesen, ist eine Arbeitsteilung, von der keine Seite wirklich so ganz genau sagen kann, wo die Trennungslinien praktisch gezogen werden. Die Reibungslosigkeit der Zusammenarbeit wird auf diese Weise nicht institutionell verankert, sondern von der Fähigkeit der leitenden Personen abhängig gemacht, einen funktionierenden Modus zu finden. Kommt es dann zu Unfällen, sind gegenseitige Schuldzuweisungen aufgrund tatsächlicher oder vermeintlicher Versäumnisse fast unvermeidbar.
Seien wir ehrlich: Die Bankenaufsicht wird hierzulande vor allem deshalb so eng an das Finanzministerium gebunden, weil sie eine tolle Möglichkeit bietet, operativ interventionistisch in diesem Feld agieren zu können. Für einen Minister immer eine tolle Sache. Zum Glück hatte das BaFin über viele Jahre einen Präsidenten, dessen Kompetenz und Selbstbewusstsein dieses Problem einigermaßen unter Kontrolle hielt. Es ist zu hoffen, dass das auch so bleibt.
Sieht man sich an, welche Art der Umsetzung sich für die europäische Bankenaufsicht unter dem Dach der EZB abzeichnet, kann man dennoch nicht wirklich zufrieden sein. Was dabei herauskommt, ist wieder mal der Hybrid eines typisch politischen Kompromisses, der die Schnittstellen zwischen den Beteiligten dadurch maximiert, dass man einerseits die völlig heterogene Aufsichtslandschaft in den einzelnen Ländern intakt lässt und andererseits eine zusätzliche Superbehörde mit ein- oder zweitausend Mitarbeitern etabliert.
Deren Hauptbetätigungsfeld wird voraussichtlich darin bestehen, sich erstens mit sich selbst zu befassen und zweitens mit der Koordination mit den anderen beteiligten nationalen Behörden, die weiterhin ihr Eigenleben führen und dabei auch untereinander Koordinationsaufwand betreiben dürfen. So nährt sich die Bürokratie aus der Befassung mit sich selbst.
Was ist die Alternative? Hierzu ein Vorschlag, der vielleicht als Denkanstoß hilft, Schnittstellen, Koordinationserfordernis und damit selbstbezogene Bürokratie nicht abzuschaffen, aber doch auf das notwendige Maß zu begrenzen. Der erste Schritt wäre, die nationalen Aufsichten effizient und einheitlich zu gestalten, indem man sie in die nationalen Notenbanken integriert, die Teil des Eurosystems sind. Diese Einheiten sollten europaweit einheitliche Befugnisse und Aufgaben erhalten.
Damit hat man die Bankenaufsicht quasi schon automatisch an die EZB angebunden, ohne eine neue Superbehörde zu schaffen. In einem zweiten Schritt etabliert man in der EZB eine zentrale Stelle mit vier Aufgaben: Koordination mit den nationalen Aufsichten, Festlegung einheitlicher Standards und Methoden der Bankenaufsicht und direkte Kontrolle systemisch relevanter Banken (also die, die immer too big to fail sind) sowie Kontrolle grenzüberschreitender Aktivitäten.
Im Zuge ihrer Aufgabe als Standardgeber sollte diese Stelle auch allein die Verantwortung tragen für die Abstimmung internationaler Aufsichtsstandards wie Basel II und III, oder Solvency II für die Versicherungswirtschaft. Dazu gehört auch eine Stelle, die an die volkswirtschaftliche Abteilung der EZB angebunden ist und in Koordination mit ihr sicherstellt, dass nicht einzelne Maßnahmen, wie zum Beispiel die Festlegung neuer Rechnungslegungsvorschriften bei der Bemessung des Eigenkapitals der Institute, unerwünschte geldpolitische oder makroökonomische Nebenwirkungen entfalten.
Ob eine Bank, die in Schwierigkeiten kommt, gerettet wird, sollte ebenfalls dort entschieden werden. Idealerweise definiert diese Stelle eine europaweite Insolvenzordnung für Banken, die in Zukunft jede einzelne Rettung überflüssig macht, weil keine Bank mehr systemisch relevant ist, also schlichtweg so organisiert ist, dass sie ohne Systemschaden abgewickelt werden kann. Stichwort Trennbankensystem.
Das ist politisch nicht durchsetzbar, sagen Sie? Das heißt dann im Umkehrschluss, dass es politisch durchsetzbar sein muss, den Steuerzahler und Sparer auch künftig mit Hunderten von Milliarden Euro an einer auch in zehn Jahren nicht endenden Rettungspolitik zu beteiligen. Herzlichen Glückwunsch.
Bankenrettung durch den ESM
Eine ESM-gesteuerte Bankenrettung ist im Lichte des oben Gesagten eine unsinnige Idee. Entweder werden Banken national beaufsichtigt, dann ist auch der Steuerzahler dieses Landes dafür zuständig, oder sie werden europaweit beaufsichtigt, dann muss diese neue Behörde dafür sorgen, dass es nicht mehr zu solchen Unfällen kommt. Wenn die Rettung seiner Banken ein Land in Schwierigkeiten bringt, dann ist der ESM für das Land zuständig, aber erst dann. Das ist ordnungspolitisch schon fragwürdig genug. Dass es gegen vertragliche Vereinbarungen aus der Zeit verstößt, als man mit der Stadt Maastricht noch positivere Assoziationen verband, ist ohnehin klar.
Europäischer Einlagensicherungsfonds
Da hat jemand aber ganz schlau überlegt, wie man Umverteilung nach dem Versicherungsprinzip so unauffällig wie möglich hinbekommt. Aber diese Herrschaften haben nicht mit S-man gerechnet. S-man, Herr aller Sparkassen und Girozentralen und der Erfinder des offenen Briefes als Mittel der Verbandspolitik. Dieser Brief an die Kanzlerin war damals in allen großen Tageszeitungen ganzseitig abgedruckt. Wie ein Stahlgewitter regnete diese Dicke Berta auf die in den Schützengräben der Nord-Süd-Umverteilung lauernden Politiker herab und machte klar: Bis hierher und nicht weiter.
Ja, wenn’s denn so einfach wäre. Immerhin muss man ihm zugute halten, dass er es versucht hat.
Die Wahrheit ist nämlich, dass wir den europäischen Einlagensicherungsfonds de facto schon haben. Er greift nur im Zweifelsfall nicht in die Taschen der Sparer anderer Länder, sondern in die der Steuerzahler. Die Schnittmenge zwischen diesen beiden dürfte ziemlich groß sein, denn wer spart, ist meistens auch jemand, der für diese Sparleistung Geld verdient, also Steuern zahlt und dann vom kümmerlichen Rest einen Teil zurücklegt, um es später der Erbschaftssteuer zuführen zu können. Die Frage ist aber, ob das ordnungspolitisch sauber ist, wenn auf Dauer der Staat die Spareinlagen garantiert und damit die Banken von einem Teil ihrer Sicherungspflichten entbindet.
Nun kann man den Instituten in Deutschland, insbesondere denen unter Führung von S-man und solchen, die genossenschaftlich organisiert sind, nicht vorwerfen, sie hätten ihre Hausaufgaben mit den eigenen Sicherungswerken hier nicht gemacht. Beileibe nicht. Nein, sie haben sie sogar so gut gemacht, dass es genau dieses »nest egg« ist, welches die Begehrlichkeiten jenseits von Alpen und Pyrenäen geweckt hat. Die Erfahrung der letzten Jahre hat dabei gezeigt, dass solche Fleischtöpfe früher oder später in die Verfügungsmasse politischer Kompromisse wandern, und ich wage die Prognose, dass dann offene Briefe nur noch Papier gewordene Makulatur sind.
Außerdem muss man fairerweise bedenken, dass auch die nördlichen EU-Länder durch inneres Versagen oder äußere Umstände in nicht allzu ferner Zukunft auch einmal in Schwierigkeiten geraten könnten, die es fragwürdig erscheinen lassen, ob die Spareinlagen in diesen Ländern wirklich sicher sind. Wir sind ja zum Beispiel in Deutschland fleißig damit beschäftigt, durch eine teure Energiewende ohne durchdachtes Konzept und andere kostspielige ideologiebeladene Amokläufe, vom Frackingverbot bis zur abgewürgten Nutzung weiterer neuer Technologien, die Belastbarkeit der Wirtschaft zu testen. Auch hier wird mit der Angst Politik gemacht, statt mit Fakten.
Der Letzte, der das bewusst gemacht hat, hat als Kanzler den Abschied von der Vollbeschäftigung für Jahrzehnte eingeleitet. Das war so um 1970 und es veranlasste den damaligen Minister Karl Schiller, einen anerkannten Ökonomen, zum Rücktritt mit dem Satz: »Lasst die Tassen im Schrank!« Könnte also sein, dass wir auch mal Hilfe brauchen, wenn wir es anderen beim politikgetriebenen Verlust der Wettbewerbsfähigkeit gleich tun. Könnte interessant sein herauszufinden, ob das Konzept der Solidarität dann in den heutigen Nehmerländern noch en vogue sein wird.
Die Erfahrung lehrt, dass ein Versicherungspool umso sicherer ist, je größer er ist. Das ist ja gerade das Prinzip der Versicherung. Man fasst Risiken zusammen und glättet auf diese Weise ihren Schadensverlauf. So fassen Versicherungen die Risiken ihrer Kunden zusammen, und Rückversicherungen fassen in einem zweiten Schritt die Risiken der Versicherungen zusammen, und beide Industrien machen das seit über 150 Jahren privatwirtschaftlich sehr erfolgreich, nutzbringend und auf globaler Ebene.
Dieses Beispiel freier und innovativer Marktwirtschaft zeigt uns aber auch, wie es geht und wie es nicht geht. Wir können uns mit hundertprozentiger Sicherheit darauf verlassen, dass ein europäisches Sicherungssystem unter Verwaltung der Bürokratie keinen erfolgreichen Risikoausgleich im Sinne des Versicherungsprinzips schaffen wird. Stattdessen wird ein verstecktes Transfersystem etabliert werden, bei dem die Umsichtigen die Leichtsinnigen subventionieren werden.
Die politischen Diskussionen, die dazu führen werden, kann man jetzt schon voraussehen. Da wird dann von Beitragsgerechtigkeit und Bemessung der Beiträge zum Sicherungssystem nach Leistungsfähigkeit gezwitschert werden. Dann kommt die Forderung nach Solidarität, und wenn das nicht ausreicht, werden Krisenkosten für alle Beteiligten an die Wand gemalt. Alles schon gesehen, alles schon gehabt, alles schon erduldet.
Ganz allgemein ist es übrigens ein verlässlicher Rat, seinen Geldbeutel besser festzuhalten, wenn irgendjemand im Umkreis von zwei Lichtjahren das Wort Gerechtigkeit zu oft, zu eindringlich und vor allem in Verbindung mit anderen Redeversatzstücken wie Solidarität, Gemeinwohl und Verantwortung für das Ganze im Munde führt. Das sind alles wichtige Dinge, keine Frage. Sie werden nur ein wenig zu häufig für ideologische Zwecke gekidnappt.
Besser ist es, wenn man ein sauberes marktwirtschaftliches Konzept einer europäischen Einlagensicherung als Alternative vorrätig hat, mit dem man solche Begierden beizeiten konstruktiv kontern kann. Und frei nach Erich Honeckers Lieblingsspruch »von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen« folgen wir hier dem Gedanken: Von der marktwirtschaftlich organisierten Versicherungswirtschaft lernen, heißt siegen lernen.
Das Prinzip der Einlagenversicherung ist relativ simpel. Die erste »Verteidigungslinie« der Einlagensicherheit ist immer die Bank, bei der die Einlagen von den Sparern angelegt sind. Sie muss durch kluge Risikopolitik, Transparenz und das Vorhalten von angemessenen Risikopuffern in Form von Eigenkapital sicherstellen, dass sie möglichst immer in der Lage ist, das geliehene Geld an die Sparer zurückzuerstatten.
Erst wenn diese Barriere versagt, kommt ein anderer Zahler infrage. Nehmen wir nun an, wir haben eine Gruppe von zehn Banken in einem Land, die sich zusammenschließen und den Sparern aller dieser Banken wechselseitig ihre Spareinlagen garantieren, so führt dies dazu, dass die Spareinlagen sicher sind, solange nicht alle Banken unabhängig voneinander oder infolge der überwälzten Garantien insolvent werden. Um diese Garantie operational zu machen, gibt es zwei unterschiedliche Wege.
Weg Nr. 1 ist die simple wechselseitige Garantie. Die Spareinlagen sind dann so sicher wie eine gedachte fusionierte Bank, die aus allen Beteiligten besteht.
Diese Vorgehensweise führt, wie unschwer zu erkennen ist, dazu, dass die Sparer, die ihre Groschen bei schwachen Banken angelegt haben, genauso sicher sind wie die Sparer, die das bei sehr sicheren Instituten tun. Es findet also offenbar eine Umverteilung statt. Die Nivellierung des Sicherheitsniveaus wird im Markt zu einer Anpassung der Sparzinsen führen, weil es keinen Grund mehr für die Sparer gibt, von einer der beteiligten Banken eine höhere Risikoprämie als Teil des Zinses zu verlangen als von den anderen. Ergebnis: Die starken Banken subventionieren die schwachen.
Um dies zu vermeiden oder wenigstens zu reduzieren, gibt es Weg Nr. 2. Man kann einen gemeinsamen Pool einrichten, also so etwas wie eine Versicherung auf Gegenseitigkeit, die über eigene angesparte Mittel verfügt, mit denen sie im Schadensfall, also bei Pleite einer der beteiligten Banken, einspringt. Es ist klar, dass dieser Pool eine gewisse Mindestgröße braucht, damit er im Fall der Fälle nicht ebenso wie die untergehende Bank den Weg alles Irdischen geht. Die beteiligten Banken zahlen eine Versicherungsprämie in diesen gemeinsamen Topf, den sogenannten Sicherungsfonds, ein.
Ob dieses Konstrukt zu einer Umverteilung führt oder die Lasten und Vorteile gerecht zuteilt, hängt davon ab, ob die Versicherungsprämie risikoadjustiert erfolgt oder nicht. Was bedeutet das? Ganz einfach: Es gibt zwei Haupttreiber des Risikos für dieses Produkt. Da ist zum einen die versicherte Summe an Spareinlagen, deren Existenz geschützt werden soll, und zum anderen das Risiko, ausgedrückt in einer Ausfallwahrscheinlichkeit der Bank. Je höher die Spareinlagen und je schlechter die Bonität der Bank, umso höher der Versicherungsbeitrag, den die Bank bezahlen muss.
Ähnlich wie beim System von Versicherung und Rückversicherung gibt es darüber hinaus die Möglichkeit, einen Sicherungsfonds der Sicherungsfonds zu schaffen. Also eine Art Superfonds, der dann einspringt, wenn ein einzelner Sicherungsfonds, der von einer Gruppe von Banken in einem Land oder einem Sektor betrieben wird, durch einen Großschaden an seine Grenzen stößt.
Die Sache mit der Transparenz
Will man den Versicherungsbeitrag am Risiko orientieren, dann gibt es einen kalkulatorischen Weg und einen marktbasierten Weg, dies zu tun. Der kalkulatorische Weg erfordert in erster Linie die Berechnung der Ausfallwahrscheinlichkeit einer Bank, also ihr Rating. Wir haben bereits im ersten Kapitel gesehen, was wir von einem Rating halten können, wenn die Transparenz der ihm zugrunde liegenden Daten so ist, wie sie ist. Die Banken waren und sind zu großen Teilen nicht bereit, die hierfür erforderliche öffentliche Transparenz herzustellen, jedenfalls nicht in ihrer überwiegenden Mehrheit.
Dafür müssen alle möglichen Ausreden und Erklärungen herhalten. Insbesondere Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse bezüglich der »Strategie« einer Bank und dergleichen anderer Humbug. Die Wahrheit ist viel trivialer. Viele Banken sind nicht einmal in der Lage, intern angemessene Risikotransparenz für ihren Vorstand herzustellen. Dann geht das extern natürlich noch viel weniger. Dass das nicht zugegeben wird, versteht sich von selbst.
Also wird einfach so getan, als könnte man das nicht offenlegen, weil sonst die böse Konkurrenz einen angeblich bei lebendigem Leibe auffrisst. Aber einige Banken tun das ja, sie schaffen Transparenz und reden auch ganz offen über die Ergebnisse. Das sind interessanterweise die Banken, die im Wettbewerb besonders erfolgreich sind und die ihre Risiken überdurchschnittlich gut im Griff haben. Lassen Sie sich also beim Thema Transparenz und warum man sie gerne vermeiden möchte, keinen Bären aufbinden.
Also ist Transparenz der entscheidende Punkt, wenn man eine kalkulatorische Basis für die angemessenen Versicherungsbeiträge eines Institutes in einem Einlagensicherungsfonds berechnen will. Ohne das bleibt Weg Nr. 2. Dieser beinhaltet die Etablierung mehrerer europaweiter Einlagensicherungssysteme, die untereinander im Wettbewerb stehen. Jede Bank muss sich für eines der angebotenen Sicherungssysteme entscheiden. Die Systeme müssen ihre Kalkulationsgrundlagen veröffentlichen und dabei den Grundsätzen der aktuarischen (versicherungsmathematischen) Wissenschaft folgen. Damit bestünde ein Wettbewerb, bei dem der Preis, aber auch die Sicherheit entscheidend sind.
Die Sicherungswerke hätten in gewisser Weise die Rolle von Rückversicherungen in diesem Markt. Rückversicherungen müssen sehr genau darauf achten, dass sie ihre Prämien risikoadjustiert kalkulieren, sonst verlieren sie sehr schnell ihre Glaubwürdigkeit und damit ihr eigenes Rating, welches für das Überleben in diesem Markt entscheidend ist.
In dieser Welt werden es die privatwirtschaftlich organisierten Sicherungswerke sein, die im Wettbewerb den Banken Daumenschrauben anlegen, damit endlich Risikotransparenz geschaffen wird.
Wenn man das so macht, verhindert man nicht nur die Ausplünderung der gut dotierten Sicherungswerke, sondern schafft darüber hinaus Anreize für alle anderen Banken, es gleichzutun.
Dann wird es eine Gemeinschaft der Starken.
Es gibt einen Begriff im Altgriechischen, der zu diesem Thema passt. Das schöne Wort heißt »Kairos«. Es bezeichnet im Altgriechischen ursprünglich den Moment, in dem eine Frucht zur Ernte reif ist, und im späteren Kontext sodann das philosophische Konzept des günstigen Moments, um eine Handlung zu vollziehen. Im Verkaufsgespräch würde man sagen »die Gelegenheit kommt nie wieder«.
Der Kairos für eine konstruktive Debatte dieses Themas ist vor ein paar Monaten an uns vorbeigelaufen, und ob ein neuer kommt, steht dahin. Es war ein günstiger Moment, den Begehrlichkeiten beim Ausstrecken ihrer auf Umverteilung gepolten Saugtentakel ein glaubwürdiges marktwirtschaftliches Konzept entgegenzustellen, das für alle von Vorteil sein kann, und dabei die Vorsichtigen vor den Leichtsinnigen schützt. Damit hätten die, die jetzt schon eine kleinere Gemeinschaft der Starken bilden, die Richtung der Diskussion bestimmt.
Für so etwas braucht man natürlich die ordnungspolitisch-intellektuelle Lufthoheit. Das ist zugegebenermaßen anspruchsvoller, als einfach nur nein zu sagen.
Sic transit gloria mundi, so vergeht der Ruhm der Welt.