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ÄMPFT!
»Ewige Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit.«
Wendell Phillips, Kämpfer gegen die Sklaverei
»Die Macht der Exekutive, eine Person ohne Anklage nach dem Gesetz zu inhaftieren und insbesondere ihm das Urteil durch seine Peers zu verweigern, ist im höchsten Grade anrüchig und bildet die Grundlage jeder totalitären Regierung, egal ob Nazi oder Kommunismus.«
Winston Churchill, Befreier Europas
Eine Polemik ist polemisch. Sie ist nicht nett. Das soll sie auch gar nicht sein. Und warum habe ich diese Polemik geschrieben? Weil sich meiner Meinung nach im politischen und wirtschaftlichen Leben in den letzten Jahren Entwicklungen ergeben haben, die man eigentlich nur noch mit Galgenhumor ertragen kann, wenn man der Überzeugung ist, dass nur ein freiheitlich organisiertes Gemeinwesen erfolgreich darin sein wird, seinen Bürgern ein erfülltes Leben im Streben nach Glück zu ermöglichen.
Von Winston Churchill, mit Sicherheit einem der größten Staatsmänner des 20. Jahrhunderts, stammt der Satz: »Der Fehler des Kapitalismus besteht in der Ungleichverteilung des Wohlstands, der Fehler des Sozialismus besteht in der Gleichverteilung des Elends.« Wir sind auf dem besten Wege dahin, die Gleichverteilung des Elends zum neuen Hauptziel der Politik zu erklären. Ein Teil dieses gleich verteilten Elends wird die Unfreiheit sein.
Es ist einfach nicht wahr, dass unsere Freiheit sicher ist. Es ist auch ein Trugschluss, dass unsere Institutionen stark genug sind, den erodierenden Willen auszugleichen, die Freiheit zu verteidigen.
Freiheit ist nicht der natürliche Gleichgewichtszustand einer Gesellschaft. Freiheit ist nicht gleichsam ihr Status niedrigster Energie, als Ergebnis eines anstrengungslosen Prozesses von selbst ablaufender sozialer Entropie. Das erscheint uns nur so, weil wir damit aufgewachsen sind und die Freiheit für uns selbstverständlich geworden ist. Sie ist aber nicht selbstverständlich, sondern mit Blut bezahlt.
Wer nicht für die Freiheit zu kämpfen bereit ist, der wird sie verlieren. Die Erosion der Freiheit ist ein schleichender Prozess, und sie entfaltet sich an vielen Fronten gleichzeitig.
Im Wirtschaftsleben ist es der sich aufschaukelnde Prozess von Gier und Maßlosigkeit auf der einen und Zorn und Neid auf der anderen Seite, der eine Frontenbildung ausgelöst hat, bei der die Freiheit von zwei Seiten angegriffen wird. Das Ergebnis der daraus abgeleiteten Fehlentscheidungen in der Finanzwirtschaft und in der Politik erzeugt eine Dauerkrise, und dabei sehnen sich die Menschen nach Sicherheit. Sicherheit für den Job, das Einkommen, die Rente, den Spargroschen.
Wir haben an zahllosen Beispielen gesehen, dass dieser Ruf nach Sicherheit augenscheinlich erhört wird. Er wird vor allem mit leeren Versprechungen beantwortet, deren Halbwertszeit immer kürzer wird. Entscheidungen von epochaler Tragweite werden dabei immer weiter weg vom Bürger getroffen. Parlamente degradieren sich selbst zu ausführenden Organen von Beschlüssen des Ministerrats oder der Europäischen Kommission, ohne dass diese Institutionen über die notwendige demokratische Legitimität verfügen. Abgeordnete geben unter vier Augen offen zu, dass sie schon lange den Überblick verloren haben, worüber sie da abstimmen, und dass das angesichts der Komplexität doch auch gar nicht möglich sei.
Wenn Parlamente in Ländern wie Nordkorea, China oder einem an die Knechtschaft gewöhnten Land im Mittleren Osten so handeln, spricht man im Englischen von einem »rubber-stamp body«: Ein Verein von Abnickern.
Was soll man dazu sagen, wenn es auf der einen Seite eine machtbewusste Elite von Entscheidern gibt und auf der anderen Seite Institutionen, die sich auf diese Weise vorführen lassen? Das ist der Weg in die Knechtschaft.
Sagen Sie nicht, dass diese Darstellung überspritzt sei. Mehr als einmal musste das Bundesverfassungsgericht den Bundestag und die Bundesregierung daran erinnern, dass die Volksvertretung Kontrollrechte und auch Kontrollpflichten hat, welche die Exekutive gerne vermieden hätte und auf die die Legislative gerne aus Bequemlichkeit verzichtet hätte. Zum Glück haben wir diese Institution als letzte Verteidigungslinie der freiheitlichen verfassungsmäßigen Ordnung. Sonst wären schon viel mehr unverzichtbare Positionen der freiheitlichen Rechtsordnung abgeräumt worden.
Es wird Zeit für ein deutlich selbstbewussteres Auftreten unserer gewählten Abgeordneten gegenüber der Exekutive.
Aber das Gericht alleine wird unsere Freiheit auf Dauer nicht schützen können. Das müssen wir schon selbst tun. Das Grundgesetz gibt uns dafür verbriefte Rechte, und wir müssen sie wahrnehmen. Freiheit braucht Verbündete. Jeder von Ihnen ist aufgefordert, am Prozess der demokratischen Willensbildung teilzunehmen und ein solcher Verbündeter zu sein. Das kann sich nicht darauf beschränken, alle vier Jahre ein Kreuzchen auf dem Wahlzettel zu machen und zähneknirschend das vermeintlich kleinste Übel zu wählen.
Freiheit drückt sich aus in der aktiven Teilnahme an der politischen Debatte, drückt sich darin aus, dass wir die Dinge beim Namen nennen, mit den Mitteln des Rechtsstaats Widerstand leisten gegen eine zu selbstbewusste Obrigkeit, dass wir demonstrieren, in Parteien eintreten und dort klare Kante zeigen, wenn die Freiheit angetastet wird, uns aber auch die Freiheit nehmen, aus einer Partei auszutreten und eine neue zu gründen. Noch haben wir diese Möglichkeiten.
In der Sicherheitspolitik passiert Ähnliches wie in der Wirtschaft. Dort hat man ein Bedrohungsszenario aufgeblasen, das an die Feindbilder in Orwells Roman 1984 erinnert. Einzelne Ereignisse von der Tragweite eines größeren Autounfalls werden zum Anlass genommen, die Bürgerrechte einer Millionenstadt einfach mal schnell für ein paar Tage auszusetzen. Die Überwachung als Reaktion auf Risiken, die in Wahrheit messbar lächerlich klein sind, nimmt totalitäre Züge an, und man findet nichts dabei, das Recht jedes Menschen auf rechtliches Gehör und das Folterverbot aufzuheben und sich so mit Diktaturen übelster Sorte gemeinzumachen. Was dabei noch mehr Angst machen sollte als die totalitäre Gesinnung der Überwacher ist die gleichgültige Hinnahme des offenkundigen Rechts- und Verfassungsbruchs durch eine »schweigende Mehrheit«.
Was glauben Sie, wie viel demokratische Kontrolle noch übrig bleibt, wenn dieser Zangenangriff von zwei Seiten auf unsere verfassungsmäßige freiheitliche Ordnung weiterhin so erfolgreich ist wie in den letzten Jahren?
Tausche Freiheit gegen Sicherheit? Nein, danke!
Zeit, etwas zu tun!