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Erne steht mit verschränkten Armen am Tisch im Besprechungsraum und schaut auf den großen Bildschirm, auf dem Mikael die Aufnahme der Überwachungskamera laufen lässt. Nina sitzt am Tisch und trinkt Saft. Sie hat ihre Kapuzenjacke ausgezogen und ihre durchtrainierten Arme enthüllt.
»Irgendwas stimmt da nicht«, sagt Erne und sieht seine beiden Kollegen abwechselnd an.
Mikael zoomt erneut auf den Mann, der mit einem Smartphone am Rand des Metrobahnsteigs steht. Die Gestalt, die Roger Koponen verblüffend ähnlich sieht, dreht den Kopf und blickt fast direkt in die Kamera. Das Bild ist scharf und lässt keinen Zweifel zu. Die Miene des Mannes ist misstrauisch, aber ruhig.
»Verdammte Scheiße«, flucht Erne und reibt sich die Stirn. Dann blickt er auf, und seine Schultern beginnen zu zucken, zuerst fast unmerklich, dann schneller. Ein Lachen entfährt ihm. Mikael und Nina wechseln einen Blick.
»Na sowas«, sagt Erne und wischt sich die Tränen aus den Augen. Dann wird er verblüffend schnell wieder ernst. »Das ist absolut teuflisch.«
»Irgendwer muss Koponen in der vollen Metro gesehen haben«, beginnt Mikael vorsichtig mit einem verstohlenen Blick auf Erne. »Er ist doch prominent. Und die Nachricht von seinem Tod hat es zwar nicht in die Gratiszeitungen geschafft, aber digital war sie zu der Zeit schon zu lesen.«
»Stell dir mal vor, du würdest auf deinem Handy gerade die Nachricht vom Tod eines Promis lesen, und wenn du aufschaust, ist er da, sitzt dir quicklebendig in der Metro gegenüber«, sagt Nina und stellt das leere Glas auf den Tisch. »Ich glaub, ich würde die Notbremse ziehen.«
»Mein erster Gedanke wäre, dass der Typ dem Promi verdammt ähnlich sieht. Und darum geht es hier ja auch. So muss es sein«, entgegnet Erne.
»Weil die DNA
der verbrannten Leiche mit den Spuren an Roger Koponens Sachen verglichen wurde?«, fragt Mikael lakonisch.
»Genau.«
»Können wir sicher sein, dass der Täter in Kulosaari, nachdem er Maria Koponen ermordet hatte, diese Sachen nicht in der Wohnung verteilt hat? Rasierer, Zahnbürste, Deo …«, wendet Mikael ein. »Aus irgendeinem Grund wollte er uns glauben machen, dass die eine der Leichen in Juva Roger Koponen ist. Vielleicht hat der als Tatortermittler verkleidete Mann in der oberen Etage genau das getan.«
Erne hat den Blick auf das Gespenst auf dem Bildschirm geheftet.
»Wohin fährt der Mann mit der Metro?«
»Das klärt Rasse gerade ab.«
»Gut«, sagt Erne und lehnt sich über den Tisch, sodass sein brauner Schlips nach vorn fällt. Nina sieht, wie Mikael seinen Kaugummi unter die Zunge schiebt. Sie hört Ernes rasselnden Atem in dem stillen Raum. Er streicht sich nachdenklich über seinen grauen Bart.
»Wenn Roger Koponen nicht in den ersten Morgenstunden gestorben, sondern gesund und munter in Helsinki angekommen ist und mit seinem Handy ein schockierendes Video von seiner Frau bei YouTube hochgeladen hat, während er auf die Metro wartete … Das würde ja heißen, dass Koponen der Teufel in Person ist.«
»Eins verstehe ich nicht«, sagt Nina und bindet ihre Haare zum Pferdeschwanz, den sie gleich darauf wieder öffnet. »Warum hat sich jemand so viel Mühe gemacht, Roger Koponens Tod vorzutäuschen? Wenn zu erwarten war, dass der Mann nur einige Stunden später mit seinem Handy mitten im morgendlichen Gedränge an der Metrostation auftaucht.«
»Koponen kann ja in der Sache drinstecken.«
»Aber die Frage bleibt auch dann«, beharrt Nina. Es wird still.
»Weiß Jessica davon?«, fragt Erne schließlich.
»Ja. Sie ist mit Jusuf in Kulosaari. Sie hat die Kriminaltechniker hinbestellt, damit sie nach weiteren DNA
-Proben suchen. Nach
solchen, die wirklich von Koponen stammen.«