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Eine große dunkelhäutige Krankenschwester schiebt ein Bett vorbei, auf dem ein alter Mensch liegt, dessen Kopf fast vollständig verbunden ist. Die metallenen Bettränder wackeln, wenn die Räder über die kleinen Unebenheiten auf dem Boden rollen.
Jessica tigert auf dem Flur hin und her. Jusuf ist in Helminens Zimmer zurückgekehrt, um gemeinsam mit Kuznetsov und einer zu Hilfe geeilten Krankenschwester die Lage zu klären.
»Alles in Ordnung, Jessica?«, fragt Teo, die Arme in die Seiten gestemmt.
»Ich weiß nicht«, antwortet sie und lehnt sich an die Wand. Sie muss versuchen, sich zu beruhigen, auch wenn ihr Dutzende Fragen im Kopf herumspuken.
»Die Frau hat Schlimmes erlebt. Was auch immer da drinnen passiert ist …«
»Hör auf. Bitte hör auf«, unterbricht ihn Jessica mit einer abwehrenden Handbewegung. »Verdammt nochmal, ich muss nicht dauernd getröstet werden.«
»Okay«, sagt Teo leise und rückt seinen Ohrstöpsel zurecht. Vielleicht, weil er schief saß. Wahrscheinlich aber deshalb, weil das plötzliche Ende des Gesprächs ihn beunruhigt. Eine Weile ist es völlig still. Dann schüttelt Jessica den Kopf und blickt auf.
»Sorry, Teo. Bei uns allen liegen die Nerven blank.«
»Versteh ich doch. Im Vergleich zu deinem Job ist mein Einsatz als Wachhund ziemlich stressfrei.«
»Du weißt, dass das nicht stimmt. Ich weiß es auch.«
»Kommt wohl auf den Fall an«, lächelt Teo. »Keiner ist wie der andere.«
Er wird wachsam, als die Aufzugtüren sich öffnen. Die Krankenschwester schiebt das Bett in den Lift.
»Es ist lange her, Jessi.«
»Stimmt. Wie geht’s dir?«, fragt Jessica, ohne ihm in die Augen zu sehen.
Teo dreht den Kopf hin und her, als wolle er sich vergewissern, dass niemand von den Aufzügen zu Helminens Zimmer stürmen kann, zumindest nicht während des nächsten Satzes.
»Ganz gut«, sagt er und streckt ausdruckslos seinen Ringfinger hoch. »Frau und zwei Töchter, Zwillinge, fünf Monate alt.«
»Das ist … das ist ja toll.« Jessica holt tief Luft.
»Ehrlich gesagt, es ist ziemlich aufreibend. Ich meine nicht bloß die Babys. Obwohl die auch ganz schön … Aber der Job. Was ich bei der Polizei verdiene, reicht nicht. Ich muss zwischendurch als Türsteher arbeiten. Letzte Woche hab ich in Eira Schnee vom Dach geräumt. Du verstehst sicher, was ich meine?« Teo seufzt und schüttelt dann fast unmerklich den Kopf. Jessica ist im Begriff, etwas Mitfühlendes zu sagen, doch plötzlich hat sie ein ungutes Gefühl. Als ob Teo etwas wüsste. Vielleicht kursiert im Ministerium ein merkwürdiges, aber hartnäckiges Gerücht von einer millionenschweren Polizistin, die mit allen Mitteln versucht, ihren Reichtum zu verbergen, zu verheimlichen, dass sie nicht nur ihr eigenes Gehalt, sondern auch das der ganzen Abteilung für die nächsten fünfzig Jahre finanzieren könnte. Es braucht nur einen geschwätzigen Finanzbeamten, Anlageberater, Juristen oder Psychiater, um so ein Gerücht in Gang zu setzen.
»Je mehr Münder man zu füttern hat, desto …«
»Ich sollte wohl mal wieder Lotto spielen«, sagt Teo bitter lächelnd. Jessica weiß, dass ihre Intuition sie nicht getrogen hat.
»Vielleicht.« Sie runzelt die Stirn.
»Hast du Kinder?«
»Kinder?« Ihr Lachen überrascht sie selbst. Diese Frage hat ihr seit Langem keiner gestellt. »Nein.«
Teo nickt und strafft sich, indem er die Schultern nach hinten rollt. Eine Angewohnheit, die Jessica früher gemocht hat.
Wieder wirft sie einen Blick auf die Uhr, winkt mit der Hand und geht zu den Aufzügen. »Hör mal, sag meinem Kollegen, dass ich in der Cafeteria auf ihn warte.«
»Pass auf dich auf, Jessi.«
»Du auch.«
Sorg gefälligst selbst für deine Familie, du verdammtes hinterhältiges Arschloch.