68
Einige Minuten oder eine gefühlte Ewigkeit später hört Jusuf den Riegel des Metalltors klappern und sieht zwei uniformierte Polizisten, die wachsam das Grundstück betreten. Der vordere ist Koivuaho, der leicht vorgebeugt geht.
»Was ist los?«, fragt Koivuaho, als er Jusuf erreicht hat. Der andere Polizist ist auf der Auffahrt geblieben und nähert sich vorsichtig der Garage.
»Ich weiß nicht. Aber ich hab ein ungutes Gefühl wegen dem hier«, sagt Jusuf und richtet sich auf. Die Ballen schmerzen nach dem langen Hocken, und der kalte Wind hat seine Ohren gefühllos gemacht.
Koivuaho betrachtet die Skulptur.
»Verstehe«, sagt er.
»Ihr wart vorher nur am Tor?«, fragt Jusuf, und als Koivuaho nickt, fährt er fort: »Habt ihr gesehen, ob in der oberen Etage Licht brannte?«
»Ich weiß nicht. Von der Straße aus sieht man nicht das ganze Haus. Außerdem war es da noch hell …«
»Okay«, sagt Jusuf, wischt sich mit dem Handrücken über die Nase und fordert Koivuaho auf, ihm zu folgen.
Die beiden stapfen durch den Schnee auf die geräumte Fläche vor dem Haus.
»Hier hat jemand erst kürzlich Schnee geschippt«, flüstert Koivuaho.
»Genau.«
Jusuf blickt sich um und sieht nun oberhalb der Tür eine ähnliche Kamera wie am Tor. Wenn jemand im Haus ist, hat er einen Grund, die Polizisten nicht einzulassen. Der zweite Beamte steht immer noch bei der Garage und schaut sich um.
»Was tun wir?«, fragt Koivuaho.
»Ich weiß nicht. Eine seltsame Statue ist kein Grund, die Tür aufzubrechen.«
»Natürlich nicht.«
»Sag deinem Kollegen, er soll hier warten. Wir gehen mal ums Haus.«
Das Knirschen des Schnees ist Jusuf unheimlich. Das Haus hat viele Fenster, doch sie sind dunkel, und die Vorhänge sind zugezogen. Schließlich biegen sie um die Hausecke und gelangen in den hinteren Teil des Grundstücks, der erheblich kleiner ist als der Vorgarten mit den Apfelbäumen.
»Guck mal«, flüstert Koivuaho.
»Zum Teufel auch.«
Mitten im Schnee steht ein zweiter Gehörnter.
Jusuf wägt die Alternativen ab. Sie sind ohne Verdacht auf eine Straftat auf Privatgelände vorgedrungen. Andererseits sind die Gehörnten ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Bewohner des Hauses irgendwie in den Fall verwickelt sind. In Anbetracht der bisherigen Ereignisse liegt das auf der Hand.
Jusuf wendet den Blick zum Haus. Große Glastüren führen auf die rückwärtige Terrasse. Er greift nach seiner Pistole und geht vorsichtig auf die Türen zu. Die Vorhänge sind nicht zugezogen, aber es ist trotzdem schwierig, nach drinnen zu sehen. Das große Kaminzimmer ist stockdunkel. An den Glastüren ist jedoch etwas merkwürdig. Sie haben spinnennetzartige Muster an der Innenseite. Als hätte jemand versucht, das Glas von innen einzuschlagen. Jusuf presst den Kopf an die Scheibe und legt die Hände an die Schläfen. Auf dem weißen Marmorfußboden sieht er schwarze Flecken, die bei genauer Betrachtung nicht glatt sind, sondern eher unebene, dreidimensionale Gegenstände. In unterschiedlicher Größe und Form. Es sind Steine.
»Koivuaho!«, ruft er und hört, wie die Stiefel des Mannes in schnellem Tempo durch den Schnee stapfen. Jusuf erinnert sich an die Liste der Morde in Roger Koponens Trilogie, die Rasmus erstellt hat. Er könnte sie im Schlaf aufsagen.
Band I
Eine Frau wird ertränkt
Eine Frau wird vergiftet
Ein Mann wird gesteinigt
»Taschenlampe«, sagt Jusuf mit ausgestreckter Hand wie ein Zahnarzt zur Sprechstundenhilfe. Koivuaho holt eine schwarze Stablampe aus seinem Gürtel.
Der starke Lichtkegel streift durch das dunkle Zimmer, über den mit Steinen bedeckten Fußboden. Über die Sitzgruppe vor der Feuerstelle und den Sessel, um den herum die meisten Steine liegen. Und nun entdeckt Jusuf im Lichtkegel etwas, das den glänzenden Haarbüscheln nach ein Kopf sein könnte, der ein kleines Stück über die Rücklehne des grünen Sessels hervorragt.
»Ruf eine zweite Streife. Wir müssen ins Haus«, flüstert Jusuf, während er die Hand auf die metallene Klinke legt. Die Tür ist abgeschlossen, und die Fensterscheiben sind aus einbruchsicherem Panzerglas. Das schließt er aus den Mustern, die die Steinwürfe auf der Innenseite hinterlassen haben.
Koivuaho greift nach dem Funkgerät.