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Die Dunkelheit ist nach Pasila zurückgekehrt, wieder dominieren die gelben Lichter der Baustelle die Aussicht aus dem Fenster. Nina und Mikael bleiben links und rechts hinter Rasmus stehen, der gerade ein Gespräch beendet.
»Was ist?«, fragt Rasmus und legt das Telefon auf den Tisch.
»Karlstedt und Lehtinen. Haben sie ein Alibi für den Haltiala-Fall?«
»Wissen wir schon Genaueres über die Todeszeit?«
»Nein, aber der Text wurde erst vor Kurzem angezündet. Es gibt mehrere Beobachtungen im Zeitraum zwischen 19:15 und 19:30 Uhr.«
»Beide waren zu Hause«, sagt Rasmus und klickt etwas an. Offenbar handelt es sich um ein Telefonabhörprogramm, mit dem man die unter Beobachtung stehenden Telefone verfolgen, abhören und Gespräche archivieren kann. »Aber sie haben gerade eben ein interessantes Gespräch geführt.«
»Lass mal laufen.« Mikael zieht sich einen freien Bürostuhl heran. Nina blickt sich um und begnügt sich mit ihrem Stehplatz.
Rasmus sucht einen Anruf aus der Liste heraus.
»Es geht los.«
Vom Anschluss +3584002512585
Zeit des Anrufs 19:15:23
(Freizeichen)
Torsten Karlstedt ( TK ): Hallo.
Kai Lehtinen ( KL ): Grüß dich.
(mehrere Sekunden Stille)
TK : Hallo?
KL : Hallo?
(wieder lange Stille)
TK : Ist da jemand?
(Stille)
KL : Hat nicht den Anschein.
(leises Lachen)
TK : Doch, da ist jemand. Ganz sicher.
KL : Wir kommen bald auf die Sache zurück. Alles ist gut. Und schön.
(das Gespräch endet)
»Was war das? Konnten die sich nicht hören?«, fragt Nina.
»Sie haben nicht miteinander gesprochen, Nina«, sagt Rasmus. Als sie seinen Gedanken begreift, kommt sie sich dumm vor.
»Die … die haben zu uns gesprochen«, flüstert sie.
»Genau.«
»Verdammt, was für eine Scheiße«, knurrt Mikael und spuckt seinen Kaugummi in die hohle Hand. »Wir müssen die Arschlöcher sofort herholen.«
»Allmählich bin ich auch der Meinung, aber …«, sagt Rasmus, doch Mikael ist bereits aufgesprungen und marschiert, Nina im Schlepptau, auf Ernes Dienstzimmer zu. »Warte, Micke. Wir dürfen jetzt nicht nervös werden!«
»Erne«, beginnt Mikael, noch während er die Tür zum Zimmer seines Chefs aufstößt. Erne, der sich gerade die Jacke anzieht, steht direkt dahinter und hätte die Tür beinahe gegen die Stirn bekommen. Nina bleibt auf der Schwelle stehen.
»Es ist höflich, anzuklopfen, Micke«, sagt Erne und zieht den Reißverschluss seiner Jacke hoch.
»Karlstedt und Lehtinen. Sie wissen, dass sie abgehört werden. Sie haben uns am Telefon verarscht.«
Erne sieht Mikael an.
»Enthält die Verarschung zwischen den Zeilen ein Geständnis? Oder irgendwas anderes, was sie mit den Morden in Verbindung bringt?«
»Von den Arschlöchern ist doch kein Geständnis …«, beginnt Mikael forsch, doch Erne donnert mit seiner Faust so fest gegen die Tür, dass Mikael und Nina zusammenfahren.
»Was zum Teufel ist mit dir los, Micke? Muss ich euch alle nach Hause schicken, damit ihr die Befehlshierarchie lernt?«
»Ist Jessica deswegen zu Hause? Um ihre Hausaufgaben zu machen?«, fragt Mikael leiser, aber immer noch aufmüpfig.
»Wenn du Probleme damit hast, wie hier gearbeitet wird, kannst du dich zum Teufel scheren. Es gibt genug Leute, die deine Stelle einnehmen können«, blafft Erne und tritt näher an Mikael heran. Nina schaut zu Boden, erhascht aber noch einen Blick auf Ernes funkelnde Augen. Im Gesicht des kranken Mannes ist keine Schwäche zu sehen. Jetzt nicht.
»Weshalb? Weil ich selbständig denke?«, entgegnet Mikael. Erne starrt ihn lange an, richtet den Blick dann auf Nina und lächelt schließlich matt und freudlos.
»Haltet ihr Turteltäubchen mich für blöd? Der einzige Grund, warum ihr beiden noch nicht getrennt worden seid, ist die Tatsache, dass ich ein ewiger Romantiker bin, der Bürokraten hasst. Aber stellt euer Glück, verdammt nochmal, nicht auf die Probe«, sagt er und tritt an ihnen vorbei auf den Flur. Nina spürt, dass ihre Wangen rot glühen. Sie sieht Mikael an, der müde zurücklächelt.