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Jessica hockt neben der auf dem Boden liegenden Frau. Vor den großen Schaufenstern hängt eine Plane, doch das flackernde Blaulicht der Einsatzfahrzeuge dringt dennoch herein.
»Ziemlich direkt«, murmelt Jessica und reibt sich die in Gummihandschuhen steckenden Finger. Irma Helle liegt bäuchlings auf dem weißen Florteppich, die Arme nach unten gestreckt. Am Hinterkopf klafft eine große, blutige Wunde. Nur zwei Meter entfernt befindet sich die mutmaßliche Tatwaffe, eine Gardinenstange aus Messing. Am einen Ende klebt eine blutige Masse.
»Das hier unterscheidet sich auch insofern von allen anderen Taten, als sich in Koponens Büchern nichts dergleichen findet«, sagt Jusuf leise und weicht einem Kriminaltechniker im weißen Overall aus. Das kleine Geschäft ist so voll von Kleiderständern, dass es schwierig ist, sich zu bewegen. Die Tür ist geschlossen, aber sie flüstern dennoch, als hätten die Wände Ohren. Wer weiß, vielleicht haben sie ja welche. Nichts scheint mehr unmöglich.
»Mit anderen Worten, das ist die erste Tötung, die nicht exakt geplant wurde.«
»Die aber trotzdem eindeutig mit den früheren Morden in Verbindung steht.«
»Unbedingt. Und obendrein wurde sie von einer Frau begangen. Von einer Frau, die einigen Opfern ähnlich sieht.«
»Vielleicht wollte man Irma Helle zum Schweigen bringen.«
»Aber warum erst jetzt? Helle hätte sich mit ihren Informationen schon früher melden können.«
»Und um was für Informationen handelt es sich? Um die Größen der bestellten Abendkleider?« Jusuf tritt an die Ladentheke, auf der ein Computer steht.
»Wenn Maria Koponen fünf Abendkleider bestellt hat, von denen wir bisher vier gefunden haben, könnte man annehmen, dass ein Opfer noch nicht eingekleidet wurde«, überlegt Jessica und lässt den Blick durch den Laden wandern. Von einer Türöffnung in der Rückwand führt eine kurze Treppe in einen kellerartigen Arbeitsraum, in dem zwei große Nähmaschinen stehen.
»Helle hat am Telefon ein Auftragsbuch erwähnt. Siehst du eins?«, fragt sie dann.
»Nein. Aber viele Stifte«, sagt Jusuf und fotografiert den Ladentisch mit seinem Handy.
Jessica seufzt und wirft einen Blick auf ihr Handy. Erne hat zweimal angerufen.
»Ist da wieder was los?«
»Erne ist sauer, weil ich ihm nicht gehorche.«
»Er hätte guten Grund, dich aufs Abstellgleis zu schieben«, meint Jusuf.
»Das tut er nicht. Nicht jetzt, wo alles so verfahren ist.«
»Hoffen wir es. Was machen wir jetzt?«
»Wir fahren nach Pasila. Und finden die Lösung, bevor noch jemand stirbt.«
»Mit einem Zwischenstopp bei McDonald’s. Hast du Geld dabei?«, fragt Jusuf und zieht den Reißverschluss seiner Jacke hoch.
»Ich habe deine Karte gefunden. Sie war doch in der Jackentasche«, antwortet Jessica und streift sich die Kapuze über den Kopf.