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Nina Ruska legt auf. Sie macht ein paar Fotos von dem Gemälde und eilt zurück auf den Flur. Der Name Camilla Adlerkreutz kommt ihr vage bekannt vor, als wäre er im Lauf der Ermittlungen erwähnt worden, doch sie erinnert sich nicht, in welchem Zusammenhang.
Sie geht zügig auf Luomas Dienstzimmer zu, verlangsamt aber ihre Schritte, als sie Stimmen hört. Luoma unterhält sich mit einer Frau.
Nina klopft an die nur angelehnte Tür, schiebt sie auf und sieht, dass gegenüber von Daniel Luoma eine verweinte Frau in dickem Mantel und Mütze sitzt. Luoma wirkt zutiefst erschüttert.
»Entschuldigung, das ist … von der Polizei«, sagt er hastig.
»Ruska. Nina Ruska.«
»Richtig. Das ist meine Frau, Emma Luoma.«
»Guten Abend«, grüßt Nina nervös und wendet den Blick auf die Namensliste, die auf dem Tisch liegt, wo sie sie zurückgelassen hat. Dann betrachtet sie die Frau, die sich gerade die Nase putzt. Ihre roten Wangen sind von Sommersprossen übersät.
»Emma arbeitet ebenfalls als Ärztin hier«, erklärt Daniel Luoma verlegen.
»Und Camilla Adlerkreutz? Ist sie auch Ärztin?«
»Ja, aber sie ist schon längst pensioniert. Seit ungefähr fünfzehn Jahren.«
»War sie Roger Koponens Ärztin?«
»Ja. Camilla hat das Ärztezentrum gegründet.« Luoma reibt sich die Stirn. Nina mustert ihn. Sie weiß nicht, was sie von alldem halten soll.
»Ich muss jetzt gehen.« Nina macht einen Schritt zur Tür, begreift dann aber, dass sie die verweinte Frau übergangen hat. »Pardon, haben Sie mir etwas zu erzählen?«
»Es ist vielleicht meine Schuld«, sagt die Frau leise.
»Was?«
»Dass Koponen an die Medikamente gekommen ist.«
»Wie meinen Sie das?«
»Er ist sehr gut darin, Menschen zu überreden.«
»Was ist passiert?«, fragt Nina und kehrt an den Tisch zurück. Gerade jetzt geschieht so vieles gleichzeitig, dass es ihr schwerfällt, einen klaren Kopf zu behalten.
»Roger ist vor einiger Zeit hier aufgetaucht und hat erklärt, er brauche etwas. Ich solle nur die Tür zur Arzneimittelkammer öffnen und kurz wegschauen«, erklärt Emma Luoma und richtet die geröteten Augen auf Nina. »Ich dachte, es ginge um Beruhigungsmittel. Die hat Roger eingenommen, zusätzlich zu Alkohol. Er wusste, was er suchte. Und ich habe mich darauf verlassen, dass er nur ein paar Tabletten für den Eigenbedarf nimmt. Nie im Leben hätte ich gedacht …«
»Ich verstehe nicht. Warum haben Sie nicht einfach ein Rezept ausgestellt?«
»Weil sie ein Verhältnis haben«, stößt Daniel Luoma plötzlich hervor und vergräbt sein Gesicht in den Händen. Dann seufzt er tief und fährt ruhiger fort: »Jetzt habe ich es ausgesprochen. Emma und Roger Koponen haben etwas miteinander. Sie pfeifen auf Berufsethik, Moralvorschriften und Ehegelübde.«
»Daniel …« Emma Luoma schluchzt leise auf.
»Halbwahrheiten helfen jetzt nicht, Emma. Wir müssen der Polizei gegenüber ehrlich sein.«
Nina atmet die stickige Büroluft ein. Sie sollte Emma Luoma nach Pasila mitnehmen. Die Frau muss gründlich vernommen werden.
»Ich weiß, wo er sich versteckt«, sagt Emma Luoma plötzlich.
»Was? Wo?«
»Roger hat einen Unterschlupf in Laajasalo. Eine Zweitwohnung, die nicht auf seinen Namen läuft. Dort schreibt er. Und trifft sich mit Frauen.«
»Wissen Sie die Adresse?«
»Nein … Aber ich war ein paar Mal dort.«
»Können Sie mir den Weg zeigen?«
»Natürlich«, antwortet Emma Luoma und streckt dann die Hand über den Tisch hinweg nach ihrem Mann aus, der sie jedoch nicht ergreift. »Du hast es doch selbst gesagt, Schatz. Keine Halbwahrheiten.«
Eine Weile schlucken beide an ihren Tränen.
»Ist Roger in diese Todesfälle verwickelt? Hat er seine Frau umgebracht?«, fragt Emma Luoma schließlich.
Nina antwortet nicht. Sie denkt fieberhaft über ihren nächsten Zug nach.
»Ich möchte, dass Sie mir die Wohnung zeigen. Jetzt gleich«, sagt sie dann und wickelt sich den Schal um den Hals.
»Jetzt?«
»Ja.«
»In Ordnung«, antwortet Emma Luoma und wischt sich mit dem Ärmel über die Augen.
»Ich komme mit«, sagt ihr Mann.
»Okay. Dann mal los«, fordert Nina die beiden auf und wählt Ernes Nummer.