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Nina stellt die Lüftung wärmer, während der Wagen die Brücke zwischen den Vororten Herttoniemi und Laajasalo überquert. Die Spannung zwischen dem Ärzteehepaar auf der Rückbank ist mit Händen zu greifen, sie ist wie ein riesiger Eisberg, der trotz Klimawandel nicht schmelzen will. Nina wirft im Rückspiegel einen Blick auf die verheulte Frau. Es erscheint ihr geradezu unbegreiflich, dass eine Fachärztin für Psychiatrie nicht nur eine sexuelle Beziehung mit einem schizophrenen Patienten eingeht, sondern ihm auch noch hilft, lebensgefährliche Medikamente aus dem Ärztezentrum zu stehlen. Ganz gleich, was geschieht, Emma Luomas Laufbahn als Ärztin ist wahrscheinlich zu Ende. Was aus ihrer Ehe wird, ist schwieriger zu sagen. Auch in diesem Punkt sieht es nicht gut aus.
Nina blickt auf das Navi. Sie soll an der Neste-Tankstelle in Laajasalo zwei Kleinbusse mit bis an die Zähne bewaffneten Männern des Sonderkommandos treffen; von dort werden sie nach Emma Luomas Anweisungen gemeinsam zu Koponens mutmaßlichem Versteck fahren. Jetzt wird kein Risiko mehr eingegangen. Von nun an stürmen sie mit voller Kraft voraus.
Auf dem Display des Handys erscheint Ernes Name. Nina nimmt es in die Hand, weil sie nicht will, dass die Luomas auf der Rückbank mithören.
»Hallo, Erne, ich bin bald am Treffpunkt«, sagt sie. Die Laajasalontie ist, abgesehen von einem entgegenkommenden Kleintransporter der Armee, völlig leer.
»Können die Passagiere mich hören?«
»Nein.«
»Gut. Wir haben neue Informationen. Das Wasserwerk hat eine Verbrauchsspitze im hintersten Winkel von Kaitalahti gefunden. Dort ist vor ein paar Tagen reichlich Wasser gelaufen. Es handelt sich um eine Art Sommerhaus, und als Besitzerin ist Maria Koponen eingetragen. Wir haben von der Baubehörde den Grundriss bekommen. Das Haus steht am Ufer und hat einen großen Keller.«
»Fuck .«
»Es muss sich um das Haus handeln, zu dem die Ärztin euch führt«, sagt Erne.
»Nehme ich auch an. Aber sollten wir uns vergewissern?«
»Lass die Luomas im Polizeifahrzeug an der Tankstelle zurück. Das Sonderkommando stürmt das Haus, und wenn sich dort nichts findet, sehen wir weiter. Es ist besser, keine Zivilisten hinzubringen, falls es sich tatsächlich um einen Tatort handelt.«
»Verstehe«, sagt Nina und blickt wieder in den Rückspiegel. Das Ehepaar hält Händchen. Die Kraft der Vergebung ist groß. Vor allem in einem Moment wie diesem, wenn das Chaos die Herrschaft übernimmt und Kummer und Probleme unter sich begräbt, die sonst übermächtig erscheinen könnten.