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I n der schwarzen Finsternis der mondlosen Nacht sah alles anders aus als am Tage.
Weil sie die offizielle Zuwegung zu Romina Tomas Haus nicht nutzen wollten, waren Rica und Jan vier Kilometer querfeldein marschiert. Hatten dabei zwei schmale Bäche überwinden, mit Stacheldraht kämpfen und wiederholt ihre Stiefel aus tiefem Morast befreien müssen. Es war eine anstrengende Tour, die sie auf sich genommen hatten, um mehr über Romina Toma herauszufinden. Dass es mehr gab, daran hatten sie nach ihrem ersten Besuch hier keinen Zweifel. Wahrscheinlich würden sie nicht ins Haus einbrechen, solange die wehrhafte Frau darin war. Aber sie würden sich drum herum und in der Scheune umschauen – und an einer geeigneten Stelle eine winzige Videokamera anbringen sowie einen Peilsender an dem roten Toyota. Jan trug das Equipment bei sich in einem Rucksack. Die Kamera war nicht größer als eine Zigarettenschachtel und batteriebetrieben. Dank eines Bewegungssensors schaltete sie sich nur ein, wenn es notwendig wurde, so hielten die Akkus zwei Tage bis zu einer Woche. Überdies funkte sie Bilder in Echtzeit an Ricas Laptop.
Es ging gegen Mitternacht, als sie sich dem Haus näherten. Schwarz und bedrohlich stand das Gebäudeensemble in der Nacht. Eine abweisende Trutzburg in einem finsteren Tal, in dem die Straße vierhundert Meter hinter dem Haus endete. Nirgendwo brannte ein Licht.
Stacheldraht an Eichenpfählen umgab das Grundstück.
Dort knieten Rica und Jan sich hin.
»Hoffen wir, dass es tatsächlich keinen Hund gibt«, flüsterte Jan.
Sie gingen davon aus, da sie am Tage weder einen Hund noch Hinweise dafür gesehen hatten. Das war ungewöhnlich in einer solchen Lage, aber vielleicht mochte Romina Toma keine Hunde.
Minutenlang blieben sie an dem Stacheldrahtzaun sitzen, lauschten und beobachteten. Jan hatte nicht damit gerechnet, dass es so dunkel sein würde. Eine Außenbeleuchtung am Haus oder Licht, das durch ein Fenster herausfiel, wäre hilfreich gewesen, um die Kamera an der Außenwand der Scheune zu installieren, aber so, wie es aussah, würde er dafür zumindest das Displaylicht eines Handys einschalten müssen – verräterisch in einer Nacht wie dieser.
»Es ist so verdammt still«, flüsterte Rica.
Sie waren solche Stille von ihrem Hof in Hammertal gewohnt, aber hier haftete ihr etwas Bedrohliches an.
Für einen Moment glaubte Jan, weiter oben in der Landschaft, an dem Felsriegel, eine Bewegung wahrgenommen zu haben, aber als er genauer hinsah, war da nichts. Eine Täuschung, mehr nicht.
»Okay, packen wir’s«, sagte er und hob den untersten Stacheldraht an.
Rica schob sich drunter durch und half dann ihm. Behutsam schlichen sie die letzten fünfzig Meter auf das Haus von Romina Toma zu. Schließlich erreichten sie die Rückseite der Scheune, pressten sich an die Holzwand und schoben sich vor bis an den Hof.
Als Jan den Bewegungsmelder bemerkte, war es zu spät.
Eigentlich, denn sie waren mit Sicherheit in seinen Erfassungsradius getreten. Der gekoppelte Halogenscheinwerfer sprang aber nicht an.
Glück gehabt, dachte Jan. Wahrscheinlich hatte ein defekter Glühstab ihnen den Arsch gerettet.
Er schlich zu dem roten Toyota hinüber, Rica folgte ihm.
Den winzigen Peilsender, der über die integrierte SIM -Karte ebenso Daten an Ricas Laptop übertrug wie die Kamera, konnte er im Dunkeln anbringen. Jan musste den magnetischen Fuß nur an eine geeignete Stelle am Fahrzeugboden anhaften. In Echtzeit zeigte er die Position des Fahrzeugs bis auf fünf Meter genau an. Er war wasserdicht und arbeitete mit der eingebauten Batterie maximal neunzig Tage.
Legal war es nicht, was Jan tat, aber darüber machte er sich am allerwenigsten Sorgen.
Er überlegte, wie er die Kamera anbringen sollte.
An der Vorderseite gab es zwei Rolltore und eine einfache Tür. Jan schlich hinüber und probierte die Klinke aus. Die Tür ließ sich öffnen. Vorsichtig zog er sie auf und leuchtete mit dem Handy in die Dunkelheit dahinter. Er entdeckte einen alten roten Traktor, einen Anhänger, einige landwirtschaftliche Geräte und allerlei Gerümpel.
Direkt über der Tür befand sich eine weitere Lampe mit Bewegungsmelder, auch die sprang nicht an.
Ein Zufall zu viel, dachte Jan.
Wie er im Licht des Handys sehen konnte, waren an einigen der tragenden Balken der Scheune Leuchtstoffröhren angebracht, den Lichtschalter entdeckte Jan neben der Tür. Er hatte einen Verdacht und wollte ihn überprüfen. Da er wusste, dass so alte Leuchtstoffröhren einen Moment brauchten, um anzuspringen, konnte er das Risiko eingehen und betätigte den Lichtschalter.
Es tat sich nichts.
»Schon merkwürdig«, flüsterte er. »Nirgends funktioniert die Beleuchtung.«
Nachdem sie einen Augenblick nachgedacht hatte, stieß Rica »Die Klingel!« aus und lief auch schon leichtfüßig und geräuschlos zur Haustür hinüber.
Jan folgte ihr langsam.
Rica schüttelte den Kopf und deutete auf die Klingel, die am Tag noch beleuchtet gewesen war.
»Kein Strom?«, fragte Jan leise und nachdenklich. »Hier stimmt doch etwas nicht.«
Bevor er selbst sich dazu entschloss, legte Rica die Hand auf die Türklinke und drückte sie hinunter – die Tür war nicht verschlossen!
Rica und Jan sahen einander an, kommunizierten wortlos und entschieden, das Haus zu betreten.
Im Flur roch es muffig.
Rica holte ihr Handy hervor und leuchtete mit dem schwachen Licht des Displays hinein. Jan schaute sich sofort nach dem Gewehr um, konnte es im Bereich der Tür aber nicht entdecken.
Sie mussten nur einen Schritt in den engen Flur hineingehen, um durch die nächste geöffnete Tür in die Küche schauen zu können. Die Einrichtung war altmodisch, und es mangelte an Ordnung. Ein Stuhl lag umgekippt vor dem Tisch, daneben ein zersplitterter Teller. Messer und Gabel lagen in einer Anordnung auf der Wachsdecke des Tisches, die vermuten ließ, dass der Teller sich zuvor dazwischen befunden hatte.
»Irgendwas stimmt hier ganz und gar nicht«, flüsterte Jan. Er machte sich auf dem Flur auf die Suche nach einem Sicherungskasten. Was er fand, war eine kleine Metallklappe in der Wand neben der Treppe, die in den ersten Stock hinaufführte.
Er zog die Klappe auf. Dahinter befanden sich tatsächlich die Sicherungen für die Hauselektrik. Alte Porzellansicherungen. Er drehte eine heraus.
»Die Sicherungen sind durch«, sagte er.
Einen Moment standen sie ratlos nebeneinander im Hausflur, dann entschied Jan sich für ein offensiveres Vorgehen.
»Frau Toma?«, rief er. Rica zuckte zusammen.
»Alles in Ordnung?«
Keine Reaktion.
»Okay, schauen wir uns um«, flüsterte Jan und ging voran.
Von dem schnurgerade verlaufenden Flur im Erdgeschoss gingen vier Türen ab. Gegenüber der Küche lag das Wohnzimmer, dort war niemand. Die nächste Tür führte in ein kleines WC . Und auch der letzte Raum, einst wohl als Esszimmer genutzt, jetzt aber mit allem Möglichen angefüllt, war verwaist. Ein schiefes Bügelbrett herrschte über ein Kleidungsvolk, das am Boden und über die Stühle und den Tisch verstreut hauste.
Der Geruch nach zu lange getragener Kleidung war durchdringend.
In eine Ecke war ein Schreibtisch aus Kiefernholz gepresst, wie Jan ihn als Jugendlicher gehabt hatte. Daneben stand ein Regal mit Aktenordnern und allerlei Katalogen – ein provisorisches Büro.
Eine weitere Tür war nicht mehr als ein Bretterverschlag unter der Treppe. Jan zog sie auf und leuchtete hinein. Eine Kellertreppe. Er stieg sie zur Hälfte hinab und fand einen kleinen, quadratischen Raum voller Holzregale, in denen Konserven lagerten.
»Jetzt oben«, flüsterte er, drückte die schwergängige Tür zu und stieg die knarrende Holztreppe hinauf.
Rica folgte ihm mit zwei Stufen Abstand.
Jan war aufs Äußerste angespannt. Er konnte sich keinen Reim darauf machen, was hier los war. War Romina Toma nach ihrem kurzen Gespräch getürmt? Hatten sie sie durch ihre Fragen aufgeschreckt? Aber der rote Toyota parkte noch auf dem Hof, und was hatte die unterbrochene Stromversorgung zu bedeuten?
Das Obergeschoss teilte genau wie unten ein gerader Gang, nur war er wegen der Dachschrägen kürzer.
Drei Türen. Zwei rechts, eine links.
Jan öffnete die, die der Treppe am nächsten lag, und leuchtete mit dem Handy hinein.
Der Anblick war entsetzlich.