Ein riesiger roter Hund war auf eine weiße Hündin gestiegen, die das geduldig mit sich machen ließ. Sie hatte den Rücken so weit durchgebogen, wie sie nur konnte, sie würde trotzdem an dieser Kopulation sterben.
Julien hatte verzweifelt versucht, die weiße Hündin zu retten, indem er den großen Roten anging. Allerdings auf eine Art, die eindeutig sexuell und ziemlich peinlich war.
So und nicht anders hatte Julien geträumt.
Es gab weder eine Szenerie drumherum, noch so etwas wie Handlung, und beim Aufwachen hatte er eine schmerzende Erektion.
Später am Tag war ihm dann eine bedrückende, gleichzeitig unscharfe Vermutung gekommen, was das Bild mit den beiden Hunden anging: ›Lou ist in Gefahr.‹
Sein Verdacht wurde schnell konkret.
›Vielleicht arbeitet Philippe noch für andere als Lous Vater.‹
Er hatte ihn ein paarmal im Paris gesehen, wo er mit zwei Männern am Tisch gesessen hatte, die viel älter waren als er, nämlich mit Robert Vauterin und Gilles Larousse. Robert Vauterin war Julien schon immer unheimlich gewesen. Sein hageres Gesicht in Form eines V passte perfekt zu seinem Nachnamen. Und so wurde er auch manchmal genannt: ›V war da.‹ Oder: ›Kommt V noch?‹ Als würde er mehr an Namen nicht verdienen.
Überhaupt machte Robert Vauterin einen erbärmlichen Eindruck, der bei vielen zunächst Mitleid erregte. Diesen Eindruck verstand er für seine Zwecke zu nutzen. Er war auch längst nicht so hilflos, wie er in seiner stets viel zu weiten Kleidung wirkte. Robert Vauterin hatte Kraft, genau wie Gilles Larousse und Lous Vater war er lange beim Militär gewesen, es hieß, er könne mit bloßen Händen töten.
Julien gruselte es bei dem Gedanken, dass Philippe sich mit den beiden eingelassen hatte. Vor Gilles Larousse, Robert Vauterin und deren Mitarbeitern hatten sie letztes Jahr noch Angst gehabt, denn der Steinbruch, in dem sie geschossen hatten, lag nur 300 Meter hinter den Ruinen der Kurkliniken, die von den beiden und ihrem Wachschutzunternehmen geschützt wurden.
Offenbar hatte Philippe das mit den Waffen und seiner merkwürdigen Vorstellung, dass man auch ›das Andere‹ mal kennenlernen sollte, ernster gemeint, als Julien immer geglaubt hatte. Jedenfalls saß Philippe jetzt manchmal mit denen am selben Tisch und redete sehr intensiv. Einmal war auch Lou dabei gewesen. Das hatte Julien am meisten schockiert.
Dass es nun endgültig zum Bruch zwischen ihm und Philippe kam, lag so gesehen letztlich an Lou. Von richtiger Liebe oder Begehren spürte er nichts, da war Julien sich sicher. Nein, es ging ihm darum, Lou, die noch immer so sklavisch an Philippe hing, davor zu bewahren, dass sie am Ende in irgendetwas Kriminelles reingezogen wurde. Philippe musste weg, das stand jetzt fest.
Trotzdem zögerte Julien noch zwei Tage. Schließlich hatte er sich immer vorgenommen, mal so zu werden wie sein Vater, also offen zu bleiben, keine vorschnellen Urteile zuzulassen. Dann aber hatte er sich mit Anna getroffen, um mit ihr über seinen Verdacht zu sprechen.
Er und Anna waren vor einem halben Jahr kurz zusammen gewesen. Er fand, dass sie gut aussah, und klug war sie auch.
Sie hätten gut zueinander gepasst. Aber als er ihren Körper zum ersten Mal richtig berührt hatte, war es ihm vorgekommen, als würde er ein Stück Fleisch mit zu glatter und irgendwie falscher Haut streicheln. Er konnte es gar nicht beschreiben. Da stimmte irgendetwas nicht, mit der Festigkeit, der Temperatur oder dem Grad an Feuchtigkeit. Seine Hände jedenfalls mochten ihre Haut überhaupt nicht. Beim Küssen war das auch schon komisch gewesen. Nicht ganz so schlimm, und er hatte das ja auch ignoriert. Aber der Widerwille seines Körpers gegen ihren war ganz eindeutig gewesen.
Letztlich hatte sie ihn dann aber doch verführt, wobei auch einiges an Alkohol im Spiel gewesen war. Und so hatte Julien zuletzt einfach die Augen geschlossen und an Claire gedacht.
Nachdem sie ein paarmal miteinander geschlafen hatten, sagte Anna zum Glück, dass sie das nicht mehr wollte. So musste er es nicht sagen.
Trotz dieser beschissenen Erfahrung waren er und Anna Freunde geblieben und hatten sich gegenseitig versprochen, den jeweils anderen nicht schlechtzumachen. So war Anna ausgerechnet durch das Peinliche zu der Frau geworden, mit der Julien über alles sprechen konnte, und er meinte, ihr ginge es genauso.
»Es geht um Lou und Philippe. Ich glaube, dass er einen gefährlichen Einfluss auf sie hat.«
»Bist du in Lou verknallt?«
»Nein! Ich mache mir einfach Sorgen, weil sie nicht immer alles durchschaut. Es fing damit an, dass Philippe meinte, bei Larousse sei viel Geld zu holen.«
»Hat er das so gesagt? Das sind Sprüche, Julien, er macht sich wichtig.«
»Meinst du? Man weiß bei Philippe doch nie genau, wie er was meint. Jedenfalls: Vor zwei Monaten ist er zu mir gekommen, mit einer Papprolle …«
»Ballert ihr eigentlich immer noch in der Kiesgrube rum?«
»Nein. Ich glaube, Philippe hat jetzt andere Freunde. Ältere Freunde. Und genau darum geht es. Er trifft sich mit diesem Sohn von den alten Larousses. Gilles. Dem sind wir damals ein paarmal oben an den alten Kurkliniken begegnet, weil er da mit seiner Wachschutzfirma arbeitet. Ist das nicht krank? Gilles ist vierzig oder fünfzig und Philippe siebzehn. Einer von den anderen Wachschutztypen war auch noch dabei, Vauterin heißt der, er hat so einen komisch geformten Kopf.«
»Ich glaube, ich weiß …«
»Der ist auch schon Mitte vierzig. Vielleicht arbeitet Philippe jetzt für die, er mag ja Pistolen, und die tragen Waffen bei der Arbeit.«
»Okay, Philippe arbeitet vielleicht für eine Wachschutzfirma. Wo ist das Problem?«
Julien hatte kurz gezögert.
»Philippe hat ganz eindeutig davon gesprochen, man müsse die Spedition Larousse abfackeln, drei Tage später hat es dort gebrannt. Er wurde vernommen und ist nur freigekommen, weil Lou ihm ein Alibi gegeben hat. Vorher wollte er mit mir über einen Banküberfall nachdenken. Was passiert, wenn er den beiden mit so was kommt und auch noch Lou mit rein-zieht?«
Anna hatte ihn zunächst beruhigt und gemeint, Philippe sei viel zu intelligent, um sich auf irgendetwas Kriminelles einzulassen. Es hatte Julien imponiert, dass sie sich so für Philippe einsetzte. Und so führten sie ein merkwürdiges Gespräch, bei dem er die Rolle des Anklägers übernahm und sie die der Verteidigerin. Das gab den Ausschlag, denn Anna stachelte ihn mit ihrer Verteidigung immer mehr gegen seinen Freund auf.
Schließlich gewann er die Oberhand, und Anna war bereit, sich vorzustellen, dass Philippe vieles wohl doch nicht nur so dahingesagt hatte. Dann hatte Anna ganz plötzlich die Seiten gewechselt. »Was ich jetzt sage, bleibt unter uns. Wir haben uns immer an unsere Versprechen gehalten.«
Da war es wieder, das Peinliche. Und wie immer hatte es eine unglaubliche Kraft.
»Okay. Philippe hat etwas, das wir vielleicht nie begreifen werden. Gar nicht begreifen können. Ich glaube, A: dass er sehr intelligent ist.«
»Weiß ich, Anna. Weiter.«
»Ich glaube aber auch, B: dass er so doll an das glaubt, was er sich ausdenkt, dass er nicht mehr zwischen Realität und Vorstellung unterscheiden kann. Er ist naiv, was das angeht. Und gefährlich. Mein Vater hat sich mal länger mit ihm unterhalten.«
»Ich wusste gar nicht, dass du mit Philippe zusammen warst.«
»Ich war nie mit ihm zusammen, er steht auf Frauen wie Claire und Lou, Frauen, die ihm glauben. Philippe und ich waren nur eine Weile befreundet. Deshalb hat sich mein Vater ja auch mit ihm unterhalten. Nach diesem Gespräch hat er mir gesagt, dass ich bei Philippe aufpassen soll. Er hielt ihn für manipulativ. Und zwar nicht nur gegen andere, sondern auch gegen sich selbst. Sprich mal mit Lou, vielleicht hört sie auf dich. Ich finde es jedenfalls tödlich, dass sie noch immer mit Philippe zusammen ist. Aber sag ihr nicht, dass ich das gesagt habe.«
Also hatte Julien sich schließlich getraut und war zu Lou gefahren. Er erklärte ihr, dass sie ihm viel bedeute, dass ihre Freundschaft für ihn das Wichtigste sei. Überhaupt sprach er in einer Weise, dass andere Mädchen vielleicht gemeint hätten, das Ganze sei eine Liebeserklärung. Dann war er auf Philippe gekommen, und als er endlich sagte, was er befürchtete, war sie explodiert.
»Banküberfall? Du spinnst doch! Das hat Philippe so nie gesagt und schon gar nicht gemeint!«
Sie hatte Julien beschimpft, Arschloch und Verräter war noch das Harmloseste gewesen. Es war alles viel schlimmer gekommen, als er sich das für den schlimmsten aller Fälle vorgestellt hatte.