Rosemarie Magdalena Albach wurde am 23. September 1938 in Wien geboren. Wenige Monate zuvor war Österreich als souveräner Staat gestorben. Romys Vater, der Schauspieler Wolf Albach-Retty hatte schon vor dem sogenannten Anschluß die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt und erhalten. Als einer der Stars des gleichgeschalteten und den Prinzipien des Nationalsozialismus verpflichteten deutschen UFA-Films hielt er das für seiner Karriere förderlich. Nach der Befreiung 1945 mußte er kurzfristig für seinen ganz persönlichen Anschluß büßen; er bekam keine Engagements, aber schon nach wenigen Monaten war im allgemeinen Verzeihen auch diese (im Vergleich zu anderen läßliche) Sünde vergessen, er wurde wieder Mitglied im Ensemble des Wiener Burgtheaters, das allerdings in Trümmern lag und erst 1955 wieder eröffnet wurde. Doch in Wien gab es ja genügend andere Theater, die sich um den berühmten Wolf Albach-Retty rissen. Seine Frau Magda, geborene Schneider, mit der er viele Filme gedreht hatte (»Wir haben alles gespielt, wie es halt so kam«), brachte Rosemarie vier Wochen nach ihrer Geburt in das Haus der Familie, nach Mariengrund bei Berchtesgaden. Dort blieb Rosemarie, die bald alle Romy nannten, während ihrer Kindheit.
Die Eltern hatten nur selten Zeit für Rosemarie und ihren 1941 geborenen Bruder Wolf, weil sie immer wieder zu Dreharbeiten abreisen mußten. In der Gunst des Publikums lagen sie zeitweise sogar vor dem Traumpaar des deutschen Films, Lilian Harvey und Willy Fritsch. Aber schon damals zeigte sich, daß dieser Wolf Albach-Retty (eigentlich Wolf Albach, Retty war der künsderische Zusatz nach dem Mädchennamen seiner Mutter, der berühmten k. u. k.-Hofschauspielerin Rosa Albach-Retty) nicht nur im Film der beste Liebhaber seiner Zeit war. Oder, wie später Magda Schneider in einer ihrer zahlreichen Erinnerungen bitter bemerkte: »Er war ein Mann zum Verlieben, aber kein Mann für eine Familie.« Zwei Jahre vor Kriegsende trennten sich die beiden, Magda blieb mit den Kindern und ihren Eltern in Mariengrund. Die Trennung – und die Scheidung 1945 – hat sie lange nicht überwunden. Wie Romy Schneider einmal erzählte, gehörte zu ihren Kindheitserinnerungen das Bild, wie die Mutter über viele Jahre die Anzüge des Vaters auf dem Dachboden pflegte – man wußte ja nie, ob er zurückkäme – und dabei regelmäßig in Tränen ausbrach. Einen neuen Verehrer hatte sie dennoch bald gefunden, den Kölner Gastronomen Hans Herbert Blatzheim, der angeblich schon 1934 in Frankreich um ihre Hand angehalten hatte, damals aber verschmäht wurde, weil sie ja Wolf Albach-Retty an ihrer Seite wußte, der der Mann ihres Lebens war.
Aber auch für Romy Schneider wird der Mann, der nie da war, zu einem Trauma, das sie erst spät überwindet. Als sie schon mit Alain Delon verlobt ist, stellt sie ihn eines Tages einem gemeinsamen Freund mit der Bemerkung vor: »Sieht er nicht aus wie das Papili?« Auch ihre Schwärmereien für Curd Jürgens oder Herbert von Karajan, über die später viel spekuliert wurde, sind nach Meinung einer Freundin nur dadurch zu erklären, daß sie stets den fernen, nie gehabten Vater gesucht hat. Der war nach der Trennung von Magda Schneider zu der jungen Schauspielerin Trude Marlen gezogen, die er später auch heiratete. Romys Mutter kämpfte sich alleine durch. Den festen Willen, etwas auch dann zu schaffen, wenn es unmöglich schien, hatte sie schon als junges Mädchen bewiesen. Sie stapfte, erzählt ein Freund der Familie, durchs Leben wie ein kleiner Soldat, unbeirrt und ohne Furcht. Diesen Gang zumindest, kurze feste Schritte, hat Romy von ihrer Mutter geerbt. Die Augsburger Stenotypistin Maria Magdalena Schneider bewies Durchsetzungskraft, als sie gegen den Willen ihrer Eltern die Ausbildung am Konservatorium schaffte, auch gleich ein Engagement bekam in ihrer Heimatstadt und dann als Soubrette am Münchner Theater am Gärtnerplatz für eine lächerliche Gage bis zu achtundvierzigmal mal im Monat auf der Bühne stand. In unbedeutenden deutschen Filmehen wurde sie erst ab 1930 eingesetzt. Zu den vielen Verehrern ihrer Münchner Zeit gehörte übrigens ein Mann namens Adolf Hitler, der bei ihren Auftritten manchmal in der ersten Reihe saß und anschließend Blumen in die Garderobe schickte. Von einer Begegnung zwischen Hitler und Magda Schneider aus späteren Jahren ist zweierlei überliefert – ein Satz des weiland Führers: »Ich hoffe, Sie wissen, daß ich damals in München nur Ihretwegen ins Theater gegangen bin«, und ein sanftes Erröten der Magda Schneider.
Nach Kriegsende hat sie, wie so viele andere Schauspieler auch, mit Gastspielen und bunten Abenden bei den Amerikanern überlebt, denn Filmrollen gab es kaum. Und wie viele andere auch hat sie sich in Naturalien bezahlen lassen. Eigentlich bekam man für einen Auftritt vor der US-Army bei zwei oder drei Liedern eine Stange Zigaretten und ein paar Konserven. Nach mehreren solcher Kurzgastspiele in Salzburg hat sie sich Schokolade statt Zigaretten geben lassen und war mit einem Rucksack voller Süßigkeiten zurückgekehrt nach Mariengrund. Auch daran hat sich Romy Schneider später erinnert, »daß ich mit meinem Bruder Wolfi der Mama entgegengerannt bin und wir gerufen haben: Hast Du Schokolade?«. Rosemarie Albach damals: ein blondgelocktes, rundliches Kind. Als sie zehn Jahre alt ist, im Sommer 1949, wird sie von ihrer Mutter, die alle Träume von der Fortsetzung ihrer einst stolzen Filmkarriere schon begraben hat, nach einem kurzen Zwischenaufenthalt in einer Schule in Traunstein im Internat Goldenstein in der Nähe von Salzburg eingeschult. Magda Schneider hat wegen ihrer Theaterauftritte keine Zeit mehr, sich zu Hause um die Kinder zu kümmern; nur der jüngere Wolfi bleibt in Obhut der Großeltern Schneider.
Die Schule der katholischen Nonnen wirkt nicht unbedingt wie ein Haus, in dem Kinder fröhlich sein können. Das Internat ist eine ehemalige Raubritterburg aus dem 13. Jahrhundert und sieht auch heute noch aus wie eine abweisende, bedrohliche Festung. Rosemarie schläft mit vierzehn anderen Mädchen in einem der sieben kargen Schlafsäle des Internats, im Rittersaal. Die gleichaltrigen Margit und Monika sind ihre besten Freundinnen. Einmal im Monat dürfen die Kinder nach Hause fahren, aber Zögling Nummer 144 bleibt meistens da. Zu Hause ist niemand, der auf sie wartet, allenfalls trifft sie manchmal Onkel Eugen und Tante Marianne in Salzburg. Ihre Mutter ist meist unterwegs auf Tournee, sie muß die Familie ernähren, ihr Vater steht fast jeden Abend auf der Bühne. Auch Besuch bekommt das Kind selten. Magda Schneider schaut ein paarmal vorbei, ist aber Jahrzehnte später stolz darauf, ihr zumindest immer regelmäßig geschrieben zu haben. Auch Romy Schneider muß später als Schauspielerin ihre Kinder oft allein lassen, auch Romy Schneider schreibt ihren Kindern lange Briefe voller Liebe und Sehnsucht, aber sie ist nie stolz darauf, sie wird immer darunter leiden, daß sie nicht beides haben kann, den Ruhm als Filmstar (der aber nur dann bleibt, wenn man immer weiter dreht) und den Alltag als Mutter, die sich die vielen kleinen Begebenheiten im Tagesablauf ihrer Kinder nicht erzählen lassen muß, sondern sie selbst erlebt.
Rosemarie Albachs Vater kommt nie nach Goldenstein, nur einmal darf die Tochter mit ihm in Salzburg Schuhe einkaufen gehen, aber auch da ist er schon nach wenigen Stunden genervt, weiß er mit der Kleinen nichts zu reden. Magda Schneider unterläßt alles, um das Bild des Vaters bei den Kindern zu erhalten. Als er sie verlassen hat, gab es sogar Erklärungen an die beiden, daß der Papi tot sei und deshalb nicht mehr kommen könne. Umgekehrt legt auch Albach-Retty wenig Wert darauf, seine Kinder zu sehen. Er ist halt ein Mann für Frauen, nicht für Kinder. Einmal schickt er seinem »Mausi« aus dem Fundus des Wiener Burgtheaters ein Mephisto-Kostüm für den Kinderfasching. Romy findet es toll, die frommen Schwestern weniger – für katholische Nonnen beim Anblick eines kleinen Satans eine verständliche Reaktion. Romy wünscht sich während der Faschingsaufführung, ihr Vater möge in der ersten Reihe sitzen. Natürlich sitzt er nicht dort. Und auch das Kostüm ist kein Geschenk des Vaters, es muß an das Burgtheater zurückgegeben werden.
In der alltäglichen Tristesse, in dem erzwungenen Alleinsein erfindet sich das Mädchen Rosemarie eine Traumwelt und erzählt den staunenden Mitschülerinnen, die sehr wohl wissen, wie berühmt Romys Eltern sind, welche Prominenten sie alle persönlich kennt, ja sogar die Rita Hayworth und den Aga Khan, die hätte sie mal beim Essen gesehen, und Theater habe sie auch schon gespielt, im Salzburger Landestheater bei Peterchens Mondfahrt. Nichts davon stimmt. Rosemarie gilt als begabte Lügnerin, was nach ihrem Tod natürlich keine der befragten Schwestern mehr erwähnt. Da ist sie in den Erinnerungen der Schwester Augustina, bei der Rosemarie Englisch und Zeichnen und Musik hatte, zwar »liederlich gewesen«, was die Ordnung im Schlafsaal betrifft, aber ansonsten nett, freundlich und natürlich für alles mögliche begabt. »Sie hätte sicher auch Malerin werden können.« Tatsächlich hat Romy Schneider, wie aus den Aufzeichnungen ihres kindlichen Tagebuches aus dieser Zeit hervorgeht – Teile davon wurden in den fünfziger Jahren in der damaligen Deutschen Illustrierten veröffentlicht, andere Teile nach ihrem Tod geklaut, verkauft und auch gedruckt –, immer nur von einem geträumt: Schauspielerin zu werden wie »die Mammi«. Das wollte sie selbst dann noch, als sie 1953, nach den Jahren in Goldenstein, mit einer Eins in Malen und Zeichnen angemeldet war für eine Kunstfachschule in Köln, wo Magda Schneiders neuer Lebensgefährte Hans Herbert Blatzheim lebte.
Wenn sie Theater spielen oder gar in der Rolle eines Cowboys (den sie lieber verkörperte als die Prinzessin) »My Heart Is In The Highlands« singen darf, geht es ihr gut, da steckt sie alle mit ihrer fröhlichen Laune an. Aber oft war sie »unausgeglichen und innerlich mit sich selbst unzufrieden«, erzählt Schwester Esmelda, die ihr gleichzeitig »eine gute Sprachbegabung und ein außergewöhnliches Gedächtnis« bescheinigt. Diese Schwester deutet zumindest an, daß Rosemarie Albach auf dem Internat große Schwierigkeiten hatte: »Ich habe sie immer gegen andere Lehrerinnen verteidigt.« Am meisten hat Rosemarie unter der Präfektin zu leiden, die schon Unkeuschheit vermutet – und entsprechend bestraft –, wenn eines der Mädchen länger als eine Minute allein auf der Toilette ist. Zum Waschen, natürlich mit kaltem Wasser, muß man angezogen sein. Wenn es im Sommer zum Schwimmen in den Dorfteich geht, tragen die Mädchen ihre Turntrikots. Die Wäsche im Schrank hat akkurat auf Kante zu liegen, sie wird jeden Abend inspiziert.
Im Gartenhäuschen, das von der Präfektin unkontrolliert bleibt, schreibt Rosemarie Albach in ihr Tagebuch, das sie mal Peggy und mal Gabi nennt, rührende Zeugnisse kindlicher Träume und Ängste, die nach Romy Schneiders Tod einige Amateurpsychologen zu gewagten Schlüssen anregten. Nach der simplen Erkenntnis, daß »so was halt von so was kommt«, seien Romy Schneiders Lebensängste in dieser Phase ihrer Kindheit entstanden, als sie getrennt war von der Familie. Nie hätte sie es später als erwachsene Frau geschafft, diese Probleme aufzuarbeiten. Was wiederum Freunde von Romy Schneider, die sie als Kind schon kannten und bis zu ihrem Tod (wenn auch nur gelegentlichen) Kontakt zu ihr hatten, in den Bereich der Phantasie verweisen, denn sehr wohl habe sie später begriffen, was ihr damals gefehlt hat. Eben weil sie es begriffen hatte, versuchte sie in ihren beiden Ehen den Kindern zuliebe immer wieder, möglichst lange eine Familie zu erhalten, auch wenn die Beziehung der Erwachsenen schon kaputt war. Daß diese Versuche in Normalität jedesmal in einem Gefühlschaos endeten, war sicher mit ein Grund für die von ihr selbst so formulierte Einsicht, eigentlich für andere recht unlebbar zu sein.
Rosemarie, die auf Kommando weinen kann und dies auch in vielen Situationen ausnutzt (was ihre Mitschülerinnen bald erkennen, die nicht mehr darauf reagieren), spielt in den Theaterstücken, die von den Englischen Fräulein ausgesucht werden, am liebsten Bubenrollen. Tagebucheintrag nach der Kolibri-Aufführung, in der sie den Kasperl darstellt: »Schade, daß Mammi nie Zeit hat, um zur Premiere herzukommen und mich zu sehen. Die Eltern von den anderen sind immer da.« Daß sie auf der Bühne des Internats im Gegensatz zu einem Fach wie Mathematik so erfolgreich ist, verwundert niemanden. War doch ihre Großmutter Rosa Albach-Retty eine der ganz großen Schauspielerinnen des Burgtheaters, war ihr Vater Wolf Albach-Retty doch einer der beliebtesten Charmeure des UFA-Films gewesen und ihre Mutter Magda seit Max Ophüls’ Liebelei-Verfilmung zumindest für einige Jahre ein großer Star, der nach eigenen Angaben nur »deshalb nicht nach Hollywood gegangen war, weil meine Heimatliebe so groß war«. Die Kleine, heißt es, setzt einfach die Tradition der Familie fort.
Einmal im Jahr, an Weihnachten, darf das bravste Mädchen der Schule die Wachsfigur des Jesuskindes in die Krippe am Altar tragen – eine Auszeichnung, der alle Kinder entgegenfiebern. Für jede gute Tat in der Vorweihnachtszeit gibt es einen Strohhalm, der in die Krippe gelegt wird. Wer am meisten gesammelt hat, bekommt als Belohnung den Auftrag, Jesus in die Krippe zu betten. Rosemarie schafft es nie. Einmal aber schenkt ihr Edith, die beste Freundin während der Internatszeit, weil sie das Jammern nicht mehr ertragen kann, die eigenen Strohhalme. Und das Mädchen Rosemarie nimmt Jesus in die Arme. Die Präfektin, die später fromme katholische Ermahnungen an die berühmt gewordene Romy Schneider schrieb und sich in einem Brief vom 1. März 1964 mit »1000 Dank mit 1000 Gruß und 1000 Kuß« bedankte, nachdem die ehemalige Schülerin dem Internat einen Fernsehapparat geschenkt hatte, entreißt Rosemarie die Wachsfigur: »Du trägst ihn nicht. Wahrscheinlich hast du die Strohhalme erschwindelt. Du bleibst eh nicht mehr lange hier. Du wirst ganz bös enden. Bei dir ist all mein Beten verloren. Hast nicht mal eine intakte Familie und blöd bist du auch. Kannst froh sein, daß du überhaupt hier sein darfst.«
Romy Schneiders Briefe an die Präfektin gibt es nicht mehr, von den Antworten aus Goldenstein allerdings sind einige erhalten, weil der Filmstar fast alle Briefe aufhob, auch die vielen Zettel, die sie im Laufe ihres Lebens bekommen hat. Ein Brief der Präfektin (»Sei tausendmal gegrüßt von deiner getreuen Theresia«) vom 29. Juli 1959, geschrieben also sechs Jahre, nachdem Romy Schneider das Internat verlassen hat, läßt etwas von den Konflikten ahnen, die es damals zwischen Romy und ihrer Mutter Magda gegeben haben muß, weil die behütete Tochter dem Einfluß der Königinmutter entronnen und ausgebrochen war zu Alain Delon nach Paris. Neben dem Ratschlag, die ehemalige Schülerin möge sich »hoch über den Schmutz der Gesellschaft« halten und stets »sauber im Film und vornehm Deinem Bräutigam gegenüber« sein, damit sie sich nichts vorwerfen müsse, geht die einstige Lehrerin auch ein auf offensichtliche Klagen von Romy Schneider über ihre Mutter. Die Präfektin schreibt: »Schade, daß Du Dich derzeit mit Mutter nicht mehr so gut verstehst wie bisher. Sie hat Dir weitgehendst die Wege geebnet zu Deinem Beruf, und Du hast Dich doch immer gut und leicht getan mit ihr. Glaubst Du wirklich, daß sie Dich festbinden will, um Dich nicht zu verlieren? Sie muß und mußte doch damit rechnen, daß Du Deinen eigenen Weg einmal gehen wirst – für so klug halte ich sie. Oder meint sie vielleicht, daß diese Verlobung – Heirat – nicht von Dauer sein wird? Glaubst, sie hat dunkle Brillen auf – das glaube ich aber auch nicht von ihr – vielleicht hast Du Rosa-Brillen auf?«
Am 12. Juli 1953 verläßt Rosemarie Albach das düstere Internat (in dem ihr Foto entfernt wird, als sie im Sommer 1971 gegen den Paragraphen 218 protestiert und öffentlich bekennt, abgetrieben zu haben); sie ist vierzehn Jahre alt, und ihre Träume, Schauspielerin zu werden, sind ungebrochen. Als sie auf der Heimfahrt nach Hause, nach Mariengrund bei Berchtesgaden, dem Zöllner an der deutsch-österreichischen Grenze ihren Koffer zeigt, will er nicht glauben, daß die beiden Holzteller von ihr selbst bemalt wurden und nicht als »Ware eingeführt«, also verzollt werden müssen. Er läßt sie aber ohne Beanstandungen durch, als sie ihm anvertraut, daß dies Geschenke für ihre Mutter, die berühmte Magda Schneider seien. Fünfundzwanzig Jahre später noch erzählt sie voller Stolz, daß sie »mit bloßem Augenmerk« auf diesen Holztellern ein Siebeneck mit Ornamenten hat malen können. Ihre Mutter ist nicht da, als Rosemarie nach Hause kommt; sie hält sich zu Filmverhandlungen in München auf, der Produzent Kurt Ulrich hat ihr eine Rolle angeboten. Von dort kommt am 14. Juli abends ein Anruf: die Tochter solle am nächsten Morgen den Frühzug nehmen nach München, nein, sie könne nicht verraten, worum es geht, das sei ein Geheimnis.
Das Geheimnis: Bei den Vorgesprächen zum Film Wenn der weiße Flieder wieder blüht, in dem Magda Schneider neben Willy Fritsch eine Hauptrolle spielen soll, war eine Rolle noch nicht besetzt worden, die der Filmtochter von Magda Schneider. Ganz beiläufig, in der Halle des Hotels Bayerischer Hof, hatte Kurt Ulrich seine Hauptdarstellerin gefragt, ob sie nicht ein Mädchen kenne, so etwa vierzehn Jahre alt, das ihre Filmtochter spielen könnte. Magda Schneider versprach, darüber nachzudenken. Erst einmal müsse sie nach Hause zu ihrem Sohn und zu ihrer Tochter. Wie alt denn das Kind sei? Na, vierzehn ist sie jetzt. Der Rest ist Legende: Ja, wenn das so ist, könnte doch vielleicht die eigene Tochter die Filmtochter spielen. Vorausgesetzt natürlich, die Probeaufnahmen ließen zumindest den Hauch von Talent erkennen. Regisseur Hans Deppe, der mit einem gebrochenen Bein in München im Bett lag, soll einige Tage darauf beim Anblick der Kleinen gerufen haben: »Det isse.« Verdächtigungen, die viel später hochkamen, als man Magda Schneider schon alles zutraute, sie habe ihre Tochter benutzt, um selbst wieder ins Geschäft zu kommen, hält der Regisseur Hermann Leitner, ein enger Freund der Familie, für böse Nachrede: »Das kann schon deshalb nicht stimmen, weil der damalige Produzent Kurt Ulrich gar nicht wußte, daß die Magda eine Tochter hatte. Er wußte zwar, daß die Magda Kinder hatte, aber das war dem völlig wurscht. Der Ulrich war ein cleverer Mann und hat sich gesagt, die Frau hat einen guten Namen. Die hat jetzt eine Zeitlang nichts gespielt, die hole ich mir wieder. Der hat in München gesagt, ich habe eine schöne Rolle für dich. Und da kam es eben zufällig zu dem Gespräch.«
Rosemarie Albach ist ein Mädchen wie viele andere, und genau das, was man in den fünfziger Jahren einen Backfisch nennt. Ganz hübsch, immer fröhlich, ein wenig pausbäckig. Sie leidet darunter, daß sie ihrer Meinung nach zu wenig Busen hat, was sich aber bald gibt (als später in einem der Restaurants ihres Stiefvaters Blatzheim Hühnerbrüstchen à la Romy angeboten werden, findet sie das übrigens gar nicht komisch). Die Probeaufnahmen, die Anfang September 1953 in den Studios der Berolina in Berlin-Tempelhof gemacht werden, nimmt sie äußerlich ganz locker, als handele es sich um eine ihrer Schüleraufführungen in Goldenstein. Vielleicht überzeugt sie gerade deshalb und bekommt die Rolle. Während der Dreharbeiten (Willy Fritsch: »Die Romy spielte uns alle an die Wand.«) wird sie fünfzehn Jahre alt. Sie ahnt nicht, daß dieses Zwischenspiel Film von nun an ihr Leben sein wird, daß »Shirley Tempelhof« nie wieder zurückkehren wird auf eine Schule. Daß ihre Kindheit vorbei ist.
Die Geschichte des Films, bieder, aber eben deshalb typisch für den damaligen deutschen Film, hat verblüffende Ähnlichkeiten mit der eigenen Biographie. Willy Fritsch spielt einen Charmeur und Sänger, der seine Frau (Magda Schneider) und seine Tochter zugunsten einer großen Karriere verläßt. Mühsam fristet die Mutter ihr Dasein als Näherin, begleitet von einem treuen, aber nicht sehr aufregenden Freund. Nach fünfzehn Jahren kehrt der Treulose, inzwischen berühmt, für einen Auftritt zurück in die Provinzstadt Wiesbaden (wo der Weiße Flieder auch gedreht wird), in der er einst seine Frau zurückgelassen hat. Er will das Rad der Geschichte zurückdrehen, noch mal von vorne anfangen, seine Schuld wiedergutmachen, aber seine Tochter, von deren Existenz er natürlich nichts weiß, überzeugt ihn davon, daß er kein Recht mehr habe, den Frieden zu stören und wieder alles durcheinanderzubringen. Die Mutter wird den treuen Freund heiraten, der Vater zeigt sich einsichtig. Er singt »Wenn der weiße Flieder wieder blüht« und holt zu diesem Lied auch seine Tochter auf die Bühne, wobei sich herausstellt, daß sie seine Begabung geerbt hat. In den Kritiken heißt es, daß der Film eine merkwürdige Mischung aus Gefühlsduselei, aufgetragener Lustigkeit und falscher Volkstümlichkeit sei, es bleibe »lediglich das Vergnügen an dem unbefangenen Spiel einer reizenden Fünfzehnjährigen. (…) Ob Romy Albach-Schneider eine Schauspielerin ist, läßt sich noch nicht übersehen. Hier ist sie eben reizend, ganz besonders reizend«.
Die Filmindustrie braucht dringend neue Gesichter und ebenso dringend neue Legenden. Gefragt sind nicht Filme wie Die Mörder sind unter uns von Wolfgang Staudte, die nach der Befreiung gedreht wurden, die man in Deutschland noch jahrzehntelang Kapitulation nennen wird, als hätte eine an sich gute Sache leider nicht den verdienten Erfolg gehabt. Gefragt sind Filme, die in der noch fast fernsehfreien Zeit das Bedürfnis der Menschen nach Geborgenheit, nach privatem Glück, nach überschaubaren Konflikten im zwischenmenschlichen Bereich (und möglichst mit Happy-End) erfüllen. Die Verdrängungsmechanismen der Gesellschaft funktionierten auch im Filmgeschäft. Ein Veit Harlan (Jud Süß) war zwar nicht mehr opportun, aber all die vielen kleinen und großen Mitläufer trafen sich bald wieder in den Studios, in denen sie auch während des Dritten Reiches ihre Arbeit gemacht hatten. Keiner warf den ersten Stein, denn alle saßen sie im Glashaus.
Die neuen Gesichter waren zum Teil die Kinder der alten, die man natürlich auch noch brauchte, weil sie populär waren. So spielte nicht nur Magda Schneiders Tochter Romy eine (und nach Sissi die entscheidende) Rolle im deutschen Nachkriegsfilm, sondern auch Heinrich Georges Sohn Götz, Paul Hörbigers Sohn Thomas, Johannes Heesters Tochter Nicole, Otto Gebührs Sohn Michael, usw. Und da die Drehbücher der Unterhaltungsfilme in der Hauptsache Familiengeschichten aus einer kleinen, nur manchmal nicht heilen (aber stets heilbaren) Welt erzählten, waren die jungen Träger sogenannter großer alter Namen jenseits von Begabungen geradezu eine Idealbesetzung. Auch für die Journalisten, die mit rührenden Geschichten gefüttert werden konnten.
»In unseren eigenen erlebnisreichen Tagen, in denen die Welt eine neue Ordnung bekommt, steht auch der Schauspieler nicht beiseite, denn in solchen Zeiten gibt es keine Kunst im luftleeren Raum. Zudem ist jede echte, auf seelische Erhöhung gerichtete Kunst seit jeher zweckbedingt gewesen. Gerade der Film als letzte und stärkste Ausdrucksform dramatischer Gestaltung hat die Aufgabe, eine nationale Gemeinsamkeit durch seine Stoffwahl zu fördern.« Emil Jannings meinte mit der nationalen Gemeinsamkeit nicht die junge Demokratie im Nachkriegsdeutschland, die ihre Identität im kollektiven Vergessen suchte, seine Rede hat er schon 1942 gehalten, seine seelische Erhöhung bezog sich auf den Führer, und die neue Ordnung war die der Nazis. Dennoch hätte man das Zitat mit geringen Änderungen auch auf das Jahr 1953 beziehen können. Waren es im Großdeutschen Reich die aufbauenden Unterhaltungsfilme, die für wenige Stunden den Kriegsterror vergessen ließen, so waren es nach dem Krieg Unterhaltungsfilme ähnlichen Strickmusters, die eine Flucht aus der Wirklichkeit des zerstörten Deutschlands ermöglichten. Das Kino fabrizierte die Träume, mit denen man sich über die Realität hinweglügen konnte.
Romy Albach-Schneider ist mit dem Weißen Flieder von dieser nur vordergründig unpolitischen Filmindustrie entdeckt worden, und die läßt sie nicht mehr los. Den nächsten Film, Feuerwerk, spielt sie ohne ihre Mutter, und von diesem Film an ist auch Rosemarie Albach Vergangenheit, fortan heißt sie Romy Schneider (erst die tote Romy Schneider wird wieder so heißen wie das Kind, denn Rosemarie Albach steht auf dem Grabstein des kleinen Friedhofes von Boissy Sans Avoir, auf dem sie begraben liegt). Ihr Vater schreibt ihr zu den Dreharbeiten einen Brief, in dem er sie zu ihrer beginnenden Karriere beglückwünscht. Er sei »stolz auf Mausilein«. In den Brief legt er einen Zettel, der besser ausdrückt, was er eigentlich meint, aber so nicht sagen oder schreiben kann: »Steck Deine Kindheit in die Tasche und renne davon, denn das ist alles, was Du hast«, ein von ihm verändertes Zitat aus Max Reinhardts »Rede über den Schauspieler«. Den Brief liest Magda Schneider, die wie selbstverständlich (und von Romy auch gewünscht) ihre Tochter auch außerhalb der Studios nicht aus den Augen läßt. Den Zettel aber hat Romy vorher versteckt, der war ja ganz persönlich nur für sie vom geliebten, fernen Vater.
Magda Schneider hat keinen Kontakt mehr zu ihrem ehemaligen Ehemann; der Erfolg der Tochter gehört ihr ganz allein, und sie will ihn auch nicht teilen. Erst 1967, als Romy Schneider ihren sterbenden Vater in einem Wiener Krankenhaus besucht, erfährt sie von ihm, daß er seine Scheu vor Konflikten damals nach Romys erstem Film überwunden und sich mit Magda Schneider in einem Wiener Café getroffen hat. Und daß er ihr heftige Vorwürfe gemacht habe, weil sie die Tochter schon so früh vor die Kamera gezerrt hatte. Seine Bitten aber, die Tochter weiter zur Schule gehen zu lassen, hätte Magda schlicht abgelehnt, mit dem nicht ganz unberechtigten Argument, daß er sich bisher ja auch nicht um die Tochter gekümmert habe und es nun wirklich zu spät sei, den treusorgenden Vater zu spielen. Offiziell, auch durch Fotos belegbar, hat es ein Treffen zwischen Magda Schneider und Wolf Albach-Retty erst viele Jahre später gegeben, bei den Dreharbeiten zu Otto Premingers Film Der Kardinal in Wien, in dem Romy Schneider ihrem Vater eine winzige Nebenrolle besorgt hatte. Romy Schneider war sich nie sicher, ob die Erzählung des Vaters, wie er sich mit ihrer Mutter um sie gestritten habe, nur eine seiner vielen kleinen Geschichten war oder Wirklichkeit. Hatte nicht auch sie in ihren Gesprächen mit den Mitschülerinnen in Goldenstein sich immer dann eine Traumszene erfunden, wenn sie das Gefühl nicht los wurde, in der Wirklichkeit versagt zu haben? Magda Schneider jedenfalls bestreitet, daß es ein solches Treffen mit ihrem Ex-Mann gegeben habe, und gerade weil es so schön in die vielen Romy-Schneider-Legenden paßt, als sei es von einem Drehbuchautor erfunden, ist ihre Aussage glaubhaft.
In den Kulissen steht, rote Nelke im Knopfloch, in dieser Zeit schon ein ganz anderer Mann, der erwartet, daß die Fünfzehnjährige ihn »Daddy« nennt: Hans Herbert Blatzheim, gelernter Bankkaufmann aus Köln und nach eigenen Angaben »größter deutscher Gastronom«. In der Tat liegt der Besitzer von später mal insgesamt sechzig Hotels, Bars und Restaurants hinter der Steigenberger-Gruppe mit einem Jahresumsatz von 14 Millionen Mark an zweiter Stelle in Deutschland. Magda Schneider, die Blatzheim seit 1934 kennt, hat den Millionär »in schweren Zeiten als Fels in der Brandung« empfunden. Sie wird ihn bald heiraten. Die Vierundvierzigjährige kann absehen, wann ihre Zeit als Filmschauspielerin vorbei sein wird, und sie will, verständlich nach den harten Tingeljahren, ein Stückchen Sicherheit für sich und ihre Kinder. Daß es eine leidenschaftliche Liebe ist, behauptet außer den Journalisten niemand. Die große Liebe der Magda Schneider bleibt Wolf Albach-Retty, aber sie weiß genau, und viel besser als später ihre Tochter, zwischen Wirklichkeit und Träumen, zwischen Alltag und Kino zu unterscheiden. Romy Schneider fällt das Wörtchen Daddy schwer, sie wird ein paarmal ins Badezimmer eingesperrt, als sie sich weigert, den Stiefvater so zu nennen. Er erinnert sich in seinen geschwätzigen Memoiren so an die erste Begegnung mit seiner späteren Stieftochter im Haus Mariengrund bei Berchtesgaden: »Es muß am 20. oder 21. Dezember 1949 gewesen sein, als ich nachmittags im Wohnzimmer saß und plötzlich ein kleines Mädchen mit dem Schrei Mami, Mami durch die Tür hereinwirbelte. Das kleine Mädchen fiel Magda um den Hals und küßte sie. So sah ich Romy zum erstenmal. Sie war damals elf Jahre alt und besuchte das Internat der Englischen Schwestern in Goldenstein in der Nähe von Salzburg. Sie wirkte ein bißchen verwahrlost, zu klein und zu dürr für ihr Alter. Das machte wohl die sparsame Verpflegung im Kloster. Und mein allererster Eindruck: Romy stank furchtbar. Magda nahm ihre Tochter sofort bei der Hand, so, jetzt geht es erst mal rauf in die Badewanne, jetzt wirst du abgeschrubbt. Eine Stunde später erschien Romy wieder bei uns, ein wohlriechender, süßer Marzipanengel.«
Natürlich sagt Romy Schneider zum neuen Mann ihrer Mutter irgendwann doch Daddy, vor allem in der Öffentlichkeit. Nichts soll die veröffentlichte Idylle der neuen Familie trüben, die so recht nach dem Herzen des Publikums ist: erfolgreicher Geschäftsmann, passend zum beginnenden Wirtschaftswunder im neuen Deutschland, eine berühmte UFA-Schauspielerin, die alle Mütter und Großmütter noch kennen, der fünfzehnjährige Idealbackfisch, der die Tradition fortsetzt und dessen Name als Backfischidol schon groß auf den Filmplakaten zu lesen ist. Böser Spruch in Schauspielerkreisen Mitte der fünfziger Jahre: »Für Romy allein zahlen die Produzenten fünfzigtausend pro Film, für Mutter und Tochter zusammen vierzigtausend.«
Die Frohnatur vom Rhein nennt Magda Schneider »Liebchen« und seine neue Stieftochter »Möpschen«. Er ist der Prototyp des neuen Wirtschaftswunderdeutschen, mit besten Beziehungen auch in die Politik, was bedeutet zur CDU. Seine Philosophie ist ziemlich simpel, aber allgemein anerkannt in jener Zeit: Geld verdienen, viel Geld verdienen, schnell viel Geld verdienen. In einer Hauszeitschrift zu seinem fünfzigsten Geburtstag hat Blatzheim sich so feiern lassen, wie es sich seiner Meinung nach geziemt für einen der Großen der neuen Republik. Auf vielen Fotos wird er gezeigt, umgeben von den äußeren Zeichen seines Reichtums, dem Rennboot auf dem Lago Maggiore, wo er für 30 000 Mark Jahresmiete eine Villa am See bewohnt, im offenen amerikanischen Sportwagen, mit Chauffeur im Rolls-Royce, im Frack mit schönen Damen an der Seite, die den selbstgefällig in die Kamera lächelnden Unternehmer natürlich anhimmeln. Nicht nur in Köln in seinen Geschäften ist er der große Zampano, der alles besser weiß, auch wenn er zu Besuch in Mariengrund bei Berchtesgaden ist, müssen alle nach seiner Pfeife tanzen. Hans Herbert Blatzheim, in seinen Kreisen gefürchtet als knallharter, schlauer Geschäftsmann, wird in der Filmbranche als Emporkömmling belächelt. Man hält ihn für ein besonders widerliches Exemplar eines neureichen Deutschen, wie sich der Hamburger Filmkaufmann Hubertus Wald erinnert. Doch wenn der gewichtige Schlemmerfürst zu einem seiner Kölner Feste ruft, kommen sie alle gern. Er wiederum hält die Filmproduzenten für »schlimmer als Viehhändler« und ist fest entschlossen, den jungen Ruhm seiner anfangs noch widerborstigen Stieftochter auf seine Art zu einem großen Geschäft zu machen. Oft hat sie vor Wut geheult, wenn sie, so bei den Dreharbeiten zu Kitty und die große Welt, schon fast achtzehn Jahre alt, abends nicht mit ihren Filmkollegen ausgehen durfte, sondern von »Daddy« zu irgendeinem Empfang geschleppt wurde, um dort PR-wirksam in die Kamera zu lächeln. Über Blatzheims Vermarktungsstrategie wird es in den kommenden Jahren noch heftige Auseinandersetzungen mit »Möpschen« geben und am Ende juristische Konflikte, als Blatzheims Pleiten auch Romy Schneiders Gagen zu verschlingen drohen. Aber auch seine Versuche, sich zum »Daddy« über ihr Privatleben aufzuspielen oder gar sein Glück als Mann bei ihr zu versuchen, hat Romy Schneider nie vergessen und sich noch Jahrzehnte später vor Ekel zitternd daran erinnert.
Heute, in den neunziger Jahren der Republik, kann man sich nicht mehr so recht vorstellen, warum Typen wie Blatzheim damals so erfolgreich sein konnten und trotz ihrer Großmannssucht noch ernst genommen wurden. Doch gerade die vielen Blatzheims in der Nachkriegsgesellschaft waren Garanten dafür, daß in der Adenauer-Ära die kollektive Verdrängung der Naziherrschaft als bedauerlicher Unfall deutscher Geschichte funktionierte. Von Vergangenheit wollte man nichts hören, als es um Geldmachen in der Gegenwart ging. Die neuen Aufsteiger waren bar jedweder Ideologie. Sie machten Geschäfte. Ihr Ziel, und für dieses Ziel brauchte man keine Ideale, war der möglichst unverzügliche und von keiner Trauerarbeit gestörte Aufstieg im vom Krieg zerstörten Land. Unternehmer wie Blatzheim, die man heute als Sumpfblüten der damaligen deutschen Spießer-Gesellschaft belächelt (obwohl – was unterscheidet schon Blatzheim vom immer noch allseits gefeierten Konsul Weyer?), paßten mit ihrer Vorwärts-Mentalität geradezu ideal zu den Kulturschaffenden des deutschen Films und des deutschen Theaters. Die einen hatten das Geld, die anderen den Ruhm. Man ergänzte sich prächtig, denn auch die kleinen und großen Stars wollten nicht an das erinnert werden, was sie während der zwölf Jahre des Tausendjährigen Reichs gemacht und gedreht hatten. Auch die waren insgeheim immer dagegen gewesen, sozusagen im inneren Widerstand, auch die hatten nur den einen Wunsch, möglichst schnell wieder ins Geschäft zu kommen. Die wahre deutsche Kultur war ja emigriert, vertrieben, ermordet worden, wie der Berliner Schriftsteller Gundolf S. Freyermuth in seinem Buch Reise in die Verlorengegangenheit eindrucksvoll beschrieben hat.
Blatzheim macht es sich zur Aufgabe, so lange wie möglich das Image vom sauberen, netten Mädel Romy zu erhalten, denn das verspricht Geschäfte. Seine beiden Söhne aus erster Ehe fühlen sich ihrer neuen Schwester gegenüber benachteiligt. Romy ist der Star der Familie, um sie dreht sich alles. Manche dieser frühen Starallüren hat sie übrigens nie abgelegt, aber später hat sie nach einem sogenannten Diva-Auftritt schnell einen um Verzeihung bittenden Zettel geschrieben, meist noch ein teures Geschenk drangehängt und damit Verletzungen auf ihre Art wiedergutgemacht. Herbert Tischendorf, Chef der Herzog-Film, die dann die Sissi-Filme vertrieben hat, ist sich mit Blatzheim in der Strategie einig, die »Jungfrau von Geiselgasteig« möglichst »taufrisch zu halten, bis sie 21 ist«. Romy Schneider wird zum Produkt, und ihr Leben wird, wie man heute sagen würde, nach strengen Marketing-Prinzipien verplant. Schon während der Hochzeit mit Magda Schneider am 11. Dezember 1953, die er anrichten läßt als ein höfisches Spektakel in neureicher Protzerei, nützt Blatzheim jede Gelegenheit, sich mit seiner Stieftochter den Fotografen zu präsentieren. Er weiß genau um die Werbewirksamkeit für seine Betriebe. Die Gagen für die nächsten Filme – Feuerwerk, Mädchenjahre einer Königin und Deutschmeister – handelt »Daddy« aus (wie sich nach dem Sissi-Erfolg herausstellte, nicht sehr gut, denn nach ihren ersten Filmen hatte Romy insgesamt nur 105 000 Mark verdient), und wie üblich rühmt er sich selbst und seinen untrüglichen Geschäftssinn: »Die Gagen werden so angelegt, daß Romy zeitlebens, egal ob sie dreht oder nicht, eine Rente von 8000 Mark bekommt.« Romy überläßt ihrem Stiefvater alle Geschäfte, kümmert sich nicht ums Geld, wie sie sich zeitlebens nicht darum gekümmert hat und immer erst dann merkte, daß sie ausgebeutet worden war, wenn es zu spät war. Sie will nur eines, möglichst viele Filme drehen und den frischen Ruhm genießen. »Alle«, erinnert sich Hermann Leitner, Regieassistent bei Mädchenjahre einer Königin und einer der wenigen Freunde von Romy Schneider, »alle waren verliebt in sie. Es mochte sie jeder. Sie hatte so unendlich viel Charme. Wenn sie gelacht hat und aus der Ecke heraus die Leute angeschaut hat, da war alles aus. Das hat sie vom Vater geerbt.«
Das goldige Mädchen macht goldene Karriere. Im Sommer 1954 spielt Romy Schneider, noch keine sechzehn Jahre alt, in Ernst Marischkas Film Mädchenjahre einer Königin. Vorgesehen war für die Rolle eine andere junge Nachwuchsschauspielerin, aber Marischka ändert kurz entschlossen die Besetzungsliste. Romy Schneider bekommt die Rolle der jungen Königin Victoria, die sich auf der Flucht vor einer erzwungenen Hochzeit in einen deutschen Studenten verliebt. Wie das Leben in den deutschen Filmen damals so spielt, entpuppt sich der arme Student als Prinz Albert von Sachsen-Coburg, und das ist natürlich genau der, dem sie versprochen war. Womit dann auch wieder der königliche Hof in England zufrieden zur Schlußszene schreitet. Bei den Dreharbeiten in Wien trifft sie nach langer Zeit ihren Vater wieder, doch der hat ihr außer ein paar gestammelten Sätzen von der Sorte, ob sie denn auch brav ihre Rolle gelernt habe, nichts zu sagen. Vielleicht wollte er auch nicht den Eindruck erwecken, daß er jetzt, da sich seine Tochter anschickte, berühmt zu werden, plötzlich wieder auftaucht, um ein Stückchen Ruhm abzubekommen. Er verweigert sich – insofern spricht vieles für diese These – auch konsequent allen Journalisten, die ihn mit Interview-Wünschen bestürmen. Ganz im Gegensatz zu Romys Mutter Magda, die keine Chance ausläßt, über ihre Tochter zu sprechen. Zum Beispiel jenen prächtigen Satz: »Ach, wissen Sie, der Herr Albach-Retty ist nur der Erzeuger von Romy, der wirkliche Vater ist Herr Blatzheim.«
Die Rolle der jungen Monarchin in Mädchenjahre einer Königin, von der Kritik als »große überraschende Leistung des Films« gefeiert, bleibt für Romy Schneider nicht ohne Folgen. Danach kommt Sissi, und »unter dem Griesbrei, der mir da angepappt war«, wird sie bis zu ihrem Tod zu leiden haben, obwohl gerade die Sissi-Filme der Sockel sind, auf dem ihr überlebensgroßer Ruhm ruht.
Die Geschichte vom Aufstieg der Possenhofener Prinzessin Sissi zur Kaiserin Elisabeth von Österreich, die Geschichte von ihrem Kampf gegen die harte, böse Schwiegermutter, die Geschichte ihrer Liebe, ihrer Krankheit und die Geschichte ihres Erfolgs dort, zum Beispiel in Ungarn, wo die militärische Macht des k. u. k.-Reiches versagte, muß nicht noch einmal erzählt werden. Wenn es nur an der Filmhandlung oder gar am Dialog gelegen hätte, wäre auch Sissi einer jener längst vergessenen Filme aus der deutschen Nachkriegszeit, zumal die wahre Geschichte der Elisabeth von Österreich, einer geradezu revolutionären Frau in einer verlogenen, steifen, verkrusteten Gesellschaft, viel spannender ist als jede Erfindung. Wenn man Sissi nur am geschriebenen Wort des Drehbuchs von Ernst Marischka mißt, wird man den Erfolg nie begreifen. Ein Auszug:
Sissi und Franz Joseph kommen wie zwei einfache Menschenkinder durch den Wald und atmen die herrliche Waldluft ein.
Franz Joseph, lächelnd: »Na, ist das nicht herrlich?«
Sissi, begeistert: »Wundervoll! Schön, daß Majestät den Wald auch so lieben wie ich!«
Franz Joseph, lächelnd: »Ich komme nur leider selten dazu, durch den Wald zu gehen. Ich muß meistens am Schreibtisch sitzen oder Paraden abnehmen…«
Sissi, versonnen, lächelnd (wie zu sich selbst): »Wenn du einmal im Leben Kummer oder Sorgen haben solltest, dann geh wie jetzt mit offenen Augen durch den Wald, und in jedem Baum, jedem Strauch und in jeder Blume wird dir die Allmacht Gottes zum Bewußtsein kommen und Trost spenden…«
Franz Joseph, der ihr aufmerksam zuhört: »Das hat Sie sicher irgendwo gelesen?«
Sissi, lächelnd: »Nein, diesen Rat hat mir mein Pappili gegeben!«
Franz Joseph, lächelnd: »Ach, der Pappili…«
Karl Korn schrieb in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in seiner Kritik (die wiederum in einem Leserbrief von Blatzheim attackiert wurde): »Romy Schneider… stellt ein lebendes Rührbild nach dem anderen. Romy spendet dazu den lieben Kälbchenblick… Die Herstellerfirma versichert, daß der Erfolgsregisseur Marischka, dem wir das Wunder verdanken, kein Intellektueller sei. Das stimmt.«
Aber was hat der Filmregisseur Ernst Marischka, der auch privat in einer k. u. k.-Welt lebte und dessen Büro auf dem Filmgelände einer Franz-Joseph-Gedächtniskammer glich, aus den grauenvollen und ganz bewußt historisch falschen Drehbüchern des Autors Ernst Marischka gemacht? Er hat Filme gedreht, die sogar beim Wiedersehen heute nicht nur durch ihre handwerkliche Perfektion überraschen, sondern vor allem durch den instinktsicheren Einsatz von Musik, Landschaft, Tierwelt – alles subtile Fluchten vor der Realität – und die bis in die kleinste Rolle hervorragend besetzten Typen. Noch immer garantieren die Sissi-Wiederholungen alljährlich zu Weihnachten den verschiedenen Fernsehsendern hohe Einschaltquoten. Vor allem aber hat Marischka, von Romy Schneider »Onkel Ernst« genannt, in der jungen Romy zielsicher eine Schauspielerin erkannt, die genau das verkörperte und eben nicht »nur« spielen mußte, was aus Sissi einen Kinotraum machte, der alle bisher bekannten Dimensionen sprengte. Die Produzenten haben die damals gewaltige Summe von zehn Millionen Mark mit den drei Sissi-Teilen verdient (Romy Schneider bekam für den ersten Film noch 25 000 Mark, erst danach wurde sie an den Einnahmen prozentual beteiligt).
Romy Schneiders Unbefangenheit, nicht zu verwechseln mit Naivität, macht die Sissi zu einem Stück von Romy und umgekehrt. Eigentlich hätte das Werk »Romy« heißen können, denn wie schon als Anfängerin beim Weißen Flieder spielt sie alle anderen Schauspieler, auch ihre Mutter (die wiederum ihre Mutter spielt), in den Hintergrund. Natürlich braucht die Verwandlung der pausbäckigen jungen Prinzessin zur von Krankheit gezeichneten Kaiserin in südlichen Gefilden gute Maskenbildner. Aber es zeigt sich auch die natürliche Entwicklung der Romy Schneider zwischen dem ersten Teil Sissi 1955 und dem dritten Teil, den Schicksalsjahren einer Kaiserin, 1957. Auf der Leinwand wie im Leben vollzieht sich die Wandlung eines Mädchens von sechzehn Jahren zu einer jungen Frau von fast neunzehn Jahren mit einer Ausstrahlung, der sich kaum jemand entziehen kann. Eine Ausstrahlung übrigens, die in den kommenden Jahren vor allem französische Regisseure begriffen haben, nachdem es in Deutschland für Romy Schneider keine Drehbücher mehr gab, eine Ausstrahlung, die »Sissi« jenseits des Rheins zum Filmstar Nummer eins werden ließ. Als sie Alain Delon nach Paris folgte, kannte kaum jemand in Frankreich Romy Schneider, aber alle wußten, wer Sissi war. (Zwanzig Jahre später wird Romy Schneider in einer verräucherten Hafenkneipe in Quiberon von einem Fischer zum Tanz aufgefordert, der übers ganze Gesicht strahlt, weil er endlich Sissi getroffen hat. Die kannte er, die hatte er nie vergessen.)
Marischkas Erfolg mit den drei Sissi-Filmen – 6,5 Millionen Besucher für Teil eins, 6,4 Millionen Besucher für Teil zwei und 5,8 Millionen Besucher für Teil drei – ist kein Wunder, sondern erklärbar. Er hat die Sehnsucht der Menschen begriffen, die in einer nüchternen Republik lebten, doch in dieser Republik keine Illusionen finden, keine Träume, natürlich auch keine Könige und erst recht keine Märchen. Genau dies wollen sie auf der Leinwand sehen, denn alltägliche Sorgen und Probleme haben sie genug, die brauchen sie nicht auch noch im Kino. Auch die Verleihfirma Herzog-Film weiß kühl mit dem gesunden Volksempfinden umzugehen. Ihrem »Alter und ihrem Naturell entsprechend« gibt man Romy Schneider »diskrete und niemals undelikate Liebesparts aus der guten alten österreichischen k. u. k-Welt, die den nervlich überforderten Mitmenschen des unruhigen 20. Jahrhunderts wie eine Oase der Friedlichkeit und der beschaulich-romantischen Lebensgemütlichkeit erschien…«. Von der Vergangenheit träumen hieß in den fünfziger Jahren aber auch, die unmittelbare Vergangenheit, also das Dritte Reich, zu vergessen und weiter zurückzugehen in die Historie, als alles noch überschaubar und sauber und zumeist happy-endig war. Auch deshalb war Sissi ein so großer Erfolg. Und Romy Schneider ist deshalb zum Star geworden, der bald auf Platz eins der Beliebtheitsskala stand, weit vor Ruth Leuwerik oder Maria Schell, weil genau sie diese Träume verkörperte vom sauberen, ehrlichen, liebenswürdigen Mädchen. Ein Mädchen, das man gern als Tochter hätte, gern als Enkelin und noch lieber als Frau. Es paßte einfach alles – solange der Rahmen der Konventionen nicht gesprengt wurde… Natürlich drehte man solche Filme nicht im Dickicht der Städte, denn die waren ja zum Teil noch zerstört vom Krieg. Die Filme dieser Zeit entstanden im Hochgebirge, in ewigen Wäldern, auf der stets blühenden Heide (die waren damals noch nicht vom sauren Regen bedroht) oder bei Hofe, wo auch noch alles seine Ordnung hatte. Man kämpfte nicht gegen böse Feinde, sondern um Thron und Liebe. Die Ärzte in der anderen Sorte von deutschen Gemütsfilmen schwankten anhaltend zwischen Pflicht und Neigung, Halbgötter in Weiß, die nur ihrem Gewissen gehorchten und dabei immer Gott zitierten, der ihnen angeblich das Skalpell führte.
Kurzum, es waren Filme, die an das Gefühl appellierten, Filme aus der Traumfabrik, kühl geplant und deshalb so erfolgreich. Und sie trafen auf ein Publikum, das in den Werten der Familie sein letztes Heil gefunden hatte, nachdem das andere Heil, das millionenfach beschriene, ein so blutiges Ende genommen hatte. Die Filme gehorchten dem Zeitgeist der Adenauerschen Restauration. Manche sagen, freundlicher, sie paßten in die Zeit des Biedermeier, andere sagen weniger freundlich, man hätte sie mit geringen Änderungen auch in der Zeit des Dritten Reiches drehen können. Was gar nicht so falsch war, denn die Macher dieser Filme waren nicht unbedingt die, denen von den Nazis Berufsverbot erteilt worden war.
Das alles sind Versuche, im Rückblick die Erfolge zu analysieren. Die einfache intellektuelle Arroganz, daß die Filme der damaligen Zeit halt nicht besser waren als ihr Publikum – oder wie es ein Kritiker ausdrückte, daß sie die »Albumphantasie von Tante Frieda erfüllten« –, erklärt das Phänomen »Sissi« nicht, das irgendwann einmal, wenn die fünfziger Jahren nur noch historisch beleuchtet werden, zu den »Kulturgütern« gehören wird, die in den Geschichtsbüchern erwähnt sind. Ohne die junge Schauspielerin Romy Schneider hätte es keine »Sissi«-Manie gegeben, die auch in Ländern wie Spanien, Griechenland und sogar Frankreich Tausende am Flughafen stehen ließen, als die junge »Kaiserin« zu den jeweiligen Premieren eingeflogen wurde. Sogar in den Vereinigten Staaten war die auf 145 Minuten zusammengeschnittene Fassung aus allen drei Sissi-Teilen unter dem Titel Forever My Love ein Kassenerfolg. Entsprechend pompös der Publicity-Rummel.
So reist man zum Beispiel für eine Premiere von Sissi nach Madrid in einer Super Constellation. Das Kaiserpaar sitzt vorne, also Romy Schneider neben Karlheinz Böhm. Hinter ihnen Magda Schneider und Blatzheim, ganz hinten in der Maschine Otto von Habsburg. Das Flugzeug kreist über dem damals noch kleinen Flughafen der spanischen Hauptstadt, man sieht von oben eine riesige Menschenmenge, viele Tausende (später stellte sich heraus, daß es 35 000 waren). »Da sieht man die Begeisterung der Menschen«, denkt Karlheinz Böhm, »zwar hat der Otto von Habsburg kein Amt mehr, aber sie haben ihn nicht vergessen, selbst im fernen Spanien erinnert man sich an die Habsburger.« Höflich läßt man Otto von Habsburg den Vortritt, als die Maschine landet. »Gleich wirst du sehen, Romy, wie sie ihn jubelnd begrüßen.« Aber nichts geschieht. Schweigend läßt die Menschenmenge Otto von Habsburg passieren. Als letzte treten Romy Schneider und Karlheinz Böhm (den Romy bei ihrem ersten gemeinsamen Film noch Onkel nannte, weil ein zehn Jahre älterer Mann ihr unendlich viel älter schien) auf die Gangway. Jubel erhebt sich. Sie gehen die Treppe hinunter und werden sofort von allen Seiten bestürmt. Böhm schützt seine Partnerin mit einer Umarmung vor allzu heftigen Liebesbezeugungen der Fans, die nur auf ihr Film-Kaiserpaar gewartet hatten, auf Sissi und Franz Joseph. Den echten Habsburger hatten sie gar nicht wahrgenommen. Panik bricht aus, Fensterscheiben gehen zu Bruch, Menschen liegen verletzt und niedergetrampelt am Boden. Bodyguards und Polizei haben keine Chance mehr. Romy Schneider und Karlheinz Böhm aber werden hochgehoben und von der begeisterten Menschenmenge, ohne den Boden zu berühren, immer weitergereicht, bis sie am Eingang des Flughafens angekommen sind, wo die Autokolonne wartet. Dort läßt man sie vorsichtig wieder auf die Erde zurück, nachdem die Fans ihre Stars im Wortsinne auf Händen getragen haben. Als sie sich dann abends im Hotel umziehen, bemerken sie, daß sie mit blauen und grünen Flecken übersät sind.
Die Romy-Schneider-Filme zwischen Sissi Teil zwei und Sissi Teil drei, also Kitty und die Große Welt, Robinson soll nicht sterben und Monpti, werden zwar registriert, gelten aber nur als Interludium zu den Schicksalsjahren einer Kaiserin, also dem dritten Teil des »Sissi«-Phänomens. Romy Schneider hat sich schon die Zustimmung zu Sissi – Mädchenjahre einer Kaiserin nur deshalb abringen lassen, weil ihr dafür die Rolle der kleinen Maud Bentley in Robinson soll nicht sterben versprochen wird. Endlich mal darf sie »keine perückenbezopfte Kaiserin in Krinolinen« spielen, sondern ein armes Kind in einem Slum von London. Ihre schauspielerischen Leistungen in diesem Film, die einer der besten deutschen Filmkritiker, Joe Hembus, so beschrieb – »Romy Schneider hat überhaupt keine Ähnlichkeit mit all den anderen deutschen Stars dieser Tage, und sie trug ihr Herz immer offen, und das war ein schöner Anblick« –, interessieren die wenigsten, vielmehr werden Klatschgeschichten erzählt, ob sie denn nun verliebt sei in ihren Robinson-Partner Horst Buchholz oder nicht und ob er gar mehr getan habe als nur Händchen zu halten. Er hat nicht, denn auch bei Robinson weicht Mama Schneider nicht von der Seite ihrer Tochter.
Für einen vierten Sissi-Teil zwei Jahre später hatte »Daddy« Blatzheim, in der Branche inzwischen »das Brechmittel, das Romy Schneider vertritt« genannt, ganz auf die sinnliche Kraft des Geldes gebaut, nachdem Romy Schneider schon Teil drei nur noch mit Mühe ertragen und eine weitere Fortsetzung kategorisch abgelehnt hatte. Mit vier schwarzen Koffern war er nach Mariengrund gereist und hatte seiner Stieftochter, der er mit seiner rheinischen Angeberei zutiefst zuwider war, in deren ehemaligem Kinderzimmer inmitten von Stofftieren eine Million Mark in bar gezeigt. Das junge Mädchen, das er später in einem Wutanfall als einen »fotogenen Haufen Scheiße« bezeichnen sollte, blieb aber trotz großer Angst tapfer bei seinem Nein. Die Tochter von zwei Vätern, die nie ihre Väter waren, war erwachsen geworden.
Was allerdings auch andere Gründe hatte als den verständlichen Wunsch, endlich »Sissi« zu entfliehen und Romy Schneider zu sein. Der Grund lebte in Paris, galt als eine der Hoffnungen des französischen Films, sah blendend aus und hieß Alain Delon.