XX

Über Romy Schneider und ihr Verhältnis zu Deutschland ist viel spekuliert worden. War es immer noch jenes dumpfe deutsche Gefühl, verraten worden zu sein, weil Sissi nach Paris gegangen war? War es immer noch jene seltsame Dolchstoßlegende, die sogenannte Heimatfront im Stich gelassen zu haben? War es immer noch die angebliche Verletzung einer angeblichen sittlichen Ordnung, weil sie sich auf der Leinwand nackt gezeigt hatte? Aber so spießig war doch das Land gar nicht mehr, auch in Deutschland war Anfang der achtziger Jahre kein Tabu mehr so heilig, daß man es nicht lustvoll und öffentlich attackiert hätte. Die Republik hatte sich in den Jahren der sozialliberalen Koalition in ihrem Mittelmaß eingerichtet, und von Extremisten ging in Wirklichkeit trotz aller Schlagzeilen ja keine Gefahr fur den Staat aus. Hatte man nicht sogar diese Herausforderung durch den Terrorismus ohne Verluste an bürgerlicher Freiheit überstanden? Na gut, die Radikalenerlasse, Deutschland im Herbst, Urteile gegen gefaßte Terroristen, die man sich in ihrer Härte gewünscht hätte, als es um Naziverbrecher ging, aber das betraf schließlich nur eine Minderheit. Satt waren sie geworden und bequem, die meisten Deutschen, aber mit ihrer Sehnsucht nach Ruhe konnte zumindest das Ausland leichter leben als mit der völkischen Sehnsucht nach mehr »Lebensraum« der vorigen Generation. Die Zeiten, da Filmstars mit Politikern gemeinsam die Nächte durchmachten und Prominente sich für eine ganz bestimmte Partei öffentlich engagierten, weil mehr Demokratie gewagt wurde, waren allerdings auch vorbei. Wer wollte mit Helmut Schmidt tanzen gehen? Und wer mochte sich Romy Schneider im trauten Tête-à-tête mit dem Bürgerkönig aus der Pfalz vorstellen, der bald an der Spitze des Biedermeier-Deutschland regieren sollte?

Aber es gibt ja noch »Fossile aus der Sissi-Zeit« (Romy Schneider) wie Will Tremper, der nach wie vor zu den Herren der öffentlichen Meinung gerechnet werden will und dafür hart knechtet. Etwa, wenn er sich zum Sprachrohr deutschen Wesens macht und in der Bunten jenes Bild von Romy Schneider heraufbeschwört, dem sie gemeinerweise nicht mehr entsprechen will. In seinem sogenannten offenen Brief mit dem Titel »Wir lieben Dich, dumme Liese« gibt er zwar zu, den Star aus Frankreich schon seit vielen Jahren nicht mehr gesprochen, geschweige denn getroffen zu haben, aber das hindert ihn nicht daran, dem fernen Objekt seiner journalistischen Begierde klarzumachen, worin ihre wahre Bedeutung besteht: »Die ersten Deiner siebzehn Filme – so viele sind es, meinen Aufzeichnungen nach –, die Du zwischen Deinem 14. und 20. Lebensjahr in Deutschland und in Österreich gedreht hast, kamen uns damals unerträglich fad und süß vor… Doch inzwischen sind wir nicht nur älter geworden, wir leiden auch alle unter der geballten Tristesse, der Unlust am Leben, die uns die Medien täglich vermitteln. Wenn das Fernsehen uns heute diese ersten Filme von Dir vorführt… schalten Millionen ein, um für einen Augenblick Atomkraftwerke, Hausbesetzer und politische Krisen zu vergessen. Und das geht nicht nur den Deutschen, Schweizern und Österreichern so, das habe ich auch in New York gehört, wo Sissy lief… Was haben wir nur gegen Dich gehabt – vor einem Vierteljahrhundert? Wenn schon lange keiner mehr von diesem feministischen Machwerk Eine einfache Geschichte Deines Lieblingsregisseurs Claude Sautet spricht, werden Sissy und Sissy, die junge Kaiserin und Sissy, Schicksalsjahre einer Kaiserin immer noch gezeigt werden, denn diese Filme von Ernst Marischka sind in ihrer Art glänzend gemacht, sie sind bereits Klassiker…« Er wirft ihr vor, den Hörer aufzulegen, statt »mit den Leuten zu reden, die Deinen Namen weltberühmt gemacht haben«, als ob Romy Schneider Tag für Tag dankbar sein müßte für all die deutschen Journalisten, die sich ihr in nur bester Absicht näherten, und gibt ihr dann »als Freund« noch den Rat auf den Weg: »Für eine Frau von Deinem Format, mit diesen ganzen Filmen hinter sich, für eine Frau in Deinem Alter, für eine Mutter von zwei Kindern, sind solche Spannungen mit der Presse einfach unwürdig.« Keiner beherrscht so virtuos wie Will Tremper die deutsche Kunst, aus Opfern Täter und aus Tätern Opfer zu machen.

Die unwürdige Deutsche beschäftigt sich zu dieser Zeit, wenige Wochen nach dem Interview in Quiberon, schon wieder mit dem anderen Deutschland. Sie liest, ihr Gipsbein auf dem Bett bequem auf Kissen gelegt, ein Drehbuch, das nach Motiven aus Joseph Kessels Roman Die Spaziergängerin von Sans-Souci entstanden ist: Max Baumstein, Präsident einer internationalen Vereinigung für Menschenrechte, erschießt in Paris, wo er von seiner Frau nach einer langen Reise erwartet wird, den Botschafter von Paraguay. Beim Prozeß bekennt er sich zwar schuldig, aber um sein Motiv verständlich zu machen, erzählt er dem Gericht die Hintergründe seiner Tat. Als zwölfjähriges Kind ist er von einer SA-Bande in Berlin zum Krüppel geschlagen worden, weil er Jude war. Seine Eltern wurden ermordet. Er lebte bei dem Ehepaar Wiener, das sich um ihn kümmerte. Als auch deren Situation im faschistischen Deutschland gefährlich geworden ist, flüchtete Elsa Wiener mit dem Jungen ins Exil nach Paris. Elsas Mann, der Verleger Michel Wiener, sollte baldmöglichst nachkommen, wurde aber im Zug verhaftet und ins KZ eingesperrt. Szenen in Paris, im Rückblick ein Hauptteil des Films: die verzweifelte Frau, die sich erst als Sängerin und dann als Animierdame in einem Nachtclub durchschlägt, versucht alles, um ihren Mann zu retten. Ein Legationsrat an der deutschen Botschaft verspricht ihr die Freilassung ihres Mannes, wenn sie mit ihm ins Bett geht. Sie wehrt sich lange, aber als sie davon überzeugt ist, daß dies die einzige Chance ist, jemals ihren Mann wiederzusehen, gibt sie nach. Ihr Mann wird freigelassen und darf nach Paris ausreisen. Elsa holt ihn auf dem Bahnhof ab, sie fahren gemeinsam mit dem Taxi zum Emigrantencafe Sans-Souci. Dort werden beide von den Nazikillern des Legationsrats auf offener Straße ermordet. Und dieser Legationsrat, der den Krieg und seine Verbrechen überlebt hat, der wie so viele andere Nazis nach Südamerika geflüchtet war, ist der Botschafter Paraguays geworden, den der verkrüppelte Junge von damals, inzwischen Vorsitzender einer Versicherungsgesellschaft und bekannter Anwalt der Menschenrechte, erkannte und erschoß.

Romy Schneider soll die Rolle der Elsa Wiener von damals spielen, also die Frau, die sich vor den Deutschen nach Frankreich rettet, und die Frau des Todesschützen (Michel Piccoli) heute. Wieder eine Doppelrolle, aber das hat sie ja gern, solche Herausforderungen stimulieren sie. Sie träumt davon, daß David den verkrüppelten zwölfjährigen Max spielt, zeigt ihrem Sohn sogar das Drehbuch. Der findet es zwar spannend, kann aber mit dieser Geschichte nichts anfangen. Das faschistische Deutschland ist ihm fremd und bleibt es auch, als seine Mutter ihm erzählt, daß sein Vater Harry Meyen von den braunen Schergen verhaftet und ins KZ gesteckt worden ist, daß viele Naziverbrecher mit Hilfe der Organisation ODESSA nach Südamerika geflüchtet sind und daß die Mehrheit der Deutschen, die sogenannten braven Bürger wie seine Großmutter Magda, im Dritten Reich geschwiegen und nach dem Dritten Reich vergessen haben. Er will nichts von dieser Vergangenheit wissen, ihn beschäftigen zu sehr die privaten Probleme der Gegenwart. Er fühlt sich zerrissen zwischen Daniel Biasini, der ihm ein Vater ist, und seiner Mutter, die er liebt. Daß die beiden sich scheiden lassen, weiß er, aber er kann und will es nicht begreifen.

David lebt bei seinen Großeltern und geht auch dort zur Schule. Romy Schneider wird in Paris von Laurent Pétin umsorgt, der sie mit seiner unendlichen Liebe fast erstickt. Aber auch er schafft es nicht, sie aus ihren Depressionen zu reißen, als die Scheidung endlich eingereicht ist. Der gebrochene Fuß ist verheilt, doch ihr geht es schlechter denn je. Noch mehr Tabletten und noch mehr Alkohol und immer wieder Schmerzen in der Niere. Sie wird in einer psychiatrischen Klinik behandelt. Dort zeigt sie dem Arzt das stern-Interview, das in Frankreich von Paris Match nachgedruckt wurde, und bittet ihn, alles zu lesen: »Da steht vieles drin, was ich noch nie gesagt habe über mich.« Aber der Arzt will nicht mit ihr reden und versuchen zu erfahren, was sie bedrückt. Seine Methoden sind von dieser Welt. Er verschreibt Romy Schneider schwere Psychopharmaka, um sie erst einmal ruhig zu stellen. Weiß man doch, was diese verrückten Filmstars für ein Leben führen und daß sie hysterische Anfälle haben. Dagegen gibt es doch hervorragende Mittel. Nein, keine Gespräche. Tabletten.

Romy Schneider wehrt sich anfangs nicht. Wieder einmal will sie niemanden verletzen, denn Laurent Pétin und seine Mutter haben ihr diese Klinik empfohlen und ihr dort ein Zimmer besorgt. Erst als sie nach zwei Wochen Veränderungen an sich bemerkt, die sie nicht für eine Besserung ihres Zustandes hält, Sprachstörungen und Vergeßlichkeit – vergebens versucht sie zum Beispiel, sich an alte Rollen oder Filme zu erinnern –, bricht sie die Behandlung ab und kehrt zurück nach Paris. Die letzten Vorbereitungen für die Dreharbeiten von Sans-Souci beginnen, es wird eine deutsch-französische Koproduktion mit Schauplätzen in Berlin und Paris. Sie freut sich auf die Rolle und übt mit eiserner Disziplin die Chansons, die sie als Elsa Wiener im Film singen soll, das Lied der Spaziergängerin von Sans-Souci auf französisch und ein paar Verse aus Heinrich Heines Buch der Lieder auf deutsch:

Du bliebest mir treu am längsten,

Und hast Dich für mich verwendet,

Und hast mir Trost gespendet
In meinen Nöten und Ängsten

Du gabest mir Trank und Speise,

Und hast mir Geld geborget,

Und hast mich mit Wäsche versorget
Und mit dem Paß für die Reise.

Mein Liebchen! daß Gott dich behüte
Noch lange, vor Hitz und vor Kälte
Und daß er dir nimmer vergelte
Die mir erwiesene Güte.

Daß Romy Schneider für die Rolle der Elsa Wiener ausgesucht wurde, liegt nicht nur daran, daß sie, vor allem zusammen mit ihrem alten Partner Michel Piccoli, als Kassenmagnet in Frankreich gilt. Die Spaziergängerin von Sans-Souci sollte ja auch ein politischer Film werden, nicht nur spannende Unterhaltung. Vielleicht sogar große Kunst (was es dann später nicht wurde): »Der Faschismus kommt wieder«, erklärt Max Baumstein einmal dem Gericht, vor dem er sich wegen der Todesschüsse verantworten muß, und die Zuschauer klatschen, genauso wie bei der Zeugenaussage einer ehemaligen inzwischen alt gewordenen Freundin von Elsa Wiener: »Meistens ist es so, daß die Scheißkerle im Bett sterben. Diesmal hat’s endlich einen erwischt. Danke, Max.« Das Thema der unbewältigten deutschen Vergangenheit ist in vielen französischen Filmen behandelt worden, und in vielen dieser Filme spielt die Deutsche Romy Schneider mit, die Frau, die ihre ganz persönliche Vergangenheit mit Deutschland ebenfalls noch nicht bewältigt hat. Für die Franzosen ist es weniger die Deutsche, die da spielt. Ihr Filmstar Nummer eins ist längst eine Französin, die sie als eine der ihren akzeptieren, auch weil sie fast ohne Akzent ihre Sprache beherrscht (Fehler machte Romy Schneider nur im Schriftlichen), ein Kind der Grande Nation, die so sehr unter den Deutschen gelitten hat. Romy Schneider spielt solche Rollen mit besonderem Engagement, als gelte es jedesmal, auch ein Stück der eigenen Biographie darzustellen – und zu verarbeiten. Was sie in Worten über Deutschland nicht sagen kann, weil sie glaubt, unpolitisch zu sein, drückt sie in ihren Rollen aus. »Alle, die mit denen zusammenarbeiten, sind Lumpen. Es sind Bestien, die Nazis, Bestien und Mörder«, sagt Elsa Wiener im Film. Und Romy Schneider: »Ich habe anfangs nicht viel gewußt vom Faschismus, nicht genug darüber nachgedacht. Aber inzwischen weiß ich sehr viel mehr und weiß, daß sich im Grunde nicht viel geändert hat.« Auch ein Grund, warum ihre Filme im anderen Land, aus dem sie emigriert war, keine so großen Erfolge waren wie in Frankreich? Artur Brauner, der deutsche Koproduzent der Spaziergängerin von Sans-Souci, sieht das anders: »Wir haben mit diesem Film in Deutschland immerhin eine Million Zuschauer ins Kino gelockt, was bei dem Thema ein großer Erfolg ist. Allerdings wären es ohne das traurige Ableben von Romy Schneider sicher nur die Hälfte gewesen, ihr Tod hat den Film doch sehr interessant gemacht.«

Doch bevor nun endlich die Dreharbeiten beginnen können, bricht Romy Schneider wieder einmal zusammen. Sie hat unerträgliche Schmerzen in der Niere. Pétin fährt sie ins Krankenhaus, ins Amerikanische Hospital nach Neuilly. Sie hat Angst. Ist nicht in diesem Krankenhaus Onassis gestorben? Komme ich da je wieder raus, oder ist es das, wovor ich mich immer gefürchtet habe, Krebs? Die Unsicherheit dauert einen halben Tag, dann stellen die Ärzte fest, daß es kein Krebs ist, sondern ein gutartiger Tumor, aber ihre rechte Niere entfernt werden muß, wo der faustgroße Abszeß sitzt. Am 22. Mai 1981 wird der Filmstar operiert; es verläuft alles den Umständen entsprechend gut, aber sie wird lange brauchen, um wieder arbeiten zu können. Laurent Pétin informiert die Filmproduktion und erzählt seiner Geliebten, kaum daß sie aus der Narkose aufgewacht ist, voller Stolz, daß man wieder auf sie warten werde, der Drehbeginn so lange verschoben werde, bis sie wieder gesund ist: »Siehst du, so wichtig bist du ihnen.«

Am Flughafen holt er Romys Mutter und ihren Bruder Wolf ab und bringt sie ins Krankenhaus. Magda Schneider schildert später, auf die ihr eigene Art, in der Bild-Serie »Leb wohl, Romy« den Besuch im Krankenhaus: »Ich war erschüttert, als ich Romy sah. Sie war – zwei Tage nach der Operation – noch sehr schwach. Aber ich war auch gerührt. Mit den wachen Augen einer Mutter sah ich, wie dieser Laurent Pétin Romy sehr liebevoll, unendlich behutsam half, aufzustehen – als wäre sie die größte Kostbarkeit der Welt. Dann war ich schockiert. Romy zeigte mir die Operationsnarbe. Sie zog sich – wie mit einem Schwert gehauen – von der Brust bis auf den Rücken, um den halben Körper.« Diese Narbe übrigens störte Romy Schneider am wenigsten. Jetzt sei es endlich vorbei mit den Nacktrollen, erklärte sie lakonisch, was in ihrem Alter ja schließlich normal sei, nicht wahr?

Eine der Krankenschwestern, die damals Romy Schneider umsorgten, erinnert sich an eine ängstliche, kleine Frau, die mit bandagierten Beinen – gegen die Gefahr einer Thrombose – im Bett lag und nichts von den Sträußen hergeben wolllte, die von Simone Signoret und Alain Delon und Herbert von Karajan geschickt worden waren, weil die alle anschauen sollten, die sie besuchten. Die Meldung, daß man dem Filmstar eine Niere hatte entfernen müssen, war in den Fernsehnachrichten ausgestrahlt worden. In den Zeitungen gab es ärztliche Bulletins zu lesen wie bei der Behandlung eines bedeutenden Politikers. Die Vorhänge im Zimmer wollte die Patientin immer halb geschlossen haben, sie traute dem Einfallsreichstum ihrer liebsten Gegner, der Fotografen, alles zu. Und ein Foto der im weißen Nachthemd krank im Bett liegenden Romy Schneider würde gutes Honorar bringen.

Laurent besucht sie natürlich jeden Tag, auch ihre Freundin Christiane Höllger kommt aus Berlin. Nur mit ihrem Sohn David ist sie noch so zerstritten, daß sie ihn nur einmal sehen will, ansonsten lediglich mit ihm telefoniert. Wenn sie darüber sprach, wie sehr sie ausgebeutet worden war, berichtet Pétin, geriet sie jedesmal in Rage und konnte nur mühsam beruhigt werden. Die Drohung der französischen Steuer mit ihren Millionenforderungen scheint sie nicht mehr so ernst zu nehmen, irgendwie wird man sich da schon rausreden können. Wahrscheinlich hat sie nie richtig erkannt, daß sie im klassischen Sinne pleite war, obwohl in dem Brief an Monique Biasini sehr deutlich steht, daß sie die 30000 Francs von Daniel dringend benötigt.

Noch lebt der Rest der Familie, also Sarah mit dem Kindermädchen, in der Wohnung in der Avenue Bugeaud, aber Romy Schneider will dort wegziehen, nicht nur wegen der Erinnerungen an die gemeinsame Zeit mit Biasini, sie will ganz raus aus der Stadt. Wenn das Geld für eine Anzahlung nicht reicht, muß man halt einen Kredit aufnehmen, ist ja kein Problem, schließlich wird sie mit den nächsten Filmen wieder genügend verdienen. Davon, daß sie eigentlich mal Pause machen wollte und nicht mehr so viel arbeiten, ist keine Rede mehr. Das halbe Jahr Pause, bedingt durch den gebrochenen Fuß und die Nierenoperation, hat ihr gereicht. Es soll endlich wieder losgehen.

Zunächst aber nur im Filmstudio von Boulogne-Billancourt für den Thriller Das Verhör. Leichte Arbeit. Romy Schneider muß ein paar Sätze nachsychronisieren. Ihr Sohn David kommt vom Haus seiner Großeltern in die Stadt und verbringt den Tag mit seiner Mutter. Ganz stolz auf sein gutes Französisch gibt er ihr Tips für die richtige Aussprache mancher Wörter, und Romy Schneider läßt sich das gern gefallen. Sie wiederholt, die Brille auf der Nase balancierend, seine Vorgaben, bis er zufrieden ist. Anschließend gehen sie gemeinsam in die Kantine des Studios. Sie sprechen über die nächsten Ferien und beraten, wohin es gehen soll. Wäre Griechenland nicht schön? Oder mal gemeinsam in die Vereinigten Staaten? Lieber nach Südfrankreich? Von dieser Szene gibt es Fotos, sehr innige, sehr private Fotos. Nähe zwischen Mutter und Sohn, eng beieinander sitzend, David mit geschlossenen Augen zärtlich seine Mutter küssend. Sie scheinen sich wieder vertragen zu haben. Es ist der 24. Juni 1981, ein friedlicher, warmer Sommertag. Es ist der Tag, an dem sich Romy Schneider und David zum letztenmal sehen.

Als David am 5. Juli vom Spielen nach Hause kommt, und zu Hause ist für ihn das Haus seiner Großeltern in der Rue Lorraine im Pariser Vorort St.-Germain-En-Laye, öffnet auf sein Klingeln niemand. Seinen Schlüssel hat er vergessen, das Tor ist verschlossen. Was macht ein Junge in seinem Alter, sportlich und trainiert? Er klettert auf die Mauer, um das Tor zu übersteigen. Doch David rutscht ab und stürzt in die schmiedeeisernen Spitzen des Zauns, der den Garten umsäumt. Wie ein Pfahl bohrt sich einer dieser Spieße in seinen Unterleib, er schreit vor Schmerzen, hängt hilflos am Zaun. Nachbarn hören sein Schreien und rufen den Notarzt und die Polizei. Er wird mit schweren inneren Blutungen ins Krankenhaus gebracht. Die Großeltern und sein Stiefvater Daniel Biasini suchen Romy Schneider und erreichen sie an diesem Sonntag schließlich im Landhaus von Pétins Eltern, wo sie sich nach ihrer Nierenoperation erholen soll und wohin David sie eigentlich hätte begleiten sollen. Sie eilt ins Centre Hospitalier, Laurent fährt sie hin. Auch Daniel Biasini ist gekommen, auch er bangt um den Jungen, der sich stolz David Biasini genannt hat, der ihn liebt und den wohl auch er liebt. Sie warten stumm. Romy Schneider weint, betet um ihren Sohn. Die Ärzte können ihm trotz einer Notoperation nicht mehr helfen; David Christopher, vierzehneinhalb Jahre alt, stirbt kurz nach Mitternacht.

Das klackende Geräusch der Schuhe des Arztes auf dem Krankenhausflur, der auf sie zukommt und ihr die Todesnachricht überbringt, begleitet sie fortan in ihren nächtlichen Alpträumen bis zum eigenen Tod. In dieser Nacht beginnt das lange Sterben der Romy Schneider.

Ihren Schmerz kann Romy Schneider nicht benennen. Bei der Beerdigung einige Tage später, organisiert von Alain Delon und von seinen Leibwächtern rigoros vor allen Neugierigen und Fotografen abgeschirmt, ist sie noch wie gelähmt, stumm und ohne Begreifen. Außer den Biasinis, die sich Vorwürfe machen und sich die Schuld geben an dem fürchterlichen Unfall, ist ihr Bruder Wolf gekommen, der sie stützt und schweigend tröstet. Magda Schneider, die am Telefon die Nachricht vom Tode ihres Enkels erhielt, liegt mit einem Herzanfall im Krankenhaus. Vor dem Friedhof lauern die Fotografen, sie folgen den großen schwarzen Limousinen von Delon und seinen Leibwächtern in halsbrecherischer Fahrt zurück nach Paris. Ein Foto der trauernden Mutter muß es doch geben. Die liegt inzwischen zusammengekrümmt auf dem Boden des schwarzen Golf von Laurent Pétin, den keiner beachtet. Er bringt sie ins Haus von Verwandten und dann auf Anraten des Arztes erneut ins Amerikanische Hospital, wo sie unter schweren Beruhigungsmitteln einschläft.

Das Foto des toten David, bedeckt von einem Handtuch des Krankenhauses, in dem er gestorben ist, wird meistbietend versteigert. Solche Fotos, bei denen sich der Leser erschaudernd fragt, woher haben die das bloß?, wird es immer wieder geben, weil in dieser Welt allgegenwärtiger Medien auch ein Krankenpfleger weiß, was es wert sein kann, im richtigen Moment auf den Auslöser zu drücken. Oder weil niemand als Krankenpfleger verkleidete Fotografen kontrolliert. In Deutschland druckt es die Bunte, die sich für ihre spärlichen Informationen auf ein Gespräch mit Magda Schneider stützen kann. Wieder einmal, so sieht es aus, merkt Romy Schneiders Mutter nicht, wie ihre naive Lust, alles zu erzählen, benutzt wird. (Laurent Pétin wird viel später Magda Schneiders Lebensgefährten Horst Fehlhaber in einem harschen Brief auffordern, er möge ihr endlich klarmachen, daß sie über sich alles, über ihre Tochter Romy Schneider aber nichts mehr erzählen solle.)

Freunde in Frankreich haben nach dem Tod von David Angst, daß Romy Schneider sich etwas antun könnte. Sie verschickt noch vom Krankenhaus aus Briefe, in denen sie ihnen versichert, sie werde nie Selbstmord begehen, schon Sarahs wegen nicht, die jetzt besonders ihre Mutter brauche. Sie schreibt von dem Kummer, den sie nie vergessen wird, aber sie schreibt auch, daß sie ihre ganze Kraft zusammennehmen wird, um diese Schmerzen zu überstehen. Sie bekommt Hunderte von Beileidsschreiben, auch eines von Frankreichs Staatspräsidenten François Mitterand.

Wieder werden die Dreharbeiten für Sans-Souci verschoben, diesmal auf den Oktober 1981. Zunächst zieht sie sich in das Château ihres alten Freundes Jean-Claude Brialy zurück, um den lauernden Fotografen zu entgehen. Begleitet wird sie von ihrer Tochter Sarah, dem Kindermädchen Bernadette und natürlich von Laurent Pétin, dem einzigen Halt in ihrer tiefen Verzweiflung. Brialy, bei Dreharbeiten in Italien, ruft jeden Tag an, um zu hören, ob alles in Ordnung sei. Er erinnert sich: »Da war zwar ein großer Kummer in ihr, aber da war auch eine große Wut über diese Ungerechtigkeit. Sie sagte, wenn Gott existiert, ist er wirklich gemein zu mir, weil er mir meinen Sohn genommen hat. Das ist nicht gerecht.« Auch im Schloß ihres besten Freundes wird sie entdeckt, wieder flieht sie zurück in die Stadt, dann in ein Landhaus, das Verwandten von Pétin gehört. Während die Fotografen vor dem Haus von Laurents Eltern in den Bäumen sitzen – bei Brialy hatten sie sogar automatische Kameras in den Zweigen versteckt, um ja den goldenen Schuß nicht zu versäumen –, ist sie dort endlich ungestört. Wenn auch nicht allein.

Die beiden Journalisten, die sie in Quiberon interviewt hatten, lädt Romy Schneider ein zu einem Besuch. Aber Laurent Pétin mißtraut erst einmal allen Journalisten, egal, woher sie kommen, und egal, ob Romy Schneider sie sehen will. Er verabredet sich mit den beiden an einem markanten Punkt des kleines Ortes, sie erfahren nicht die genaue Adresse des Hauses. Um Mitternacht holt er sie dort ab und bringt sie in der Dunkelheit zu Romy Schneider. Man redet die ganze Nacht miteinander, immer wieder unterbrochen von ihren Tränen und ihren nicht zu beantwortenden Fragen. Sie trinkt wenig, ein bißchen Rotwein, sehr viel Wasser. Nach der Nierenoperation muß sie mit Alkohol vorsichtig sein, Weißwein und Champagner sind sogar ganz verboten. Laurent Pétin achtet auch darauf, daß sie keine Tabletten schluckt, aber sie hat ihre kleinen Verstecke. Die Besucher aus Deutschland – »euch habe ich lieb, so wie die paar ganz wenigen Freunde« – übernachten in einem Gästezimmer und verbringen auch den Sonntag mit Romy Schneider und der Familie Pétin. Nachts schreibt Romy Schneider ihnen einen Brief, den sie am anderen Morgen unter der Tür finden. »Mes Amis – was ich nicht sagen kann, schreibe ich euch diese Nacht… Ich bin nicht mehr dieselbe Frau. Ich bin nicht mehr dieselbe Mutter. Je suis la petite mère courage ou la grande, wie mein DAVIDsohn es mir sagte. Ich glaube ihn zu hören und höre ihn so oft! Und sehe, sehe, sehe ihn – da – … Manchmal glaube ich, daß ich so ruhig und so schön und so unbeschmutzt da liege und schlafe wie mein armes Kind – aber ich muß doch wieder aufwachen, und das ist oft noch recht hart, wohl forever! …« Sie schreibt noch viel mehr in dieser schlaflosen Nacht, und irgendwo steht auch »Mein Liebling Laurent. Er hat und hatte es schwer mit mir.«

Am anderen Tag erzählt sie voller Empörung, daß sich ihr ehemaliger Mann Daniel Biasini, um zu trauern, wie er sagte, für zwei Wochen in die letzte gemeinsame Wohnung in der Avenue Bugeaud zurückgezogen habe. »Und stellt euch vor, anschließend fehlten Fernsehapparat und Videorecorder, gleich zwei, und natürlich jede Menge Kassetten.« Sogar ein kleines Sofa sei verschwunden. Natürlich bestreitet Biasini, daß er irgend etwas geklaut habe. Laurent habe alles dem Anwalt übergeben, der soll sich auch kümmern um die beiden Autos, den Ferrari und den Rover. Sie habe jetzt anderes zu tun. Sie muß jetzt lernen für ihren nächsten Film, die Dreharbeiten sollen in wenigen Wochen beginnen. Sie hat Angst davor, weil sie mit einem zwölfjährigen Jungen spielen muß, aber sie freut sich auch auf ihre Rolle, denn Arbeit, viel Arbeit, ist jetzt die einzige Therapie, die ihr einleuchtet. Und Laurent Pétin bestärkt sie darin. Er tut instinktiv das Richtige und kümmert sich bereits jetzt um den nächsten Film, um Drehbücher, um Gagenverhandlungen.

Bei einer anderen wichtigen Verhandlung sitzt er meist stumm dabei, schreibt aber sorgfältig alles mit. Die Steuerschulden sind so bedrohlich geworden, daß mit Filmgagen allein dies alles nicht mehr zu bezahlen sein wird. Er hat zusammen mit Romy Schneiders Agenten die Idee von Romy Schneiders Memoiren, einer Autobiographie des berühmten Filmstars, konzipiert. Der Vertrag zwischen einem großen deutschen Medienkonzern und Romy Schneider wird in Paris unterschrieben. Mit dem Abgesandten dieses Verlages spricht sie über ihre Kindheit, weil sich herausstellt, daß beide in Schönau in dieselbe Klasse gegangen waren. Erinnerungsfetzen, die von Zöpfen und kurzen Hosen und unendlich langen Sommern handeln, in denen man barfuß gehen konnte. Eine Million Mark soll das Honorar für Romy Schneider betragen, und als Ghostwriterin ist ihre Freundin Christiane Höllger im Gespräch. Womit Pétin nicht einverstanden ist, er hat andere Vorstellungen. Und da Romy Schneider auf ihn hört und seinen Ratschlägen vertraut, beginnen Verhandlungen mit möglichen Autoren. In einer langen Drehpause, die sie vor einem geplanten Film mit Alain Delon (und nach der Spaziergängerin) haben wird, soll damit begonnen werden, ihr Leben aufzuschreiben. Es wird nicht mehr dazu kommen, immer wieder verschiebt sie den Termin. Sie weiß, daß sie eigentlich nicht reden kann, weil sie Angst davor hat, sich mit ihrem Leben en détail zu beschäftigen – auch wenn Laurent Pétin sie drängt, auch wenn sie das angebotene Honorar gut brauchen kann, auch wenn man ihr versichert, abschließend hätte sie endlich ihre Ruhe vor den Journalisten, weil alles gesagt wäre. Und zwar von ihr und nicht über sie. Eine Million Mark scheint dem Verlag kein zu hohes Honorar, denn aus einem solchen »Stoff« wie Romy Schneider werden Legenden gewoben, und die sind, wie man ja weiß seit Marilyn Monroe, einfach imsterblich. Das will man lesen, die Geschichte des Filmstars, dem scheinbar alles zufiel, Ruhm und Geld und Luxus, und dem doch nichts geschenkt wurde vom Leben. Glanz im Kino, Tragödien in der Wirklichkeit, Romy Schneider geschminkt und Romy Schneider ungeschminkt…

In der Öffentlichkeit sieht man sie zum erstenmal knapp zwei Monate nach dem Tod ihres Sohnes bei der Premiere von Alain Delons neuem Film Pour la peau d’un flic am 8. September. Sie trägt ihre Haare lockig lang, das Gesicht ist schmaler geworden, Fragen von Journalisten beantwortet sie nicht. Später beklagt sie sich, daß sie nach der Filmpremiere verfolgt worden sei und Laurent Pétin wie ein Rennfahrer habe rasen müssen, damit »die Schweine« nicht herausbekommen, wo sie wohnt. Sie wechselt die Wohnungen, mal bei Freunden, mal auf dem Land, mal zieht sie auch für Wochen in ein Hotel. Einmal trifft sie sich mit Alain Delon in dessen Pariser Wohnung, es gibt ein offizielles Foto von den beiden, sie in schwarz, er in weiß, beide lachend und gelöst. Es sind Werbeaufhahmen für ein neues Parfum, das die Delon-Company vertreibt, und Mireille Darc, damals Lebensgefährtin von Delon und Managerin seiner Firmen, hat dieses Treffen arrangiert.

Selbst der ruhige, starke Laurent Pétin ist am Ende seiner Kraft, weil er nachts die verzweifelte Romy Schneider zu beruhigen versucht, tagsüber aber in seinem Job hart arbeiten muß. Außer an den wenigen Wochenenden, an denen Sarah ihren Vater Daniel Biasini besucht, der zwar kein Sorge-, aber Besuchsrecht hat, ziehen Romy Schneiders kleine Tochter und ihr Kindermädchen mit um. Sarah wird unruhig, aber sie ist noch zu klein, als daß man ihr diese ständigen Fluchten erklären könnte.

Im Oktober muß Romy Schneider wieder mit der Arbeit beginnen, die Dreharbeiten zur Spaziergängerin von Sans-Souci können nicht noch einmal verschoben werden. Artur Brauner hält das für die beste Therapie nach Davids Tod, und er glaubt auch, daß sie es schaffen wird. Sie ist ja ein Profi. Einem Freund in Frankreich schreibt sie vor der Abreise nach Berlin, daß sie nicht weiß, wie es weitergehen soll, daß sie manchmal das Gefühl hat, einfach nicht mehr zu können, daß sie aber nie wieder in ein Krankenhaus geht, nie wieder. Und wie soll ich mit dem Schmerz fertig werden, dem nicht faßbaren? Es sind halt so ganz andere Schmerzen als die, mit denen sie gelernt hat, umzugehen. Das Schlimmste ist, schreibt sie, in meinen Nächten ist David nicht tot, da spreche ich mit ihm, da sitzt er neben mir. Und am Morgen weiß ich dann, daß ich mir das alles eingebildet habe, daß er wirklich tot ist. Und sie hat Angst vor Berlin, weil sie nach Davids Tod ausgerechnet in der Stadt zum erstenmal wieder arbeiten muß, in der er geboren ist und in der sie mit ihm und Harry Meyen gelebt hat, die »glücklichsten Jahre meines Lebens«, wie sich ihr die Erinnerung verklärt.

Regisseur Jacques Rouffio muß sich in Berlin in der Hauptsache um Romy Schneider kümmern und die anderen Schauspieler vernachlässigen. Am schlimmsten sind die Einstellungen, die sie mit dem im Film zwölfjährigen Max zu spielen hat, den sie zum Beispiel ins Bett bringen oder zärtlich umarmen soll. Als eine Dinnerszene gedreht wird, bei der Max, gespielt von Wendelin Werner, als Geigensolist brilliert und dabei vor ihr am Tisch steht, weint sie hemmunglos. Selbst dem väterlichen Rouffio gegenüber ist sie sprachlos, sie schreibt ihm ihre kleinen Zettel, wenn sie Vorschläge hat, wie man diese oder jene Szene gestalten könnte. Er verliert nie die Geduld mit ihr. Ihr Hotel verläßt Romy Schneider fast nur zu den Dreharbeiten, sie telefoniert viel, berichtet jeden Abend Laurent in Paris, wie der Tag verlaufen ist, und lügt ihn überzeugend an, daß sie keine Tabletten schlucke und nur ganz wenig trinke. Manchmal, wenn sie das Alleinsein nicht aushält, empfangt sie Besuch in ihrer Suite. Aus einer langen Nacht mit Romy Schneider macht später Maria Schell, die in dem Film eine kleine Nebenrolle spielt, rührselige Erinnerungen einer angeblich lebenslangen »mütterlichen Freundin« (»Sie erzählte mir von ihrer großen Liebe, von Laurent, zeigte mir, wie aufgeschnitten ihr armer Körper war durch die Nierenoperation…«).

Diese Erinnerungen erscheinen selbstverständlich nach Romy Schneiders Tod. Nicht nur Maria Schell, auch andere notieren da, was an Bruchstücken von Romy Schneiders Leben noch vage in ihrer Phantasie herumgeistert. Hildegard Knef erinnert sich unter dem Titel »Weißt Du noch, Romy?«, was wiederum Magda Schneider in ihrer Serie »Leb wohl, Romy« wütend kommentiert, weil ihr da angeblich Unrecht widerfahren sei. Biasini lehnt zunächst alle Angebote ab, seine Erinnerungen aufzuschreiben, er plant langfristiger. Noch viele Jahre nach Romy Schneiders Tod verlangt er für ein Interview rund 15 000 Mark, natürlich in französischen Francs und cash down auf den Tisch. Schließlich weiß er selbst am besten, wie es ist, wenn man die Steuer auf dem Hals hat. Auch das »letzte Interview«, das nach Romy Schneiders Tod der Schriftsteller Curt Riess verschiedenen Magazinen anbietet, paßt in diesen Reigen der Fleddermäuse. Es hat nie stattgefunden, weil an dem Tag, an dem es angeblich geführt wurde, und zwar in Zürich, Romy Schneider Paris nicht verlassen hat. Später wird er behaupten, er habe sie schon am 10. Mai in Zürich interviewt, aber erst, als er liest, daß sie an diesem Tag in Zürich ihr Testament gemacht hat. Auch diese Behauptung ist falsch.

Artur Brauner und seiner Frau gelingt es während der Berliner Dreharbeiten von Sans-Souci ein paarmal, Romy Schneider zu einem Abend im privaten Kreis zu überreden; da werden dann Erinnerungen wach an die Zeiten, als die Meyens und die Brauners in Berlin noch Nachbarn waren und ihre Kinder gemeinsam in den jüdischen Kindergarten gingen. Auch Christiane Höllger versucht, Romy Schneider aus der selbstgewählten Isolation zu reißen, aber ihre Ausbrüche ins Leben bleiben selten. Bei einem dieser Ausbrüche in den Alltag lernt sie eine Frau kennen, mit der sie zeitweise mehr verbindet als das übliche Bis-zum-Nächstenmal.

Die Dreharbeiten in Berlin und in Paris läßt sie trotz aller professionellen Disziplin auf dem Set und trotz aller Routine eher mechanisch über sich ergehen. Nach all diesen schlaflosen Nächten braucht sie ihre letzte Kraft, um wenigstens nicht physisch zusammenzubrechen, und es kommt ihrem äußeren wie inneren Zustand entgegen, daß die Rolle der Elsa Wiener selten Fröhlichkeit verlangt. Wieder lebt Romy Schneider so in diesem fremden, ausgedachten Leben, daß die Zeit der faschistischen Menschenjagd, die sie als Elsa Wiener durchleidet, auch ihre Gegenwart beeinflußt. Einem Freund in Hamburg, den sie auch nachts anruft, schildert sie nicht nur ihre Verlustgefühle. Stell dir vor, mit dem Matthias Waiden soll ich mich treffen, für ein Interview. Ausgerechnet mit einem Springerjournalisten, wo ich doch auch diese Erklärung gegen diese Art von Presse mitunterschrieben habe. Das würde mir Böll nie verzeihen. Stell dir vor, die haben den Schluß geändert, diese Idioten. Zum letztenmal dreh’ ich in diesem Land, zum letztenmal, das schwör ich dir. Es sind immer noch zu viele Nazis hier. Gegenargumente läßt sie nicht gelten, die erreichen sie gar nicht. Sie sieht Deutschland aus der Sicht einer Französin, sie hat die Geschichte ihrer neuen Heimat so adaptiert, daß sie zur eigenen wird. Deutsche sind in dieser Geschichte immer unheimliche Nachbarn gewesen, Eroberer, kriegslüstern, Besatzer, menschenverachtend.

Für ein drehfreies Wochenende am 7. und 8. November baut sie sich einen Schutzwall gegen den schmerzenden Kreislauf ihrer Gedanken. Sie lädt ihre Mutter Magda und ihren Bruder Wolf nach Berlin ein. Aus Paris ist Sarah mit dem Kindermädchen gekommen, auch Laurent Pétin ist da, alles wird arrangiert für ein harmonisches Familentreffen. Man erzählt sich Alltagsgeschichten, Romy Schneider spielt die starke Frau im Kreise der Familie, weiß natürlich gleichzeitig, wie brüchig das Eis ist, auf dem gerade sie und Mutter Magda sich bewegen. Sie berichtet von ihren Plänen, mit Laurent bald zu verreisen und bald ein Haus für die Famile zu suchen und bald ihre Memoiren zu schreiben und bald einen Film mit Delon zu drehen und bald… Dann weint sie wieder, als könne das alles nicht mehr wahr werden, als habe das alles in Wahrheit doch nichts mehr mit ihr zu tun. Nicht einmal Pétin kann sie dann beruhigen, selbst er ist dann nichts als ein weiteres Bruchstück in ihrem Leben. Sie diskutiert mit ihm eine geplante (und später auch beschlossene) Änderung im Drehbuch des Films, eine Szene, die Romy Schneider als verlogen und falsch empfindet. Ursprünglich sollten nämlich auch Max und seine Frau am Ende des Films von antisemitischen Rechtsradikalen im Paris von heute erschossen werden. Die Botschaft war klar – es hat sich seit damals, als Elsa und ihr Mann im Exil starben, eigentlich nichts geändert. Die Produktion aber besteht auf einem zumindest optischen Happy-End zwischen Romy Schneider und Michel Piccoli. Jacques Rouffio erklärt sich damit einverstanden, seine Hauptdarstellerin beschimpft ihn wütend. Man einigt sich schließlich darauf, daß über dem Standbild des sich umarmenden Paares Lina und Max Baumstein am Schluß des Films eine Schrift läuft, die vermeldet, daß die beiden wenige Wochen nach dieser Szene vor ihrem Haus ermordet worden seien und man keine Spur von den Tätern habe.

Es ist nicht nur der Schmerz um den fur immer verlorenen Sohn David, der Romy Schneider in den letzten Monaten ihres Lebens (»Cette vie douloureuse«) so »unlebbar« macht für andere. Sie beginnt über das nachzudenken, was man Karriere nennt, und über all die unbeantworteten Fragen, die sie auch in früheren Lebenskrisen immer wieder beschäftigt haben, die sie aber schnell wieder verdrängt hat. Radikaler ist sie geworden, radikaler mit sich, sie betrachtet das Produkt Romy Schneider, ihr Image sozusagen, mit kritischer Distanz. Was erwarte ich vom Leben noch und nicht mehr, wie früher, wie kann ich die Erwartungen erfüllen, die andere in Romy Schneider setzen? So sind die immer wieder auftauchenden Bekundungen, bald nur noch mit Frauen leben zu wollen, Zeichen dafür, daß sie wirklich beginnt, alles in Frage zu stellen, was bisher ihr Leben ausgemacht hat und worum sich alles drehte. Sie zweifelt am Sinn ihrer Arbeit überhaupt und macht sich, in gnadenloser Ehrlichkeit, an ein seltsames Spiel. Kreuzt unter ihren achtundfünfzig Filmen die an, die nach ihrer Meinung gut waren, und kommt auf nur zehn Titel. Die Filme von Visconti sind dabei und die Kafka-Verfilmung von Orson Welles, aber keiner der Filme, mit denen sie einst berühmt wurde. Billy Wilder hat leider nie angerufen und Max Ophüls auch nicht. Und aus der Visconti-Idee, das wahre Leben der Elisabeth von Österreich zu verfilmen, ist nichts mehr geworden.

Dann verschwindet sie mal wieder, mitten in der Nacht, irrt durch Paris, freut sich, wenn sie keiner erkennt. Klingelt bei Freunden. Als die einmal nicht zu Hause sind, läßt sie sich von einem Taxifahrer zurückbringen in die Wohnung, in der sie gerade lebt. Merkt, daß sie kein Geld dabei hat, aber der Mann hat Mitleid, es regnet draußen, er fährt sie trotzdem. Er hält sie für eine Hure, die keinen Kunden mehr gefunden hat, und voller Lust am Spiel richtet sich Romy Schneider sofort in dieser Rolle ein. Als er sie an einer feinen Adresse absetzt, die er ihr nicht zutraut, fragt er, na, doch noch einen Kunden? und grinst. In solchen Nächten sucht Laurent Pétin nach ihr, macht sich Sorgen, klappert alle Bekannten und Freunde ab. Tobt auch vor Eifersucht, weil er nicht weiß, ob Romy Schneider vielleicht doch noch irgendwo jemanden hat, dem sie näher ist als ihm. Beruhigt sich erst, wenn sie detailliert erzählt, wo sie war. Zwei Frauen in Paris, die zusammenleben und die sie kennen, sind so etwas wie Freundinnen geworden. Wenn er sie bei denen findet, ist er beruhigt und nicht mehr eifersüchtig.

Dieses plötzliche Verschwinden von Romy Schneider ist ihm fremd, und er kann damit nicht umgehen. Bezieht ihre Fluchten immer nur auf sich, fühlt sich verletzt, weil er doch alles für sie tut. Dabei hat sie das schon früher gemacht, als es ihr scheinbar noch gut ging. In Hamburg, bei einem Abendessen mit Meyen und Freunden, war sie einmal plötzlich aufgestanden und hatte geschrien, warum mache ich das eigentlich hier für euch? Warum sitze ich eigentlich mit euch hier herum? Ist doch alles nur Scheiße, was hier abläuft. Hatte den Raum verlassen, die Tür hinter sich zugeschlagen und war verschwunden. Drei Tage lang haben Meyen und andere sie gesucht, haben alle Krankenhäuser angerufen, haben sich Sorgen gemacht und nicht gewußt, was passiert war. Dann kam sie wieder, als ob nichts geschehen wäre. Sie hatte sich bei einer Freundin einquartiert, und auch die durfte keinem erzählen, daß Romy Schneider bei ihr schlief.

Wochen verbringt sie mit Sarah und dem Kindermädchen im Hotel Royal Monceau, weil die Wohnung, in der sie gerade leben, nach Romy Schneiders Meinung schon wieder mal entdeckt worden ist. Ihre Angst vor Journalisten wird fast manisch. Doch den angebotenen Ausweg, weit weg zu fahren und endlich mit den Gesprächen fur ihre Memoiren zu beginnen, lehnt sie auch ab. In dieser Situation ihres Lebens eine Bilanz ihres Lebens zu ziehen, scheint ihr unmöglich und über ihre Kraft gehend. Die Wochenenden mit Laurent Pétin und seiner Familie auf dem Land sind zwar so etwas wie Inseln in ihrer Hektik, aber schon nach wenigen Stunden wird sie auch dort unruhig, versucht durch Betriebsamkeit und dauerndes Telefonieren die Gedanken zu übertölpeln, denen sie doch nicht entfliehen kann. Die einzige Zeit der Ruhe ist der Schlaf, aber den erreicht sie nur noch mit vielen Tabletten. Wenn Laurent ihr die wegnimmt, weil er glaubt, diese Sucht bekämpfen zu müssen (was richtig gedacht und dennoch falsch war, denn nur eine Entziehungskur hätte ihr helfen können), ist sie die ganze Nacht wach und schreibt. Auch Briefe an David. Mit ihrem Exmann Daniel Biasini gibt es noch heftige Auseinandersetzungen, vor allem, wenn Sarah von einem Besuch bei ihm und seinen Eltern nach Hause kommt, obwohl, wie sie notiert, Sarahs Vater nicht allzuoft Interesse am Besuch seiner Tochter gezeigt hat. An den ihm zustehenden Wochenenden habe er seine Tochter manchmal nur am Sonntag zu einem kurzen Spaziergang abgeholt. »Armer Liebling«, schreibt sie einmal resigniert in einem Brief ( »Pour le père de Sarah – DANIEL Biasini -«), in dem sie sich beschwert, daß Sarah plötzlich mit Äußerungen kommt, die sie nur gehört haben kann bei den Biasinis, »armer Liebling. Benutzt genauso wie mein DAVID.« Ihr Haß auf die Familie ihres ehemaligen Mannes wächst, seinen Bruder Charles findet sie besonders widerlich, der habe ihr immer nachspioniert und alles Daniel Biasini berichtet. Oft muß Laurent Pétin, der nun wahrlich nichts von Biasini hält, seine Geliebte in ihrem Haß bremsen, weil er Angst hat, daß sie unbedachte Briefe schreibt. Es gibt wichtigere Probleme. Er braucht nicht nur seine emotionale Kraft fur Romy Schneider, sondern auch einen klaren Kopf, wenn er endlich »Licht am Ende des Tunnels« entdecken will. Mit Tunnel umschreibt er die Angelegenheit mit den nicht abgeführten Steuern und die immer drängender werdenden Forderungen der französischen Finanzbeamten. Er macht Romy Schneider klar, daß durch die letzten Erschütterungen in ihrem Leben ihr Marktwert gestiegen ist, vor allem durch den Tod ihres Sohnes, und er meint dies nicht zynisch. Er will sie mit seiner gewollt brutalen Offenheit nur dazu zwingen, sich den Realitäten zu stellen, nicht ein Glück zu suchen, das es nicht gibt, weil diese Suche sie erst recht zugrunde richtet und seiner Meinung nach nur in einer Art Wahnsinn enden kann. Er kann nichts dagegen setzen, außer liebevoller Geduld, wenn sie nachts allein sein will, um mit »meinem David zu reden«. Laurent Pétin gewöhnt sich daran, daß sie noch lange wach bleibt, während er längst schläft. Und er wundert sich nicht, wenn er aufwacht und sie nicht neben ihm liegt. Auch nicht am Morgen ihres Todes.

Wenn sie grübelt, ob »die da«, also Produzenten und Regisseure, sie überhaupt noch haben wollen, wenn sie erst älter ist, dann kontert er, daß sie sich erst recht nicht mehr ausnützen lassen dürfe in der Filmwelt, die zwar Stars macht, sie aber genauso schnell fallen läßt. Dann macht er ihrem Agenten klar, daß in Zukunft höhere Gagen zu fordern sind. Und solange sie so gefragt ist, muß sie am Erfolg ihrer Filme beteiligt werden. Wie die anderen Stars ihrer Größenordnung auch. Man braucht Geld, denn nur mit Geld läßt sich die äußere Ruhe erkaufen, zum Beispiel ein Haus auf dem Lande, die für Romy Schneider so wichtig geworden ist und aus der heraus dann die innere Ruhe sich entwickeln kann, die überlebensnotwendige. Laurent Pétin bekommt in seiner Firma ein normales Gehalt, und das reicht nicht für ein verschwenderisches Leben in selbstverständlichem Luxus, wie es Romy Schneider gewöhnt ist seit den Tagen von Sissi. Er will keinen Franc von ihr, nichts, das läßt sein Stolz nicht zu. Er kann sogar streng sein mit ihr, fast drohend, wenn er merkt, daß sie heimlich etwas trinkt, obwohl seit der Nierenoperation fast alles verboten ist. Dann behandelt er sie so, wie ein Vater sein Kind behandeln würde, das noch nicht weiß, was ihm schadet und was nicht. Und Romy Schneider läßt sich das von dem zehn Jahre jüngeren Mann gefallen. Der baut behutsam, Stück für Stück, eine neue Welt für sie auf, er weiß, daß die Zeit vorbei ist, als sie die Trümmer verlorener Lieben noch mit Dreharbeiten, mit immer neuen Filmen zudecken konnte. Man ißt lieber gemeinsam zu Hause statt wie früher in den Restaurants der Prominenten. Pétins Familie stellt sich voller Verständnis auf sie ein, lernt voller Zuneigung, daß man Geduld braucht, bevor Romy Schneider redet. Daß sie bei Fragen einmal schweigt und nachdenkt und vielleicht erst nach fünf Minuten darauf antwortet. Alle unternehmen vorsichtige Schritte, um sie aus ihren Depressionen herauszuführen, denen sie manchmal tagelang im verdunkelten Zimmer nachgibt. Alle bemühen sich behutsam, sie an die Hand zu nehmen und herauszuholen aus ihrer Verzweiflung. Denn es reicht jetzt nicht mehr, ihre vielen unbewältigten Vergangenheiten aufzuarbeiten. Es muß ja auch so etwas wie ein Ziel geben für sie, und dieses Ziel kann nicht mehr nur der nächste Film sein.

Laurent Pétin, Sarah und Romy Schneider reisen auf die Seychellen – ist doch besser, als im kalten Januar in Paris herumzusitzen und zu grübeln. Es scheint ihr gut zu gehen, denn an ihre Mutter und an Freunde schickt sie Postkarten voller Lebenslust. Doch kaum in Paris zurück, holt sie der Alltag wieder ein. Streit mit Biasini. Besuch an Davids Grab. Sorgen wegen der Steuer. Wieder ist es Pétin, der die richtige Idee hat und beginnt, ein Haus auf dem Land zu suchen, sie so zu beschäftigen und abzulenken. Sie schauen sich viele Angebote an, und endlich, im April, finden sie das Haus, in dem »ich alt werden will« (Romy Schneider). Es liegt fünfzig Kilometer außerhalb von Paris, in Boissy Sans Avoir; und es gibt keine prominenten Nachbarn, sondern es sind ganz normale Menschen, die in dem Dorf wohnen. Knapp vierhundert Einwohner, eine Kirche und ein Friedhof, auf den bald David überführt werden soll. Seine Mutter will ihm nahe sein. Der Name des Ortes bedeutet übersetzt soviel wie Boissy ohne Besitz; Romy Schneider tauft ihn um in Boissy Avec Avoir, Boissy mit Besitz. Sie will es noch einmal versuchen, ihr Leben. Mit Laurent Pétin eine neue Familie gründen, vielleicht sogar ein Kind von ihm, obwohl sie schon dreiundvierzig ist. Sie spricht überzeugend von ihrer Überlebenskraft, und sie überzeugt alle, die ihr das eigentlich nicht glauben und die dann, nach ihrem Tod, die anderen fragen, warum sie nicht besser auf sie geachtet haben. Jeder kennt später einen, der eigentlich noch ein Stückchen schuldiger ist als er selbst.

Gemeinsam fliegen Romy Schneider und Laurent Pétin am 9. Mai 1982 nach Zürich, um mit ihrem Finanzverwalter Kaestlin und dessen Sohn zu reden, denn sie brauchen Geld für den Kauf des Hauses in Boissy (die Gage von Sans-Souci soll verwendet werden, um einen Teil der Steuerschulden zu bezahlen). Sie haben sich am Abend mit dem deutschen Anwalt von Romy Schneider verabredet, der sie im Hotel Baur au lac erwartet. Erst gegen dreiundzwanzig Uhr treffen sie ein. Man bespricht, wie die Verhandlungen am nächsten Tag zu führen sind, trinkt gemeinsam, also zu dritt, eine Flasche Rotwein. Das Gespräch wird auf dem Zimmer fortgesetzt, als das Restaurant schließt. Gegen ein Uhr morgens, nach einigen Whiskys, die Romy Schneider trotz Pétins Vorwürfen aus der Minibar nimmt und pur trinkt, beschließt sie pötzlich, ihr Testament zu machen. Sie sucht Papier, denn das Briefpapier des Hotels will sie nicht benutzen für ihren Letzten Willen. Pétin versucht, sie davon abzuhalten – wenn sie es unbedingt machen wolle, hätte das doch auch noch Zeit bis morgen. Man muß doch nicht plötzlich mitten in der Nacht und auch noch in dem Zustand ein Testament aufsetzen. Aber Romy Schneider bleibt stur bei ihrem impulsiven Entschluß, sie will nicht bis morgen warten. Schließlich nehmen sie Papier aus der Kanzlei ihres Anwalts. Sie verschreibt sich einmal, zweimal, trinkt dazwischen immer wieder kleine Whiskyfläschchen aus der Bar. Als die in ihrem Zimmer leer ist, wechseln sie in das Zimmer des Anwalts. Pétin legt sich schlafen, er will am anderen Tag wenigstens einigermaßen wach sein für das geplante Gespräch über ihre finanzielle Situation.

Schließlich, gegen halb fünf am Morgen des zehnten Mai, hat Romy Schneider ihr Testament, das noch heute beim Nachlaßgericht in Berlin-Schöneberg liegt, geschrieben: »10.5.1982 – Zürich – Ich bitte, alles was ich – Romy Schneider –, besitze: an Laurent Pétin und meine Tochter Sarah zu überweisen –, – ich meine: es ist, nochmals gesagt, mein Testament – all mein Besitz, gehört, ist bestimmt für MR. Laurent Pétin und Sarah! Dies ist mein Wille und bleibt meine Entscheidung – -. Romy Schneider.« Als Testamentsvollstrecker bestimmt sie ihren Hamburger Anwalt, aber der nimmt, wie man beim Nachlaßgericht in Berlin nachlesen kann, dieses ihm übertragene Amt nicht an, unter anderem auch deshalb, weil er bezweifelt, daß die Umstände, unter denen das Testament zustandekam, für die Wirksamkeit ihres letzten Willens sprechen.

Das bezweifelt auch Henrik Kaestlin, allerdings aus ganz anderen Gründen. Es wird ihm nach Romy Schneiders Tod viel zuviel darüber spekuliert, wo denn ihr ganzes Geld geblieben sei. Als ihm später die recherchierenden Journalisten zu nahe kommen, wird er plötzlich schweigsam, dieser Mann, der laut Bericht des Züricher Magazins Bonus ein »ehrenwerter Mann« ist: »Wer behaupten wollte, Romy Schneiders posthume Schulden hätten etwas mit ihm zu tun, der müßte das schon hieb- und stichfest beweisen können.« In der Tat, denn Henrik Kaestlin ist nicht nur ein ehrenwerter Anwalt, sondern auch ein reicher Mann mit Einfluß. »Niemand soll sagen«, schreibt das Züricher Magazin, »Dr. Kaestlin sei raffgierig. Er besitzt Ländereien in Brasilien, Kaffeeplantagen in Mittelamerika, ein Schloß am Bodensee und jede Menge Liegenschaften in und um Zürich. Er führt eine gutgehende Anwaltskanzlei in Zürich, zusammen mit seinem Sohn, der einen Doktortitel aus Österreich hat… und unter ihm residiert die Übersee-Bank, die ihm auch zu einem guten Teil gehört. Daß er Multimillionär ist, wird niemand ernsthaft bezweifeln.«

Daß zum Beispiel noch 1979 und 1980 insgesamt 881 000 Francs auf das Konto der Cinecustodia, Sitz Chur, überwiesen wurden (unter anderem Teile von Romy Schneiders Gage für Eine einfache Geschichte), wo doch nach Angaben seines deutschen Anwalts (»Der Vertrag der Frau Schneider mit der Cinecustodia begann im Jahre 1973. Er endete mit Ablauf des Jahres 1978.«) bereits 1978 die Verbindung zwischen Romy Schneider und der Schweizer Firma beendet worden ist, lag angeblich daran, daß noch Restzahlungen aus den Filmen zu leisten waren, da Cinecustodia die Verträge für Romy Schneider machte. Das aber sagte er erst in einer Gerichtsverhandlung am 22. Juli 1991 in München, als er einige Passagen dieses Buches per Einstweiliger Verfügung verbieten lassen wollte. Sein Antrag wurde abgelehnt. Bis zu diesem Verfahren war er auch stumm geblieben auf die Frage, was denn am 10. Mai 1982, also nach der Testamentsnacht, in Zürich mit ihm, seinem Sohn, Romy Schneider und Laurent Pétin besprochen wurde. Und ob es da vielleicht schon um die verschwundenen Summen ging, die Romy Schneider einen Tag vor ihrem plötzlichen Tod in einem Brief an die Schweizer Bankgesellschaft moniert hat? Den Brief hat sie aber nicht mehr abschicken können. Und ob Romy Schneider während dieses Gesprächs deshalb immer wieder so fassunglos war, weil sie nicht verstehen konnte, wo die Millionen geblieben waren? Nicht einmal die nötige Anzahlung für das Haus in Boissy konnte geleistet werden. Um diese Summe aufzutreiben, muß Laurent Pétin seine Aktien verkaufen und bei seiner Firma einen Kredit aufnehmen. Ist es bei diesem Gespräch in der Kanzlei von Kaestlin am Limmatquai nicht vielmehr so gewesen, daß Romy Schneider versprochen wurde, innerhalb einer bestimmten Frist genaue Abrechnungen vorzulegen, die sich aber durch den plötzlichen Tod von Romy Schneider sozusagen von selbst erledigt haben?

»Erst in seiner Eidesstattlichen Versicherung am 5. Juli 1991 lüftet Kaestlin das Geheimnis – danach war es an jenem Tag nur und ausschließlich um die Steuerprobleme von Romy Schneider in Frankreich gegangen. Dem allerdings widerspricht die Eidesstattliche Versicherung eines Zeugen, der an der Besprechung vom 10. Mai 1982 teilnahm.

Wirklich schade, daß Henrik Kaestlin zu beschäftigt ist, um sich an den Fall Romy Schneider zu erinnern, wo sich doch die Tätigkeit seiner Firma ganz legal nur erstreckte auf »Wohltaten, die sich aus dem zwischenstaatlichen Doppelsteuerungsabkommen ergeben«. Schließlich hat man ja über Jahre neun Prozent aller überwiesenen Romy-Schneider-Gagen »ausschließlich zur Deckung des notwendigen Verwaltungsaufwandes« benutzt. Aber wenn man so viel Geld fur die eigene Leistung berechnet, müßte eigentlich ja auch eine Leistung erbracht werden (sagt sich da der Laie). Man hätte so gern mehr erfahren über diese Wohltaten, von denen ja am Schluß nur eine Neun-Millionen-Francs-Nachforderung der französischen Steuer übriggeblieben ist. Nur soviel teilt er mit, daß nach »einem Urteil des obersten französischen Gerichts« viele Jahre nach Romy Schneiders Tod festgestellt worden sei, aus den »vertraglichen Beziehungen und deren Handhabungen« zwischen der Cinecustodia und Romy Schneider ließen sich keine Steueransprüche Frankreichs für ihre Gagen ableiten. Lapidar zieht er Bilanz: »Die Steuer- und Finanzprobleme, die Romy leider hatte, hatten andere Ursachen.«

Nach der Rückkehr aus Zürich ist Romy Schneider, allen Bemühungen von Laurent Pétin zum Trotz, physisch und psychisch wieder in einem klinikreifen Zustand, aber sie will ja nie mehr ins Krankenhaus, und mit ein paar Wochen Diät in Quiberon ist es diesmal nicht getan. Sie hat sich von einer Freundin Harry Meyens beschreiben lassen, wie der sich gefühlt hatte und wie schlecht es dem gegangen war, als man ihn in der Psychiatrie in Hamburg behandelte. Nein, mit mir nicht, niemals. Sie trinkt nicht nur zuviel, sondern auch das, was ihr die Ärzte verboten haben, unter anderem eben Whisky. Sie hat sich geheime Verstecke für ihre Tabletten gesucht, die Laurent Pétin noch nicht kennt. Im Innersten glaubt sie nicht mehr, daß sie je davon loskommt. Will sie sich am Ende selbst kaputtmachen? Keiner kann das heute sagen, denn Romy Schneider ist eine viel zu gute Schauspielerin, um ihre mögliche Todessehnsucht andere merken zu lassen. Sie spielt ihnen etwas vor, um sie zu beruhigen. Wenn keiner etwas merken kann, muß keiner sich Vorwürfe machen. Daß es so nicht mehr lange weitergehen kann, muß sie geahnt haben. Nur so ist zu erklären, daß sie plötzlich, mitten in der Nacht, in Zürich auf die Idee gekommen ist, ihren Letzten Willen aufzuschreiben. Ein Muster ohne Wert, nicht nur im juristischen Sinne. Sie hat ja auch nichts mehr, was sie hinterlassen könnte, obwohl sie das noch nicht weiß, als sie ihr Testament schreibt. Gut, ein bißchen Schmuck und ein paar Möbel, aber kein Bargeld, keine Aktien, keine Immobilien. Und daß sie sich auf den nächsten Film freut, auf die Arbeit mit Delon, glauben nur die anderen. Vordergründig geht es noch um Einwände gegen das inzwischen in der Rohform vorliegende Drehbuch von Einer gegen die anderen (Arbeitstitel), das ihr nicht gefällt. Ob man nicht zunächst mal an das Projekt Misia gehen sollte? Die Lebensgeschichte der Coco-Chanel-Freundin Misia Sophie Olga Godebski, eine der aufregendsten Frauen der Belle Epoque in Paris, Muse vieler Künstler, Geliebte vieler Prominenter, einer Frau, die ihrer Zeit weit voraus war.

In Wahrheit zweifelt sie an sich, glaubt nicht, daß sie noch oder schon wieder stark genug ist, eine große Produktion zu überstehen. Sie weiß ja selbst am besten, wie es ihr ergangen ist bei ihrem letzten Film, der Spaziergängerin von Sans-Souci, dessen Premiere in Paris sie nicht einmal besucht hat und für den sie nur widerwillig bereit war, Reklame zu machen. Ein einziges Fernsehinterview hat sie gegeben, dessen Abschrift unter harschen Bedingungen auch verschiedenen Zeitschriften angeboten wird (»keine Privatfotos, jede Bildunterschrift, jeder Titel muß vorgelegt werden, gez. Romy Schneider«). Als ob ihr schon egal sei, wie der Film läuft und wie man über sie urteilen wird… »Wir wissen, daß der Film für Romy Schneider mehr als nur ein Film ist. Für uns ist er es auch. Wir lieben Sie, Romy Schneider«, schreibt ein Kritiker in Jour de France. Auch durch das Drängen des Verlages, endlich mit ihren Memoiren zu beginnen, für die ja ein Vertrag unterschrieben ist, fühlt sie sich unter einem Druck, den sie nicht aushält. Sie ist klug genug zu wissen, daß es nicht mehr lange gut gehen kann mit ihrer Art, dem Leben zu widerstehen. Nie würde sie Selbstmord begehen. Nicht nur aus Feigheit nicht oder gar, weil sie noch Reste ihrer katholischen Erziehung in sich hätte. Nein, an Gott glaubt sie nicht mehr, allenfalls, daß er schlecht sein muß, weil er ihr Davids Tod angetan hat. Aber sie weiß sehr genau, daß auch das, was sie ihrem Körper antut, eine Art Selbstmord sein kann. In dem Buch, das sie in den letzten Monaten liest, den Erinnerungen der Schauspielerin Eleonora Duse, hat Romy Schneider einen Satz des italienischen Dichters Gabriele D’Annunzio unterstrichen: »Ich weiß, was der Ruhm bedeutet und was das Nahen der Nacht.«

Und die Nacht ist nahe.

Ein warmer Frühling in Paris. Die Wohnung, die ihr ein marokkanischer Freund zur Verfügung gestellt hat, Tarak Ben Amar, wird ihr oft zu eng. Aber bald ziehen wir ja nach Boissy. Kindheitssehnsucht soll sich dort erfüllen. Eine Familie. Ein Haus. Rückkehr in Geborgenheit nach Dreharbeiten. Bis es soweit ist, nächtliche Spaziergänge durch Paris, ziellos. Wochenendfluchten aufs Land mit Sarah und Laurent. Aber sich selbst kann sie nicht mehr entfliehen. Die gewohnten Fluchthelfer – Alkohol, Tabletten, ein wenig Haschisch – sind verbraucht, weil sie zu oft gebraucht wurden. Im nachhinein machen sich einige, die sie schon lange kennen, Vorwürfe. Sie erinnern sich an alltägliche Gesten, die wohl doch mehr waren, Zeichen ihrer Stimmungslage. Wie der Starfriseur Alexandre, bei dem sie sich wenige Tage vor ihrem Tod eine neue Frisur machen ließ. Sie hat ihm ein goldenes Armband des Juweliers van Cleef geschenkt. Trag es in meinem Andenken.

Warum eigentlich Andenken?

Oder nachgetragene Erinnerungen eines anderen alten Freundes, der bei Régine zum Essen war. Plötzlich erschien Romy Schneider, allein. Umarmung. Überraschung. Man hatte doch gehört, daß sie meist zu Hause blieb, kaum mehr ausging wie früher. Beim Abschied ein Adieu statt des üblichen Au Revoir.

Warum eigentlich Adieu?

Müde sei sie ihm vorgekommen, aber doch irgendwie optimistisch, sagt Jean-Claude Brialy. Am Telefon habe sie gelacht und sich gefreut über den neuesten Klatsch, den er ihr von den Filmfestspielen in Cannes erzählte. Und sich mit ihm für ein Abendessen in Paris verabredet, so um Pfingsten herum. Am Morgen des 28. Mai, einem Freitag, haben sie noch einmal telefoniert, wieder viel gelacht. Also gut, dann bis morgen abend.

Es gibt auch neue Freunde in den letzten Monaten ihres Lebens. Laurents Bruder Jérôme und dessen Frau Claude zum Beispiel. Die sehen Romy Schneider als eine kranke, verzweifelte Frau. So ganz verschieden von dem Star, den sie natürlich auch kennen von der Leinwand. Sie haben noch nicht resigniert wie andere, die Romy Schneider jahrzehntelang irgend etwas geraten und irgendwann aufgegeben haben, weil sich nichts änderte. Claude und Jérôme und Laurent sind überzeugt, stark genug zu sein, um ihr zu helfen. Wir haben ja Zeit.

Aber die Nacht ist zu nahe.

Am Abend des 28. Mai sitzen alle in der Wohnung von Claude und Jérôme um den großen Tisch und essen gemeinsam. Sie schauen Fotos vom Haus in Boissy an. Das wird ein schöner Sommer werden, das wird ein gutes Jahr, das wird ein ganz neues Leben sein, Romy.

Morgens um zwei Uhr verabschieden sich Laurent Pétin und Romy Schneider. Die paar Schritte in die Rue Barbet-de-Jouy gehen sie zu Fuß, die Luft ist warm. Sie freuen sich auf das kommende ruhige Wochenende und das Treffen mit Jean-Claude Brialy. Weil Laurents Schwägerin Claude sie zu einem Fototermin mit einer französischen Frauenzeitschrift nicht begleiten kann, will Romy Schneider noch einen Brief schreiben und den Termin absagen. Laurent legt sich schlafen, er ist einfach zu müde. Wie immer, wenn sie spät nach Hause kommt, schaut Romy Schneider noch auf ihre schlafende Tochter. Alles in Ordnung.

Am anderen Morgen findet Laurent Pétin sie im Salon, in tiefem Schlaf, wie er glaubt. Aber niemand wird sie mehr wecken. Romy Schneider, dreiundvierzig, hat endlich ihr Leben besiegt.