In einer eleganten Altbauwohnung in der Nähe der Kopenhagener Marmorkirche klingelte das Telefon. Die Operatorin war schlagartig hellwach, streckte sich nach dem Handy auf dem Nachttisch aus und setzte sich auf.
»Ja?«
Sie blinzelte, als sie die körperlose Stimme des Verbindungsoffiziers hörte, und beugte sich vor.
»Sind Sie wach?«
»Ja.«
Sie fuhr sich mit den Fingern durch das kurze, fast schwarze Haar. Spürte das Adrenalin.
»Wir haben grünes Licht.«
Sie schlug die Bettdecke beiseite und warf einen Blick auf den jungen Mann, den sie am Vorabend aufgegabelt hatte und mit dem sie nun das Bett teilte. Mark? Martin? Morten? Er war nackt und muskulös. Glatte Haut, unbehaart und braun gebrannt – genau so, wie sie es am liebsten mochte.
Und er schlief friedlich wie ein Kind. Nichts ahnend.
Die Operatorin stieg aus dem Bett und stellte sich nackt vor die hohen Schlafzimmerfenster, zog die langen Vorhänge auf und begrüßte das majestätische Kuppeldach der Marmorkirche wie üblich mit einem Lächeln. An diesem Morgen sah das Kupferdach massiv und wehrhaft aus wie der Helm eines Kreuzritters. Zu anderen Zeiten – besonders an späten Sommernachmittagen – wirkte es leicht und licht wie Luft. Schwebend.
Tauben flogen von Gesimsen und Mauervorsprüngen auf und schraubten sich hinauf zum Himmel.
»Wo finde ich ihn?«, fragte sie.
»Nach unserer aktuellen Einschätzung ist er mit seinem Ghostwriter am Meer verabredet.«
»Am Sund, meinen Sie. Streng genommen ist das kein Meer.«
»Danke. Beide sollen liquidiert werden. Und Sie vernichten bitte sämtliches Material in Lindens Besitz.«
»Selbstverständlich.«
Die Stimme des Verbindungsoffiziers rutschte eine Oktave tiefer in eine onkelhafte Tonlage, die ihr aus tiefster Seele zuwider war.
»Was den jungen Mann in Ihrem Bett betrifft …«
Die Operatorin seufzte.
»Was ist mit ihm?«
Sie wusste, was jetzt kommen würde, während ihr Blick nach wie vor liebevoll auf der schönsten Aussicht Kopenhagens ruhte. Die Kirche und ihre Wohnung waren die festen Anker in ihrem Leben, seit sie die rote Linie überschritten hatte – seit dem Ende ihrer Militärkarriere und dem Neustart als Freelancerin.
Die Operatorin war Tochter eines unfähigen amerikanischen Vaters und einer ebenso unfähigen dänischen Mutter. Aufgewachsen in einem Trailerpark in Florida mit nur einem einzigen Ausweg: das Militär. Die Alternative wäre eine Karriere als seelenlose Stripperin am Hunters Creek gewesen. Methamphetamin, verkrachte Existenzen und Abtreibungen.
Die Operatorin hatte sich fürs Militär entschieden und war die erste Frau, die die Aufnahmeprüfung für die Offiziersschule der US Marines absolvierte. Schultern und Rücken trugen immer noch Narben von den schweren Rucksäcken und Baumstämmen, die sie sieben endlose Wochen Tag und Nacht mit sich rumgeschleppt hatte, Zeugnisse von Selbstverleugnung und Ausdauer.
»Ihnen ist schon klar, dass er nicht der Anwalt und Investitionsberater ist, für den er sich ausgibt, sondern ein chronisch arbeitsloser, begrenzt talentierter Schauspieler? Seinem Armani-Auftritt und der Panerai-Uhr zum Trotz … übrigens eine Kopie.«
Sie betrachtete den schlafenden Adonis in ihrem Bett und lächelte.
»Ich hatte nicht vor, mich finanziell beraten zu lassen … Und was seine Talentlosigkeit betrifft, kann ich Ihnen nicht zustimmen, zumindest nicht in allen Bereichen.«
Der Verbindungsoffizier schnaufte genervt.
»Schmeißen Sie ihn raus. Sie müssen sich jetzt um andere Dinge kümmern.«
»Verstanden«, murmelte sie.
Der Verbindungsoffizier hatte natürlich recht. Sie würde heute ihr Bestes geben müssen. Wie immer. Fehler wurden in ihrer Welt weder toleriert noch verziehen.