Eine Tankstelle östlich von Odense
Der Beschatter hatte seinen Mondeo auf der Rückseite des flachen, weißen Tankstellengebäudes geparkt. Von seinem Platz aus sah er den rechten Kotflügel von Lindens Mercedes.
Er ging an den Fenstern des Cafés vorbei und sah Linden an einem der Tische sitzen, wo er nachdenklich in einem Pappbecher rührte. Bachmann ging weiter zum Kiosk des Rastplatzes und kaufte eine große Packung Donuts mit unterschiedlichen Glasuren, sechs eiskalte Dosen Cola und zwei Schachteln Camel Blue.
Er lächelte die Verkäuferin freundlich an. In seinem Arm hielt er alles, was sein Herz begehrte.
Als er wieder am Café vorbeilief, bemerkte er, dass Frank Linden nicht mehr an seinem Platz saß. Aber aus dem Pappbecher stieg Dampf auf, weshalb Bachmann annahm, dass Linden auf die Rasthaustoilette gegangen war.
Armer Kerl.
Wieder zurück in der heimeligen Kabine des Mondeo, arrangierte der Deutsche liebevoll die Delikatessen um sich herum – kleine Freuden eines Menschen, der die meiste Zeit seines Lebens allein verbringt.
Er hatte sich gerade eine Zigarette angezündet und die erste Cola geöffnet, als die Beifahrertür aufgerissen wurde. Frank Linden setzte sich neben ihn und knallte die Tür zu.
Überrumpelt hustete der Deutsche, verstummte jedoch augenblicklich, als er einen halben Meter vor seiner fleischigen Nase in einen Pistolenlauf blickte. Die Pistole wurde von einer knochigen, aber unerschütterlich ruhigen Hand gehalten.
Der Unternehmer sprach den Verfolger auf Englisch an, obwohl der Wagen ein dänisches Kennzeichen hatte. Mit kratziger Stimme, aber deutlich.
»Seien Sie so freundlich und legen Sie beide Hände aufs Lenkrad.«
Bachmann folgte der Aufforderung und ließ sich nicht von Lindens höflichem Tonfall täuschen. Der Blick des Unternehmers war bleigrau und todernst.
Linden zog den Zündschlüssel aus dem Lenkradschlitz und steckte ihn in die Jackentasche.
»Ersatzschlüssel?«
Der Deutsche schüttelte den Kopf.
Frank Linden öffnete das Handschuhfach und fand die Ersatzschlüssel. Bachmann seufzte resigniert.
»Brieftasche, Telefon?«
Der Verfolger überreichte die geforderten Gegenstände.
Linden stieg aus, beugte sich vor und sah Bachmann an.
»Wenn ich Sie noch ein Mal sehe, sind Sie ein toter Mann. Haben Sie mich verstanden? «
»Vollkommen. Danke.«
Bachmann war so perplex, dass er auf Deutsch geantwortet hatte.
Die Operatorin nahm eine rasche Dusche und stellte ihrem schwarzen Kater Belphegor etwas zu fressen hin. Sie stand vor der Espressomaschine, als sie von hinten in eine unerwünschte Umarmung gezogen wurde. Die Hände ihres Lovers wanderten von ihren Hüften hoch zu ihren Brüsten.
Sie packte seinen Daumen und kugelte ihn fast aus dem Gelenk aus, während sie sich blitzschnell umdrehte und ihn von sich stieß. Entgeistert blickte der junge Mann sie an. Der jähe Schmerz trieb ihm Tränen in die Augen.
»Sorry, aber du hast mich erschreckt. Alles okay mit dir?«, fragte sie gleichgültig.
Er schaute auf seine Hände.
»Wie wär’s mit einem Guten Morgen, ehe man sich verstümmelt?«
»Nur im engsten Familienkreis.«
»Damit meinst du deinen Kater?«
»Genau.«
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und ließ ihren Blick von seiner kunstvollen Man-Bun-Frisur und dem Hipsterbart über die breiten Schultern und die muskulöse Brustpartie gleiten – und weiter abwärts zu seinem ansehnlichen, wohlgeformten Schwanz. Das dichte Schamhaar war auf ein dunkles V getrimmt.
V für Vendetta, dachte sie.
Verlegenheit war ein Fremdwort für sie. Während ihrer dreijährigen Ausbildung hatte sie die Baracke mit zwanzig jungen Männern geteilt. Da hatte es nie Probleme gegeben: Sie war einer von ihnen gewesen. Immer.
»Ich muss dich rausschmeißen, Martin. Ich habe was Dringendes zu erledigen in der Welt, die wir Realität nennen, während du zurück ins La-La-Land gehst. Habe ich das richtig mitbekommen, dass du Schauspieler bist?«
»Mark! Ich heiße Mark, verdammt noch mal.«
Er funkelte sie wütend an, während er sich den Daumen massierte. Es gibt vermutlich nicht viele Frauen, die diesen Halbgott nach einer gemeinsamen Nacht rauswerfen, dachte die Operatorin. Kein Wunder, dass ihm das nicht schmeckte.
Seine Mundwinkel zitterten.
»Du bist mir eh viel zu alt«, sagte er.
Sie lächelte.
»Okay, wenn du meinst. Und jetzt pack deinen Schwanz, deine Klamotten und deine Fake-Panerai ein und geh.«
»Und wenn ich noch keine Lust habe zu gehen?«
Die Operatorin gähnte hinter der vorgehaltenen Hand. Der Kater durchbohrte den Mann mit grünen, ausdruckslosen Augen.
»Ziehst du ein bestimmtes Krankenhaus vor?«
»Fucking bitch!« Kleine Speicheltropfen spritzten von seinen geschwungenen Lippen.
Er verließ die Küche, und gleich darauf hörte sie, wie sich ein Reißverschluss mit einer energischen Bewegung schloss. Harte Schritte auf dem Parkett, dann knallte die Wohnungstür zu.
Sie nahm den Kater auf den Arm.
»Warum stehe ich nur immer wieder auf solche Arschlöcher, Belphegor? «
Der Kater blinzelte.
Sie sah nachdenklich aus dem Fenster.
»Der letzte anständige Mann, den ich gevögelt habe, war der Arzt. Ein Poet in einer gottverlassenen Wüste. Eine scheißtraurige Geschichte. Aber wenn du darauf bestehst, werde ich sie dir irgendwann erzählen.«
Der Kater bohrte seine Krallen in ihren Unterarm, wand sich los und sprang auf den Boden. Er huschte auf den Flur und ließ sie allein mit der fauchenden Espressomaschine zurück. Die Operatorin schaute dem Tier hinterher und fühlte sich merkwürdig verlassen.
Als sie angezogen war, ging sie gemächlich mit dem Kaffeebecher in der Hand durch ihre geliebte Wohnung. Sie schaute in die Vitrinen mit der Sammlung antiker Leica-Kameras, den Glasschrank mit dem #10 FC Barcelona-Fußballtrikot, persönlich signiert von Lionel Messie, und öffnete die verborgene Tür zum Waffenraum.